Zum 80. Prozesstag am 21. Juli 2022 gegen die „Gruppe S“ in Stuttgart-Stammheim waren zwei Zeugen geladen: Harald B. aus Marbach und Kriminalhauptkommissar Christian B. aus Karlsruhe. Während Harald B. mit seinem Rechtsbeistand erschien und die Aussage verweigerte, um sich nicht selbst zu belasten, sagte der Polizeibeamte Christian B. vollumfänglich zu seiner Vernehmung von Daniel E. aus Marbach aus. Daniel E. war zeitweise Vizepräsident der extrem rechten Bruderschaft „Soldiers of Odin Germany“ und hatte am Hummelgautsche-Treffen bei Alfdorf am 28. September 2019 teilgenommen. Er ist nicht im „Gruppe S“-Verfahren angeklagt. Trotzdem wurde am 11. März 2020 die Wohnung von Daniel E. durchsucht, da er nach Aussage des Angeklagten Paul-Ludwig U. eine Waffe besessen haben soll. Während er in dieser Sache Beschuldigter war, wurde er zum Hummelgautsche-Treffen lediglich als Zeuge vernommen. Der seltsame Umstand, dass Daniel E. als Zeuge befragt wurde und gleichzeitig gegen ihn als Beschuldigter wegen unerlaubten Schusswaffen-Besitzes ermittelt wurde, war am 80. Prozesstag ein häufiger Kritikpunkt der Verteidiger*innen der Angeklagten. In seiner Vernehmung gab Daniel E. laut Christian B. an, bei dem Treffen an der Hummelgautsche sei es um Chemtrails, Drohnen und Preppen gegangen.
Als erster Zeuge betritt Harald B. mit seinem Rechtsanwalt (RA) den Saal. B. trägt einen weißen, zweigeteilten Bart, hat Tattoos auf den Armen und trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Ragnarök“. Der Vorsitzende Richter (VR) fragt die persönlichen Angaben ab: B. ist 1959 geboren, arbeitet als Maschinenführer und wohnt in Marbach. Mehr will er nicht sagen. Auch als aus den Reihen der Verteidiger*innen versucht wird, herauszufinden, ob er Paul-Ludwig U. kenne, verweigert der Zeuge die Auskunft. Bei der Frage, ob er Kontakt zu Behörden habe, schüttelt er den Kopf. Daraufhin wird der Zeuge entlassen.
Der zweite Zeuge des Verhandlungstages betritt den Saal: Kriminalhauptkommissar Christian B. (55) ist Erster Kriminalhauptkommissar beim LKA Baden-Württemberg. Seinen Lebenslauf fasst der Zeuge wie folgt zusammen: Er habe sieben Jahre Polizei-Ausbildung und ein BWL-Studium absolviert. Seit 1999 sei er Wirtschafts-Kriminalist. Nach der Polizeireform 2014 sei sein Dezernat vom LKA übernommen worden. Im Februar 2020 sei er zur Sonderkommission abgeordnet worden, die gegen die Angeklagten ermittelte – also nach den Razzien gegen die „Gruppe S“. Für weitere Vernehmungen habe man ihn dann für eine Woche in Stuttgart hinzugezogen, berichtet der Zeuge. Er habe hier seine Kollegin B. vom Staatsschutz unterstützt. Er sei „in groben Zügen“ über das Ermittlungsverfahren informiert gewesen und habe gewusst, dass es bereits Durchsuchungen und Festnahmen gegeben habe.
Hausdurchsuchung beim Vizepräsident der „Soldiers of Odin“
Am 11. März 2020 habe man eine Razzia bei Daniel E. durchgeführt wegen Hinweisen, dass er eine Waffe haben könnte. Seine Aufgabe, so der Zeuge, sei gewesen, E. noch am Tag der Durchsuchung bezüglich des Treffens an der Hummelgautsche zu vernehmen. An diesem Treffen habe E. laut Paul-Ludwig U. teilgenommen und eine Waffe dorthin mitgebracht. Zur Vorbereitung auf diese Vernehmung bereitete sich der Zeuge laut eigener Aussage vor allem mit dem vor, was U. in seinen Vernehmungen gesagt hatte.
Die Kollegin Ba. habe mehr Hintergrundwissen gehabt, so der Zeuge. Gemeinsam mit ihr sei er nach Marbach gefahren. Dort sei bereits um 20 Uhr der Zugriff durch das SEK erfolgt und die Durchsuchung schon angelaufen. E.s Frau sei mit kleinen Kindern im Essbereich gewesen und habe sehr aufgebracht gewirkt. Schließlich habe man Daniel E. auf das Polizeirevier in Marbach gebracht und zum Treffen in Alfdorf befragt. Anwesend seien neben ihm selbst und Daniel E. noch Frau Ba. und Frau Bo. gewesen Letztere habe die Vernehmung verschriftlicht. Man habe die Vernehmung im Team durchgeführt. Sowohl er als auch die Beamtin Ba. hätten Fragen gestellt. Daniel E. sei nach der Hausdurchsuchung sehr aufgebracht gewesen und habe darauf gepocht, dass der Einsatz nicht nötig gewesen sei. Im Verlauf der Vernehmung habe er sich dann aber wieder beruhigt. E. habe auch erzählt, dass er in der Marbacher Zeitung einen Artikel über das Treffen in Alfdorf gelesen und deswegen damit gerechnet habe, dass ihn die Polizei aufsuchen könnte. Der VR fragt, ob E. klar gewesen sei, dass er als Teilnehmer des Hummelgautsche-Treffens eventuell über ein vollumfängliches Aussageverweigerungsrecht verfügt hätte. Der Zeuge gibt an, das nicht zu wissen.
Daniel E. streitet Interesse für Preppen und Chemtrails ab
Über das Treffen habe Daniel E. auf dem Revier ausgesagt, so der Zeuge, dass er am Samstag um 14 Uhr an der Hummelgautsche angekommen sei, aber das Treffen wohl schon am Vortag begonnen habe. Einige der Anwesenden habe er bereits gekannt: Paul-Ludwig U. über Facebook, außerdem Frank H., Harry B., Marco Ö., Matze (Werner S.), Tony E. und Marion G. Bei dem Treffen habe man über Themen wie Chemtrails, Drohnen und Preppen gesprochen. Beim Thema Preppen sei es darum gegangen, wer was tun würde, wenn ein Krieg ausbricht. Daniel E. habe angegeben, ein wenig zu Drohnen gesagt zu haben – und zu Chemtrails nichts. Er habe den sozialen Zusammenhalt wie bei einer „Bruderschaft“ gesucht. Wenn er gewusst hätte, dass es um Chemtrails und Preppen gehen würde, wäre er nicht gekommen, habe E. im Verhör behauptet. Geplant sei eine Art Leistungsmarsch gewesen, der dann aber nicht zustande gekommen sei. Im Verlauf des Tages habe man noch ein Gruppenbild gemacht und dafür „ein bisschen auf Proll“ gemacht. Einige hätten für das Foto die Macheten geholt und sie nach der Aufnahme wieder weggebracht. Das Foto habe wohl entweder ein großer Mann „mit Händen wie Bratpfannen“ gemacht, oder „das Mädchen“, das am Rand gesessen habe.
E. habe auch ausgesagt, er habe an der Hummelgautsche mit Werner S. gesprochen, der ihn auch eingeladen habe. Sie hätten einander schon seit 2016 oder 2017 über die „Soldiers of Odin“ gekannt. E. habe behauptet, er sei dort nur wenige Wochen gewesen und hätte Mitglied werden wollen, sich dann jedoch dagegen entschieden. S. habe ihm beim Treffen erzählt, er habe ein Haus in Italien, und E. angeboten, wenn mit ihm und seiner Familie etwas sein sollte, könne er dorthin kommen. E. habe S. als „Typ großer Bruder“ beschrieben. Die „Soldiers of Odin“ hätten sich schon einmal an der Hummelgautsche getroffen. Dort habe man keinen Handyempfang und könne sich ungestört unterhalten. Die Gruppe „Heimat“ sei zuerst ein Facebook-Chat gewesen und sei erst später zu Telegram gewechselt.
„Nein, um Gotteswillen“: Laut E. wurden an der Hummelgautsche keine Anschläge besprochen
Der VR zitiert aus der Aussage von Daniel E., wonach dieser die „Soldiers of Odin“ wegen eines „Rechtsrucks“ bei der Führung in Finnland verlassen habe. Der Zeuge kann sich an diesen Punkt erinnern: Daniel E. habe erzählt, dass die Presse die „Bruderschaft“ in die rechte Ecke gerückt habe. Die Gruppe habe versucht, das zu korrigieren, aber sei gescheitert. Daraufhin sei E. ausgestiegen.
Der VR fragt Christian B., ob Daniel E. etwas über Waffen beim Treffen erzählt hätte. Laut B. stritt E. das ab: Es habe dort nur eine kunstverzierte Axt und ein Beil zum Holzschlagen gegeben. Er habe keine Bögen oder Schutzwesten gesehen und nicht über Waffen gesprochen – niemand wisse, dass er eine Schusswaffe habe. Daniel E. sei auch gefragt worden, ob über Anschlagspläne gesprochen wurde, und habe auch das verneint. Der VR zitiert: „Nein, um Gotteswillen“; vielleicht sei mal über „Scheiß Grüne“ geschimpft worden.
Christian B. gibt an, dass die Vernehmung bis 23.42 Uhr gedauert habe, insgesamt zwei Stunden mit einer Unterbrechung. Sie hätten dann das Protokoll ausgedruckt und Daniel E. vorgelegt, der in Teilen Änderungen vorgenommen habe. [Der VR projiziert die ausgedruckte, unterschriebene und korrigierte Version des Protokolls Vernehmung an die Wand des Gerichtssaals.] Der Zeuge Christian B. bestätigt die abgebildeten Änderungen. Nach dem Verhör habe man E. zu dritt nach Hause gebracht.
Richter Kemmner (RK) fragt nach einer Passage in der Vernehmung zum Leistungsmarsch und zitiert: „Ich hab dann gesagt, ich mache nicht mit, ich mach dann das Lazarett.“ Er will wissen, wie E. das nach Ansicht des Zeugen gemeint habe. Dieser gibt an, nicht nachgefragt zu haben. RK fragt weiter, woher Daniel E. Frank H. gekannt habe. Der Zeuge antwortet, Christian B. habe ihn im Zusammenhang mit den „Wodans Erben“ gekannt. Auch da sei es zu einem „Rechtsruck“ gekommen, und beide seien ausgetreten.
Daniel E.: Laut Eigenangabe „konservativ rechts“ und ohne „Hass gegen andere Völker“
Oberstaatsanwältin (OStAin) Dr. Bellay fragt nach dem Grund für den Wechsel der Gruppe von Facebook zu Telegram. Der Zeuge vermutet, weil man auf Facebook schnell gesperrt werde und auf Telegram sicherer sei. Die OStAin zitiert eine Frage an E. aus dessen Vernehmung: „Warum sollte man auf einen sicheren Messenger wechseln?“ Dessen [offenbar sarkastische] Antwort: „Was rauskam, sieht man ja jetzt. Eine terroristische Gruppe.“ Weiter habe E. erklärt, der Vorschlag, zu Telegram zu wechseln, sei vermutlich von Werner S. gekommen. Daniel E. selbst sei nach den Verhaftungen aus allen Chats ausgetreten und habe sie gelöscht.
Weiter fragt die OStAin nach E.s politischer Selbstverortung. Christian B. berichtet, dieser habe sich als „rechts, konservativ rechts“ gesehen. Er habe in der Vernehmung den „Hass gegen andere Völker“ abgelehnt. Diese müssten sich aber integrieren. Die Chatgruppe „Heimat“ habe E. eventuell als „Patriotentreff“ bezeichnet. Weitere von Daniel E. erwähnte Chatgruppen seien der „Vertrauenskreis“ der „Soldiers of Odin“ und „Netzwerke Bayern – BW“ gewesen. In letzterer sei auch das Hummelgautsche-Treffen besprochen worden.
Fragen der Rechtsanwält*innen an den Zeugen Christian B.
Frank H.s Verteidiger RA Herzogenrath-Amelung fragt den Zeugen Christian B., wann er erfahren habe, dass Daniel E. Teilnehmer des Hummelgautsche-Treffens war. B. antwortet, er habe das am 11. März 2020 bei der Einweisung in die Lage erfahren. Er sei erst wenige Tage zuvor zu der Soko gestoßen. Da habe er auch erfahren, dass es eine Aussage gebe, wonach E. an dem Treffen teilgenommen und eine Waffe vorgezeigt haben soll.
Der RA fragt weiter: „Hielten Sie es für möglich, dass bei der Hummelgautsche eine terroristische Gruppe gegründet wurde nach ihrem damaligen Kenntnisstand?“ Der Zeuge erwidert, dass er das zur damaligen Zeit nicht habe einschätzen können.
Außerdem möchte der RA mehr über die Gruppen-Mitgliedschaften von Daniel E. und Frank H. laut Aussage von E. erfahren. Der Zeuge berichtet, dass beide sowohl bei „Wodans Erben“ als auch bei „Soldiers of Odin“ gewesen seien. Zum Anliegen der „Soldiers of Odin“ habe E. gesagt, es sei darum gegangen, Frauen nach Hause zu begleiten. Als es dann Anfragen gegeben habe, ob man sich mit jemandem prügeln könne, sei er ausgetreten.
Die letzte Frage des RA bezieht sich auf die Partnerin von Frank H. Der Zeuge gibt an, dass H. mit einer Asiatin verheiratet sei.
Frank H. wird wegen einer rüden Geste verwarnt
Tony E.s RA Hofstätter fragt, ob Daniel E. gesagt worden sei, dass es um Terrorismus gehe. Der Zeuge bejaht. Der RA fragt weiter, warum er als Vernehmungsbeamter nicht zu dem Ergebnis gekommen sei, dass Daniel E. als Teilnehmer an dem Treffen mit Waffe nicht einfach als Zeuge vernommen werden könne. B. gibt an, er sei damals nun mal nicht zu der Einschätzung gelangt.
Tony E.s zweiter Verteidiger Becker fragt, warum die Vernehmung noch am selben Abend wie die Hausdurchsuchung stattfinden musste. Der Zeuge erklärt, man habe nach den erschienenen Zeitungsartikeln befürchtet, dass Daniel E. Beweismittel vernichten könnte.
Werner S.‘ Verteidiger Siebers fragt nach der Verbindung von allen Teilnehmenden an dem Hummelgautsche-Treffen. Christian B. gibt an, sie hätten gemeinsam verabredet, Anschläge zu begehen. [Im Gerichtssaal sind mehrere empörte Ausrufe der Angeklagten zu hören.]
Siebers Teamkollegin RAin Klein fragt, wer dem Zeugen Christian B. die Anweisung zur Vernehmung erteilt habe. Das habe, so B., Soko-Leiter L. getan.
Marcel W.s RA Picker fragt nach der Einschätzung des Zeugen zur Prepper-Szene: „Steht das im Geruch von strafbaren Handlungen oder Verschwörungstheorien? […] Oder kann man das mit ‚Überlebenstraining‘ übersetzen?“ Der Zeuge findet es „schwierig“, das einzuschätzen.
Marcel W.s zweiter Verteidiger Miksch fragt nach einer Passage im Protokoll: „Sie haben die Zeitung heute gelesen…“ B. gibt an, Daniel E. habe die Medienberichte und seine Vorahnung einer polizeilichen Maßnahme selbst angesprochen. Der RA zitiert einen SWR-Bericht über die „Gruppe S“. [Werner S. kommentiert das im Gerichtssaal laut mit „Scheißdreck“.] Auch Frank H. scheint eine [nicht protokollierte] Reaktion gezeigt zu haben, denn der VR verwarnt ihn mit den Worten: „Ich weise Sie zur Ordnung. So eine Geste möchte ich nie wieder sehen.“
Michael B.s RA Berthold fragt den Zeugen u.a., ob dieser angewiesen worden sei, nicht nach der Waffe auf dem Treffen zu fragen. B. verneint. Anschließend wird er unvereidigt entlassen.
Erklärungen zur Zeugenaussage des Zeugen Christian B.
Steffen B.s Verteidiger Flintrop widerspricht der Verwertung der Aussage. Der Zeuge [vermutlich meint er Daniel E.] sei nicht ordnungsgemäß über seinen Status aufgeklärt worden.
RA Herzogenrath-Amelung betont, es sei positiv über seinen Mandanten Frank H. gesprochen worden. H. sei mit einer Asiatin verheiratet und könne deswegen kein Nazi sein. Man habe wegen des Rechtsrucks gemeinsam die „Soldiers of Odin“ verlassen.
RA Hofstätter betont, dass auf Aussage von Paul-Ludwig U. das SEK bei Daniel E. einmarschiert sei, ihn gefesselt und alles durchsucht habe. Bei der Zeugen- und Beschuldigten-Stellung von Daniel E. könne man von Zufall oder Willkür sprechen.
RA Siebers widerspricht: Die Ermittlungsbehörden hätten prozessuale Rollen je nach dem erwarteten Ergebnis vergeben.
RA Picker weist darauf hin, dass man zu vernehmende Personen beeinflussen könne, etwa durch den Hinweis auf die Medienberichte.
RA Miksch betont, dass Daniel E. nicht zum rechten Flügel der „Soldiers of Odin“ gehört habe und es beim Treffen an der Hummelgautsche um Preppen und Chemtrails gegangen sei. Außerdem geht der RA darauf ein, dass Telegram unsicher sei, da es keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gebe. Rechte und wehrhafte Gruppen seien eher auf Telegram, weil sie dort nicht so schnell gelöscht würden.
Markus K.s RAin Schwaben kritisiert, dass Christian B. nur Anweisungen befolgt habe. Hier würden Leute in Zuständigkeiten geschubst, weil es dienlich sei, nicht weil es dem Sachverhalt angemessen sei.
Auch RA Berthold merkt an, dass Christian B. als guter Beamter Befehle ausgeführt habe. Er sei nicht bösartig, sondern es sei ein systemisches Versagen.