Prozesstag 70: War Thorsten K. V-Mann im nahen Umfeld der „Gruppe S“

Am 31. Mai 2022, dem 70. Prozesstag gegen die „Gruppe S“, wurde die Vernehmung des baden-württembergischen LKA-Ermittlers Kevin G. fortgesetzt. Er war am 14. Februar 2020 an der Hausdurchsuchung bei Frank H. in München beteiligt gewesen und arbeitete anschließend weiter in der SOKO Valenz. G. beantwortete dem Senat Fragen zu seinen Ermittlungen über Frank H.s Online-Aktivitäten. Ins Stocken geriet der Zeuge bei Fragen zur möglichen V-Mann-Tätigkeit von Thorsten K., der im Verfahren zwar nicht angeklagt ist, aber über Chats und persönliche Kontakte Verbindungen zur Gruppe um Werner S. hatte. Nach der Entlassung des Zeugen wurden mehrere Aufnahmen aus der Telekommunikationsüberwachung in das Verfahren eingeführt, die sich entweder um die Anfahrt zur Demonstration am 3. Oktober 2019 in Berlin drehten oder Telefonate des Angeklagten Paul-Ludwig U. wiedergaben.

Der Vorsitzende Richter (VR) setzt die Befragung des Zeugen Kevin G. vom 69. Prozesstag fort. Dabei nimmt er die Auswertung der Social-Media-Aktivitäten des Angeklagten Frank H. sowie von digitalen Asservaten in den Blick. In einem ersten Block geht der VR auf zwei Vermerke des Zeugen aus dem Juni 2020 ein, in denen dieser seine Auswertung von Frank H.s Facebook-Aktivitäten darlegte. Der Zeuge erklärt, dass die Auswertung des Facebook-Profils zu den üblichen Ermittlungen gehöre. Dabei habe er sich zwei Facebook-Konten von Frank H. genauer angeschaut. Frank H. habe auf seinen Profilen unter anderem Inhalte zum Thema „Flüchtlingskritik“ geteilt, so der Zeuge, und sich mit der Anzahl seiner Posts in einem üblichen Rahmen bewegt. Eines der Profile sei schon etwas älter gewesen und weniger rege genutzt worden.

Frank H. als Admin für die „Wodans Erben Germanien“

Strafrechtlich relevante Beiträge habe er nicht gefunden, erklärt G. Der Bezug zum Verfahren ergebe sich durch die Profilbilder, über die Frank H. seine Rolle bei den „Wodans Erben Germanien“ (W.E.G.) mitgeteilt habe. Im Januar 2019 postete der Angeklagte H. ein Profilbild mit dem Logo der W.E.G., welches ihn als „Sergeant at Arm“ ausweise. Im April 2019 habe er das Profilbild erneut gewechselt, nun mit der Bezeichnung des „Vice Leaders“. Weitere Hinweise auf seine Verbindung zu dieser Gruppierung ergäben sich durch Verlinkungen von anderen Mitgliedern der W.E.G.

Auf die Frage des VR, ob Frank H. auf anderen Kanälen der W.E.G. eine Rolle gespielt habe, etwa als Betreuer, verweist der Zeuge Kevin G. darauf, dass er das nicht in seinem Bericht niedergeschrieben habe, die Angabe aber in einem anderen Bericht zu finden sei.

Der VR hält dem Zeugen einen Screenshot aus der Facebook-Gruppe „Wodans Erben Germanien / Support / Baden-Württemberg“ vor, in der auf eine Bewerberseite verwiesen wird. Der Originalbeitrag wurde am 19. Oktober 2019 veröffentlicht. Unter dem Auszug kommentiert ein „Werner Schmidt“: „Ich bewerbe mich jetzt mal, schau mal was passiert.“ Dabei handelt es sich um einen Aliasnamen des Angeklagten Werner S. Kommentiert wird dies von einem „Matze Wodan“, bei dem es sich um den Angeklagten Marcel W. handelt. W. schreibt: „es wäre eine Ehre dich bei uns willkommen zu heißen‚ Werner Schmidt.“ Der VR fragt, woran man Frank H.s Administratoren-Funktion erkennen könne. Der Zeuge verweist auf einen zweiten Screenshot einer „Bewerbergruppe“ der W.E.G. Aus der Kanalinformation der „Bewerbergruppe“ gehe hervor, dass Frank H. einer von mehreren Administratoren sei. Der VR lässt auch diesen Screenshot auf die Leinwand projizieren.

Der Zeuge sichtete die gesicherten Daten

Der VR fährt anschließend mit der Frage fort, wie ein bei Frank H. gefundenes Handy dem Beschuldigten zugeordnet werden konnte. Der Zeuge G. erklärt, das Smartphone habe man auf dem Wohnzimmertisch gefunden. H. habe bestätigt, dass es ihm gehöre, und die dazugehörige PIN mitgeteilt.

Der VR interessiert sich des Weiteren dafür, wie die E-Mail-Adressen von Frank H. ermittelt wurden. Der LKA-Beamte G. berichtet, dass er von einer Fachinspektion des LKA eine Digitalaufbereitung der Daten erhalten und diese dann mit einem Auswertungsprogramm gesichtet habe. Dabei habe er zwei gmail-Adressen von H. samt zugehöriger Cloud entdeckt. In der Cloud hätten sich E-Mails, Fotos, Videos, Standortdaten und Rechnungen befunden. Insgesamt handelte es sich um mehr als 58.000 Datensätze, wie aus einer Übersicht über die Sicherung vom 14. Februar 2020 hervorgeht, die der VR auf die Leinwand des Gerichtssaals projiziert.

Bilder von einem Treffen am Wolfsee (Bayern)

Der VR geht näher auf die Datensätze ein, die in der Cloud abgelegt sind. Vom Zeugen möchte er zunächst erfahren, ob er unter den 52 aufgeführten Kontakten Bezüge zu den Angeklagten herstellen konnte. Dies verneint der Zeuge. Als nächstes will der VR wissen, welche Bilder in der Cloud abgespeichert waren. Kevin G. erklärt, dass diese zu einem Großteil mit H.s Arbeit als Wasserinstallateur zu tun hätten. Darüber hinaus seien Bilder mit Bezug zu den W.E.G. sowie von „Spaziergängen“ mit den „Soldiers of Odin“ (SoO) gefunden worden. Die gefundenen Bilder in der Cloud seien äquivalent zu den Bildern auf H.s Smartphone.

Der VR lässt ein Foto auf die Leinwand projizieren: ein Gruppenbild, auf dem auch eine Deutschlandfahne mit dem Logo der SoO zu sehen ist. Auf dem Foto sind die Angeklagten Werner S., Stefan K., Steffen B. und Frank H. mit ihrem Nachnamen markiert. Aus der Bildbeschreibung geht hervor, dass Frank H. das Bild am 20. August 2017 um 13.42 Uhr versendete. Der Zeuge erklärt, das Bild beinhalte keine weiteren Metadaten, sondern nur den Zeitstempel der E-Mail, mit der das Foto versendet wurde. Wann das Bild entstand, könne man nicht herauslesen. Er fügt jedoch hinzu, dass bei der Hausdurchsuchung von Werner S. die Originalaufnahme gesichert worden sei. Daraus habe man die Standortangabe zum Wolfsee herauslesen können. [Am 19. und 20. August 2017 trafen sich die SoO am Wolfsee und beschlossen dort die Abspaltung der W.E.G. aus ihren Reihen.]

Auf einem zweiten Foto, das auf die Leinwand projiziert wird, sind mehrere Personen auf einer Wiese und ein Zelt im Hintergrund zu sehen. Das Bild wurde ebenfalls am 20. August 2017 von der einen E-Mail-Adresse von Frank H. an seine zweite E-Mail-Adresse versandt. Es handelt sich laut dem Zeugen „höchstwahrscheinlich um eine mit dem Smartphone von H. erstellte Originalaufnahme“. Auf dem Foto sind Werner S. und Michael B. markiert. Als Thema des Bildes wird erneut „Wolfsee“ vermerkt.

Frank H.s Zielvorstellung blieb im Ungefähren

Nun gibt der VR das Fragerecht an die anderen Mitglieder des Senats weiter. Richter Kemmner hakt bei der Protokollierung der ersten Vernehmung des Beschuldigten Frank H. nach. Angesichts des Umstandes, dass eine Frage zur Sitzordnung beim Treffen in Minden am 8. Februar 2020 nicht protokolliert wurde, will der Richter wissen, wie nah das Protokoll am Wortlaut ist. Der Zeuge bestätigt, dass diese Zwischenfrage fehle, man aber nah am Wortlaut des Beschuldigten geblieben sei. Eine weitere Frage des Richters zielt darauf ab, ob Frank H. die Begriffe „Unruhe ins Land bringen“ und „Bürgerkrieg“ synonym verwendet habe. Kevin G. bejaht, das sei sein Eindruck gewesen. Auf die Frage, ob G. aus der Befragung ein übergeordnetes Ziel H.s ableiten konnte, gibt der Ermittler an, dass „Ausländer vertreiben“ „mehr oder weniger“ das Ziel gewesen sei. Frank H. sei hierbei jedoch im Ungefähren geblieben.

Bei der Frage nach den in Minden anwesenden Personen konnte Frank H. im Verhör nur einzelne Namen nennen. In Frage steht, ob er den Ermittlern daraufhin anbot, gemeinsam in die Telegram-Chatgruppe zu schauen, um ausstehende Namen zu klären. Dieses Angebot habe er aber so nicht wahrgenommen, erklärt der Zeuge G. Man habe unter Zeitdruck gearbeitet und die bisherigen Ergebnisse der Vernehmung zu Papier bringen wollen. Bei der Frage, wer Waffen wie und wo besorgen sollte, blieb Frank H. dem Zeugen zufolge vage.

H.s Abneigung gegen Antifaschist*innen

Als nächstes erhält Oberstaatsanwältin Bellay (OStAin) das Wort. Sie erkundigt sich beim Zeugen unter anderem danach, ob Frank H. etwas zu den Zusammenstößen mit Antifaschist*innen gesagt habe, und welchen Rang H. bei den SoO einnahm. Zum Thema Antifa habe sich der Beschuldigte so geäußert, dass „die Antifa“ mit allem den Konflikt suche, was nach Nationalismus aussehe, gibt der Zeuge den Angeklagten H. wieder. H.s Abneigung habe sich in der Zeit der Spaziergänge bei den SoO entwickelt. Der Beschuldigte habe angegeben, bei den SoO von 2016 bis 2018 Mitglied gewesen zu sein und dabei das Amt des „Sergeant at Arms“ bekleidet zu haben.

Von Interesse sind für die OStAin die Kontakte ins extrem rechte Spektrum. Hatte Frank H. neben Ralf N. von der „Bruderschaft Deutschland“ noch zu anderen Akteuren Kontakt? Der Zeuge gibt an, dass er nur erzählen könne, was er in seinem Bericht geschrieben habe. So habe H. Kontakt zu Markus H. gehabt, der für die „Bruderschaft Deutschland“ in Bayern der Ansprechpartner gewesen sei. Darüber hinaus habe Kontakt zu Daniel K. vom „Bündnis deutscher Patrioten“ bestanden. Ihn habe H. als „gläubigen Katholiken“ beschrieben. Auf eine weitere Nachfrage der OStAin, welche Angaben der Angeklagte H. zum Inhalt der Telegram-Gruppe für den 8. Februar 2020 gemacht habe, erinnert sich der Zeuge daran, dass die Antwort pauschal geblieben sei: Zusammenhalt, Gemeinschaft und Schutz von Frauen. Dem Eindruck des Zeugen zufolge eine vorgeschobene Antwort.

Kevin G.s Kollegen rechneten mit einer Aussageverweigerung von Frank H.

Im Anschluss an die Befragung durch die Vertreter*innen der Anklage erhalten die Verteidiger*innen das Wort für Fragen. Frank H.s Rechtsanwalt (RA) Herzogenrath-Amelung macht den Auftakt. Seine erste Frage greift die Überraschung des Zeugen darüber auf, dass Frank H. bei der ersten Vernehmung aussagte. Der RA möchte wissen, wie er zu dieser Annahme kam. Der LKA-Beamte G. gibt an, dass seine Kollegen davon ausgegangen seien, dass H. nichts sagen würde. Die Gründe für diese Annahme seien ihm jedoch nicht bekannt.

In einer nächsten Frage möchte der RA vom Zeugen Kevin G. wissen, welche Rolle Paul-Ludwig U. im Verfahren spielt. „Hinweisgeber“, antwortet G. und ergänzt „auch Beschuldigter“, nachdem RA Herzogenrath-Amelung nachhakt, ob ersteres eine strafprozessuale Kategorie sei. Bei der Frage des Verteidigers, wie lange sich U. in „staatlicher Obhut“ befunden habe, antwortet G.: „Zehn Jahre“. Der Zeuge zeigt sich nicht verwundert, als der RA korrigiert, dass U. über 20 Jahre hinter Gittern saß. Bei der Frage zur Glaubwürdigkeit von Paul-Ludwig U. verweist der Zeuge darauf, dass er Ermittlungen zu Frank H. und nicht zu Paul-Ludwig U. angestellt habe. Angaben zu U.s Aussage wäre eine reine Spekulation.

Videoüberwachung unterliegt einem Sperrvermerk

Mehrere Fragen von RA Herzogenrath-Amelung zielen sodann darauf ab, ob bei Frank H. Gegenstände gefunden wurden, die auf eine Verbindung zu extrem rechtem Gedankengut hindeuten könnten, etwa Bücher oder „Landkarten in den alten Grenzen“. Der Zeuge verneint, weist aber auch darauf hin, dass er kein Durchsuchungsbeamter gewesen sei, sondern die ihm genannten Gegenstände nur notiert habe.

Einen weiteren Fokus legt der RA auf eine mögliche Observation des Treffens am 8. Februar in Minden. Der Zeuge bestätigt, dass es eine optische Überwachung gegeben habe. Nähere Angaben könne er dazu jedoch nicht machen. Der VR weist darauf hin, dass diese Frage Teil des Sperrvermerks des Landesinnenministeriums Baden-Württemberg sei.

Bei seinen Antworten auf die zahlreichen Fragen des RA bejaht der Zeuge unter anderem, dass die Vernehmung unter Zeitdruck stattfand. Manche Nachfragen habe man deswegen nicht mehr stellen können. Bei der Frage, ob der Zeuge Kenntnis davon hatte, dass bereits beim Treffen an der Hummelgautsche [am 28. September 2019] eine terroristische Vereinigung gegründet worden sei, unterbricht der VR. Die Beantwortung dieser Frage sei Aufgabe des Senats.

Unterliegt der Zeuge einem „Bestätigungsfehler“?

RA Siebers, Verteidiger von Werner S., fasst die Vernehmung von Frank H. so zusammen: In Minden hätten sich Leute getroffen, die sich zum Teil nicht kannten, keine Ergebnisse bei der Beschaffung von Waffen und Geld erzielten, keinen Folgetermin vereinbarten, niemanden mit der Organisation eines neuen Termins beauftragten sowie keinen Gruppennamen und auch kein konkretes Ziel hatten. Vom Zeugen möchte der RA wissen, ob diese Zusammenfassung zutreffe. „Wenn Sie meinen, was er [H.] gesagt hat, ja“, antwortet der Zeuge.

RA Picker und RAin Schwaben, die Verteidiger*innen von Marcel W. und Markus K., möchten wissen, ob der Zeuge im Verhör nur sein Vorwissen bzw. seine Hypothesen bestätigt sehen wollte. Der Zeuge weist darauf hin, dass seine Fragen offen gestellt worden seien und er aus H.s Aussage Anhaltspunkte erhalten habe, die seine Annahmen gestützt hätten. RAin Schwaben bringt den Begriff des „Bestätigungsfehlers“ [Confirmation Bias] ins Spiel und hält dem Zeugen vor, dass nicht richtig ermittelt worden sei, wer von den in Minden Anwesenden eigentlich was gewollt habe. Sie verweist darauf, dass Frank H. in der Vernehmung zur Frage, wer Bürgerkrieg wolle, gesagt habe: „Alle, die Familien haben, waren dagegen. Jeder hat Angst, dass so etwas passiert.“ Sie hält dem Zeugen vor, dass der einzige Angeklagte ohne Familie Paul-Ludwig U. sei. Der Zeuge erklärt, er könne nur zu den Fragen etwas sagen, die gestellt wurden.

Ist Thorsten K. ein V-Mann?

RA Picker fragt den Zeugen, ob er den Namen Thorsten K. kenne, beispielsweise aus H.s Vernehmung. G. erklärt, der Name sei in der Vernehmung nicht aufgetaucht. Er selbst wisse nur, dass es sich um eine Person aus dem Raum Hamburg handle und er im Rahmen seiner Ermittlungen auf den Namen gestoßen sei. RA Picker führt aus, dass es sich bei Thorsten K. laut ihm vorliegenden Informationen um einen V-Mann des Verfassungsschutzes handle. Er fragt den Zeugen, was er dazu wisse. G. stellt zunächst eine Gegenfrage, ob er dazu etwas in seinem Bericht geschrieben habe. Auf die Nachfrage des RA, ob er etwas dazu gehört habe, entgegnet G., es sei „möglich, dass ich das gehört habe“, er könne sich aber nicht weiter erinnern.

Michael B.s RA Mandic fällt auf, dass der Zeuge bei der Beantwortung der Frage nach einem möglichen V-Mann-Status etwas länger für die Antwort gebraucht habe, und will wissen, was ihm durch den Kopf gegangen sei. Zeuge G. erklärt, er habe überlegt, ob diese Angabe von seiner Aussagegenehmigung gedeckt sei. Diese Frage richtet er an OStAin Bellay, die jedoch entgegnet, dass sie ihm nicht sagen könne, was in seiner Aussagegenehmigung enthalten sei. „Das müssen Sie das LKA fragen“, so OStAin Bellay. RA Mandic möchte ebenfalls wissen, was Kevin G. bei der Vermutung, Thorsten K. könnte V-Mann sein, durch den Kopf gegangen sei. G. entgegnet, dass er dazu keinen klaren Gedanken habe, es sich um einen Erinnerungsfehler handeln könne und man seine Kollegen fragen möge. Die Person Thorsten K. sei nicht sein Feld gewesen. Nach den Namen dieser Kollegen erkundigt sich RA Flintrop, Verteidiger von Steffen B. Der VR schaltet sich ein und erklärt, dass sich der Senat mit dieser Thematik bereits befasse.

Wolfgang W.s RA Grassl bohrt beim Kenntnisstand des Zeugen über Thorsten K. nach. Der Zeuge wiederholt, dass es sich bei Thorsten K. um eine Person aus dem Norden handle. Er (Kevin G.) habe eine Abfrage [in einem Polizeiinformationssystem] zu K. aus Gründen der Spurensachbearbeitung getätigt, könne sich aber an mehr nicht erinnern, auch nicht zu Personenzusammenhängen. RA Kist, Verteidigung von Thorsten W., hält dem Zeugen einen Aktenvermerk des Richters Kemmner vom 26. April 2022 vor. In einem Telefonat mit dem LKA sei beiläufig erwähnt worden, dass bei der Soko Valenz der Verdacht aufkam, Thorsten K. könnte ein V-Mann des Verfassungsschutzes sein. Hierzu könne er keine Angaben machen, entgegnet der Zeuge. Schon zuvor bat er darum, ihn erneut vorzuladen, wenn er zu diesem Fragekomplex weiter aussagen sollte, da er sich hierzu nicht vorbereitet habe. Wenige Minuten später wird der LKA-Ermittler Kevin G. unvereidigt aus dem Zeugenstand entlassen.

Stellungnahmen der Anwält*innen: „Einseitig ermittelt“, „offenes Geheimnis“

Nach der Mittagspause erhalten die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, Stellung zur Aussage des LKA-Ermittlers Kevin G. zu nehmen. RA Herzogenrath-Amelung erklärt, die Befragung habe einige neue Erkenntnisse gebracht. Sie habe gezeigt, dass sein Mandant Frank H. im Verhör nicht gemauert, sondern die Wahrheit gesagt habe. RA Hörtling macht darauf aufmerksam, dass Frank H. den Namen seines Mandanten Thorsten W. nicht gekannt habe. Im Verhör habe er nur einen Bruchstück des Namens wiedergegeben, welcher aber nicht zu W.s Namen in der Chatgruppe („Thore Tjark“) passe. Er stellt die Vermutung auf, dass H. den Mitangeklagten Wolfgang W. gemeint haben könnte, der sich im Chat „Wolf“ genannt habe.

RA Picker greift die V-Mann-Thematik auf. Angesichts der Tatsache, dass ein mittlerer Beamter von der V-Mann-Problematik um Thorsten K. wisse, erscheine ihm das Thema ein „offenes Geheimnis“ im LKA zu sei. RA Miksch sieht durch die Befragung zum Verhör des Frank H. die Aussagen seines Mandanten Marcel W. bestätigt, nach der W. gegen Anschläge auf Moscheen gewesen sei. RAin Schwaben kritisiert „komplett einseitig“ geführte Ermittlungen. Entlastenden Punkten zu ihrem Mandanten Markus K. seien nicht weiter nachgegangen worden. RA Berthold, Verteidiger von Michael B., regt an, die Führungsbeamten aus dem Lagezentrum in Stuttgart zur Vernehmung vorzuladen.

Anreise am 3.Oktober 2019 zur Demonstration nach Berlin

Nachdem die Befragung des LKA-Zeugen für den 70. Prozesstag abgeschlossen ist, führt der VR vier kurze Telefonate ein. Diese führte Werner S. vor allem mit Tony E. sowie einem Gesprächspartner mit Berliner Dialekt. Thematisch ging es um die Anreise zur Demonstration von „Wir für Deutschland“ unter dem Motto „Tag der Nationen“ am 3. Oktober 2019 in Berlin. Die Aufnahmen sind teils schwer zu verstehen. In einem ersten Gespräch am Abend des 2. Oktober 2019 zeigt sich Werner S. gegenüber Tony E. verärgert darüber, dass er nach Jahren des Suchens nur rund 15 gute Leute gefunden habe. Am liebsten würde er sich in die Südtiroler Berge zurückziehen. Als Treffpunkt für die Demonstration wird für 12 Uhr ein Parkplatz in Bahnhofsnähe angedacht, der nicht sehr gut kameraüberwacht sei.

Am frühen Morgen des 3. Oktober 2019 erfährt Werner S. von Tony E., dass „Marcello“ [Marcel L.] seine Teilnahme abgesagt habe. Tony E. habe sich bei der Anreiseinformation auf einen Thorsten verlassen. Ihr Parkplatz liege zwischen dem von Ralf N. („Bruderschaft Deutschland“) und dem Versammlungsort. Werner S. kündigt an, er müsse auf dem Weg zur Demonstration noch eine Marmorplatte ausliefern und werde den Ort erst gegen halb eins erreichen.

Fehlender Gesprächspartner auf der TKÜ-Aufnahme

Den vier ersten Aufnahmen aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) folgt eine Liste von 33 weiteren Aufnahmen, die der VR ins Verfahren einführen möchte. Das erste Gespräch ist besonders, weil nur Paul-Ludwig U. zu hören ist, sein Gesprächspartner jedoch nicht. In diesem Telefonat vom 18. September 2019 berichtet Paul-Ludwig U. seinem Gegenüber von einem Treffen mit dem LKA Baden-Württemberg und der Staatsanwaltschaft in Stuttgart am Vortag. Er erklärt, er werde dort als „Beschuldigter“ geführt. Er habe im Gespräch Informationen mitgeteilt, unter anderem zum Treffen am 28. und 29. September 2019 [an der Hummelgautsche], zu dem nur die „Hardliner“ kommen würden. Ziel der Gruppe ist laut U., Aktionen durchzuführen. Außerdem berichtet er davon, dass er sich mit Johnny L. [aus Gießen] treffen wolle. Mit „einem aus der Truppe“ aus Heilbronn wolle er sich im Wald nach einem Lagerort für „Sachen“ umsehen. Am Telefon beklagt Paul-Ludwig U., dass er seinem Gesprächspartner größere Dateien habe zusenden wollen, diese jedoch nicht angekommen seien. Die ihm (vermutlich) mitgeteilte E-Mail-Adresse wiederholt U. am Telefon. Zu hören ist jedoch nur die Endung „.hessen.de“.

Auf die Frage von RA Herzogenrath-Amelung, warum nur ein Gesprächspartner zu hören sei, erklärt der VR, es gebe „Dinge zwischen Himmel und Erde, die ich nicht erklären kann“.

Ein „anderer V-Mann“

Anschließend werden drei weitere TKÜ-Aufnahmen abgespielt, die ebenfalls zum Teil schwer zu verstehen sind. In einem rund 20-minütigen Gespräch vom 24. September 2019 um 0.52 Uhr spricht Paul-Ludwig U. mit einem nicht nüchtern klingenden jungen Mann. Im Vergleich zu anderen überwachten Gesprächen des Verfahrens verhält sich Paul-Ludwig U. weniger dominant. Er hört dem anderen zu, der von persönlichen Problemen spricht. Paul-Ludwig U. versucht im Gespräch, den jungen Mann aufzumuntern: „Das schaffst du schon, du bist noch jung“. Er verspricht, nach der Demonstration in Berlin am 3. Oktober zu seinem Gesprächspartner zu fahren. Beide versichern, einander zu vermissen.

In einem Telefonat vom Nachmittag des 2. Oktober 2019 mit dem LKA-Beamten Michael K. berichtet Paul-Ludwig U., ihm sei am Morgen bei einer Kontrolle am Heidelberger Hauptbahnhof eine Waffe abgenommen worden. U. spricht im weiteren Verlauf von einem „anderen V-Mann“. RA Picker interpretiert diese Stelle so, dass U. ein Selbstverständnis als V-Mann pflege, und stellt fest, dass U.s Gesprächspartner weder widerspricht noch korrigiert.

In der letzten Aufnahme, die an diesem Prozesstag abgespielt wird, verabredet sich Paul-Ludwig U. mit seinem Gesprächspartner in Marburg. In dem Gespräch vom Vormittag des 4. Oktober 2019 erklärt sich sein Gesprächspartner bereit, U. mit dem Auto abzuholen. U. solle Bescheid geben, wann er in den Bus steige. Man brauche kein Auto mit getönten Scheiben, um ihn abzuholen. Auch in diesem Telefonat erwähnt U. die Durchsuchung am Heidelberger Hauptbahnhof und dass er sich mit dem LKA [Baden-Württemberg] im Austausch hierüber befinde. Anschließend unterbricht der VR die Hauptverhandlung.

Comments are closed.