Am 97. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 8. November 2022 wurde der Polizist Simon E. befragt, der eine fingierte Kontrolle im Hauptbahnhof in Heidelberg angeleitet hatte, bei der am 2. Oktober 2019 beim Angeklagten Paul-Ludwig U. eine CO2-Pistole gefunden und beschlagnahmt wurde. Anfangs behauptete der Zeuge noch, U.s Kontrolle sei rein zufällig geschehen. Als ihm der Richter erzählte, dass der LKA-Beamte Michael K. vor Gericht bereits zugegeben hatte, dass seine Behörde die Kontrolle in Auftrag gegeben hatte, änderte Simon E. seine Aussage. Nun erinnerte er sich plötzlich auch an diesen Auftrag und an Details aus der Kontrolle. Mehrere Verteidiger*innen glaubten ihm diese plötzliche Eingebung nicht. Im Verfahren zur bei der Kontrolle beschlagnahmten CO2-Waffe hatte Simon E. ebenfalls als Zeuge behauptet, die Maßnahme sei reiner Zufall gewesen. Offensichtlich sollte Paul-Ludwig U. weiter in dem Glauben gelassen werden, in eine zufälligen Kontrolle geraten zu sein. Der daraus resultierende Prozess gefährdete die Bewährungsauflagen von Paul-Ludwig U. und machte ihn potenziell erpressbar durch die Behörden. Was E. in Stuttgart aussagte, legte wiederum auffällige Lücken im Protokoll der Kontrolle offen: Dort steht beispielsweise nicht, dass sich U. als „LKA-Spitzel“ bezeichnete. Als die Verteidigung mehrmals nachhakte, wurden die Aussagen des Zeugen immer widersprüchlicher und unglaubwürdiger. Schließlich verweigerte er weitere Aussagen, um sich nicht selbst zu belasten. Am Ende dieses Prozesstags stellt der Vorsitzende Richter mit Blick auf den Angeklagten Steffen B. und Erörterungen des Senats bei einem Geständnis eine Haftentlassung noch in 2022 in Aussicht.
Erstmals sitzt bei den Vertreterinnen des Generalbundesanwalts ein neuer Kollege: Oberstaatsanwalt Katzfelde. Der Prozesstag startet mit einer Auseinandersetzung zwischen dem Vorsitzenden Richter (VR) und Michael B.s Rechtsanwalt (RA) Mandic, der im Saal gegessen hatte. Der VR mahnt: „Herr Mandic, hier ist kein Speisesaal.“
Der Zeuge Simon E. (37) stellt sich eingangs kurz vor. Er sei Polizeioberkommissar bei der Bundespolizei-Sektion Karlsruhe in Mannheim. Ab Oktober 2003 habe er beim Bundesgrenzschutz gearbeitet, dann u.a. in Kehl, bis er 2009 zur Mannheimer Bundespolizei gewechselt sei. Erst sei er Streifenbeamter gewesen, heute sei er Gruppen-Leiter und damit u.a. zuständig für komplexere Einsatzlagen.
Anschließend schildert der Zeuge die Kontrolle von Paul-Ludwig U. am 2. Oktober 2019 am Hauptbahnhof Heidelberg, als zwei Beamte bei U. eine CO2-Waffe fanden, sie beschlagnahmten, ihn aber weiterziehen ließen. Was bei der Schilderung des Zeugen auffällt: Anfangs beschreibt er sie als reine Zufallskontrolle und behauptet: „Wir haben den Bahnsteig schwerpunktmäßig bestreift.“
Der Zeuge ändert seine Aussage
Offenbar ist ihm nicht klar, dass der LKA-Beamte Michael K. bereits in seiner Zeugenaussage vor Gericht einräumte, dass es sich um eine fingierte Zufallskontrolle handelte, um U. die Waffe abzunehmen. Als ihn der Vorsitzende Richter (VR) auf diesen Widerspruch hinweist und von K.s Aussage berichtet, kehrt beim Zeugen die Erinnerung offenbar zurück. Nun räumt er ein, dass die Kontrolle auf eine Anweisung nach Kontakt zum LKA geschehen sei. Ebenfalls verspätet erzählt der Zeuge, dass er auch vor Ort in Heidelberg persönlich Kontakt mit dem LKA gehabt habe. Der VR ergänzt, aus den Akten wisse man, dass mindestens drei Polizeibehörden informiert waren: das LKA Hessen, das LKA Mittelhessen und das BKA.
Zusammengefasst schildert der Zeuge das Geschehen wie folgt: Im Oktober 2019 sei er noch Streifenbeamter in einer Dienstgruppe gewesen. Am 2. Oktober habe er von 6 bis 12 Uhr Dienst gehabt. Dabei habe er Paul-Ludwig U. gemeinsam mit dem Kollegen H. und dem Polizeikommissar-Anwärter B. kontrolliert, wobei er selbst als Streifenführer der Ranghöchste gewesen sei.
Simon E. erinnert sich plötzlich an Details der außergewöhnlichen Maßnahme
Per Funk habe er die Anweisung erhalten, U. zu kontrollieren, mitsamt einer Personenbeschreibung und der Information, dass U. mit dem Regionalzug aus Richtung Heilbronn/Mosbach Richtung Heidelberg fahren würde. Die Informationen sei ihm von der Leitstelle in Karlsruhe an diesem Morgen mitgeteilt worden, etwa eine geschätzte halbe bis dreiviertel Stunde davor. Es habe geheißen, dass die Person bewaffnet sei und man ihm die Waffe abnehmen solle. Der Zeuge merkt an, dass er so einen Fall in seiner bisherigen Laufbahn noch nicht erlebt habe. Über die Hintergründe habe er nichts erfahren.
Gefragt nach dem Weg dieser Anweisung zu ihm sagt der Zeuge, vermutlich sei diese vom LKA Baden-Württemberg an die Bundespolizeidirektion in Stuttgart, dann an die Inspektion Karlsruhe und an den Gruppenleiter in Mannheim und zuletzt an ihn als Streifenbeamten gegangen. Konkret könne er sich aber nicht mehr erinnern, von wem der Auftrag gekommen sei.
Beim Eintreffen am Bahnhof habe sie ein LKA-Beamter in Zivil angesprochen und seine Marke vorgezeigt. Dieser sei Ende 30, Anfang 40 gewesen. Dieser habe sie informiert, dass Paul-Ludwig U. auf der Anfahrt nach Heidelberg sei. Außerdem habe er gesagt, dass Observationsmaßnahmen im Vorfeld durchgeführt wurden. Es könne sein, so Simon E.,dass der Zivilbeamte zu dem Observationsteam gehört habe. Der Beamte habe auch gesagt, dass in U.s Zug auch Kollegen vom BKA seien.
„Ja, ich habe eine Waffe“
Sie seien um 9.30 Uhr in Heidelberg auf dem Bahnsteig 3 gewesen und auf Paul-Ludwig U. gestoßen. Man habe eine Personenkontrolle durchgeführt und nachgefragt, ob er verbotene Gegenstände mit sich führe. Paul-Ludwig U. habe dann angegeben, eine Schusswaffe im Rucksack mit sich zu führen: „Ja, ich habe eine Waffe.“ Paul-Ludwig U. habe nervös gewirkt. Er sei sehr höflich gewesen und habe es sehr eilig gehabt, von der Polizei wegzukommen. Er habe den Rucksack ausgehändigt, darin eine schussbereite CO2-Sportschützen-Waffe der Marke Umarex. Diese sei für Personen über 18 Jahren freigegeben. Man brauche zum Führen einen kleinen Waffenschein, den Paul-Ludwig U. aber nicht habe vorweisen können. Die Trommel der Waffe sei mit acht Spitzmantelgeschosse bestückt gewesen, außerdem sei eine CO2-Kartusche eingeführt gewesen. Auf dem Bahnsteig sei auch eine Belehrung erfolgt. Er, so der Zeuge, habe Paul-Ludwig U. angeboten, mit ihm ein Sicherstellungsprotokoll auf der Wache aufzunehmen. U. habe aber seinen Anschlusszug erreichen wollen.
Der Zeuge behauptet trotz U.s vieler Vorstrafen, dieser sei nicht großartig polizeibekannt gewesen
Man habe über die Leitstelle in Karlsruhe den Wohnsitz von Paul-Ludwig U. überprüft. Der Zeuge gibt an, dass die Leitstelle auch mitgeteilt habe, dass keine Fahndung vorliege und Paul-Ludwig U. polizeilich nicht großartig in Erscheinung getreten sei. [Was erstaunlich ist, schließlich hatte U. damals bereits sehr viele Vorstrafen, darunter eine bewaffnete Geiselnahme.]
Auf die Frage des VR, ob Paul-Ludwig U. erläutert habe, dass und wie er in Kontakt mit der Polizei stünde, kann sich der Zeuge „nicht mehr hundertprozentig erinnern“. [U. selbst sagte aus, er habe den kontrollierenden Beamten gesagt, er müsse zu einem Treffen, um der Polizei davon zu berichten. Um das zu belegen, habe er den Beamten E-Mails auf seinem Handy gezeigt.] Aber er habe zu Bekannten nach Göttingen oder Gießen gewollt. Er habe gesagt, dass er die Waffe nach Gießen bringen müsse. Nach der Kontrolle habe ein LKA-Beamter 10 bis 15 Sekunden mit U. gesprochen und ihm mitgeteilt, dass die Schusswaffe sichergestellt sei. U. habe darauf in etwa erwidert: „Dann hat sich die gesamte Observationsarbeit wohl gelohnt.“
Nach Ende dieser Maßnahme übernahm der Zeuge laut eigener Aussage die Sachbearbeitung und machte per Funk Meldung nach Mannheim, was auch die Leitstelle in Karlsruhe erreicht habe. Anschließend habe er keinen Kontakt mehr zum LKA gehabt.
Ein alltäglicher Verstoß gegen das Waffenrecht?
Der VR fragt den Zeugen, ob es eine Anweisung gegeben habe, dass der LKA-Beamte in der Anzeige nicht erwähnt werden sollte. Der Zeuge bestreitet das, es sei eine standardisierte Anzeige gewesen. Für ihn sei es ein „waffenrechtlicher Verstoß“ gewesen, „wie wir sie in Mannheim täglich haben“. Er habe keine weiteren Anweisungen oder Informationen über die Involvierung der Bundesanwaltschaft. Ihm sei auch nicht gesagt worden, was sie mit U. tun sollten. An eine Erklärung von Paul-Ludwig U., warum er die Waffe bei sich geführt habe, kann sich der Zeuge nicht erinnern.
Der VR liest dem Zeugen aus dem Protokoll des Amtsgericht Heidelberg vor, was der RA von Paul-Ludwig U. mitgeteilt habe: Sein Mandat räume den Tatvorwurf ein. Er sollte an einem rechtsterroristischen Treffen teilnahmen. Ihm sei mehrfach gesagt worden, dass seine Rolle tödlich enden könne. U. habe gesagt, er habe die Waffe zum Schutz und sie solle seine Rolle dort unterstreichen. Außerdem habe U. gesagt, dass alles mit dem LKA abgesprochen sei. Der Zeuge kann sich nicht daran erinnern.
Sagte Simon E. auch in einem weiteren Verfahren falsch über die Kontrolle aus?
Der VR zitiert aus dem Urteil der Amtsrichterin: Der Angeklagte, der verdeckt für das LKA ermittelte, sei auf dem Weg nach Gießen gewesen. „Gegen Anweisung des LKA führte er eine Waffe mit sich. […] „Er handelte aus Angst vor den Tätern.“ Der Zeuge gibt an, er habe keine Kenntnis davon, dass in irgendeiner Weise von außen auf den Prozess in Heidelberg eingewirkt wurde.
Der VR widmet sich dem Protokoll des Heidelberger Verfahrens, da Simon E. dort ebenfalls als Zeuge ausgesagt hat. Auch dort behauptete E., die Kontrolle sei rein zufällig gewesen. Als der VR wissen möchte, ob E. das dort wirklich behauptet habe, streitet der Zeuge das ab: „In der Form nicht.“ Er sei vor Gericht nicht gefragt worden, ob es eine bewusste Kontrolle war. Es habe auch keine Art von Beeinflussung gegeben. Gegen ihn sei bisher auch nicht wegen uneidlicher Falschaussage ermittelt worden.
Richter Kemmner (RK) fragt nach der Zwischenzeit zwischen Kontrolle und Anzeigenbearbeitung. Der Zeuge gibt an, sie hätten Kaffee getrunken. Dann seien sie zurück nach Mannheim gefahren und hätten keine weiteren Kontrollen durchgeführt. RK fragt weiter, wie es dann zu der Aussage am Amtsgericht Heidelberg gekommen sei, man habe normale Kontrollen durchgeführt. Der Zeuge erzählt von einer pöbelnden Person am Bahnhof, deren Personalien man kontrolliert habe. „Da konnten wir in Uniform nicht vorbei“, zumal sie noch etwas Zeit gehabt hätten. Insgesamt habe man nur zwei Kontrollen an dem Tag durchgeführt. RK merkt an, dass diese Angaben nicht mit der Aussage in Heidelberg übereinstimmen würden. Der Zeuge antwortet, was er damals ausgesagt habe, könne er heute „nicht mehr einhundertprozentig sagen“.
Die Fragen der Verteidigung
Thomas N.s RA Sprafke kritisiert, dass in der Anzeige nichts von der Anweisung zur gezielten Kontrolle stünde. Der Zeuge wiederholt, für sie sei das Ganze „nichts weiter als ein alltäglicher waffenrechtlicher Verstoß“ gewesen. Der Hinweis sei „für die Abarbeitung eines Sachverhalts egal“ gewesen. Er bekomme oft auch Hinweise von Bürgern, in Mannheim fast jede Woche. Der RA fragt den Zeugen, warum er überhaupt nach Heidelberg gefahren sei. Der Zeuge gibt an, das sei im „Rahmen der Streifentätigkeit auf Anweisung“ seines Vorgesetzten Sch. geschehen.
Tony E.s RA Becker fragt nach Details zur Kontrolle von Paul-Ludwig U. Der Zeuge gibt an, dass er den Rucksack durchsucht habe. Ob und wer Paul-Ludwig U. durchsucht habe, wisse er nicht; „vielleicht meine Kollegen“. Der RA fragt zum Prozess am Amtsgericht Heidelberg, warum der Zeuge die Kontrolle laut Protokoll als reinen Zufall dargestellt habe. Der Zeuge sagt, er wisse nicht, warum das dort so stehe.
Steffen B.s RA Ried greift diesen Punkt auf und fragt den Zeugen, ob am 2. Oktober 2019 der Vorgang mit U. der einzige am Vormittag gewesen sei, den er aufgenommen habe. Der Zeuge bejaht. Sie hätten aber, so der Zeuge, eigentlich vorgehabt, Kontrollen durchzuführen. Der RA hält dem Zeugen seine Aussage am Amtsgericht Heidelberg vor: Es habe mehrfache Kontrollen gegeben, und die Kontrolle von Paul-Ludwig U. sei zufällig geschehen. Der Zeuge behauptet erneut, das sei dort falsch aufgeschrieben worden, und wiederholt: „Ich weiß auch nicht mehr hundertprozentig, was ich dort zu Protokoll gegeben habe.“
Warum wurde das LKA über Fakten informiert, die nicht im Protokoll der Kontrolle stehen?
Thorsten W.s RA Kist fragt, ob es bei der Ansprache von Paul-Ludwig U. am Bahnsteig ein Telefonat gegeben habe. Der Zeuge kann sich nicht mehr erinnern. Der RA konfrontiert ihn damit, dass es um 9.36 Uhr ein Telefonat mit dem LKA Hessen gegeben habe. Der Zeuge bleibt dabei, dass er sich nicht mehr erinnern könne.
Weiter fragt der RA, warum die Abfrage nach Paul-Ludwig U. ergeben hätte, dass dieser bisher noch nicht großartig in Erscheinung getreten sei. Der Zeuge meint, das sei so mitgeteilt worden. „Wir als Bundespolizei können nicht auf alle Daten der Länder-Polizeien zugreifen.“ Er habe nichts von den Vorstrafen von Paul-Ludwig U. gewusst.
Auch RA Kist fragt den Zeugen, warum er am Amtsgericht Heidelberg nichts von der fingierten Kontrolle gesagt habe. Der Zeuge behauptet erneut: „Für uns war es ein ganz normaler Verstoß gegen das Waffengesetz.“
Marcel W.s RA Picker fragt den Zeugen, warum sich die Akte des Amtsgericht Heidelberg nicht mit der Anhaltemeldung, die ans LKA ging, decke. Der Zeuge gibt an, dass das LKA beim Dienstgruppenleiter um die Anhaltemeldung gebeten habe. Der VR schaltet sich ein und bestätigt, dass sich die Anhaltemeldung für das LKA nur zum Teil mit der in der Akte decke. Er zitiert aus der Meldung ans LKA: „Er äußerte mehrfach, er sei ein ‚Spitzel‘ des Landeskriminalamts und solle die Waffe überführen.“ Der Zeuge gibt an, diese Information sei nur für das LKA bestimmt gewesen.
Mehrere Verteidiger werfen dem Zeugen falsche Aussagen vor
Werner S.‘ RA Siebers äußert den Verdacht, dass beim Amtsgericht etwas objektiv Falsches im Protokoll stehe. Auch er fragt danach, wie es zum Widerspruch um die angeblich zufällige Kontrolle kam. Der Zeuge möchte sich dazu nicht äußern. Wolfgang W.s RA Grassl hakt nach, warum er sich nicht äußern wolle. Der Zeuge beharrt darauf, dass er sich nicht mehr erinnern könne, warum dort „zufällig“ stehe.
Der RA fragt weiter, welche Maßnahmen zur Eigensicherung bei der Kontrolle von Paul-Ludwig U. ergriffen wurden. Der Zeuge sagt, er habe keine besonderen Maßnahmen ergriffen, obwohl er wusste, dass U. eine Schusswaffe bei sich hatte. Ihm sei Paul-Ludwig U. als ein Kleinstkrimineller beschrieben worden. Außerdem sei ihm durchgegeben worden, es gehe um ein Eigentumsdelikt. Der RA hält das für wenig glaubwürdig angesichts der Tatsache, dass das LKA eine Observation durchführte.
Wurde U. nicht festgenommen, weil das LKA es so wollte?
Der RA möchte noch wissen: „Hat Ihnen der LKA-Mann gesagt, sie sollen den Mann nach Beschlagnahmung der Waffe weiterfahren lassen?“ Der Zeuge antwortet: „Das kann ich zu einhundert Prozent nicht mehr sicher sagen.“
Wolfgang W.s RAin Rueber-Unkelbach fragt den Zeugen noch einmal nach dem genauen Ablauf der Kontrolle. Der Zeuge erzählt, er habe nach verbotenen oder gefährlichen Gegenständen gefragt. Paul-Ludwig U. habe mitgeteilt, er habe eine Pistole dabei. Daraufhin habe er seinen Kollegen zugerufen: „Schusswaffe!“ Er habe die Waffe an sich genommen, sich damit mehrere Meter entfernt und Trommel und CO2-Kartusche entfernt.
Weiter fragt die RAin, ob er Paul-Ludwig U. erzählt habe, wie es mit ihm weitergehe. Der Zeuge bejaht. Er habe vorgeschlagen, in den Dienstraum zu gehen, aber Paul-Ludwig U. habe weiterfahren wollen.
Markus K.s RAin Schwaben erkundigt sich, wie oft der Zeuge wegen Verstößen wegen Waffenbesitzes vor Gericht als Zeuge geladen werde. Er schätzt 10 bis 15 Mal. Dabei sei er aber noch nie gefragt worden, ob die Kontrolle auf Anweisung geschehen sei.
Dann möchte die RAin noch einmal genau hören, wie der Auftrag lautete. Der Zeuge sagt, sie sollten auf dem Bahnsteig einen gewissen U. kontrollieren, der in Besitz einer Schusswaffe sein könnte. Die RAin wundert sich darüber: Erst habe es geheißen, man habe die Waffe zufällig gefunden und sich dann um die Strafverfolgung gekümmert. Als das nicht mehr haltbar gewesen sei, wurde mit einer Gefahrenabwehr argumentiert. Doch das LKA sei für Gefahrenabwehr gar nicht zuständig.
Der Zeuge kann sich seine widersprüchlichen Aussagen selbst nicht erklären
Auf Nachfrage von Stefan K.s RA Abouzeid erklärt der Zeuge, das Treffen mit dem LKA am Bahnhof sei zufällig gewesen. Der RA hat offenbar den Verdacht, dass der Zeuge am heutigen Morgen falsch ausgesagt haben könnte. Er zitiert ihn: „Aufgrund unserer Erfahrung haben wir die Fernzüge kontrolliert.“ Im weiteren Verlauf des heutigen Tages habe der Zeuge hingegen zugegeben, dass sie gezielt auf Gleis 2 gewesen seien. Diesen Widerspruch kann sich der Zeuge nun auch nicht mehr erklären: Er wisse nicht, warum er das heute Morgen gesagt habe.
RA Mandic fragt nach dem Prozess am Amtsgericht Heidelberg. Ob er sich erinnern könne, dass Personenschützer mit im Saal gesessen hätten? Der Zeuge erinnert sich nur an den Anwalt von Paul-Ludwig U.
Der Angeklagte Frank H. fragt den Zeugen, ob er eine bewaffnete Geiselnahme für ein Kleinverbrechen halte. Der Zeuge erwidert, er habe keine Erkenntnisse über Paul-Ludwig U. gehabt.
Der Zeuge knickt ein und verweigert nun doch die Aussage
RA Sprafke kommt auf die Weigerung des Zeugen zurück, RA Siebers auf seine Frage nach der vermeintlichen Falschaussage über die angeblich zufällige Kontrolle zu antworten. Er hakt nach, ob der Zeuge damit von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe oder das nur so gesagt habe. Der Zeuge erwidert, es sei eine gezielte Kontrolle gewesen und er habe es nur so gesagt. Der RA fragt nach dem Grund, warum er das so gesagt habe. Der Zeuge antwortet: „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Der RA betont, dass für den Zeugen als Beamten viel auf dem Spiel stehe. Warum er so schlingere, ob es um Geheimnisverrat gehe? Der Zeuge bestreitet das. Der RA hakt nach, ob der LKA-Beamte dazu aufgefordert habe, U. zu verheimlichen, dass die Kontrolle gezielt erfolgte. Der Zeuge antwortet: „Kann ich einhundertprozentig so nicht sagen.“
Der RA lässt die Anhaltemeldung präsentieren und fragt, wie sie zum LKA gelangte. Der Zeuge gibt an, sie sei per E-Mail auf Anweisung von Herrn K. verschickt worden. Der RA fragt, warum diese E-Mail nicht in den Akten sei. Der Zeuge gibt an, die polizeiliche Dokumentation sei auf Wunsch des LKA geschehen.
RA Siebers trägt einen Beweisantrag vor: Er fordert dazu auf, den Protokollführer und die Richterin zu laden, die am 6. Juli 2020 beim Amtsgericht Heidelberg beim Prozess mit Paul-Ludwig U. waren. Der Zeuge habe objektiv die Unwahrheit gesagt. Er fragt den Zeugen, ob er bei seiner bisherigen Aussage bleibe. Er gebe ihm jetzt die Chance, das zu korrigieren und „irgendwie aus der Scheiße rauszukommen“. Der VR stellt gegenüber dem Zeugen klar, dass die Prämisse des RA sei, dass er davon ausgehe, dass er gelogen habe. Der Zeuge erwidert, er werde sich nicht weiter äußern. Der RA fragt nach, ob er sich auf Paragraf 55 beziehe. [Aussageverweigerungsrecht in der Strafprozessordnung für Fälle, in denen sich Zeug*innen selbst oder Angehörige belasten müssten.] Der Zeuge bejaht. Daraufhin wird er entlassen.
Erklärungen der RA*innen
Marcel W.s RA Miksch spricht von „wahrscheinlich falschen Angaben“. Durch diese sei Paul-Ludwig U. in dem Glauben gelassen worden, er sei einer zufälligen Kontrolle zum Opfer gefallen. Damit habe man ein Druckmittel gegen Paul-Ludwig U. gehabt. U. habe neue Pluspunkte sammeln wollen, um den Rückschlag auszugleichen. Außerdem habe er sich selbst als Spitzel des LKA bezeichnet.
Der VR verkündet, der Senat habe einen Schriftsatz erhalten, mit dem RA Scholz seinen Mandanten U. von der Anwesenheitspflicht an einigen Hauptverhandlungstagen 2023 entbinden wolle. Man wolle diesen Antrag ablehnen, kündigt der VR an, und fragt: „Sollen wir den Prozess so bauen, dass Herr U. an seinen Kursen teilnehmen kann?“ RA Scholz stellt den Antrag zurück.
VR lockt Steffen B.: Haftentlassung für eine Aussage
Der VR teilt mit, dass sich Änderungen in fünf Aktenvermerken vom 20., 24. und 25. Oktober 2022 mit Bezug auf Steffen B. ergäben. Es gehe u.a. um Einlassungen von B., die laut RA Ried nicht als Geständnis gewertet werden können. Demnach hätten laut Steffen B. die Gespräche über Anschläge auf Moscheen nicht so gewirkt „als ob die das machen wollen“. Er habe sich gegen die Anschläge ausgesprochen. Die Waffen sollten nur dem Schutz der Familie dienen. Er habe gedacht, dass es um Flyer und Plakate gehe, und habe Geld nur für Plakate und Flyer geben wollen.
Er habe die Zahl von 50.000 Euro zur Waffenbeschaffung nur als fiktive Zahl genannt. Es entspreche nicht der Wahrheit, dass er am selben Tag noch habe nachfragen wollen. Auch habe er keine Bestellung von Waffen veranlasst.
Der VR kommentiert: Der Senat gehe davon aus, dass bei einem Geständnis dieses Jahr eine Haftentlassung in Betracht käme. Er fordert Steffen B. auf, sich darüber Gedanken zu machen.
RA Herzogenrath-Amelung: „Herr B. soll nachbessern, um Ihr Bild vom Sachverhalt zu bestätigen“
Frank H.s RA Herzogenrath-Amelung kritisiert dieses Angebot. Die Botschaft sei: „Serviere uns die Version, die uns passt, dann denken wir über eine Haftentlassung nach.“ Der VR fragt empört nach, ob er den Senat der Rechtsbeugung bezichtigen wolle. Der RA streitet das ab. Der VR kommentiert, er könne das aber nur so interpretieren.
Der RA konkretisiert seinen Vorwurf: Es entstehe „der Eindruck, dass Herr B. nachbessern soll, um Ihr Bild vom Sachverhalt zu bestätigen.“ Der RA kritisiert, das sei kein normales Verfahren. Es gebe das Problem der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation. Steffen B. sei vermittelt worden, er solle „eine Liste abarbeiten, hier und da kannst Du die Liste nachbessern“. Man habe nur die Aussagen von Paul-Ludwig U. und die dem diametral entgegenstehenden Aussagen der anderen Angeklagten. Steffen B. werde weichgekocht. Offensichtlich falle B.s Verteidigern nur ein fauler Kompromiss ein. Steffen B.s RA Flintrop empört sich über diese Sätze.