Am 94. Verhandlungstag gegen die „Gruppe S.“ am 29. September 2022 war erneut die Zeugin Maren S. vom LKA Baden-Württemberg geladen. Maren S. war eine der LKA-Beamt*innen, die am meisten Kontakt mit dem Angeklagten und Hauptbelastungszeugen Paul-Ludwig U. hatte. Sie wurde zu mehreren Vernehmungen von U. befragt, bei denen sie anwesend war. Thematisch wurden unter anderem U.s Motivation für seine Informationsweitergabe sowie das Verhältnis zu den Ermittler*innen aufgegriffen. Dabei gab die Zeugin an vielen Stellen an, sich nicht mehr (genau) erinnern zu können. Außerdem kam U.s Mitgliedschaft bei der „Bruderschaft Deutschland – Sektion Süd“ mehrmals zur Sprache.
Die Zeugin Maren S. vom LKA Baden-Württemberg wird in den Zeugenstand gebeten. Nachdem der Vorsitzende Richter (VR) sie belehrt hat, befragt er Maren S. zu einer Vernehmung des Angeklagten und Hauptbelastungszeugen Paul-Ludwig U. am 14. Oktober 2019 in Mosbach. Die Zeugin erklärt, dass der Grund für diese Vernehmung eine E-Mail von Paul-Ludwig U. vom 5. Oktober gewesen sei, in der er die Anfrage gestellt habe, als Quelle geführt zu werden. Diese Anfrage habe er immer wieder gestellt. Deshalb habe es eine Besprechung ihres LKA-Kollegen Michael K. mit der Generalbundesanwältin (GBA) Zacharias zu der Thematik gegeben.
Zu den Umständen des Gesprächs mit der GBA befragt, kann sich die Zeugin nicht mehr genau erinnern, ob sie selbst teilnahm. Sie ist sich auch unsicher darüber, ob das Gespräch in Präsenz oder online stattgefunden hat. Ebenso unsicher sei sie bei den Teilnehmenden des Gesprächs. Abstimmungsbedarfe mit der GBA seien Aufgabe ihrer Kollegen Michael K. und dem Vorgesetzten L. gewesen. Ob beide am Gespräch teilnahmen oder eine weitere Person, daran kann sich die Zeugin nicht so recht erinnern. Auf Seiten der GBA sei Frau Zacharias beteiligt gewesen. Eventuell sei auch Oberstaatsanwältin Bellay beteiligt gewesen.
Paul-Ludwig U. ist vom Ergebnis des Gesprächs enttäuscht
Der VR befragt die Zeugin zum Gespräch am 14. Oktober. Die Zeugin erklärt, sie sei mit ihrem Kollegen Michael K. im Auto nach Mosbach gefahren.
Da es keine Schreibkraft vor Ort gegeben habe, habe sie selbst das Protokoll geschrieben. Das sei schwierig gewesen, weil das Gespräch so schnell verlief. Sie habe daher einige Punkte im Protokoll zusammengefasst. Aus heutiger Sicht, so S., wäre es besser gewesen, ein Tonband mitlaufen zu lassen. Sie habe aber keines zur Verfügung gehabt. Der VR möchte wissen, ob es eine Aufgabenverteilung zwischen ihr und ihrem Kollegen gab. Die Zeugin bejaht: Ihr Kollege habe die Fragen stellen wollen, sie schrieb mit. Der VR weist daraufhin, dass ihr Kollege das vor Gericht anders dargestellt habe.
Nach Angaben von Maren S. sollte es keine große Vernehmung werden. Einen Fragenkatalog habe es nicht gegeben. Der VR möchte außerdem wissen, ob es zwischen dem Gespräch mit der GBA am 10. Oktober und dem Vernehmungstermin am 14. Oktober 2019 ein vorbereitendes Gespräch unter Einbeziehung der Ergebnisse vom 10. Oktober gegeben habe. Die Zeugin hält das für „naheliegend“, kann sich aber an konkrete Inhalte nicht erinnern.
Auf die Frage des VR, ob die Zeugin ein Bild von dieser Vernehmung vor Augen habe, erinnert sich die LKA-Beamtin daran, dass Paul-Ludwig U. zu Beginn gut gelaunt gewesen sei, am Ende des Gesprächs aber enttäuscht gewirkt habe. Daraufhin fragt der VR, ob es „bei Ihnen auf der Dienststelle Überlegungen oder Erwägungen gab, dass U. hinschmeißt?“ Die „Möglichkeit bestand fortwährend, dass er einen Rückzieher macht“, antwortet die LKA-Ermittlerin. Der VR hakt nach, wie man damit habe umgehen wollen. Laut Maren S. gab es eine E-Mail, in der er seinen Rückzug ankündigte. Dann sei das so, „er macht das freiwillig“, erklärt die Zeugin. Die verdeckten Maßnahmen seien weitergelaufen.
Schnellstart von Paul-Ludwig U. im Verhör
Der VR kommt auf eine Pause zu sprechen, die im Protokoll erwähnt wird. Die Zeugin erklärt, Paul-Ludwig U. habe verschiedene Profile auf Facebook zeigen wollen – „mangels Zugriff auf das mobile Datennetz“ zunächst ohne Erfolg. Dies führte zu einer Unterbrechung der Vernehmung. Im Anschluss kommt der VR auf die Frage zu sprechen, wer Paul-Ludwig U. vor der Zeugenvernehmung belehrt hat. Die Zeugin geht davon aus, dass dies ihr Kollege gemacht habe, da sie Protokollantin war. Das entnehme sie auch ihrer Vorbereitung auf die heutige Vernehmung vor dem OLG. Der VR hält ihr eine Passage aus dem Protokoll vor. Laut Protokoll wurde U. als „Beschuldigter“ vernommen, begann dann unmittelbar mit Einlassungen zu „Antifa-Listen“, zu denen „Teutonico“ [der Angeklagte Werner S.] in einer Sprachnachricht sagte, man solle Aktionen gegen Einzelne durchführen. Erst dann folge ein Absatz, dass Michael K. die Belehrung vornahm. Der VR fragt, wie es zu diesem Ablauf kam. Die Zeugin erklärt, U. habe direkt nach der Begrüßung angefangen zu reden. Sie habe versucht, den Inhalt der abgespielten Sprachnachricht zusammengefasst zu protokollieren.
Der VR greift eine weitere Stelle aus dem Protokoll heraus. Darin heißt es, man habe die Fragen nach dem Status als Quelle und nach einer Vergütung mit GBA Zacharias besprochen. Dies sei nicht möglich. Der VR fragt, ob sich die Zeugin an den Vorgang erinnern kann. Die Zeugin verneint. Der VR erklärt, es gebe unterschiedliche Wege, eine solche Botschaft zu überbringen, doch hieran kann sich die Zeugin nicht weiter erinnern. Die Zeugin erklärt, dass sie den Quellenstatus für U. nicht für wahrscheinlich gehalten habe. Man habe U. „von Anfang an als Beschuldigten geführt“. An die Stimmung und Emotionalität im Gespräch von Seiten ihres Kollegen kann sich Maren S. nicht erinnern.
Paul-Ludwig U. glaubte, er werde verhaftet
Der VR kommt auf das Gespräch mit dem GBA am 10. Oktober zurück. Wurde dort auch über Zeugenschutz und die Beschlagnahmung eine Waffe bei Paul-Ludwig U. am 2. Oktober 2019 [bei einer Kontrolle am Heidelberger Hauptbahnhof] gesprochen? Die Zeugin sagt, sie könne hierzu keine Angaben machen, weil sie beim Gespräch nicht anwesend gewesen sei. Bezüglich der Waffe sei die Information über die Kontrolle an die GBA weitergeleitet worden. Es sei gut möglich, dass man sich dort über den Umgang mit der Beschlagnahmung unterhalten habe, sie wisse es aber nicht.
Am 11. Oktober 2019 sei es zu mehreren Telefonaten zwischen Paul-Ludwig U. und den LKA-Beamt*innen Michael K. und Maren S. gekommen, so der VR. In einem Gespräch fragte Maren S. Paul-Ludwig U., ob er am Montag, den 14. Oktober, Zeit für ein Treffen habe. Es gehe um das Gespräch mit der GBA. Eine Stunde nach der Terminabsprache rief U. die LKA-Ermittlerin zurück und fragt, ob er verhaftet werde. Die Zeugin gibt auf Nachfrage des VR an, keine Ahnung davon zu haben, wie U. darauf gekommen sei, er könnte verhaftet werden.
„Hatte das einen Grund, warum Sie das Gespräch mit ihm nicht am Telefon führen wollten?“, fragt der VR und spielt darauf an, dass den Ermittler*innen immer wieder Vertuschung vorgeworfen wird. Die Zeugin erklärt, man habe das Gespräch persönlich führen wollen, weil U. eine Erwartung hatte, die man aber enttäuschen musste. Auf die Frage des VR, ob es Informationen der GBA an U. gab, die nicht ins Protokoll einflossen oder ob es eine abweichende offizielle Sprechweise gab, verneint die Zeugin. Sie verweist auf Telekommunikationsüberwachungsaufnahmen (TKÜ), in denen sie U. klarmachte, dass es weder eine Vergütung noch einen VP-Status (Vertrauensperson) gebe.
Paul-Ludwig U. wollte weitermachen – wenn sein Status geändert wird
Vor dem Gespräch am 14. Oktober schrieb Paul-Ludwig U. mehrere E-Mails an seine Ansprechpartner*innen beim LKA Maren S. und Michael K. In einer Mail, die am 10. Oktober um 1.38 Uhr versendet wurde, bezieht sich U. auf den antisemitischen Terroranschlag von Halle einen Tag zuvor und bringt ihn in Zusammenhang mit dem anstehenden Gespräch mit der GBA. U. schreibt: „Ich hoffe, der GBA macht keine Kurzschlüsse wegen Halle“, sonst würden die großen Fische nicht ins Netz gehen. Außerdem schreibt U.: „Ich mache mit Motivation weiter, wenn mein Status geändert wird. […] Ich riskiere meine Gesundheit und mein Leben, denn die Sache ist nicht ungefährlich für mich.“ Die Zeugin sagt auf die Frage des VR aus, dass sie keine Angaben machen könne, ob der Inhalt dieser E-Mail mit der GBA besprochen wurde, da sie sich nicht an das Gespräch erinnern könne. Vom VR befragt, ob sie telefonisch oder persönlich Kontakt mit GBA Zacharias hatte, gibt Maren S. an, dass dies Aufgabe ihres Kollegen Michael K. und des Vorgesetzen L. gewesen sei. „Aufgrund meiner Position in der Ermittlungsgruppe habe ich nicht viel mitgesprochen“, so S.
Paul-Ludwig U. habe das Nein zum Quellenstatus nicht akzeptieren wollen
Dem VR fällt in der Vernehmungsniederschrift vom 14. Oktober auf, dass zunächst die Botschaft von GBA Zacharias vermittelt werde: Es gebe keinen Quellenstatus. Später im Gespräch kommt man auf das Ermittlungsverfahren gegen Johnny L. aus Gießen zu sprechen. U. habe sich in der Vernehmung als Quelle ins Gespräch gebracht, da man sonst keine Kontakte in die Szene habe. Paul-Ludwig U. sei rasch wieder dort gewesen, wo er nicht sein sollte, nämlich in der Position einer Quelle, stellt der VR fest. Die Zeugin erklärt, dass U. so rasch an diesen Punkt zurückgekehrt sei, weil er nicht habe akzeptieren wollen, dass der Status als Quelle für ihn nicht möglich gewesen sei. In einem Telefonat am 28. Oktober mit Maren S. sei U. erneut auf das Thema zu sprechen gekommen, doch für die Zeugin sei mit dem Gespräch am 14. Oktober klar gewesen, dass das nicht in Frage käme. Weitere Kontakte von ihr mit der GBA Zacharias habe es im Zeitraum zwischen der Vernehmung in Mosbach und dem Telefonat nicht gegeben.
Der GBA habe nichts machen können
Bei einer Kontrolle am Heidelberger Hauptbahnhof am 2. Oktober 2019 wurde Paul-Ludwig U. eine Gasdruckwaffe abgenommen. Diesen Vorgang sprach U. am 14. Oktober im Verhör gegenüber den LKA-Beamt*innen an. Der VR fragt, von wem U. dabei etwas wollte. Maren S. erzählt, U. habe ihnen ein Schreiben zukommen lassen. Er habe sich gewünscht, dass das LKA Baden-Württemberg aktiv werde. Die Ermittlerin berichtet von Paul-Ludwig U.s Angst, dass seine Berufung widerrufen werden könnte.
Der VR zitiert aus dem Protokoll: „Werden Infos an GBA weiterleiten“ und fragt, ob das erfolgt sei. Die Zeugin bestätigt das. Es habe noch Telefonate gegeben, in denen es aber geheißen habe, man könne hier nichts für U. tun. An nähere Einzelheiten zu diesen Besprechungen mit dem GBA kann sich die LKA-Beamtin nicht erinnern. Außerdem greift der VR den letzten Satz der Vernehmung auf: „Er [U.] verweist auf sein Schreiben an den GBA.“ Die Zeugin glaubt, sich an eine E-Mail vom 5. Oktober 2019 zu erinnern. Die lange E-Mail wird an die Wand des Gerichts projiziert. Die Zeugin gibt an, dass ihr Kollege Michael K. die E-Mail an den GBA weitergeleitet habe. Ob es eine Reaktion seitens des GBA gab, davon habe sie keine Ahnung.
Werner S. brachte Ralf N. mit dem „Sprengstoffmann“ Paul-Ludwig U. in Kontakt
Der VR greift im Protokoll das Verhältnis zwischen Paul-Ludwig U. und Ralf N. von der „Bruderschaft Deutschland“ (BSD) auf. U. erklärte gegenüber den LKA-Ermittler*innen, dass sich Ralf N. und Werner S. schon seit einigen Jahren kennen würden, ohne weitere Details zu deren Verhältnis zu nennen. Tony E. habe den Kontakt zwischen U. und Ralf N. hergestellt. Bei der Demonstration am 3. Oktober 2019 in Berlin habe Werner S. Paul-Ludwig U. gegenüber Ralf N. persönlich vorgestellt. Der Anführer der BSD soll von U.s Vorgeschichte angetan gewesen sein und ihn als „Sprengstoffmann“ bezeichnet haben. Schon beim Treffen an der Hummelgautsche habe Werner S. über U. – laut U.s Zeugenaussage – gesagt, es handle sich um einen Mann, der vorangehe. Nach Wahrnehmung von Maren S. habe U. das im Verhör mit einem gewissen Stolz erzählt.
Befragung zur Vernehmung am 7. November 2019
Anschließend nimmt sich der VR die Vernehmung von Paul-Ludwig U. am 7. November 2019 im K6 in Heilbronn vor. Diese Vernehmung dauerte laut Protokoll von 10.07 Uhr bis 12.50 Uhr und fand in Anwesenheit der LKA-Beamt*innen Maren S. und Michael K. sowie einer Frau B. als Schreibkraft statt. Anlass waren laut Maren S. mehrere Telefonate im Vorfeld, in denen Paul-Ludwig U. Infos preisgab, die die Ermittler*innen offiziell protokolliert haben wollten.
Auf die Frage des VR, ob es Unmutsäußerungen von Paul-Ludwig U. zu den Ergebnissen des 14. Oktober gab, antwortet die Zeugin, dass er das zuvor in Telefonaten geäußert und auch hier nochmal angesprochen habe. Der Unmut sei aber erst später in einer E-Mail geballt geäußert worden.
Es gab nach Angaben der Zeugin keine klare Aufgabenverteilung zwischen den beiden Ermittelnden. Das Verhör habe man jedoch wegen der weitreichenden Informationen in verschiedene Komplexe unterteilt. Dabei ging es um sogenannte Notfalllisten, Marion G. und Werner S. Nach der Belehrung, auf die Paul-Ludwig U. antwortete, er habe diese „wie immer“ verstanden, ging es los. Dieses Mal sei er strukturierter und weniger abschweifend als sonst gewesen, erinnert sich die Zeugin S.
U. habe seinen Fokus auf Werner S.‘ Gruppe und „Bruderschaft Deutschland“ (BSD) verlagert
Beim ersten Themenkomplex ging es um „Notfalllisten“ und die Frage, was sich dahinter verberge und welche Personen darauf relevant seien. U. habe angegeben, dass auf der Liste Personen notiert seien, bei denen man untertauchen könne. Die Liste sei von Oliver K. mit Leuten aus der Chatgruppe von Marion G. erstellt worden. Eine neue Liste sei in Arbeit gewesen. Bei dieser habe Oliver K. aber nicht mehr mitgewirkt, weil sein Vater verstorben sei.
Im zweiten Themenkomplex ging es um die Rolle von Marion G., die in Kontakt mit Werner S. stand und in Chatgruppen mit verfahrensrelevanten Personen verbunden war. Die Zeugin gibt an, dass Paul-Ludwig U. über Marion G. sagte, sie versuche, in Bayern eine Sammelstelle für Lebensmittel, Waffen und zum Untertauchen aufzubauen. Darüber sei auch in der Chatgruppe zur Vernetzung von Bayern und Baden-Württemberg geschrieben worden.
Marion G. sei weiterhin die Organisatorin der Chatgruppen geblieben. Nach dem Treffen an der Hummelgautsche habe man aber gemerkt, dass sie nicht mehr so ganz dabei gewesen und nicht für ganz voll genommen worden sei. Paul-Ludwig U. habe seinen Fokus mehr auf die Gruppe um Werner S. und die BSD gelegt. Die Ermittlerin sagt aus, dass sich die Konstellationen geändert und sie über verdeckte Maßnahmen mitbekommen hätten, dass sich neue Chatgruppen (z.B. „Die Aufrechten“) gebildet hätten. U. habe erwähnt, dass sowohl die Gruppe um Werner S. als auch die BSD für Januar Aktionen planen würden, die vom Norden bis nach Italien stattfinden sollten. In dem Zusammenhang habe U. auch ein Treffen am 15. Dezember in Hamburg erwähnt, so die LKA-Zeugin.
Planung des Hamburg-Treffens am 15. Dezember 2019 im „Besprechungszimmer“
Paul-Ludwig U. sei im Verhör auf die Planung des Treffens am 15. Dezember 2019 in Hamburg befragt worden, so Maren S. Die Organisation habe in der Chatgruppe „Besprechungszimmer“ stattgefunden, an der zehn Personen beteiligt waren. U. soll gesagt haben, dort sei nichts Besonderes besprochen worden. Tony E. alias „Hans Hermann“ habe eine Unterkunft organisiert. Ein „ehemaliger Personenschützer“ [Ralph E., das wussten die Ermittler*innen zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben aber noch nicht] habe teilnehmen wollen. Mit dessen Arbeit als vermeintlicher Personenschützer beim BKA habe sie sich nicht weiter beschäftigt. Neben den zehn Mitgliedern des Chats „Besprechungszimmer“ hätten noch vier Fremdenlegionäre teilnehmen sollen, zwei nach Angaben von U. mit Diplomatenstatus. Diese hätte auch Waffen transportieren können. In diesem Zusammenhang sei auch die Rede von Italien gewesen. Hauptorganisator des Treffens sei Werner S. gewesen.
Über den Inhalt des Treffens soll Paul-Ludwig U. gesagt haben, dass er wie alle anderen nichts wusste. Er habe vermutet, es gehe um die Aktionen im Frühjahr. Werner S. soll sich laut Aussage von Paul-Ludwig U. an Treffen in Italien teilgenommen haben. „Konnten Sie verifizieren, ob es Treffen in Italien gab?“, fragt der VR. Die Zeugin gibt an, dass man schon gewusst habe, dass sich Werner S. in Italien aufhalte, aber nur wegen eines Hauskaufs. Nach U.s Einschätzung zu Werner S. befragt, gibt die Zeugin U. wieder, dass Werner S. klar und berechnend vorgehe, einen Plan habe und U. ihm aufgrund seines Auftretens eine militärische Ausbildung zugesprochen habe. Nach Waffen in Zusammenhang mit Werner S. befragt, habe U. darauf verwiesen, dass Werner S. Jäger sei und früher mal in einer italienischen Miliz aktiv gewesen sei. „Klingt nach Spekulation von U.“, wirft der VR ein. Die Zeugin glaubt, U. habe das aus Aussagen in Chatgruppen geschlossen.
Auf Nachfrage des VR erklärt die Zeugin außerdem, dass es keine Hinweise auf Fremdenlegionäre gegeben habe. Später sei Thorsten K. damit in Verbindung gebracht worden.
Musste man U. in seinem Eifer bremsen?
Der VR befragt die Zeugin, ob Paul-Ludwig U. Angaben über Gruppen gemacht habe, die beim Treffen in Hamburg vertreten sein sollten. Die Zeugin erinnert sich an folgende Angaben von Paul-Ludwig U.: Die Teilnahme der BSD sei klar gewesen, weil Ralf N. eine „präsente Rolle“ einnehmen sollte. Außerdem sei wie beim Treffen an der Hummelgautsche in Alfdorf mit den „Wodans Erben Germanien“ (WEG) sowie mit den „Soldiers of Odin“ (SoO) zu rechnen gewesen. Zu den von Paul-Ludwig U. angesprochenen „Rockern“ wusste die Zeugin nichts weiter zu berichten. Sie wisse nicht, wie er darauf gekommen sei.
Der VR greift eine Passage aus dem Protokoll heraus. U. habe gesagt, dass das Treffen in Hamburg für ihn wichtiger sei als die Gruppe um Marion G. Der VR interpretiert aus dieser Passage, dass U. „mit einem gewissen Eifer dabei“ gewesen sei. Die Zeugin teilt diesen Eindruck. Auch beim Thema einer möglichen Waffenübergabe habe sich das gezeigt. U. habe wissen wollen, was er machen sollte, wenn es beim Treffen in Hamburg zur einer Waffenübergabe komme. Die Ermittler*innen hätten ihm geraten, die Waffe nicht anzunehmen. U. sei nicht in deren Auftrag unterwegs, habe man ihm gesagt. „Er war so in seinem Eifer da drin unterwegs“, dass man ihn bremsen musste, sagt Maren S.
Auf die Frage des VR, ob es neben den im Protokoll festgehaltenen Ratschlägen zum Umgang mit angebotenen Waffen noch andere Ratschläge gab, antwortet die Zeugin: „Nicht, dass ich wüsste“. Der VR verweist auf ein Telefonat am 2. Oktober 2019, das U. mit seinem ehemaligen Bewährungshelfer W. kurz nach der Beschlagnahmung seiner CO2-Waffe führte. U. habe W. erzählt, ihm sei vom LKA gesagt worden, er dürfe die Waffe behalten und das LKA werde diesen Vorfall schon regeln. Die Zeugin erwidert schmunzelnd, dass das sicher nicht stimme.
Der VR konfrontiert die Zeugin mit dem im Verfahren aufgekommenen Verdacht, Polizeidienststellen hätten die Daten von Paul-Ludwig U.s Handy gelöscht. Die Zeugin widerspricht. Paul-Ludwig U. habe eigenständig die Daten gelöscht, worüber sie sich selbst „sehr“ geärgert habe, weil man die Daten hätte brauchen können. Die Zeugin betont, dass es von ihnen für die Löschung keine Anweisung gegeben habe.
Paul-Ludwig U. wird in die „Bruderschaft Deutschland“ aufgenommen
Paul-Ludwig U. wurde im Verhör auch zur „Bruderschaft Deutschland“ (BSD) befragt. Maren S. zufolge habe U. online Kontakt zu Ralf N. aufgenommen. Über einen Mittelsmann namens Peter O. [Gemeint ist das BSD-Mitglied Peter O. aus Recklinghausen) sei er dann in Kontakt mit dem baden-württembergischen Ableger der BSD gekommen. U. habe über die BSD ausgesagt, dass sie deutschlandweit vernetzt sei, im Frühjahr Aktionen plane und dass er sie als extrem rechts einschätze. Ralf N. sei „der oberste Kopf“. Jedes Bundesland habe eine eigene Untergruppe. In Baden-Württemberg sei ein „Stöpsel“ [Stefan M.] der Anführer. Diesen habe U. ebenfalls als extrem rechts eingeschätzt. U. habe ihn bei einer Demonstration [des „Frauenbündnisses Kandel“] am 2. November 2019 in Landau getroffen. Bei dieser Demonstration sei U. mit der Gruppe um Johnny L. aus Gießen unterwegs gewesen. Knapp zwei Wochen später, am 15. November 2019, habe Paul-Ludwig U. an einem Treffen der BSD-„Sektion Süd“ bei Achern teilgenommen.
Paul-Ludwig U. bei der „Bruderschaft Deutschland – Sektion Süd“
Bei einer weiteren Vernehmung am 22. November 2019 in Heilbronn berichtete Paul-Ludwig U. von seiner Teilnahme an einem Treffen der BSD-Sektion Süd eine Woche zuvor. Der VR befragt die Zeugin nach ihrer Erinnerung zu diesem Verhör. Die Vernehmung fand ohne Michael K. statt, der laut Maren S. verhindert war. Dafür nahm Herr F., ihr Kollege aus dem LKA, teil, mit dem sie Tür an Tür zusammenarbeite und der sich schon, unabhängig vom laufenden Verfahren, mit der BSD beschäftigt habe. Bis dahin habe er keinerlei Ermittlungsaufträge im Verfahren gehabt, aber „er wusste, um was es geht“, ohne allzu großes Detailwissen.
Paul-Ludwig U. habe an diesem Termin vom Treffen der „Sektion Süd“ der BSD berichten wollen, welches in einem Gasthaus in Ottenhöfen stattgefunden hatte. Zehn Personen nahmen laut U. daran teil: neben ihm selbst noch zwei weitere Neulinge namens Stefan und Timo. Die Mutter eines der Neulinge habe den Raum verlassen müssen. Nachdem man sich etwas zu Essen und zu Trinken bestellt und die Handys aus dem Raum entfernt habe, hätten sich die drei Neulinge vorgestellt. Paul-Ludwig U. habe von seiner Vorgeschichte und Vorstrafen sowie von seinem Kontakt zu Ralf N. erzählt. Er sei wie auch die beiden anderen in die BSD aufgenommen worden. Beim Kassierer „Stöpsel“ habe er einen Mitgliedsbeitrag von 10 Euro pro Monat bezahlt [der Betrag für Mitglieder auf Probe; Vollmitglieder zahlen 20 Euro]. Ursprünglich hätte an diesem Abend noch eine Band spielen sollen. Das Konzert wurde jedoch wegen der geringen Zahl an Teilnehmenden abgesagt.
Der VR erfragt bei Maren S., was Paul-Ludwig U. zu den Plänen der Gruppierung gesagt habe. U. habe davon gesprochen, dass es um einen Zusammenschluss der Gruppe um „Teutonico“ und der BSD gehe. Dabei habe er auf das Treffen am Rande einer rechten Demo am 3. Oktober 2019 in Berlin verwiesen. Der VR hakt nach, ob U. seine eigenen Schlüsse gezogen habe oder etwas hinein gereimt. Die Zeugin gibt an, U. habe aufgrund der geplanten Teilnahme von Ralf N. beim Treffen am 14. und 15. Dezember seine eigenen Schlüsse gezogen. Zur Frage von Anschlagsplanungen habe er nichts sagen können und auf das Treffen im Dezember verwiesen.
Dezember 2019: U. hatte keine Lust mehr, der Polizei Informationen zu geben
Die LKA-Beamt*innen Maren S. und Michael K. führten am 10. Dezember 2019 eine weitere Vernehmung mit Paul-Ludwig U. in Heilbronn durch. Die Vernehmung wurde von Frau G. protokolliert. Frau S. und Herr K. teilten sich die Fragen auf. Auf die Frage des VR, wer U. belehrte, muss die Zeugin passen. U. habe eine Aussage machen wollen, obwohl er in einer E-Mail vom 25. November mitgeteilt habe, dass er keine Lust mehr habe, weitere Informationen mitzuteilen.
Thematisch ging es zunächst erneut um die „Bruderschaft Deutschland – Sektion Süd“, die sich mit acht Mann erneut in Ottenhöfen getroffen habe. Ursprünglich hätte Paul-Ludwig U. zu einem Konzert am 14. Dezember mitgehen sollen. Das Konzert sei ein Pflichttermin gewesen; da man aber gewusst habe, dass U. an einem Treffen mit einer anderen Gruppierung teilnehmen würde, sei er davon entbunden gewesen. Ralf N. habe sich berufsmäßig zu diesem Zeitpunkt in Spanien aufgehalten. Am 11. Januar 2020 habe dann erneut ein Treffen der BSD- „Sektion Süd“ stattfinden sollen, bei dem Aktionen gegen Antifaschist*innen aus Freiburg besprochen worden seien.
Ein weiteres Thema im Verhör sei das geplante Treffen der Gruppe um Werner S. am 14. Dezember 2019 gewesen. Tony E. habe die Organisation im Vorfeld übernommen und dazu aufgerufen, sich eine Stunde vor Beginn im Raum Lüneburg aufzuhalten. Paul-Ludwig U. habe zum Zweck des Treffens ausgesagt, dass man eingeweiht werden solle, so Maren S.. Er sei aber nicht genauer geworden. Auf ihre Nachfrage hin habe Paul-Ludwig U. nur mit Verweis auf das Treffen an der Hummelgautsche angegeben, dass es um „Anschläge“ gehen solle, und Namen wie „Habeck“ und „Hofreiter“ genannt. Der VR hält der Zeugin aus dem Vernehmungsprotokoll vor, dass Paul-Ludwig U. über „Zellen“ gesprochen habe. Er fragt, wie sich diese hätten zusammensetzen sollen. Die Zeugin gibt U. so wieder, dass sich die „Bruderschaft“ um Ralf N. und die Gruppe um Johnny L. [Gießen] über Facebook miteinander vernetzt hätten und man dort Planungen zum gemeinsamen Agieren miteinander kommuniziere. Werner S. und Ralf N. hätten die Teilnehmenden für das Treffen ausgewählt. An dem Treffen am 14. Dezember hätten unter anderem Werner S., Tony E., Ralph E., Thomas N., Steffen B., Michael B. [hier als „Mike“ bezeichnet], er selbst und einige wenige andere teilnehmen sollen.
Paul-Ludwig U. möchte raus – Vernehmungen rund um den 8. Februar 2020
Der VR kommt auf mehrere Vernehmungen rund um das Treffen der Gruppe um Werner S. am 8. Februar 2020 in Minden zu sprechen. So gab es am 6. Februar 2020 eine Vernehmung in Heilbronn. Der VR zitiert aus dem Vermerk des Ermittlers Michael K., dass Paul-Ludwig U. über „anstehende zeugenschutzähnliche Maßnahmen unterrichtet“ worden sei. Für die Zeugin Maren S. war es die erste persönliche Vernehmung von Paul-Ludwig U. nach dem 10. Dezember 2019. In der Zwischenzeit habe es einige Telefonate gegeben, in denen sie mit U. über dieses Thema gesprochen habe, weil U. sie darauf angesprochen habe. Auf die Frage, ob Paul-Ludwig U. auf sie in irgendeiner Weise dramatisch verändert wirkte, antwortet die LKA-Beamtin, dass U. „nervös“ gewirkt habe, aber nicht dramatisch verändert. An den genauen Inhalt des Gesprächs könne sie sich nicht erinnern. Die Gesprächsführung habe bei ihrem Kollegen Michael K. gelegen. Nach einer Erinnerung befragt, warum es keinen aussagekräftigen Vermerk zu dieser Vernehmung gibt, erklärt die Zeugin, dass ihr Kollege K. sich darum habe kümmern wollen.
Die nächste Vernehmung von Paul-Ludwig U. fand am 9. Februar 2020 in Mosbach statt, also einen Tag nach dem Treffen der Gruppe in Minden. Paul-Ludwig U. habe um ein Treffen gebeten. Dieses wurde am Morgen des 9. Februar durchgeführt, obwohl Paul-Ludwig U. zuvor wegen eines Hustenanfalls medizinisch versorgt werden musste. Man habe U. eine Verschiebung angeboten, aber er habe aussagen wollen. Maren S. gibt an, dass man abgeklärt habe, ob U. vernehmungsfähig ist. Er habe fit ausgesehen und den Fragen folgen können. Die Belehrung wurde durch Michael K. durchgeführt.
Fand eine „sprachliche Umarmung“ statt?
Dem VR fallen im Protokoll Sätze auf wie „Wenn ich jetzt aussteige, wie auch immer das aussieht, dann wird es für euch genug sein“ oder die Verwendung des Wortes „wir“. Auf die Frage, ob der Zeugin diese „sprachliche Umarmung“ aufgefallen sei oder sie das Gefühl hatte, hier werde ein „Zusammengehörigkeitsgefühl“ hergestellt, verneint die Zeugin. Der VR hält ihr eine längere Passage aus dem Protokoll vor, in der es auch darum geht, dass Paul-Ludwig U. ideal sei, „um uns die Tür zu öffnen“. Die Zeugin erläutert, die Türöffner-Metapher habe Paul-Ludwig U. immer wieder verwendet. U. sei stolz darauf gewesen.
Des Weiteren wird ein „Verfassungsagent“ von U. erwähnt. Auf die Frage des VR, was sie mit diesem Begriff anfangen könne, erklärt die Zeugin, dass U. auch mit anderen Diensten Kontakt hatte. Verifizieren habe man das aber nicht können. Das Gespräch wurde aufgezeichnet. Die Entscheidung, das Gespräch aufzuzeichnen, habe einer ihrer Kollegen getroffen. Man habe entschieden, das mit Video aufzuzeichnen, weil es eine wichtige Vernehmung sei. Da das Gerät neu war, man hier also etwas ausprobiert habe, habe man zur Sicherheit ein Tonband mitlaufen lassen, falls die Technik versagt.
Paul-Ludwig U. will nun wirklich aufhören
Der VR geht auf eine Stelle im Protokoll vom 9. Februar 2020 ein, in der Paul-Ludwig U. ankündigt, „am Mittwoch“ seine Entscheidung mitzuteilen, dass er aufhört, unabhängig davon, was der GBA oder die Vorgesetzten von Maren S. und Michael K. sagen. Der VR fragt die Zeugin, wie sie die Angabe „Mittwoch“ verstanden habe. Maren S. erklärt, Paul-Ludwig U. habe mehrfach angedeutet, nicht weitermachen zu wollen, aber noch auf eine Rückmeldung gewartet, ob das überhaupt noch nötig wäre.
Man habe dann mitbekommen, dass U. aus den Chatgruppen geworfen und gegen ihn ein Spitzelverdacht erhoben wurde, zumal aufgefallen sei, dass er auf der Rückfahrt aus Minden im Auto von Wolfgang W. verfolgt worden sei. Man sei dann auf ihn zugegangen wegen der Absprache, die Option auf einen Zeugenschutz zu prüfen. Die Frage, ob U. so gewirkt habe, als sei er am Ende seiner Kraft, bejaht die Zeugin. Er habe mental unter Druck gestanden und gesagt, es reiche ihm, für ihn sei es eigentlich vorbei.
Der VR will zudem von der Zeugin wissen, ob U. in seinen Schilderungen Personen unterschiedlich stark belastet habe. Die Zeugin gibt an, dass U. Werner S., Tony E. und Thomas N. beim Treffen am 8. Februar sehr hervorgehoben habe, aber auch Frank H. Auf das Nachhaken des VR, ob es auch Situationen gab, in denen man U. vorhielt, dass seine Angaben nicht stimmen können, verweist die Zeugin auf andere Quellen wie zum Beispiel Chats, mit denen sich die Aussagen belegen ließen. U. habe zwar Dinge ausgeschmückt; da habe man hinterfragt, woher er das habe. Aber „die Grundelemente, das hat immer gepasst und war stimmig und war durch andere Maßnahmen belegbar“, so Maren S.
Zeugenschutz für den Beschuldigten Paul-Ludwig U.?
Nachdem die Gruppe um Werner S. [bis auf Paul-Ludwig U.] am 14. Februar 2020 durchsucht und in Untersuchungshaft gesteckt wurde, erfolgte die nächste Vernehmung von Paul-Ludwig U. im April, jedoch in Abwesenheit der Ermittler*innen Michael K. und Maren S. Der VR fragt, wie es dazu kam. Maren S. erklärt, man habe „zwei in Anführungszeichen unabhängige Beamte nehmen“ wollen, die auf das große Ganze schauen und mehr Erfahrung haben. Ein Kollege habe eine spezielle Fortbildung hierzu absolviert. Der VR sieht zwar das Gute darin, entdeckt aber auch eine Schwachstelle, da die beiden nicht so tief im Material gewesen seien. Maren S. antwortet, dass man sich im Vorfeld intensiv vorbereitet habe.
Der VR kommt auf das Thema Zeugenschutz zu sprechen, denn es mute seltsam an, dass Paul-Ludwig U. rasch zum Beschuldigten erklärt werde und dann dieses Thema durch die Gegend geistere. Er fragt die Zeugin, wann es zum ersten Mal auftauchte und wie sie das als Kriminalbeamtin sehe. An den Ursprung kann sich Maren S. nicht so richtig erinnern. Es habe ein Telefonat mit einem Kollegen G. gegeben, auf das sich Paul-Ludwig U. bezog. Aus ihrer Sicht als Kriminalbeamtin ist das Thema Zeugenschutz in diesem Kontext schwierig, weil U. einerseits kein Zeuge sei, andererseits aber auch wichtige Informationen gebe. Die Frage sei für sie gewesen, wie gefährlich die Sache für ihn werden könnte. Ein „Thema war es definitiv“. Man habe ihm zugesagt, den Zeugenschutz zu prüfen, aber keine Versprechungen gemacht. Die Entscheidung, U. aus der Sache rauszunehmen, habe die Abteilung 7 des LKA getroffen. Wer von dort, wisse sie nicht genau.
Paul-Ludwig U. kommt in die „zeugenschutzähnliche Maßnahme“
Am 11. Februar 2020 wurde Paul-Ludwig U. an seinem Wohnort von Maren S. und Kolleg*innen des LKA abgeholt. Zunächst wurde er nach Fellbach auf das Polizeirevier verbracht, von wo aus er in eine „zeugenschutzähnliche Maßnahme“ gekommen sei. Auf die Frage des VR, ob das das letzte Treffen mit U. gewesen sei, verneint die Zeugin. Es habe am 19. August 2020 ein weiteres Treffen mit U. gegeben, an dem sie und ihr Kollege Michael K. mit U. gesprochen hätten. Hintergrund des Gesprächs sei gewesen, dass U. sich „nicht so kooperativ“ verhalten habe, wie es in der zeugenschutzähnlichen Maßnahme angebracht sei. Man habe U. auch nochmal gesagt, dass er Beschuldigter im Verfahren sei und nicht im Zeugenschutz, dass er die Anweisungen der Kollegen befolgen solle und die Maßnahme in Absprache mit dem GBA erfolge. Der VR merkt an, dass der Vermerk zu diesem Gespräch nicht vorliege. Maren S. verweist auf ihren Kollegen Michael K., der diesen dann nachreichen müsse.
Die Zeugin Maren S. kann zur Heidelberger Kontrolle nicht viel beitragen
Ein Thema, das bereits mehrfach im Verfahren aufgegriffen wurde, ist die fingierte Zufallskontrolle von Paul-Ludwig U. am 2. Oktober 2019 am Heidelberger Hauptbahnhof, auf dem Weg zu einer Demonstration in Berlin. Der VR befragt die Zeugin hinsichtlich ihres Kenntnisstandes zur Kontrolle, doch die Zeugin kann nicht viel zu diesem Thema beitragen. Der Anlass sei ein Telefonat zwischen U. und einem jungen Heranwachsenden namens H. gewesen, bei dem Paul-Ludwig U. andeutete, er wolle die Waffe dem Jungen übergeben. Man habe U. klar machen wollen, dass das nicht geht, und die Bundespolizei kontaktiert. Wie genau, das wisse sie nicht. In ihrem Haus habe man sich zur Möglichkeit einer fingierten Kontrolle besprochen, aber wer genau sich darüber unterhalten habe, das wisse sie nicht. Es könne sein, so die Zeugin, dass Kontakt zu den hessischen Kolleg*innen aufgenommen wurde. Dort habe es eine Kontaktperson gegeben. Sie selbst kenne die Kontaktperson nicht und habe auch keinen persönlichen Kontakt gehabt. Dies wäre Aufgabe des Ermittlungsgruppenleiters Herr L. gewesen.
Maren S. erwähnt, dass es eine Observation gegeben habe und ein Anhaltevermerk geschrieben worden sei. Mit dem Verfasser des Vermerks habe sie jedoch keinen Kontakt gehabt. Auf die Frage des VR, ob es eine Absprache zwischen GBA und LKA vor der Kontrolle am 2. Oktober gegeben habe, sagt die Zeugin aus, dass dies sein könne, sie sich aber nicht daran erinnern könne. Auch bei der Frage, ob es bezüglich einer Einflussnahme auf das anschließende Verfahren gegen Paul-Ludwig U. vor dem Amtsgericht Heidelberg Absprachen gab, antwortet die Zeugin mit „keine Ahnung“. Ihr sei auch nicht bekannt, dass GBA Zacharias Einfluss auf das Heidelberger Verfahren genommen hätte. Der VR deutet gegenüber der Zeugin an, dass man im Laufe des Verfahrens Anhaltspunkte aus Telefonaten Paul-Ludwig U.s erhalten habe, dass man ihm signalisiert habe, GBA Zacharias würde Einfluss auf das Verfahren nehmen. Die Zeugin gibt dagegen an, dass man U.s Informationen zur Heidelberger Kontrolle an den GBA weitergegeben habe.
Paul-Ludwig U. sah seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt
In seinem letzten Fragekomplex geht der VR auf das Verhältnis zwischen Paul-Ludwig U. und den Ermittlungsbehörden ein. Auf seine Fragen nach Geldleistungen für Paul-Ludwig U. erklärt die LKA-Beamtin S., dass U. im Rahmen der zeugenschutzähnlichen Maßnahme eine Wohnung erhalten habe, sie aber darüber hinaus keine Angaben machen könne. Andere Geldleistungen, zum Beispiel in Form von Fahrkarten zu Treffen, habe er nicht erhalten. Gespräche mit Paul-Ludwig U. oder mit dem GBA über ein mögliches zu erwartendes Strafmaß habe es nicht gegeben.
In der Zeit zwischen dem 23. September 2019 und dem 9. Februar 2020 habe Paul-Ludwig U. 115 E-Mails an die Inspektion des LKA geschrieben. Auf die Frage, wer darauf Zugriff habe, erklärt Maren S., dass alle Ermittler*innen darauf Zugriff gehabt hätten. Verwaltet hätten das Mail-Postfach Michael K. und sein Stellvertreter Herr O.
In einer Mail aus dem November 2019 zeigte sich Paul-Ludwig U. angefasst, weil die Ermittler*innen Informationen über ihn einholen würden. Der VR zitiert aus dieser Mail, in der Paul-Ludwig U. fragt, ob man ihm noch glaube. Er sei viel auf eigene Kosten gefahren und wäre der Letzte, der die Informationsbeschaffung nicht beenden wollen würde. Die Zeugin führt aus, dass man im Rahmen der Personenabklärung vielleicht Kontakt mit seinem ehemaligen Bewährungshelfer W. hatte. „Haben Sie seine Glaubwürdigkeit hinterfragt?“, fragt der VR. Man habe das eine oder andere hinterfragt, erklärt die Zeugin, ihm das aber so nicht gesagt.
Der VR hat seine Fragen an die Zeugin abgearbeitet und übergibt an seine Kolleg*innen.
Fragen zur Vernehmung nach dem Hummelgautsche-Treffen
Richter Mangold (RM) möchte von Maren S. wissen, ob gegenüber Paul-Ludwig U. von einer „Mitarbeit“, vielleicht auch „pro forma Mitarbeit“ gesprochen wurde, und verweist auf Telefonate des Ermittlers G. mit Paul-Ludwig U. Die Zeugin kann sich das nicht vorstellen. Vielmehr vermutet sie, dass das bei Paul-Ludwig U. so angekommen sein könnte. Man habe ihm keine Versprechungen machen wollen. Auf die Frage des Richters, ob man mögliche Straftaten thematisiert habe, die Paul-Ludwig U. in den Chatgruppen begehen könnte, antwortet die Zeugin, man habe ihm gesagt, dass er sich zurückhalten solle.
Weitere Fragen von RM greifen die Vernehmung am 1. Oktober 2019 nach dem Treffen an der Hummelgautsche auf. In der Vernehmung nannte U. Robert Habeck und Anton Hofreiter als Angriffsziele. Der Richter fragt, ob auch Moscheen als Angriffsziele genannt worden seien. Dies verneint die Zeugin.
Darüber hinaus bezieht sich RM auf U.s Aussagen zu Wolfgang W. Paul-Ludwig U. soll gesagt haben, W. könne jederzeit an die Schutzwesten kommen. Die Zeugin glaubt jedoch, dass es nur darum ging, die Westen besorgen zu können. U. habe sich ferner über den Oberstaatsanwalt in Hessen darüber aufgeregt, dass er zunächst als Zeuge, dann aber als Beschuldigter geführt worden sei. Auf den Hinweis des Richters, dass U. in der Vernehmung geäußert habe, er wisse nicht, wie er die Glaubwürdigkeit aufrechterhalten soll, wenn er nicht in der Gruppe mitmacht, entgegnet die Zeugin, dass man U. gesagt habe, dass man ihn nicht zu Straftaten ermuntere oder ihn zu Treffen schicke.
Paul-Ludwig U. wirkte auf Maren S. „komisch“
Der Sachverständige (SV) Dr. Winckler interessiert sich für den Eindruck der Zeugin von Paul-Ludwig U. Er unterbreitet der Zeugin mehrere „Schubladen“ zur Charakterisierung von U.: „Normal, komisch, auffällig, gestört, psychisch krank“ und bittet um ihre Einschätzung. Maren S. greift den Begriff „komisch“ heraus und begründet dies unter anderem damit, dass Paul-Ludwig U. in Chatgruppen aktiv gewesen sei, obwohl er diese eigentlich nicht gut finde, dass er Informationen an die Ermittler*innen gab und weiter machte, dass er sich in den Chatgruppen so hervorgetan habe. Außerdem nennt sie U.s Art der Kommunikation, z.B. mit Marion G. Er habe die Anerkennung der falschen Leute gesucht. Ebenso komisch fand die Zeugin, dass U. es lustig fand, aus einer Klopapierrolle zu rauchen. Außerdem habe U. am Telefon Witze gemacht, die nicht ihren Humor getroffen hätten.
Welche Rolle spielte die Suche nach Aufmerksamkeit?
Der SV greift die Äußerung der Zeugin auf, U. habe sich Anerkennung in der Gruppe verschaffen wollen. Handelt es sich dabei um Interpretation oder um eine Äußerung von U.? Die Zeugin gibt an, dass es ihre Interpretation sei. Auf die Frage des SV, ob sie auch in Vernehmungssituationen den Eindruck hatte, U. gehe es um Aufmerksamkeit, antwortet sie mit: „manchmal schon“. Das leite sie aus E-Mails und Telefonaten ab, in denen U. angibt, das alles zu tun, um den Ermittler*innen zu helfen. Damit habe er die Anerkennung der Polizei gesucht. Bei ihr sei das eher „neutral“ angekommen. Sie habe schon nicht verstanden, warum er überhaupt in den Chatgruppen gewesen sei. Wenn man sich seine Vorgeschichte anschaue, dann könne man das aber auch als gute Sache deuten, da er seine Einstellung im Vergleich zu seinem früheren Leben geändert habe.
Auf die Frage des SV, ob sich das Verhältnis zwischen U. und den Ermittler*innen im Laufe der Zeit geändert habe, beschreibt Maren S. die Entwicklung so, dass U. anfangs ruhiger, zurückhaltender gewirkt habe. Mit der Zeit und bedingt durch seine Lage sei er lockerer geworden, weil er den Ermittler*innen mehr vertraut habe. Manchmal habe er fröhlich gewirkt, manchmal neutral. Innerhalb der Vernehmungen habe er keine großen Stimmungsschwankungen gezeigt.
Vor dem Hintergrund der Aussagemotivation fragt der SV, ob U.s Schilderungen auch mal so gewirkt haben, dass man alarmiert war, dass die Dinge so nicht stimmen könnten. „So extrem war das nicht“, sagt die Zeugin. U. habe zwar ausgeschmückt und sei abgeschweift, deshalb habe man seine Aussage nochmal überprüft.
Das Gespräch am 19. August 2020, bei dem Paul-Ludwig U. von den Ermittler*innen Maren S. und Michael K. zu einem kooperativen Verhalten in der zeugenschutzähnlichen Maßnahme angehalten wurde, weckt das Interesse des SV, weil die Situation hier durch die Zurechtweisung eine andere als in einer Vernehmung gewesen sei. Der SV moniert, dass ihm der Vermerk zu diesem Gespräch nicht vorliegt. Auf seine Frage, an welche Absprachen Paul-Ludwig U. sich nicht gehalten habe, erklärt die Zeugin, sie wisse das im Detail nicht. Sie wisse nur, dass es Absprachen gab.
Der SV hakt nach, wie sie denn ein sinnvolles Gespräch mit U. geführt haben wolle, wenn sie nicht wisse, gegen was er verstoßen habe. Die Zeugin sagt, U. habe mit anderen Leuten über die Maßnahmen gesprochen. Bei der Zurechtweisung durch ihren Kollegen und sie habe er den Vorwurf abgetan und nicht verstanden, was man von ihm wolle. U. habe Besserung gelobt, glaubt sich die Zeugin zu erinnern, ist sich aber nicht ganz sicher. Es habe ihm nicht gefallen, dass ihre Kollegen vom Zeugenschutz ihn zurechtgewiesen hätten. Er sei aber ihr und ihrem Kollegen K. gegenüber nicht aufbrausend gewesen.
Anträge und Anmerkungen von Seiten der Rechtsanwält*innen
Um 16.46 Uhr unterbricht der VR die Vernehmung der Zeugin Maren S. vom LKA. Die Vernehmung soll im Oktober fortgesetzt werden.
Rechtsanwalt (RA) Flintrop beantragt, das beschlagnahmte Handy seines Mandanten Steffen B. nach Chatinhalten und SMS vom 3. Oktober 2019 zu überprüfen. Hintergrund des Antrags ist, dass die Verwendung des „Daumen hoch“-Symbols mehrdeutig sein könne. So gehe man bislang davon aus, dass Steffen B. mit einem gehobenen Daumen nach dem Treffen am 8. Februar 2020 signalisiert habe, dass die Waffenkäufe in Ordnung gingen. Ziehe man aber die Verwendung des „Daumen hoch“-Symbols am 3. Oktober 2019 zum Vergleich heran, dann könne man erkennen, dass die Verwendung auch bedeuten könne, man [in dem Fall Werner S.] sei sicher nach Hause gekommen. Dem Antrag schließen sich mehrere Verteidiger*innen an.
RA Mandic möchte beim Senat anregen, bei einer erneuten Befragung der Zeugin Maren S. alle Mittel auszuschöpfen, die Zeugin auf ihre Wahrheitspflicht hinzuweisen. Man habe sie seiner Meinung nach zu oft mit „weiß nicht“ davonkommen lassen. Der SV Wickler habe die Zeugin besser unter Druck gesetzt. Dieser Anmerkung schließen sich einzelne RA*innen an. Oberstaatsanwältin Bellay hält die Kritik hingegen für unangebracht, da der VR ausreichend zu erkennen gegeben habe, dass sie der Wahrheitspflicht nachzukommen habe.