Am recht kurzen 88. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 8. September 2022 wurde erneut der Polizei-Hauptkommissar Frank Ko. (57) befragt, dieses Mal durch die Verteidiger*innen. Thema war vor allem, ebenso wie am vorangegangenen Prozesstag, die Vernehmung von Thorsten K. aus Bad Bramstedt, extrem rechter Demoanmelder, Personenschützer für die AfD, Zeuge und mutmaßlicher V-Mann. Besonders die mutmaßliche V-Mann-Tätigkeit beschäftigte die Verteidigung der Angeklagten.
Rechtsanwalt (RA) Stehr kritisiert, dass der Zeuge Thorsten K. in der Vernehmung erst nach seinem beruflichen Werdegang gefragt und erst danach zu seinen Rechten und Pflichten belehrt habe. Der Zeuge antwortet, das sei so vorgegeben. Als der RA nach der angeblichen Mitgliedschaft von Thorsten K. in der Fremdenlegion fragt, berichtet der Zeuge, nach bisheriger Abklärung sei das nicht wahr. Thorsten K. habe selbst gesagt, er habe das in den Gruppen erzählt, um sich wichtig zu machen. Der RA zitiert aus dem Vernehmungsprotokoll: „Nach unseren Erkenntnisse waren Sie nie in der Fremdenlegion.“ Der Zeuge ergänzt, seine Kollegin S. habe das überprüft.
Thomas N.s Verteidiger Stehr und nach ihm auch Frank H.s Verteidiger Herzogenrath-Amelung monieren, dass der Zeuge Thorsten K. nicht direkt mit dieser Erkenntnis konfrontierte, sondern K.s Behauptung, er sei zehn Jahre bei der Fremdenlegion gewesen, erst mal stehen gelassen habe. Der Zeuge erklärt, das sei zu dem Zeitpunkt noch nicht erforderlich gewesen. In einer Vernehmung müsse man taktisch vorgehen. In der Rückschau bewerte er Thorsten K. als glaubwürdig. Dieser habe sich nicht verhaspelt oder gezögert. Die Frage der Verteidigung, ob Thorsten K. denn bei der Angabe zur Fremdenlegion sich verhaspelt oder gezögert habe, verneint der Zeuge. Insgesamt habe K. bei seinen ausführlichen Berichten „polizeierfahren“ gewirkt.
Als RA Herzogenrath-Amelung nach Erzählungen über Anschläge auf Moscheen und Umsturzpläne fragt, sagt der Zeuge, davon habe Thorsten K. nichts gesagt.
„Die Gruppe um den Tony“, „die Bande“, „die kleine Armee“
Tony E.s RA Hofstätter fragt nach einer angeblichen „Finanzierung einer Gruppierung“, von der im Verhör die Rede gewesen sei. Er möchte wissen, um welche Gruppierung es hier geht. Der Zeuge erklärt, K. habe damit „die Gruppe um den Tony“ gemeint, also die „Gruppe S“. Thorsten K. habe sie auch als „Bande“ und „kleine Armee“ bezeichnet. Der RA zitiert den Zeugen aus dem Vernehmungsprotokoll, bei dem Treffen am 8. Februar sei es „ums Eingemachte“ gegangen. Werner S. habe seine etwaigen Anschlagspläne präsentieren wollen. Was er [Thorsten K.] davon wisse. K.s Antwort: Davon wisse er nichts. Er habe gedacht, es sei wie das geplante Treffen bei Tony E., bei dem im Vorhinein auch nichts kommuniziert worden sei. Der RA möchte wissen, wie der Zeuge zu dieser konkreten Aussage über Werner S.‘ Pläne gekommen sei. Der Zeuge antwortet, das wisse er aus Chats der Beschuldigten, könne sie aber nicht auswendig zitieren. Der RA fragt weiter, wie sich Frank Ko. auf die Vernehmung vorbereitet habe. Dieser erklärt, er habe das Vernehmungsprotokoll und die Kopie aller Gerichtsakten gelesen.
Der RA möchte wissen, ob der Zeuge Thorsten K.s Angaben nach dem Verhör überprüft habe. Der Zeuge verneint: Er habe keinen Auftrag zur Nachermittlung gehabt.
Als der RA fragt, warum Thorsten K. vor der Vernehmung sein Handy habe abgeben müssen, erklärt der Zeuge, so habe man verhindern wollen, dass K. das Verhör möglicherweise aufzeichnet.
Versuchte Thorsten K., den „Aryan Circle Germany“ zu schützen?
Steffen B.s RA Ried geht näher auf die Angabe von Thorsten K. ein, er sei von 1986 bis 1996 bei der Fremdenlegion gewesen: Ob der Zeuge wisse, was K. in dieser Zeit tatsächlich getan habe? Der Zeuge verneint.
Marcel W.s RA Picker fragt, warum bei K.s Vernehmung kein Diktiergerät verwendet worden sei. Der Zeuge erklärt, er habe keines dabeigehabt.
Markus K.s RAin Schwaben fragt, was Thorsten K. mit der Teilnahme eines „Arier Circle“ bei einer Weihnachtsfeier gemeint haben könnte. Da der Zeuge ratlos ist, erklärt die RAin, auf Wikipedia habe sie einen „Aryan Circle Germany“ gefunden, der laut dem dortigen Artikel 12 bis 50 Mitglieder habe und in Bad Segeberg von dem Neonazi Bernd Tödter gegründet worden sei.
Michael B.s RA Mandic fragt, warum Thorsten K. laut Protokoll gelacht habe, als er über die Wahrheitspflicht belehrt wurde. Der Zeuge sagt, dazu habe er kein Bild vor Augen. Der RA weist darauf hin, dass Thorsten K. sich an einer Stelle als unpolitisch („weder rechts noch links, mir passt einiges nicht, aber ich kann es nicht ändern“) darstelle und dann an anderer Stelle offenkundig als Organisator der „Merkel-muss-weg-Demos“ der Rechten zuzurechnen sei. Der Zeuge ergänzt, an anderer Stelle habe Thorsten K. gesagt, er werde von Antifas als rechts eingestuft.
Wieder ein Streit zwischen RA Mandic und dem VR
Dann streiten sich RA Mandic und der Vorsitzende Richter (VR). Der RA wirft ihm vor, den Zeugen durch Unterbrechungen zu beeinflussen. Daraufhin unterbricht der VR den Prozess für 20 Minuten. Als es weitergeht, beanstandet der RA diese Unterbrechung und beantragt einen Gerichtsbeschluss. Das lasse er nicht mit sich machen. [Gelächter der Angeklagten]
Dann fährt der RA mit seinen Fragen fort. Er möchte genauer hören, wie der Zeuge sich mit der Lektüre der TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) auf K.s Vernehmung vorbereitet hätte. Der Zeuge gibt an, er habe nur ein oder zwei Chatprotokoll(e) gelesen.
Als der RA fragt, ob Thorsten K. ein „Agent Provocateur“ wie Paul-Ludwig U. sei, ermahnt ihn der VR.
Der RA weist darauf hin, dass Thorsten K. laut Thomas N. gesagt habe, man müsse „Ausländer ausknipsen“. Das passe nicht zu K.s Selbstdarstellung als „weder Rechts noch Links“ und der Behauptung, man könne „eh nichts ändern“.
Auch der Angeklagte Frank H. hat eine Frage an den Zeugen: Ob dieser jemals in Erwägung gezogen habe, dass Thorsten K. mit seinen Aussagen über eine Gruppe nicht die sogenannte „Gruppe S“, sondern eine andere Gruppierung gemeint haben könnte. Der Zeuge verneint.
Statements der Verteidigung zum Zeugen
Als niemand mehr Fragen an den Zeugen hat, wird dieser entlassen. Die Verfahrensbeteiligten können jetzt Erklärungen abgeben. RA Herzogenrath-Amelung beginnt und weist darauf hin, dass Thorsten K. zwar offenbar beim Pläneschmieden beteiligt gewesen sei, nun aber nicht auf der Anklagebank sitze. Außerdem betont der RA, dass Thorsten K. in seiner Aussage Tony E. sehr belastet habe, als er sagte, E. habe sich nach Waffen erkundigt. Thorsten K. sei aber aufgrund seiner Tätigkeit im Bordell und als Türsteher unglaubwürdig. Hinzu komme, dass K. vielleicht für ein Landes- oder das Bundesamt für Verfassungsschutz gearbeitet habe. Sollte das stimmen, hätte der Verfassungsschutz durch einen V-Mann die Demonstration in Hamburg mit organisiert, die dann wiederum im VS-Bericht auftauche.
Tony E.s RA Becker verliest eine Stellungnahme. Die Befragung des Zeugen Thorsten K., „von dem anzunehmen ist, dass er ein V-Mann des Verfassungsschutz ist“, sei mit erstaunlichem Desinteresse geführt und seine Lügen seien hingenommen worden. K. habe angegeben, er habe von dem Treffen am 21. Januar [das dann abgesagt und schließlich am 8. Februar 2020 in Minden abgehalten wurde] nichts gewusst. In Wahrheit habe er aber sein Kommen am 21. Januar „mit Ralph“ angekündigt. Tony E. werde sich noch in einer eigenen Stellungnahme äußern.
Auch RA Becker geht auf die Erwähnung eines „Arier Circle“ ein und vermutet wie RAin Schwaben, es dürfte der „Aryan Circle Germany“ gemeint sein. Der RA mutmaßt, dass Thorsten K. auf diese Gruppe als V-Mann angesetzt worden sein könnte. Dazu passe auch folgendes Detail, von dem der Zeuge am vorigen Prozesstag berichtet habe: Thorsten K. habe am Protokoll von 60 Seiten fast nichts korrigiert. Mit einer Ausnahme: Er hat in der Bezeichnung „Arier Circle“ das „Arier“ durchgestrichen, offenbar um es zu ersetzen, vermutlich durch das korrekte „Aryan“. Im Endeffekt hat er dann aber wieder „Arier“ geschrieben, vermutlich um die Spur zum „Aryan Circle“ zu verwischen. Abschließend kritisiert der RA, dass fachfremde Beamte die Vernehmung geführt hätten.
Zweifel an Thorsten K.s Glaubwürdigkeit
RA Picker zweifelt ebenfalls an der Glaubwürdigkeit von Thorsten K.s Aussagen. Schon zu seinem beruflichen Werdegang habe K. gelogen: So sei er kein Pensionär, weil er nie Beamter gewesen sei. Hier sei es eigentlich Aufgabe eines Vernehmungsbeamten, nachzuhaken. Erneut kritisiert der RA, dass kein Diktiergerät verwendet wurde. Außerdem moniert er wie sein Vorredner, dass Beamte aus anderen Bereichen abgezogen und mit einem Fragenkatalog losgeschickt worden seien. Das sei ein „strukturelles Defizit“, das sich durch die gesamten Ermittlungen ziehe.
Marcel W.s RA Miksch weist darauf hin, dass Thorsten K. eine Woche Vorbereitungszeit zur Vernehmung gehabt habe. K. habe sich in Chats gewaltaffin geäußert. Man müsse noch herausfinden, ob er ein Agent Provokateur des Verfassungsschutzes sei.
Werner S.‘ RA Siebers fasst zusammen: „Die Aussage eines zwielichtigen Zeugen gegenüber einem unvorbereiteten Beamten ist schlicht wertlos.“ Auch Wolfgang W.s RAin Rueber-Unkelbach betont, dass der Beamte keine Erfahrung mit dem Thema gehabt habe. RAin Schwaben sagt, man könne Thorsten K.s Aussage schlicht nicht verwenden.
RA Mandic spricht von einem „Schauprozess“
RA Mandic behauptet, das Problem sei, dass sich Personen verabredet hätten, um den Angeklagten einen „Schauprozess“ zu machen. Paul-Ludwig U. könne man nicht befragen, Thorsten K. vermutlich auch nicht. Der VR verhindere, dass Zeugen sich zur Gänze einlassen. Auch schon bei seiner Befragung des Angeklagten Thorsten W. sei ihm das aufgefallen: „Wenn ich auf der heißen Spur bin, dann werde ich unterbrochen“.
Abschließend fragt der VR nach Erklärungen zum Antrag von RA Mandic mit dem Vorwurf, der RA habe Fragen gezielt unterbunden. Die Staatsanwältinnen finden, es gebe nichts zu beanstanden. Damit endet dieser Prozesstag.