Prozesstag 91:  LKA-Beamtin S. glaubte, U.s Aussagen seien mindestens übertrieben

Zum 91. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 20. September 2022 wurde erneut die LKA-Beamtin Maren S. (31) als Zeugin geladen. Sie war eine von zwei Ansprechpersonen für den Angeklagten und Dauerhinweisgeber Paul-Ludwig U. Die Zeugin wurde vom Senat vor allem zu zwei Vernehmungen von Paul-Ludwig U. am 17. September und 1. Oktober 2019 in Heilbronn befragt. Zwischen diesen beiden Terminen hatte sich die „Gruppe S“ an der Hummelgautsche nahe Alfdorf (Rems-Murr-Kreis) getroffen. Im Großen und Ganzen wiederholte die Zeugin Altbekanntes. Paul-Ludwig U. habe in Bezug auf das Hummelgautsche-Treffen berichtet, dass es um Waffen und Aktionen gegen Grünen-Politiker wie Habeck gegangen sei. Auch sie vermutete in ihrer Aussage, dass U. in der Vernehmung mindestens übertrieben, möglicherweise sogar gelogen hat.

Maren S. sagt aus, sie sei zweimal bei einem Treffen mit der Bundesanwaltschaft gewesen. Das LKA Baden-Württemberg sei erst durch den Staatsschutz in Gießen Mitte September 2019 auf Paul-Ludwig U. aufmerksam gemacht worden, der ihn zu Jonny L. [ein Rechter aus Gießen] vernommen hatte. Seltsamerweise habe es bereits am 30. April 2019 Fernschreiben an das LKA von der Polizei aus Heilbronn mit einer Vernehmung von Paul-Ludwig U. gegeben. Aber erst nach dem Hinweis Mitte September habe man sich die Vernehmungen aus Gießen und Würzburg angeschaut.

Anschließend berichtet die Zeugin über das Treffen in Heilbronn. Zu den Teilnehmenden gehörten Oliver K., Marion G., Werner S. und Paul-Ludwig U. U. habe von einer geschlossenen Chatgruppe namens „Patrioten Germania oder so“ gesprochen. In die komme er aber nicht mehr rein. Als weitere Gruppen habe er „Der Harte Kern“ und „Die Musketiere“ benannt. Er habe auch erzählt, dass Gruppen in allen Bundesländern existierten, angeblich auch in Österreich, der Schweiz und Italien. U. habe Marion G. als Chefin bezeichnet, danach  kämen die Admins.

Die Frage nach Kontakten zum Verfassungsschutz „in den letzten Tagen“ habe Paul-Ludwig U. verneint. Der Vorsitzende Richter (VR) fragt nach der seltsamen Formulierung „in den letzten Tagen“. Die Zeugin gibt an, sie könne sich das nicht erklären. Vielleicht, so interpretiert sie, habe U. das so gesagt, weil er immer viel Kontakt gehabt haben könnte.  Die Zeugin verneint die Frage, ob es zu irgendeinem Zeitpunkt Informationen über die Zusammenarbeit zwischen Paul-Ludwig U. und Diensten gegeben habe.

Sie habe, so die Zeugin, mit den Beamten W. in Gießen und Jürgen H. in Würzburg telefoniert. Zum Beamten W. habe sie weiter Kontakt gehabt wegen des Verfahrens gegen Jonny L. Er habe die Information gehabt, dass Paul-Ludwig U. 2019 im Bereich Kinderpornografie Informationen an Behörden weitergegeben habe. [U. verriet einen mutmaßlichen Konsumenten pädokrimineller Inhalte an die Polizei.]

U. habe angegeben, er sei Hartz-IV-Empfänger und habe 800 Euro Schulden. Er lebe in einem Zimmer im Wohnheim, habe eine Ausbildung zum Rettungssanitäter und habe bei der Bergwacht gearbeitet.

Paul-Ludwig U.s Vernehmung am 1. Oktober 2019 in Heilbronn

Vor dem Hummelgautsche-Treffen habe Paul-Ludwig U. ihnen geschrieben, wer da komme. Nach dem Treffen habe man sich am 1. Oktober 2019 zum nächsten Mal gesehen. Der VR fragt, welche Informationen sie über das Hummelgautsche-Treffen vor dem Treffen mit Paul-Ludwig U. am 1. Oktober gehabt habe. Die Zeugin sagt, sie hätten die Auswertung der Telegram-Überwachung, TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) und Observationsberichte gehabt.

Am 1. Oktober 2022 sei sie mit ihrem Kollegen Michael K. nach Heilbronn gefahren, „weil wir die Räumlichkeiten nicht hatten“. Ihre Kollegin B. habe als Schreibkraft fungiert. Sie hätten keinen Fragenkatalog gehabt und zwischendurch zwei Pausen eingelegt. Die Belehrung habe sie als Sachbearbeiterin durchgeführt. Sie sei von Michael K. ergänzt worden um den Umstand, dass der GBA [die Ermittlungen] übernommen habe.

Die Zeugin erinnert sich, U. habe seinen Status zu dem einer Quelle ändern wollen. Er habe eine E-Mail geschrieben, dass er mit der GBA [vermutlich Zacharias] über seinen Status sprechen wolle. Diesen Wunsch habe U. am Ende der Vernehmung wiederholt und gefordert, dass sich sein Status bis zum nächsten Treffen ändern müsse. Außerdem habe er verlangt, in den Zeugenschutz zu kommen. Er habe argumentiert, dass nur er diese Informationen beschaffen könne.

So beschrieb U. das Treffen an der Hummelgautsche

Das Hummelgautsche-Treffen habe Paul-Ludwig U. als Vernetzungstreffen mit einer Vorstellungsrunde beschrieben. Man habe dort über Waffen und Bewaffnung gesprochen und darüber, etwas zu unternehmen gegen Politiker wie Habeck. Außerdem habe er von weiteren geplanten Treffen berichtet: eines im November und eines in Italien bei Werner S., bei dem es um die Ziele gehen sollte.

Paul-Ludwig U. sei zur Hummelgautsche um 8.30 Uhr von Oliver K. mit dem PKW abgeholt worden. Er habe sich als Polizisten-Geiselnehmer vorgestellt, der elf Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen habe. Über die daraufhin erfahrene Anerkennung habe er sich in der Vernehmung gefreut. Maren S. erinnert sich, U. habe „schon sehr euphorisch über das Treffen gesprochen“.

Von angeblichen Schießübungen bekam das Observationsteam nichts mit

Der VR fragt, ob man versucht habe, U.s Angaben mithilfe des Observationsberichts zu objektivieren. Die Zeugin antwortet, dass U. von Schießübungen erzählt habe, aber das Observationsteam solche nicht habe feststellen können. Der VR fragt, nach, ob Paul-Ludwig U. gelogen habe. Die Zeugin antwortet: „Richtig gelogen, nein.“ Er habe zwar ausgeschmückt und übertrieben, doch seine Kernaussagen habe man mittels TKÜ etc. belegen können. Beispielsweise habe U. berichtet, dass Werner S. ihm am Auto eine Waffe gezeigt habe. Laut Observationsteam hätten die beiden tatsächlich beim Auto zusammengestanden. U. habe auch erzählt, er habe mit Tony E. gesprochen, was sich durch Chatnachrichten habe bestätigen lassen. Der VR zitiert dazu aus U.s Aussagen: Er habe Tony E. gefragt: „Wie viele sind wir eigentlich?“ Tony E. habe von 2.500 Bewaffneten gesprochen, „wenn es los geht“.

Der VR fragt, was Paul-Ludwig U. über sein Gespräch mit Werner S. berichtet habe. Die Zeugin gibt an, er habe gesagt, dass er Führungsmitglied in Baden-Württemberg werden und als Sergeant at Arms fungieren solle.

Von der Anklagebank sind Gespräche zu hören. Der VR möchte wissen, was los ist. Rechtsanwalt (RA) Becker möchte seinen Mandanten Tony E. verteidigen. Der VR verbietet ihm das Wort. RA Becker unterbricht ihn und bittet um das Wort, der VR verweigert es und RA Becker beantragt einen Gerichtsbeschluss. Der VR bittet um Erklärungen zu dem Antrag. Frank H.s RA Herzogenrath-Amelung argumentiert, es sei zeitsparender, wenn der VR kurz dem RA das Wort erteilen würde. Thomas N.s RA Sprafke sagt, RA Becker habe Recht, weil Tony E. nicht gesprochen habe. [Tatsächlich sprach Frank H.] Auch Michael B.s RA Mandic sagt, E. habe nichts gesagt. Der VR schneide oft aus Gutdünken das Wort ab. Der VR legt eine kurze Pause und verkündet anschließend, es bleibe dabei, dass es keine Gründe für eine sofortige Wortmeldung gebe.

Ein Führungstreffen in Italien und Waffen-Shopping in Tschechien

Dann wendet er sich wieder der Zeugin zu und fragt, was Paul-Ludwig U. über das Treffen in Italien erzählt habe. Sie erwidert, U. habe erzählt, es sei ein Führungstreffen der verschiedenen Führungspersonen mit Mitgliedern vom „Freikorps Sachsen“ und „Wodans Erben“ geplant. Es solle um Bewaffnung sowie um „harte und weiche Ziele“ gehen. Im späteren Verlauf habe sich herausgestellt, dass Werner S. ein Haus in Italien gekauft habe.

Weiter gibt die Zeugin an, Paul-Ludwig U. habe gesagt, Werner S. habe ihm im Gespräch von einem „Manfred“ erzählt, der die Möglichkeit habe, in Tschechien Waffen zu besorgen. Später habe man „Manfred“ als Frank H. identifiziert. Außerdem habe er von dem Gespräch mit S. erzählt, in dem dieser ihm eine Waffe gezeigt habe. Er habe auch ein Magazin herausgeholt. Auch Daniel E. habe laut U. gesagt, er habe eine Waffe vom Typ Makarov dabei.

Warum steht im Observationsprotokoll nicht, dass U. an der Hummelgautsche eine Schusswaffe trug?

Man habe auch Paul-Ludwig U. in der Vernehmung darauf angesprochen, ob er auch etwas dabeigehabt habe. Der VR zitiert aus dem Protokoll: „Sie haben uns im Anschluss an die letzte Vernehmung berichtet, dass Sie eine Schreckschusswaffe besitzen. Hatten Sie die dabei?“ U. habe sich dazu nicht äußern wollen. Die Zeugin ergänzt, sie hätten ihn darauf hingewiesen, dass er sich nicht selbst belasten müsse. [Auf einem Observationsfoto von der Hummelgautsche ist U. mit einem Waffenholster zu sehen.] Der VR fragt, warum das nicht im Protokoll vermerkt sei. Die Zeugin weiß es nicht.

Sie fährt fort, U.s Schilderung des Treffens wiederzugeben: Sie hätten mit Äxten auf Bäume geworfen und mit Marion G.s Bogen geschossen. Das gesamte Treffen habe von 10 bis 18 Uhr gedauert und die Übungen von 13 bis 15 Uhr. Er sei danach mit Oliver K. zurückgefahren. Insgesamt seien 17 Personen angereist. Werner S. habe das Ganze organisiert und sei laut U. „extrem gewaltbereit“. Es sei auch die Rede von einem BKA-Beamten gewesen, der noch kommen sollte, aber dann aus familiären Gründen abgesagt habe. Das nächste Treffen sei laut U. im November geplant gewesen, mit denselben Teilnehmern.

Der VR lässt das Gruppenbild an die Wand des Gerichtssaals projizieren, auf dem die Teilnehmenden an der Hummelgautsche posieren. Die Zeugin gibt dazu an, das Bild habe Paul-Ludwig U. per E-Mail am 29. September 2019 an das LKA gesandt.

Keine Hinweise auf die angeblichen Kontakte zu rechten Gruppen in Frankreich und Italien

Der VR fragt, ob Paul-Ludwig U. über Kontakte ins Ausland berichtet habe. Die Zeugin bejaht: U. habe von Kontakten nach Italien erzählt, und dass Matthias L. Kontakte nach Frankreich habe. Laut Paul-Ludwig U. gebe es im Ausland Kontakt zu acht bis zehn weiteren Ablegern. Hierzu merkt sie an: „Das konnten wir nicht bestätigen.“

Das Verhältnis zwischen Werner S. und Marion G. habe U. als herzlich beschrieben. S. habe von ihr die Chatgruppe „harter Kern“ übernommen. Marion G. sei an Paul-Ludwig U.  interessiert gewesen, sie habe ihn geküsst und er habe es weiterlaufen lassen, obwohl er kein Interesse gehabt habe.

Später sei eine weitere Person namens Wolf [Wolfgang W.] zum Treffen gestoßen. Er sei 1.90 Meter groß gewesen und habe Schutzwesten mit Schutzplatten mitgebracht. Der VR lässt eine E-Mail von U. an das LKA zeigen, in der er am 25. September 2019 Screenshots aus der Gruppe „Musketiere und Amazonen“ verschickt hatte, in denen ein Account mit dem Namen Uwe Wunsch Bilder von SK3- und SK4-Schutzplatten versendete.

Paul-Ludwig U. will am kommenden Prozesstag erstmals vor Gericht aussagen

Maren S. wendet sich wieder der Vernehmung zu: Diese sei um 13.50 zu Ende gewesen. Sie hätten das Vernehmungsprotokoll ausgedruckt und Paul-Ludwig U. zum Lesen vorgelegt. Der nächste Kontakt zu U. sei ein Telefonat des Kollegen Michael K. am 2. Oktober 2019 gewesen. Die nächste Vernehmung fand am 14. Oktober 2019 statt.

Damit endet die Zeuginnenbefragung, und RA Becker kann seinen Zwischenruf verteidigen: Frank H. habe reingerufen. Als der VR die Befragung unterbrach und fragte, was los sei, habe Tony E. seinem RA gesagt, dass er nichts gesagt habe. Das habe er als sein Verteidiger sagen wollen.

Zum Abschluss wendet sich der VR mit einer Frage an Paul-Ludwig U. und seine RAs: Wann er beabsichtige, Angaben zu machen? RA Scholz gibt an, sich am kommenden Verhandlungstag dazu äußern zu wollen.

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