Am 72. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 21. Juni 2022 wurde erneut Julian B. (29), Kriminalhauptkommissar beim LKA, befragt. Diesmal ging es um seine Funktion als Objektverantwortlicher der Hausdurchsuchung bei Steffen B. in Nienburg/Saale (Salzlandkreis, Sachsen-Anhalt) am 14. Februar 2020. Gefunden wurden u.a. eine versteckte „Slam Gun“ (selbstgebaute Pistole), 150 Schuss, sowie Nazi-Memorabilia. Die „Slam Gun“ hatte Steffen B. von Mario Sch. aus Schönebeck (Elbe) erhalten. Dieser war bei den „Soldiers of Odin“ aktiv und soll der „Gruppe S“ Waffen geliefert haben. Deswegen fand bei Mario Sch. ebenfalls am 14. Februar 2020 eine Hausdurchsuchung statt. In der sich an die Hausdurchsuchung anschließenden Vernehmung behauptete Steffen B., so der Zeuge und Vernehmungsbeamte Julian B., sich nur mit den anderen Angeklagten ausgetauscht zu haben. Anschläge seien nicht geplant gewesen. Das zentrale Treffen der „Gruppe S“ in Minden am 8. Februar 2020 bezeichnete Steffen B. in der Vernehmung als „patriotische Gesprächsrunde“. Angeblich habe man nur über Flyer gesprochen.
Eingangs stellt sich der Zeuge vor: Er sei Julian B. (29), jetzt Kriminalhaupt- und nicht mehr Kriminaloberkommissar. Er arbeite seit Dezember 2012 im Polizeidienst, habe sein Bachelor-Studium bis August 2016 beendet und sei seit September 2016 beim LKA in Baden-Württemberg bei der Inspektion 610 [der dortigen Staatsschutz-Abteilung].
Der Vorsitzende Richter (VR) fragt den Zeugen, wann er zuerst mit diesem Verfahren in Berührung gekommen sei. Der Zeuge erwidert, das sei am 10. September 2019 gewesen, als Paul-Ludwig U. von Gießen an sie vermittelt worden sei. Gefragt nach seiner Rolle als Hauptsachbearbeiter erklärt Julian B., er sei für die Aktenführung und Berichte verantwortlich, wobei letzteres in diesem Fall seine Kollegin S. übernommen habe. Der VR fragt nach der Beteiligung am Entscheidungsprozess, und der Zeuge gibt an, dass die meisten Entscheidungen durch den GBA vorgegeben worden seien.
Vorbereitung auf die Durchsuchung
Die Razzia bei Steffen B. fand an einem Freitag statt; seit Montag oder Dienstag zuvor wusste der Zeuge laut eigener Aussage, dass eine Durchsuchung anstand. Darauf habe man sich mit der Personaleinteilung, Anregungen für die Beschlüsse und Informationen über die zu durchsuchenden Objekte vorbereitet.
Der VR fragt nach Unterlagen, die der Zeuge zusammengestellt habe. Der Zeuge verweist auf einen Leitfaden zur Vernehmung, den er mit Frau S. erstellt habe und der eher allgemein gehalten gewesen sei. Darin spielten die Treffen in Minden, Berlin und die abgesagten Zusammenkünfte in Norddeutschland eine Rolle.
Die Informationsgewinnung sei über verdeckte Maßnahmen (Telekommunikationsüberwachung, Telegram-Überwachung von Paul-Ludwig U.), die Auswertung von Social Media und über die Angaben von U. gelaufen. Der VR fragt nach dem Status von Paul-Ludwig U., und der Zeuge bezeichnet ihn als „Beschuldigter“. U. habe ihn einmal angerufen und sei dabei auch durch ihn belehrt worden.
Zeuge war Objektverantwortlicher für B.s Haus
Die Zeugenbefragung wendet sich wieder der Razzia bei Steffen B. zu. Den Durchsuchungsbeschluss, so der Zeuge, habe man erst am Morgen des 14. Februar erhalten. Er habe den Beschluss durchgelesen, und er sei ihm logisch erschienen. Schlüsselereignis sei die E-Mail von Steffen B. an Werner S. mit den Slam-Gun-Fotos gewesen. Da sei ihm klar gewesen, dass das ernst zu nehmen sei. Als Objektverantwortlicher habe er sich selbst angeboten. Er sei am 13. Februar mit Fr. M. (Inspektion 610) im Auto nach Magdeburg gefahren. In dem anderen Wagen seien Frau K. und Herr M. (beide Inspektion 620) gefahren. Von den insgesamt vier LKA-Beamten an diesem Tag schreibt sich der Zeuge selbst den höchsten Informationsstand zu. Nachmittags habe man in Magdeburg eine Besprechung durchgeführt, an der auch LKA-Beamte aus Sachsen-Anhalt teilgenommen hätten.
Verdacht auf vergrabene Waffen
An der Hausdurchsuchung am 14. Februar 2022 hätten sich neun bis zehn BFE-Beamte beteiligt. Es habe den Verdacht auf vergrabene Waffen gegeben. Deswegen habe man einen Sprengstoff-Suchhund eingesetzt. Das Objekt sei ein kleiner Bauernhof am Ortsausgang mit Scheune und Schuppen voller Gerümpel gewesen. Als er, so der Zeuge, um 6.20 Uhr angekommen sei, habe Steffen B. gesichert draußen bei einer Schaukel gestanden, Frau B. und der Sohn seien im Haus gewesen. B. sei sehr ruhig gewesen; deswegen habe man ihm keine Handschellen angelegt. Um 8.01 Uhr sei er offiziell festgenommen worden. Im Gespräch habe Steffen B. sehr kooperativ, „ruhig und entspannt“ gewirkt.
Der Zeuge fasst die Aufgabenaufteilung bei der Durchsuchung zusammen: Er selbst habe Skizzen angefertigt und einige Anrufe tätigen müssen. Seine Kolleg*innen W. und K. hätten die Asservate zur Kollegin M. gebracht, die sie angenommen und die Fundorte skizziert habe. [Im Gerichtssaal werden mehrere Skizzen aus Steffen B.s Haus gezeigt.] Die BFE habe fotografiert.
B. stritt erst ab, eine „Slam Gun“ zu besitzen
Julian B. erinnert sich, er habe sich Steffen B. um 6.30 Uhr vorstellt, sei mit ihm ins Haus gegangen und habe ihm den Tatvorwurf mitgeteilt: Bildung einer terroristischen Vereinigung und Verstoß gegen das Waffengesetz. Außerdem habe er den Beschuldigten belehrt, dass er einen Anwalt hinzuziehen könne – der VR projiziert die unterschriebene Belehrung an die Wand im Gerichtssaal – und ihm den Durchsuchungsbeschluss zum Lesen vorgelegt.
Julian B. berichtet, er habe Steffen B. sehr früh am Morgen des Zugriffs nach der „Slam Gun“ gefragt. Sie hätten Hinweise darauf gehabt, dass sie im Haus sei. Steffen B. habe zuerst abgestritten, etwas von Waffen zu wissen. Nachdem er, der Zeuge, aber erzählt habe, dass die Behörden seine E-Mail über eine „Slam Gun“ mitgelesen hätten, habe der Beschuldigte sie in den Keller geführt. Die „Slam Gun“ sei unter einem Ziegelhaufen versteckt gewesen. Sie hätten nach Munition gefragt, und Steffen B. habe zuerst bestritten, welche zu besitzen. Als die Beamt*innen das als unglaubwürdig bezeichnet hätten, habe Steffen B. sie zu einem Versteck im Hasenstall geführt. Den Besitz weiterer Waffen habe B. verneint. Steffen B. habe sich immer wieder kurz geäußert, dass die „Slam Gun“ nicht für Anschläge, sondern zur Verteidigung dienen sollte. Die E-Mail mit den Fotos von der Slam Gun sei über die Mail-Adresse von B.s Frau versendet worden, fügt der Zeuge hinzu. Man habe ihr Handy durchgesehen und es ihr dann nach Rücksprache mit der Einsatzleitung zurückgegeben.
150 Schuss Munition, zwei Schusswaffen, Testosteron und Rechtsrock
Der VR fragt nach weiteren Funden, und der Zeuge nennt:
- eine Elektroschocker-Taschenlampe
- 150 Schuss Kleinkaliber-Munition
- eine Schreckschusswaffe
- eine Druckluftwaffe
- Testosteron
- zwei Bilder mit NS-Bezug
- zwei Bücher über Rassentheorie
- mehrere Schallplatten.
- die Singleplatte „Infantery“
- die CD „Mosphito“
- eine Fim-Fünfeck-Pistole
- ein Baseballschläger
- ein Holzbrett mit Reichsadler und Hakenkreuz]
Steffen B. verriet den mutmaßlichen Waffenlieferanten Mario Sch. an die Polizei
Der Zeuge geht im Folgenden genauer darauf ein, was Steffen B. am Morgen des Zugriffs über seine „Slam Gun“ sagte: Den Verkäufer der „Slam Gun“ habe B. erst als einen Unbekannten bezeichnet. Als die Polizei auch diese Behauptung für unglaubwürdig befunden hätten, habe Steffen B. zugegeben, Mario Sch. habe sie für ihn gebaut und sie ihm 2019 für weniger als 30 Euro verkauft. Diese Aussage habe man an die Staatsanwaltschaft in Magdeburg weitergeleitet. [Die Niederschrift dieser Aussage wird ebenfalls an die Wand des Gerichtssaals projiziert.] Über Mario Sch. habe Steffen B. gesagt, dass er ihn noch von den „Soldiers of Odin“ kenne und Sch. auch Mitglied einer gemeinsamen Chatgruppe gewesen sei. Der Zeuge fügt an, dass Mario Sch. ihm und den Kollegen bereits in Verbindung mit Waffen und Telegram bekannt gewesen sei.
Bei Mario Sch. gab es am selben Tag noch eine Hausdurchsuchung in Schönebeck. Er, so der Zeuge, sei später dazugestoßen. Mario Sch. habe „eine ganze Werkstatt“ mit Wasserrohren für „Slam Guns“ gehabt. Man habe auch den „Zwilling“ [eine Waffe derselben Bauart wie die von Steffen B.] der „Slam Gun“ gefunden. Die Asservate seien mit einem LKW abtransportiert worden.
Müder Angeklagter und Streit im Gerichtssaal
An dieser Stelle spricht der VR den Angeklagten Michael B. an, der offenbar eingeschlafen ist. Der VR kündigt an, dass man nun einiges wiederholen müsse. B.s Rechtsanwalt (RA) Berthold widerspricht, sein Mandant sei voll vernehmungsfähig gewesen. Der VR glaubt das nicht; er habe B. schließlich gerade aus dem Schlaf gerissen. RA Flintrop beschwert sich, sein Mandant Steffen B. habe Rückenschmerzen. Michael B. solle sich direkt äußern und das Kasperletheater lassen. Michael B. schimpft zurück: „Was willst Du von mir? Du bist ein Kasper.“ Sein RA Mandic kommentiert in Richtung des VR: „Vielen Dank für die Eskalation!“ Dieser kontert: „Eskalation ist nicht meine Spezialität.“ Anschließend wiederholt er für Michael B. wie angekündigt die letzten rund 1,5 Stunden der Verhandlung.
Nach dieser Wiederholung knüpft der VR an den zuletzt besprochenen Punkt an, die Asservate von Steffen B. Er fragt nach dem gefundenen Testosteron. Der Zeuge sagt, das sei ans LKA übergeben worden. Er wisse aber nichts über das separate Verfahren dazu. [Im Gerichtssaal wird das Durchsuchungsprotokoll an die Wand projiziert.] Der Zeuge bestätigt, dass Steffen B. auf die Rückgabe mancher Gegenstände verzichtet habe. Die Durchsuchung sei gegen 10.30 Uhr beendet gewesen. Dann sei Steffen B. mitgeteilt worden, dass er vorläufig festgenommen sei. Er sei aufs Revier gebracht und erkennungsdienstlich behandelt worden. B. habe außerdem freiwillig eine Speichelprobe abgegeben. Gegen 16 Uhr sei dann die Vorführung beim Haftrichter in Karlsruhe erfolgt.
Steffen B. stritt in der Vernehmung alles Gravierende ab
Die Vernehmung von Steffen B. auf dem Polizeirevier in Magdeburg erfolgte laut VR von 14.45 bis 17.15 Uhr. Dann sei die Vernehmung abgebrochen worden, um Steffen B. nach Karlsruhe zu bringen. Der Zeuge erinnert sich, er selbst habe alle Fragen gestellt. Neben ihm seien aber auch seine Kolleginnen M., F. und B. anwesend gewesen. Steffen B. habe auf einen Anwalt verzichtet. [Der VR projiziert die Vernehmungsschrift an die Wand.]
Der Zeuge fasst die Vernehmung zusammen: Steffen B. habe angegeben, lediglich in Chatgruppen beteiligt gewesen zu sein und die Leute sonst nur in Berlin und in Minden getroffen zu haben, um „politische Meinungen“ auszutauschen. Anschläge seien nicht geplant gewesen.
Steffen B. habe angegeben, Werner S., Tony E., Stefan K. und Paul-Ludwig U. schon vor dem Treffen in Minden gekannt zu haben. Er habe auch erzählt, dass er einen Realschulabschluss habe, eine Lehre gemacht habe und Leiharbeiter gewesen sei. Ein Zeitlang habe er mit einem Bekannten eine Sicherheitsfirma betrieben. Er sei derzeit Trockenbauer. Seine Frau sei Physiotherapeutin und Pilates-Trainerin.
Julian B. berichtet, er habe den Beschuldigten auch auf seine politische Gesinnung angesprochen; die sei ja eindeutig, denn Steffen B. habe sich Adolf Hitler auf den Oberschenkel und mehrere Hakenkreuze auf den Körper tätowieren lassen. Trotzdem habe er sich als „politisch Mitte rechts“ eingeordnet und die Tätowierungen als Jugendsünden eingeordnet.
Was sagte Steffen B. über das Treffen in Minden aus?
Der VR fragt nach den Aussagen von Steffen B. zu dem Treffen in Minden. Julian B. erklärt, der Beschuldigte sei laut eigener Aussage mit Stefan K. nach Minden gefahren und sei dort – um Sprit zu sparen – von Werner S. eingeladen worden. Der VR fragt, an welche Namen sich der Beschuldigte habe erinnern können. Der Zeuge zählt auf: Teutonico [Werner S.], Tony [E.], einen Thor Tjark [Thorsten W.], Thomas N. und [Paul-Ludwig] U. Letzteren habe Steffen B. als sehr unsympathisch beschrieben, weil er sich wichtig gemacht habe. Die Anzahl der Teilnehmer des Treffens habe B. mit neun benannt. Werner S. habe das Treffen laut Steffen B. organisiert. Er sei auch Wortführer gewesen. B. habe S. als „kernigen Typen“ und „verbittert“ beschrieben. Zum Inhalt des Treffens hält der VR eine Aussage aus dem Vernehmungsprotokoll vor: Steffen B. habe davon gesprochen, von Werner S. zu einer „patriotischen Gesprächsrunde“ eingeladen worden zu sein. Alle seien sich einig gewesen. Man könne gemeinsam etwas machen, etwa Flyer, um auf Probleme hinzuweisen. Jeder habe 150 bis 200 Euro geben sollen, um Plakate zu fertigen. Man habe auch angedacht, ein Notruftelefon einzurichten und Gleichgesinnte auf Demonstrationen zusammenzubringen.
Der VR fragt, ob in Minden auch der Terminus „Bürgerkrieg“ in der Vernehmung gefallen sei. Der Zeuge bejaht und spricht in diesem Zusammenhang die Prepper-Haltung von Anwesenden an, die laut Steffen B. gefordert hätten, man müsse Lebensmittel anschaffen und lagern. Immer wieder sei es außerdem um den Schutz der Familie gegangen. VR zitiert aus der Vernehmung, man habe Angst vor Plünderungen gehabt. An den Terminus „Tag X“ hingegen kann sich der Zeuge aus der Vernehmung nicht erinnern.
Aussagen nur teilweise glaubwürdig
Dem Zeugen fällt noch ein, dass Werner S. Steffen B. laut dessen Aussage ein Foto seiner „Slam Gun“ gezeigt habe. Werner S. kenne Steffen B. zufolge auch Mario Sch.
Zusammenfassend sagt der Zeuge, er habe manche Aussagen B.s für glaubwürdig gehalten. Die Vernehmung habe er wegen eines Anrufs vom Kollegen G. verfrüht abbrechen müssen. Abschließend habe er Steffen B. die Vernehmungsabschrift unterschreiben lassen und auch selbst unterschrieben. [Der VR projiziert das Dokument an die Wand des Gerichtssaals.] Nach der Vernehmung habe das BFE Sachsen-Anhalt Steffen B. abgeholt. Bei einer weiteren Vernehmung am 19. Mai habe er Steffen B. wiedergesehen.
Der VR unterbricht an dieser Stelle die heutige Sitzung, kündigt aber an, es seien noch Fragen offen; etwa die Verbindung zwischen Steffen B. und einzelnen Personen und Chatgruppen.