Prozesstag 82: Der mutmaßliche Mordauftrag von Werner S. gegen den Verräter Paul-Ludwig U.

Beim 82. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ in Stuttgart-Stammheim am 28. Juli 2022 gab es vor allem Erklärungen der Verteidiger*innen zu den Aussagen des Kriminalhauptkommissars Michael K. aus Stuttgart vom Vortag, der Kontaktperson von Paul-Ludwig U. war, sowie die Aussage eines Psychologen. Die Verteidiger*innen der Angeklagten zeichneten mehrheitlich ein Bild von Paul-Ludwig U. als manipulierten und geführten inoffiziellen Informanten und kritisierten die löchrigen Aussagen von Michael K. und dessen Berufung auf seine Aussageverweigerung. Immer wieder monierten die RA*innen, dass Paul-Ludwig U. de facto die Rolle einer Vertrauensperson eingenommen und beständig Informationen mit den Behörden ausgetauscht habe. Auch dass Beamte U. per Auto einige Male zum Vernehmungsort mitgenommen hätten, deute auf ein Nahverhältnis hin. Nach diesen Erklärungen wurde der Zeuge Renato C. (61) vernommen, der seit 2018 als Psychologe in der JVA Augsburg arbeitet und in diesem Zusammenhang sowohl Werner S. betreute als auch dessen Mitgefangenen Ni., an den sich S. in Haft mutmaßlich wandte, um U. ermorden zu lassen. [Hintergründe siehe 35. Prozesstag] Der Mithäftling Carmina L. habe sich an ihn, so Renato C., gewandt mit der Information, dass Werner S. versucht habe, über ihn einen Auftragsmord zu organisieren. Der Rest des 82. Prozesstages wurde mit abgespielten Telekommunikationsüberwachungen aus Januar und Februar 2020 gefüllt.

Zu Beginn des Prozesstages gibt RA Stehr im Namen der Verteidigung des Angeklagten Thomas N. eine Erklärung ab, die die Arbeit der Behörden im Zusammenhang mit Paul-Ludwig U. kritisiert: In den Pausen der Vernehmungen von Paul-Ludwig U. seien laut Michael K. drei bis vier Mal Verfahrensinhalte besprochen worden. Nur einmal sei das im Vernehmungsprotokoll kenntlich gemacht worden. Außerdem moniert der RA, dass die Waffen-Beschlagnahmung in Heidelberg [als Paul-Ludwig U. dort mit einer Schusswaffe erwischt wurde] nicht dokumentiert worden sei. In einem abgehörten Telefonat habe U.s LKA-Ansprechpartner Michael K. gesagt, ein bestimmtes Thema wolle er eher unter vier Augen besprechen, da es etwas heikel sei.

Der RA bezeichnet die Erinnerungen des Zeugen Michael K. vom vorigen Prozesstag insgesamt als unklar und zweifelhaft. K. habe im Ergebnis selektiert und Gespräche unter vier Augen mit einer Ausnahme nicht aufgenommen. „Was besprochen wurde, bleibt uns verborgen, vielleicht weil es uns verborgen bleiben soll.“

Auch weitere RAs sind mit dem Zeugen nicht zufrieden. So resümiert RA Linke: „Das Ganze hat ein Geschmäckle.“ RA Herzogenrath-Amelung merkt zwei Dinge an: Erstens habe sich der Zeuge oft auf seine Aussagegenehmigung berufen, um über gewisse Dinge nicht sprechen zu müssen. Zweitens habe der Zeuge bestätigt, Paul-Ludwig U. beauftragt zu haben, Screenshots zu machen. U. sei strafprozessual eine Vertrauensperson und sei in den Genuss zeugenschutzähnlicher Maßnahmen bekommen. Es sei unklar, was U. versprochen worden sei. Der RA fasst zusammen: Paul-Ludwig U. „wurde verarscht“.

RA Hofstätter: LKA-Beamter K. als „Schutzengel des Tatprovokateurs“ U.

RA Hofstätter verliest eine Stellungnahme: Michael K. sei u.a. am 5. Juli, am 7. Juli und am 26. Juli befragt worden. Dass er an mehreren Tagen befragt wurde, zeige, wie wichtig er sei. Michael K. sei Hauptsachbearbeiter, maßgebliche Kontaktperson und „gefühlter Schutzengel des Tatprovokateurs“ Paul-Ludwig U. gewesen. Der Zeuge habe ein „erstaunlich erschlafftes Erinnerungsvermögen“ aufgewiesen. Außerdem habe K. gesagt, er wollte sein Vertrauensverhältnis zum Hinweisgeber Paul-Ludwig U. schützen. Der Zeuge habe darauf beharrt, dass man U. nicht geführt habe und er keine V-Person gewesen sei. Der RA argumentiert dagegen: Laut einer Definition des Richterbundes von 2017 in Minden sei eine V-Person eine Vertrauensperson, die bereit sei, die Strafverfolgungsbehörden zu unterstützen. Ein wichtiges Merkmal sei die Geheimhaltung dieser Zusammenarbeit. [siehe: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Gutachten_DRB_Vertrauenspersonen.pdf]

Der Zeuge Michael K. habe eine Anleitung bestritten. Zahlreiche Unterhaltungen und Telefonate zeigten aber bereitgestellte Transportleistungen und den Austausch verfahrensfremder Informationen. Außerdem sieht der RA eine Geheimhaltung in der Zusammenarbeit der Gruppe Michael K., dessen LKA-Kollegin S. und Paul-Ludwig U. unter Beihilfe von Jens W., dem ehemaligen Bewährungshelfer von U. Paul-Ludwig U. sei genau das gewesen, „was er auch sein wollte: eine Vertrauensperson“. Das lasse sich nicht durch Pseudo-Beschuldigtenbelehrungen verdecken. Der RA behauptet: Würde man U. als Zeugen anerkennen, würde man ihn auch als Agent Provocateur anerkennen.

U. glaubte offenbar selbst nicht, dass er nicht im Auftrag der Behörden vorging

Laut Äußerungen von Paul-Ludwig U. gegenüber dem Beamten W. vom 30. September 2019 habe die Polizei Straftaten von Paul-Ludwig U. gebilligt. Michael K. habe ihm demnach geraten, er solle die Schusswaffe annehmen und weglegen. [Hier geht es um die Frage U.s, was er im hypothetischen Fall tun müsste, falls ihm jemand eine Waffe geben sollte.] Der RA zitiert den Beamten W. zu Paul-Ludwig U.: „Es ist so, dass wir Sie nicht da hinschicken. Sie handeln eigenverantwortlich.“ Aber Paul-Ludwig U. habe ihm entgegengehalten: Das LKA sehe das anders. „Wenn mir eine scharfe Waffe angeboten wird, soll ich die annehmen.“

Weiter argumentiert der RA, Paul-Ludwig U. habe die Ermittler über jeden seiner Schritte informiert und sich mit ihnen abgestimmt. Offensichtlich habe eine Risikoanalyse vor dem Treffen in Minden für einen besonderen Schutz von Paul-Ludwig U. gesorgt. Man habe ihn einer Gefahrensituation ausgesetzt. Man habe sich ebenso um sein Strafverfahren gekümmert. Michael K. beschreibe U. als Person, die alles glaube, was man ihm sagt.

Paul-Ludwig U. habe angekündigt, er wolle nach dem Treffen in Minden vom Februar 2020  aufhören. Der RA unterstellt den Behörden, aus diesem Grund nach dem Mindener Treffen eingegriffen zu haben. Nach der Festnahme der Angeklagten hätten die Behörden von U.s Sonderstatus nichts mehr wissen gewollt. Der RA beendet seine Ausführungen mit der Vermutung, dieses Gerichtsverfahren werde rechtsstaatswidrig auf U.s Rücken betrieben.

RA Hörtling: LKA-Beamter K. ließ sich alles aus der Nase ziehen

Als nächster erhebt RA Hörtling das Wort. Man habe dem Zeugen Michael K. alles aus der Nase ziehen müssen. Die Behörden hätten den Fund der CO2-Waffe bei Paul-Ludwig U. am Heidelberger Bahnhof sowie U.s Labilität ausgenutzt. U. habe unter enormem Druck gestanden. RA Hörtling beschreibt den Eindruck, die Behörden hätten gehofft, geheim halten zu können, dass es sich nicht um eine Zufallskontrolle handelte. Das sei zumindest im Prozess in Heidelberg noch gelungen.

Aus dem mitgeschnittenen Telefonat von Paul-Ludwig U. mit der LKA-Beamtin Maren S. habe sich ergeben, dass man derart Heikles [die gefundene CO2-Waffe und U.s Hoffnung, aufgrund seiner Aussagen über die „Gruppe S“ keine Strafe zu bekommen] lieber unter vier Augen habe besprechen wollen. Dieses Verhalten habe sich fortgesetzt bis zur Überwachung des Treffens in Minden, deren Fotos nur zufällig in die Akten gelangt seien und von denen man erst bei Vorhalten gegen Steffen B. in dessen Verhör erfahren habe. Nun habe man vom LKA-Zeugen K. erfahren, dass es neben dieser einen Kamera in Minden noch weitere gegeben haben soll. Es gebe Festplatten mit Videos – und „wir kriegen sie nicht“.

RA Abouzeid kritisiert die Prozessorganisation: Es sei bedauerlich, dass die Vernehmung eines so bedeutenden Zeugen wie Michael K. mit mehreren Wochen Unterbrechung geschehe. Während dessen Aussagen habe Paul-Ludwig U. teils heftige Körperreaktionen gezeigt. „Wer das nicht sieht, will es nicht sehen.“

RA Picker: U. wird als Beschuldigter behandelt, war aber Partner der Polizei

RA Siebers beschreibt einen sich verdichtenden Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft gezielt prozessuale Rollen vergeben habe und die Polizei dem blind gefolgt sei. Damit bezieht sich der RA auf den Beschuldigten U. im Vergleich zu Daniel E., der lediglich Zeuge ist. Diese unterschiedliche Einordnung verstehe er nicht. Zum Zeugen Michael K. konstatiert der RA, dieser habe um den heißen Brei herumgeredet. Als U. die Daten von seinem Handy löschte, sei es K. gleichgültig gewesen: „Egal, wir hatten ja alles.“ Der RA sieht darin einen Widerspruch zu dem behaupeteten Versuch, die Daten wiederherzustellen. Am Ende seiner Stellungnahme zitiert RA Siebers aus einer E-Mail von Michael K. an die Richterin in Heidelberg vom 4. Juli 2020: „In diesem Verfahren ist Herr U. über seinen Beschuldigtenstatus hinaus Hinweisgeber.“

RAin Rueber-Unkelbach äußert, der Zeuge Michael K. habe unsouverän gewirkt: „Für einen erfahrenen Polizeibeamten vor Gericht war er nervös. Er kaute Kaugummi und nestelte oft an seiner Trinkflasche herum.“

RA Picker setzt zu einer längeren Erklärung an: U. werde im Verfahren vor allem als Beschuldigter behandelt, aber sei eigentlich eher eine Art Partner der Polizei, die auf Grundlage seiner Informationen das Geschehen von der Hummelgautsche bis Minden erheblich begleitet, aber nicht unterbunden habe. Sie habe bei U. psychosoziale Prozesse in Gang gesetzt und die Hoffnung auf einen Neustart [im Zeugenschutz] sowie ein Angebot auf Straferlass genährt. Paul-Ludwig U. sei Beschuldigter und Informant, aber mehr oder weniger mittelbar gelenkt gewesen durch die Ermittlungsbehörden.

RA Miksch glaubt dem LKA-Zeugen nicht

RA Miksch zieht den Wahrheitsgehalt von Michael K.s Aussagen in Zweifel und führt drei Beispiele an. Erstens dessen Aussage über die Beschlagnahmung von U.s CO2-Waffe am Bahnhof Heidelberg. K. habe gesagt, die Kontrolle sei nicht zufällig geschehen, sondern habe von vornherein die Beschlagnahmung der Waffe erreichen sollen. Der RA wertet das als den Versuch, ein Druckmittel gegen U. in die Hand zu bekommen. Zweitens habe K. im selben Zusammenhang geleugnet, U. zugesagt zu haben, dass man die Ermittlungen gegen ihn wegen des unerlaubten Waffenbesitzes unter den Tisch fallen lassen werde. Auch das hält der RA für unglaubwürdig. Zusätzlich führt auch RA Miksch die Tatsache an, dass sich K. gescheut habe, bestimmte Dinge [mit U.] am Telefon zu besprechen. Beispielsweise sei am 6. Februar 2020 über ein Zeugenschutzprogramm gesprochen, aber das Gespräch nicht dokumentiert worden. [An Prozesstag 63 erwähnte der VR ein Treffen am 6. Februar 2020 in Heilbronn zwischen Paul-Ludwig U. und den Behörden, bei dem U. über den Zeugenschutz aufgeklärt worden sei: Dieser sei zu umfangreich, man ergreife jetzt vorläufige Maßnahmen.] Vermutlich sei Michael K.s Motiv gewesen, dass U. am 8. Februar 2020 in Minden seine Rolle spielen möge. Der RA beanstandet außerdem die fehlende Überprüfung von unglaubwürdigen Angaben von Paul-Ludwig U. Dieser habe am 7. Juli 2019 behauptet, die Chat „Besprechungszimmer“ bestehe aus zehn Leuten, davon vier Fremdenlegionäre und zwei Personen mit Diplomatenstatus. Das sei nicht überprüft worden.

RAin Schwaben: U. war nicht gerade ein Traum-V-Mann

Auch RAin Schwaben nimmt die Zeugenaussagen von Michael K. zum Anlass, erneut am Beschuldigtenstatus von U. zu zweifeln: Er habe auf die Frage, warum Paul-Ludwig U. nach Minden „geschickt“ wurde, obwohl da eine Gefahr bestanden habe, behauptet, die Gefahr sei abstrakt und damit theoretisch. Er habe aber nicht geantwortet: „U. wurde gar nicht geschickt.“ Damit habe er sich selbst entlarvt. Die RAin geht davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Probleme im Umgang mit U. hatte. Dieser habe sich gemeldet und die Staatsanwaltschaft damit in Zugzwang gebracht. Dabei sei U. wegen seiner Vorgeschichte, seiner psychiatrischen Behandlung und den Vorstrafen, „kein Traum von einer Vertrauensperson“. Die Behörden hätten U. aus dem Grund nicht offiziell als V-Person geführt, dass dann im Prozess 24 RA*innen [alle außer die Verteidigung von U. selbst] „Probleme gemacht“ [und den Prozess ggf. zum Platzen gebracht] hätten. Die RAin schließt sich RA Hofstätter und seinen Zitaten aus dem Gutachten des Richterbunds an. Man habe gebetsmühlenartig gesagt: „Wir schicken Sie nicht, Sie machen das freiwillig.“ Faktisch allerdings habe man Herrn U. natürlich angeleitet und natürlich geschickt. Die RAin sagt, sie sei gespannt, ob der Sachverständige U. als manipulierbar einschätzt; als jemanden, der etwas nicht ganz durchschaut, aber als Spiel behandelt. Aus der TKÜ werde klar ersichtlich, dass U. sich selbst als Quelle gesehen habe. Die RAin stellt die Frage, ob das Verfahren so fortgeführt werden kann und die Angeklagten in Untersuchungshaft bleiben können. Der VR entgegnet: Die Haftstrafen würden immer wieder geprüft. [Einige der Angeklagten lachen.]

Angeklagter Thomas N. gibt den Behörden die Schuld an Ulf R.s Suizid

RA Berthold äußert, Michael K. habe Paul-Ludwig U. dazu gebracht, „dieses Spiel mitzumachen“. Man habe toleriert, dass U. eine Waffe zur Hummelgautsche mitbrachte. Man habe ihn sehenden Auges immer weiter in Gefahr gebracht und zugelassen, dass U. sich tief in kriminelle Verwicklungen verstrickte.

RA Mandic beginnt sein Statement mit den Worten: „Die Sache hat nicht nur ein Geschmäckle, sie stinkt bis zum Himmel!“ Er fordert eine Prozesseinstellung wegen rechtsstaatswidrigen Handelns. Er mache sich dabei aber keine Illusion. Der Prozess werde so lange gehen, bis der Senat ein schlechtes Gewissen dabei bekomme.

Auch der Angeklagte Thomas N. nimmt Stellung: Als Preis für das Fehlverhalten des Staatsschutzes habe Ulf sein Leben geben müssen. [Ulf R. war ein weiterer Beschuldigter im Verfahren und tötete sich vor Prozessbeginn in der U-Haft selbst.]

Der Anstaltspsychologe: Zeuge Renato C.

Ein neuer Zeuge wird in den Saal gerufen. Renato C. (61) war Anstaltspsychologe in der Augsburger JVA, wo auch Werner S. inhaftiert war. Er stellt sich und seine Arbeit kurz vor: Er sei seit Januar 2018 in der JVA Augsburg tätig. Dort betreue er die Substituierten und kümmere sich um die Suizidprävention. Außerdem bezeichnet er sich als der „seelische Mülleimer“ der Inhaftierten. Renato C. gibt an, zu Werner S. mehrfach Kontakte gehabt zu haben. „Der war immer höflich oder auch mal authentisch sauer, wenn es um Beschlüsse aus Karlsruhe ging.“ S. sei auch verärgert gewesen über die aus seiner Sicht falsche Berichterstattung. Am Anfang habe Werner S. wie aus dem Leben gerissen gewirkt. S. sei zukunftsorientiert gewesen. Andererseits habe er gedroht: „Wenn ich eine lange Haftstrafe bekomme, bringe ich mich um.“ Er habe S. in eine videoüberwachte Zelle verlegen müssen, weil dieser laut der baden-württembergischen Polizei suizidgefährdet gewesen sei. Laut dem Zeugen war das eine verspätete Reaktion der Behörde auf den Suizid von Ulf R. einige Monate zuvor. Abgesehen von diesen Dingen sei an S.‘ Persönlichkeit nichts auffällig gewesen. Er habe Kontakte auf der Station gehabt, auch zu Menschen „aus anderen Kulturkreisen“. Der Zeuge schätzt S. als intelligent ein. S. habe versucht, die Aktenlage zu bagatellisieren und klein zu reden. Er habe aber den Besitz der Schusswaffe zugegeben.

Werner S. soll Mithäftling L. 40.000 bis 50.000 Euro für einen Mord an U. zugesagt haben

Nun spricht der Zeuge über Carmina L., einem Mithäftling von Werner S., an den sich S. angeblich wandte, um Paul-Ludwig U. ermorden zu lassen. L. spreche kein Deutsch, daher hätten Mitgefangene und er selbst für ihn übersetzt. L. sei deutlich weniger intelligent als Werner S., außerdem fordernd und dissozial.

Der VR fragt nach einem Gespräch des Zeugen mit L. über Werner S. am 29. Oktober 2020. Renato C. antwortet, er habe ein Schreiben von L. mit dem Vermerk „Eilt“ ins Fach bekommen. Darin habe L. geschrieben, dass Werner S. ihn [auf Englisch] angesprochen habe, ob er einen Auftragsmörder kenne. Dann habe er einen anderen Gefangenen [Massimiliano B.] als Übersetzer hinzugezogen, um nochmal nachzufragen, ob er das richtig verstanden habe. Werner S. habe ihm Fotos [vermutlich von Paul-Ludwig U.] gezeigt. Er (L.) habe S. gesagt, das koste locker 40.000 bis 50.000 Euro. S. habe erwidert, das sei kein Problem. Der Zeuge erinnert sich, dass er diese Nachricht damals ambivalent eingeschätzt und sich beim Sicherheitsbeauftragten erkundigt habe, ob das sein könne. L. habe aber keine Gegenleistung für seine Information gefordert.

Der Rassist und der linke Kriminelle

L. habe Werner S. verraten, weil er Linker sei und Werner S. ein Rechter. L. kenne definitiv Kriminelle aus Neapel, aber sei wohl kein großer Fisch in der Camorra, sondern eher ein Statthalter. Er traue L. so eine Tat nicht zu. Renato C. ergänzt, dass L. ihm erzählt habe, dass er auch Werner S. gesagt habe, er werde den Mord nicht durchführen.

Der VR fragt nach Werner S.‘ Freundin Karin und zitiert: L. habe gesagt, dass Werner S. Karin als seinen „Arm draußen“ bezeichnet habe. Der Zeuge gibt an, L. habe nur berichtet, dass Werner S. Anweisungen an Karin auf kleinen Zetteln in den Gesprächsraum schmuggle. Außer von Karin sei S. auch einmal von seinem Bruder besucht worden.

Der Sachverständige Dr. Winckler fragt den Zeugen, wann er den letzten persönlichen Kontakt zu Werner S. hatte. Der Zeuge gibt den 7. Januar 2021 an. Werner S. sei am 2. März 2021 nach Schwäbisch Hall verlegt worden. Insgesamt habe er zu S. ein gutes Jahr Kontakt gehabt.

RA Siebers fragt den Zeugen, ob L. einmal erzählt habe, dass er Werner S. seine eigene Anwältin vermittelt habe. L. solle S. versprochen haben: „Für 30.000 macht die alles.“ Der Zeuge kann sich nicht daran erinnern. Anschließend wird er entlassen und es werden mehrere abgehörte Telefonate abgespielt.

TKÜ vom 3. Januar 2020, Dauer: 20 Minuten. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit LKA-Beamtin Maren S.]

Paul-Ludwig U. will einen Chat mit „Teutonico“ [Werner S.] dokumentieren lassen und sich dafür mit den Beamt*innen treffen. S. entgegnet, dass gehe diese Woche nicht, aber in der Folgewoche. U. fragt, ob sie nochmal wegen der Heidelberg-Sache [als die Polizei eine CO2-Waffe bei ihm beschlagnahmte] nachgefragt habe. S. verneint: Man habe noch ein Treffen, auf dem man das bespreche. U. kommentiert: „Der Staatsanwalt weiß natürlich nicht, was im Hintergrund los ist.“ Dabei sei das nur eine Ordnungswidrigkeit und kein echtes Verbrechen. Er bittet S., mit Cornelia Zacharias [Bundesanwaltschaft] über Haftzeiten zu sprechen.

Der VR fragt nach Erklärungen. RA Becker kritisiert, in der Verschriftlichung tauche der Name Zacharias kein einziges Mal auf. [Dass in den Akten immer mal wieder Namen oder andere Passagen fehlen und Dinge teils sinnverfälschend verschriftlicht worden sein sollen, wurde im Prozess wiederholt von der Verteidigung kritisiert.]

TKÜ vom 9. Januar 2020, Dauer: 4 Minuten. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit Maren S.

Paul-Ludwig U. erzählt vom anstehenden Treffen der „Bruderschaft Süd“ am Samstag. Außerdem sei ein Treffen [der „Gruppe S“] in Minden geplant. Kai K. wolle nicht kommen, aber Richard L. [beide „Bruderschaft Deutschland“]. U. kündigt an, er werde ihnen [der Polizei] das eine oder andere zeigen von „Teutonico“. Er schicke dann einen Live-Standort. Am Montag werde er wieder anrufen, am Dienstag solle ein Gespräch stattfinden. Außerdem fragt U., ob sich etwas mit Frau Zacharias wegen der Heidelberg-Geschichte ergebe. S. vertröstet ihn erneut.

RAin Schwaben kritisiert, weder der Name Michael K. noch der Name Zacharias fänden sich in der Verschriftlichung.

TKÜ vom 9. Februar 2020, Dauer: 2.45 Minuten. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit LKA-Kriminalhauptkommissar Michael K.

[Paul-Ludwig U. hat Michael K. offensichtlich aus dem Schlaf gerissen.] U. erzählt aufgeregt, dass ihnen [auf dem Rückweg vom Treffen in Minden] ein schwarzer BMW gefolgt sei. Michael K. betont, das LKA habe damit nichts zu tun. Paul-Ludwig U. kündigt an, er könne gegen acht, neun Uhr in Heilbronn sein [um über das Treffen auszusagen].

RA Herzogenrath-Amelung kritisiert: Michael K. habe von der Verfolgung gewusst und U. schlicht belogen.

RAin Schwaben moniert, der Name Michael K. fehle wieder in der Verschriftlichung. Außerdem habe K. Paul-Ludwig U. nicht belehrt.

Michael B. kommentiert, dass Michael K. geschlafen habe, obwohl U. in Minden angeblich in Lebensgefahr war.

TKÜ vom 9. Februar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit Michael K.

Paul-Ludwig U. sagt den Termin wegen eines Anfalls ab. K. stimmt zu.

TKÜ vom 9. Februar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch Paul-Ludwig U. mit Michael K.

Paul-Ludwig U. teilt Michael K. mit, dass er [nach ärztlicher Behandlung] wieder nach Hause gehen könne. K. fragt ihn, ob man sich treffen solle. Paul-Ludwig U. betont: „Mir ist das auch sehr wichtig“, und fragt, ob man ihn abholen könne. K. bietet an, zu U. zu kommen.

RAin Schwaben findet es ungewöhnlich, dass ein Beschuldigter fragt, ob man ihn abholen könne.

TKÜ vom 9. Februar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit Maren S.

S. teilt mit, sie seien unterwegs und kämen zwischen 10.45 und 11 Uhr an. Paul-Ludwig U. bittet um Abholung.

TKÜ Nr. 29 vom 9. Februar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit einer Frau [mutmaßlich eine Betreuerin].

Offenbar war U. mit seiner Bewährungshelferin Nadja S. verabredet, denn er bittet am Telefon darum, Nadja S. auszurichten, dass er abgeholt worden sei; das habe sich innerhalb von einer Stunde so entwickelt. Alles müsse weg, geschreddert werden.

RA Hofstätter spekuliert [vermutlich bezüglich U.s Bitte, alles zu schreddern und zu entsorgen], dass Paul-Ludwig U. massiv Versprechungen gemacht worden seien. RA Picker merkt an, eine andere Erklärung für U.s Verhalten könnte eine grenzenlose Selbstsuggestion sein. Er teile aber die Einschätzung von RA Hofstätter.

TKÜ vom 10. Februar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit Michael K.

Michael K. kündigt an, dass man morgen bei U. vorbeikommen werde. Die anderen Herren hätten noch Termine. Paul-Ludwig U. sagt, er habe gepackt.

RA Sprafke fragt, wer „die anderen Herren“ seien.

TKÜ vom 11. Februar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch von Paul-Ludwig U. mit Michael K.

K. teilt mit, dass sie in etwa einer halben Stunde da seien.

RAin Schwaben kritisiert, dass in der Verschriftlichung nicht der Name Michael K. stehe.

TKÜ vom 13. Februar 2020, Dauer: 2 Minuten. Gespräch von Tony E. mit einem Steffen.

Tony E. teilt Steffen mit, er treffe einen Freund in Lüneburg. Ob er noch einen Impfausweis brauche?

RA Becker setzt das Telefonat in zeitlichen Bezug zur mutmaßlichen Gründung der „Gruppe S“ in Minden am 8. Februar 2020: Das Telefonat fand wenige Tage nach der behaupteten Gründung einer terroristischen Vereinigung statt; trotzdem habe man keine anderen Probleme als das Besorgen von Masern-Ausweise für Kinder.

RA Mandic unterstellt dem Senat, er habe das Gespräch möglicherweise für das Verfahren nach dem Motto ausgewählt : „Wer Impfpässe fälscht, greift auch Moscheen an.“

Zum Ende dieses Prozesstags bittet RA Berthold den Senat, über die Außerkraftsetzung der Haftbefehl-Auflagen seines Mandanten Michael B. nachzudenken. Der VR entgegnet, solche Anträge seien schriftlich beim Senat einzureichen.

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