Prozesstag 68: Wurden Anschläge auf den Bundestag geplant?

Am 19. Mai 2022, dem 68. Prozesstag gegen die „Gruppe S“, war als Zeuge Timo P. geladen, ein langjähriger Freund von Paul-Ludwig U., mit dem dieser in abgehörten Telefonaten unter anderem über die „Gruppe S“ gesprochen hatte. Neben Antworten auf Fragen zu diesen Gesprächen sollte P. auch über seinen Eindruck von U. als Person Auskunft geben. P. traute U. nicht zu, sich aufregende Lügengeschichten auszudenken. Doch der Zeuge verhedderte sich während der Vernehmung mehrmals in Widersprüche und konnte sich an vieles nur schwer erinnern. Wie er selbst sagte, könnte das auf seinen langjährigen Drogenkonsum zurückzuführen sein. Die Verteidiger*innen mehrerer Angeklagter zogen daher die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel. Dem Zeugen zufolge berichtete ihm U. schon Ende 2019 von Anschlagsplänen gegen Moscheen mit Nagelbomben – also vor dem zentralen Treffen der „Gruppe S“ in Minden am im Februar 2020. Nach der Zeugenvernehmung wurden zwei abgehörte Telefonate abgespielt: Am 18. September 2019 behauptete U. gegenüber Ralf Sch., dass Werner S. sechs Kalaschnikows, drei Pistolen sowie 150.000 Schuss Munition habe und auf seinem Hof [den S. erwiesenermaßen nie besaß] einen Tunnel für Notfälle gegraben habe. Außerdem habe ein B. aus Berlin mit U. darüber nachgedacht, wie gut der Bundestag gesichert sei. Im zweiten abgehörten Telefonat, einem Gespräch vom 24. November 2019, berichtete U. seiner Gesprächspartnerin Helena gegenüber, dass auch Werner S. darüber nachgedacht habe, in den Bundestag einzudringen, angeblich mit einer Gruppe von 200 Personen.

Der Zeuge Timo P. (42) aus Hagen betritt den Raum, ein schmächtiger Mann mit Glatze. Er stellt sich eingangs kurz vor: Er sei verheiratet, aber stehe vor der Scheidung und lebe von seiner Frau getrennt. Mit ihr habe er zwei Kinder, zwei weitere habe sie aus erster Ehe mitgebracht. Er habe in Hagen nach der 10. Klasse die Hauptschule abgeschlossen und danach eine Gas-&Wasserinstallateur-Ausbildung begonnen, diese aber wegen seines Drogenkonsums wieder abgebrochen. Aktuell sei er ohne Beschäftigung und seit „bestimmt schon 15 Jahren“ in einem Substitutionsprogramm mit Methadon für einen Heroinentzug. Vor drei Wochen habe er eine Entgiftung von Crack durchgemacht und außerdem in einem rund sechsmonatigen Rückfall „sehr viel Benzodiazepinen und THC“ konsumiert. Er lebe allein, habe aber eine gerichtlich bestellte Betreuung für „Papierkram“. Den Angeklagten Paul-Ludwig U. kenne er seit 2004 von seiner Haftstrafe in der JVA Werl. Der VR muss dem Gedächtnis des Zeugen etwas auf die Sprünge helfen und verliest dessen abgesessenen Strafen: eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, später zwei Jahre Freiheitsstrafe. „Dazwischen habe ich versucht, Therapie zu machen, aber es nicht geschafft“, wirft P. ein. Zusätzlich zur JVA Werl habe er auch schon in Iserlohn und einmal in Untersuchungshaft in Hagen gesessen.

Widersprüchliche Angaben

Als der VR nach dem Kontakt zu U. fragt, erklärt der Zeuge: „Wir telefonieren, und manchmal kommt er mich besuchen. Er hat auch schon eine längere Zeit bei mir gewohnt.“ Als er, P., aus der Haft entlassen worden sei, sei noch inhaftiert gewesen. P. sagt, er habe U.  „in mehreren Knästen und Forensiken“ besucht: in Dortmund, Hagen und Werl. Nachdem U. entlassen worden sei, habe dieser ihn mehrmals für einige Tage besucht, zuletzt vor über einem Jahr. Man habe weiterhin Kontakt gehalten: „Immer wieder zwischendurch haben wir uns erzählt, was wir erlebt haben.“ Vor drei oder vier Jahren hätten sie sich persönlich getroffen; telefoniert hätten sie zuletzt vor drei oder vier Monaten – wenig später spricht der Zeuge hier von „neun Monate oder ein Jahr“. Bei ihrem letzten Telefonat habe U. unter anderem erzählt, dass er eine Freundin habe, seine Ausbildung beendet habe und nun Rettungssanitäter sei. Seinem Eindruck nach sei es U. abgesehen von Asthmaanfällen damals gut gegangen. In den vergangenen Wochen hätten sie zwar nicht telefoniert, aber sich über WhatsApp geschrieben und Sprachnachrichten verschickt – später im Verlauf des Prozessesstages hingegen behauptet P., die letzten Nachrichten hätten er und U. vor einem halben Jahr ausgetauscht.

„Wir sind wie Brüder“

„Was ist er denn für ein Typ“, will der VR wissen. „Der gutherzigste Mensch und Freund“, beschreibt der Zeuge, „wo ich sagen kann, dass er aufrichtig ist, loyal, und immer da, wenn irgendwas war“. Schon in der gemeinsamen Haftzeit sei U. immer der „Aufmunterer“ gewesen und habe „viel Spaß gemacht“. U. sei beliebt gewesen, habe Freunde und nie Probleme gehabt. „Wir sind wie Brüder“ oder mindestens beste Freunde, beschreibt P. die Beziehung. U. habe ihm auch geholfen, dem Suchtdruck standzuhalten.

Seit er U. kenne, habe sich dieser nicht verändert. „Der war immer korrekt und immer gleich.“ P. bestreitet, jemals das Gefühl gehabt zu haben, das U. lügt oder, wie es der VR ausdrückt, „große Geschichten erzählt“.

Der VR fasst U.s Lebenslauf nach der Entlassung aus der JVA Köln im Juli 2018 zusammen: „Er lebt eine Weile in NRW und zieht dann nach Baden-Württemberg. Hat er erzählt, warum?“ Der Zeuge verneint. U. habe ihm nur erzählt, dass er eine Umschulung machen und seine Ausbildung durchziehen wolle.

Der VR fragt nach der Gruppe „Ehre, Stolz, Loyal, Respekt“ (ESLR) aus Gießen, zu der U. einem Telefonat zufolge seit Ende 2019 gehören soll. Der Zeuge kann sich daran nicht erinnern, merkt aber an, dass er damals in einem Rückfall Tabletten konsumiert habe und sich deswegen an einige Telefonate mit U. aus diesem Zeitraum nicht erinnern könne.

Ende 2019: „Er hat gesagt, dass die irgendwelche Bomben in Moscheen schmeißen wollten.“

Ebenfalls Ende 2019 habe U. dem Zeugen am Telefon erzählt, dass er zu einem Treffen nach Hamburg fahre und auf dem Weg dorthin P. besuchen könnte. U. habe später erzählt, dass kurzfristig einer der „Jungs“ doch nicht komme und ohne ihn das Treffen nicht stattfinden könne. „Er hat gesagt, dass es Leute sind, die rechtsradikal sind, und dass die wohl irgendwas geplant hätten. […] Er hat gesagt, dass die irgendwelche Bomben in Moscheen schmeißen wollten, wo auch Kinder, Frauen und Männer zu Schaden kommen können. Und ab da hat er gesagt: Da macht er nicht mehr mit.“ Später präzisiert der Zeuge, U. habe von „Nagelbomben“ gesprochen. Das hätte laut U. auf dem Treffen bei Hamburg besprochen werden sollen. Außerdem habe U. ihm erzählt, „dass er schon bei der Polizei gewesen ist und im Zeugenschutzprogramm“. Als der VR nachhakt, ist sich P. doch nicht mehr ganz sicher, wann U. erzählte, dass er bei der Polizei und wann er im Zeugenschutzprogramm gewesen sei. Von der Staatsanwaltschaft oder dem Generalbundesanwalt habe U. jedenfalls nichts erzählt. „Er wollte noch Infos sammeln. […] Die Polizei hat das geprüft, und er war wohl glaubwürdig.“ Als der VR fragt, ob U. ein Agent Provocateur gewesen sei, ist der Zeuge unsicher. „Das weiß ich nicht mehr genau.“

„Die wollen ihn mit reinziehen“

Auch über die Gruppenmitglieder habe U. nichts gesagt. An eine Erwähnung in einem überwachten Telefonat mit U. von „Menschen aus Norddeutschland bis Süddeutschland und Italien“ und „Fremdenlegionäre“ kann sich der Zeuge auch nach Vorhalt des VR nicht erinnern. Politik sei „nie unser Thema gewesen“, beteuert der Zeuge, auch nicht die politische Haltung von U.s Gruppe. P. erzählt, er habe die Gruppe als rechtsextrem eingeschätzt, nachdem U. erzählt habe, dass sie gegen Moscheen vorgehen wollten. „Ansonsten könnten sie ja auch in eine christliche Kirche gehen und Bomben schmeißen.“

Der Zeuge berichtet, U. habe erzählt, er sei über „irgendeinen Kollegen aus dem Knast in Rheinbach“ in Kontakt zur „Gruppe S“ gekommen. An den Namen dieses Mithäftlings kann sich P. nicht erinnern. Jedenfalls habe dieser Bekannte U. der Gruppe vorgestellt; U. selbst habe damals gar nicht gewusst, warum er sich mit diesen Leuten treffen sollte.

Der VR fragt den Zeugen, ob U. die Namen „Gruppe S“, „Teutonico“ [Werner S.], Tony, Matze, Ralf, [Thomas] N. erwähnt habe. Der Zeuge sagt, den Gruppennamen habe er mal gehört, die anderen Namen hingegen würden ihm nichts sagen. Ob der Begriff „Bürgerkrieg“ gefallen sei, will der VR wissen. Daran kann sich P. erinnern: „2020 war eine größere Aktion, und eine ganz Reihe von Männern sind ins Gefängnis gekommen.“ Das habe U. ihm erzählt. „Er meinte, dass er mit der Polizei so weit ist, dass die einen Haftbefehl rausgeben konnte.“ Danach habe U. erzählt, dass er „mal hier, mal da“ in verschiedenen Wohnungen gelebt habe und nun selbst vor Gericht stehe. „Man denkt, dass er was damit zu tun hat. Die wollen ihn mit reinziehen.“

Wieder die Frage nach U.s Rolle: V-Mann? Quelle? Bezahlter Spitzel?

Als der VR fragt, welche Strafe U. erwarte, sagt P., das sei nie zur Sprache gekommen: „Weil er ist ja Zeuge im Zeugenschutzprogramm. Und da dachte ich, dass er keine Strafe kriegt.“ Das mit dem Zeugenschutzprogramm habe P. seinem Freund geglaubt, berichtet er: „Wenn er das sagt, dann ist das so.“ Das LKA Baden-Württemberg beschütze U. Der VR fragt nach Herrn K., Frau S. und Herrn W. vom LKA und der Bewährungshilfe. Der Zeuge sagt, ihm sage das nichts.

Der VR fragt weiter nach konkreten Bezeichnungen aus Gesprächen mit U. Ob dieser sich V-Mann genannt habe? Der Zeuge mutmaßt: „Ja, das kann man V-Mann nennen. Weil er der Hauptzeuge ist.“ Das Wort „Quelle“ hingegen sei nicht gefallen. U. habe auch nicht erzählt, dass er Geld vom LKA bekomme oder im Zusammenhang mit der „Gruppe S“ viel herumfahre. „Über Geld haben wir nicht gesprochen.“ Der VR widerspricht und hält dem Zeugen ein abgehörtes Telefonat mit U. vom Dezember 2019 vor. Darin sage U., dass er jeden Monat mindestens 1.500 Kilometer weit fahre und das alles selbst finanzieren müsse, sonst würde der Prozess später platzen. Auch nach diesem Vorhalt erinnert sich der Zeuge nicht. Auch nach einem weiteren Vorhalt des VR, dass U. in einem Telefonat von Schwierigkeiten wegen einer Waffe erzählte, erinnert sich der Zeuge nicht an das Gesagte [U. wurde 2019 auf dem Weg zu einem Treffen am Hauptbahnhof Heidelberg kontrolliert. Dabei nahm ihm die Polizei eine CO2-Waffe ab, die er nicht hätte mit sich führen dürfen.]

Zeuge bestreitet U.s Drogenkonsum

Nun will der VR wissen, was der Zeuge über U.s Drogenkonsum weiß. „Er raucht nur Tabak, keine Drogen“, erklärt dieser. Nur zu Beginn seiner Haftzeit habe U. „etwas genommen“. Betrunken habe er U. nie erlebt. P. erwähnt U.s Eigenart, Tabak durch eine Klopapierrolle zu rauchen, eine sogenannte Kawumm.

Der VR kommt auf das Vorwissen des Zeugen zum Prozess gegen die „Gruppe S“ zu sprechen und fragt P., ob er in den Medien etwas darüber erfahren habe. P. bejaht, er habe einen kleinen Report gesehen. Weiter fragt der VR: „Gab es mal einen Moment, wo Sie dem Paul ins Gewissen geredet haben: Was machst du für einen Scheiß?“ P. gibt wieder, was U. ihm gesagt habe: „Er wusste nicht, dass das so Leute sind.“ „Wann hat der das kapiert“, will der VR wissen. P. erwidert: „Das kann ich nicht sagen. Ich glaube, nicht nach dem ersten Treffen, sondern nach ein paar Treffen.“ Allerdings hat P. offenkundig Schwierigkeiten, diese angeblichen Treffen zeitlich einzuordnen, und erzählt von einem Notfall in diesem Zeitraum: Er sei unter Drogeneinfluss eingeschlafen, als er mit U. telefoniert habe. U. habe daraufhin aus der Ferne einen Rettungswagen für ihn gerufen.

Der psychiatrische Sachverständige hat Fragen

Damit sind die Fragen des VR beantwortet, und er übergibt das Wort an die anderen Verfahrensbeteiligten, zuerst an den Sachverständigen (SV) Dr. Winckler. Dieser will unter anderem wissen, was der Zeuge über psychische Probleme U.s wisse. „Gar nichts“, sagt P. erst, fügt dann aber an, dass U. einmal erzählt habe, „dass er mit sich zu kämpfen hat, weil er so lange weggesperrt war und jetzt erst mal packen muss, dass er jetzt frei ist.“ Wegen seiner körperlichen Erkrankungen habe U. mal gesagt, „er hofft, dass er noch ein paar Jährchen zu leben hat“. Der Zeuge sagt aber auch, er selbst habe U. allerdings nie niedergeschlagen oder bedrückt wahrgenommen. Auch Stimmungsschwankungen seien ihm nicht aufgefallen.

Der SV will genauer wissen, ob U. ein Geheimnis aus seinem Kontakt zu Rechtsradikalen gemacht habe. „Er hat schon gesagt, dass er über manche Sachen nicht sprechen darf“, bestätigt der Zeuge. Wer U. das untersagt habe, fragt der SV. „Die Polizei“, antwortet der Zeuge. „Weil er im Zeugenschutzprogramm ist.“

Nach dem SV stellen die Verteidiger*innen ihre Fragen. Es beginnt Thomas N.s Rechtsanwalt (RA) Stehr mit der Frage, was U. genau arbeite. Der Zeuge antwortet, U. habe gesagt, er sei Beifahrer beim Krankentransport.

Nachrichten zwischen U. und dem Zeugen nicht mehr auffindbar

RA Herzogenrath-Amelung, Verteidiger von Frank H., interessiert sich für U.s Lebensplanung nach dem Prozess. Der Zeuge sagt dazu, „dass er mit seiner Freundin sein Leben leben will, draußen.“ Gefragt nach U.s sexuellen Interessen wirft der Zeuge das Stichwort „bisexuell“ ein, an Hobbys hingegen kann er sich nicht erinnern. Auch ob U. eine Waffe hatte, kann er nicht sagen.

Die Verteidigung von Tony E. interessiert sich dafür, ob U. mit P. über seine Rolle als Zeuge gesprochen habe. P. bejaht: U. habe ihn vergangenes Jahr kontaktiert und gesagt, „dass ich hier aussagen soll. […] Weil er mir die Geschichte übers Telefon erzählt hat, wäre ich Mitwisser, und deswegen würde ich vorgeladen.“ Das habe ihm U. per WhatsApp-Sprachnachricht mitgeteilt. Auf die Frage, mit welcher Handynummer er U.s Nachrichten empfangen habe, erzählt der Zeuge, er habe drei SIM-Karten, von denen eine zwischenzeitlich verloren gegangen und später wieder aufgetaucht sei. Auf seinem Handy sei von damals nichts mehr gespeichert, da es zwischenzeitlich abgestürzt sei; auf seinen SIM-Karten lösche er alle zwei Wochen alle Chatverläufe, um Speicherplatz freizuhalten. Ein voriges Handy, auf dem ältere Nachrichten von U. gespeichert sein könnten, habe er schon lange nicht mehr.

P. wird auch gefragt, ob er seinen Aufenthalt in Stuttgart nicht genutzt habe, um seinen „Bruder“ U. nach so langer Zeit mal wieder persönlich zu treffen. P. verneint: Er habe sich gedacht, als Zeuge sollte er das nicht tun, weil man sich sonst vielleicht absprechen oder zumindest den Eindruck einer Absprache erwecken könnte.

U. leugnete laut P., sich an Gesprächen über Anschläge beteiligt zu haben

Die Verteidigung von Steffen B. fragt, ob P. genauer sagen könne, wann U. seine Ausbildung zum Rettungssanitäter abgeschlossen habe („Nein“) und seit wann er wisse, dass U. eine Freundin habe („Ist schon länger her, den genauen Zeitraum kann ich nicht sagen.“). Letzteres habe U. jedenfalls vor dem Gespräch bezüglich P.s Vorladung als Zeuge erzählt, Ersteres danach; irgendwann im Laufe des Jahres 2021.

Wolfgang W.s RA Grassl, fragt, ob P. etwas darüber wisse, welche materiellen Leistungen U. im Zeugenschutz erhalte. Der Zeuge verneint, erwähnt aber, dass U. ihm Fotos von seiner neuen Wohnung geschickt habe. Zum Charakter dieses Zeugenschutzes sagt P., U. habe erzählt, „dass das Personenschutz ist, und die Leute immer wissen, wo er ist“. Mehr wisse er nicht. „Hat U. mitgeteilt, ob er sich selbst für schutzbedürftig erachtet? Hatte er Angst?“ „Ja klar“, erwidert der Zeuge. „Vor den Leuten, die das [Anschläge auf Moscheen] machen wollten.“

Weiter fragt der RA: „Hat U. mitgeteilt, was er zu den Ideen bezüglich Anschlägen gesagt hat?“ Der Zeuge erklärt, U. habe laut eigener Aussage nichts zu den Plänen gesagt, sondern nur zugehört und ein Bier getrunken. RA Grassl stellt seine letzte Frage: „Haben Sie festgestellt, dass U. zur Ausübung von Gewalt neigen könnte?“ P. verneint.

Wie steht U. zu seinem Verrat?

Wolfgang W.s RAin Rueber-Unkelbach sieht darin einen Widerspruch zu P.s Wissen darüber, dass U. unter anderem wegen einer Geiselnahme in Haft saß. P. argumentiert, das habe U. nicht aus Gewaltaffinität getan, sondern aus Wut über das Unrecht der langen Haft und Verwahrung. Weiter will die RAin wissen, ob U. die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm belastet habe. „Jein“, sagt der Zeuge: „Er weiß, dass er das Richtige getan hat. Aber es gibt so einen Kodex, dass man nicht zur Polizei geht und aussagt. […] Aber es ging ja um Menschenleben.“ Von einer neuen Identität habe U. nie erzählt, und auch sonst keine Details über seinen Zeugenschutz genannt. Der Zeuge fügt an, als Familienvater auch nichts mit solchen belastenden Geschichten „und allem, was hier gerade abläuft“ zu tun haben zu wollen. „Ich habe Kinder. Wenn ich solche Vorwürfe höre oder was die da genau machen wollten, dann dreht sich mir der Magen um.“

Erneuter Verdacht: Nutzte U. verschiedene Handynummern, um eine Überwachung zu umgehen?

Marcel W.s RA Picker fragt, ob der Zeuge wisse, dass seine Telefonate mit U. überwacht wurden. P. antwortet: „Ich habe einen Brief bekommen, dass ich von dem bis zu dem Zeitraum abgehört wurde.“ Der RA will auch wissen, ob sich U. immer unter derselben Handynummer gemeldet habe. [Er spricht damit offenbar eine Vermutung an, U. könnte während seiner Zeit in der „Gruppe S“ mehrere Handys und Nummern genutzt haben, um eine Überwachung zu umgehen.] P. kann sich nicht mehr mit Sicherheit erinnern; erst bestätigt er das, dann spricht er von wechselnden und unterdrückten Rufnummern. Die Gespräche seien jedenfalls nicht für dieses Verfahren relevant, abgesehen von den letzten, über deren Inhalt er heute schon gesprochen habe.

RA Mandic will genauer wissen, wie sich U. als „großer Bruder“ im Knast um P. gekümmert habe. „Ich hatte damals Stress mit Russen. Er war länger da und kannte die. Er hat dann geschlichtet“, fasst der Zeuge zusammen. Also sei U. wegen sozialer Fähigkeiten respektiert worden, nicht weil er sich gut prügeln konnte, präzisiert der RA. Der Zeuge bestätigt das. „Er hatte den Respekt, weil er sich an Regeln gehalten hat.“ RA Mandic fragt: „Schulden Sie ihm was? Fühlen Sie sich ihm verpflichtet? Würden Sie für ihn lügen?“ P. verneint all diese Fragen.

„Ist ja klar, dass die Anwälte der anderen ihn als unglaubwürdig hinstellen werden.“

Weiter fragt RA Mandic den Zeugen, ob U. ihm von Gefahren durch die Gruppe berichtet habe. „Er hat schon gesagt, dass wenn sie ihn kriegen würden, dass er kräftig Probleme kriegt mit denen“, antwortet P. Auch den Prozess habe U. als „stressig“ beschrieben. Dass es im Verfahren auch um seine Glaubwürdigkeit geht, habe U. nicht erzählt. „Aber das habe ich mir schon gedacht“, fügt P. an. „Ist ja klar, dass die Anwälte der anderen ihn als unglaubwürdig hinstellen werden.“ Bezüglich seiner Zeugenaussage habe U. ihn nicht beeinflusst oder ihm gesagt, was er aussagen solle. „Ich habe gesagt, ich erzähle die Wahrheit. Das war‘s. Ich mache mich nicht strafbar. Ich habe lange genug im Knast gesessen. Und so, wie ich Paul kenne, brauche ich nichts abzusprechen. Ich kann, wenn ich die Wahrheit sage, nur Gutes tun.“

Als der RA ihn fragt, ob er jemals Geld von U. verlangt habe, oder umgekehrt, verneint P. „Aber ich habe mal aus Spaß gesagt, dass ich von seiner Entschädigung für die Haft, die er nicht hätte verbüßen müssen, 50 Prozent will.“

RA Picker: „Bedingungslose Glaubensbereitschaft“ des Zeugen gegenüber U.

Da niemand weitere Fragen stellt, wird der Zeuge unvereidigt entlassen. Auch der SV verlässt den Saal, da er nur gekommen war, um den Zeugen zu hören. Danach bekommen die Verfahrensbeteiligten Raum für Erklärungen. RA Herzogenrath-Amelung beginnt und kritisiert die Beweisaufnahme als „unergiebig“ wegen des schlechten Gedächtnisses des Zeugen. Der RA verweist auf Unstimmigkeiten wie bei der Frage, wann der Zeuge U. zuletzt persönlich gesehen habe: Einmal habe es geheißen, vor einem Jahr, einmal vor drei oder vier Jahren. „Insofern muss man auch den anderen Angaben mit Vorsicht begegnen.“

Auch RA Picker hebt auf eine Persönlichkeitsanalyse ab: „Zum einen eine gewisse bedingungslose Glaubensbereitschaft vom Zeugen über Sachverhalte, die U. angibt.“ Als Beleg dafür nennt der RA einen Ausschnitt aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), als U. zu P. am Telefon gesagt habe: „Die würden Anschläge auf Innenstädte und Moscheen planen, und zwar zeitgleich in 14 verschiedenen Städten.“ Der RA kommentiert: „Dass er so was niemals in Zweifel gezogen hat, gibt zu denken.“

Als zweiten Kritikpunkt nennt RA Picker die Drogenschädigung des Zeugen. „Als er hier reingekommen ist, hat er geschwankt!“ Zwar habe P. recht klare Aussagen gemacht und den Vorhalten folgen können, aber der RA bezweifelt, ob P. dazu geeignet ist, U.s Aussagen glaubwürdig zu bestätigen. Der VR hakt ein: Das Zitat stamme nicht aus einem Telefonat U.s mit P., sondern mit einer anderen Person. Das sei in der ursprünglichen Akte falsch angegeben, aber bereits korrigiert worden.

Marion G. und ihre angeblichen 60 Leute

Anschließend geht der VR dazu über, Aufnahmen aus der TKÜ abzuspielen. Zuerst ein einstündiges Telefonat vom 18. September 2019 zwischen U. und einem Ralf Sch. Eingangs erzählt Sch. von seiner Krebserkrankung, dann wenden sie sich U.s politischer Aktivität zu. [Wegen der schlechten Audioqualität und breitem schwäbischen Dialekt konnten nur Bruchstücke des Telefonats protokolliert werden. Außerdem war aus demselben Grund oft nicht zuzuordnen, wer der beiden Gesprächspartner was sagte. Daher wird das Telefonat hier nur sehr grob zusammengefasst.]

Einer der beiden Gesprächspartner [vermutlich U.] spricht von einem Chat, der einen Gruppenleiter habe und eigentlich 18 Moderatoren haben sollte, die aber teils nicht einmal Mitglieder des Chats seien. Gruppenleiterin sei Marion G. „Die kommt von Telegram. […]  Sie sagt, sie hätte 60 Leute.“ G. habe ihm geschrieben, dass ihre Leute auf Telegram bleiben wollten.

U. über Werner S.: Sechs Kalaschnikows, drei Pistolen, 150.000 Schuss Munition und ein Tunnel

Nun spricht U. über Waffen und echauffiert sich dabei über Werner S. „Der ist doch nicht ganz dicht, der hat von Taktik keine Ahnung! […] Wenn mir einer erzählt, er hat sechs Kalaschnikows auf dem eigenen Hof und einen Tunnel gebaut für Erdbeben, und der Tunnel wäre eingestürzt…“ Weiter erwähnt er, S. habe zu seinen Kalaschnikows auch 150.000 Schuss Munition, sowie „normale Handfeuerwaffen, Walther und zwei 9 Millimeter Colts, und halt Schlagstöcke“. Ralf wirft ein: „Das ist ja Schwachsinn, das ist doch gefährlich!“ U. stimmt zu und fährt fort, der Tunnelbauer sei auch Moderator „in der Sieben“ [offenbar eine Chatgruppe]. „Ich habe ihn zum Moderator gemacht im ‚Deutschen Widerstand‘. Und hab ihn jetzt im ‚Landser‘.“

Gespräche über mögliche Schwachstellen in der Sicherheit des Bundestages

Einer der beiden Telefonierenden erzählt von jemandem, der sich „ohne mein Wissen“ mit einem B. aus Berlin getroffen habe, der dort in NPD-Kreisen aktiv sei. „Den habe ich schon mal auf einem Fahndungsfoto gesehen. Das sind Asoziale, die haben vorher nichts erreicht in ihrem Leben. Und jetzt wollen die bei uns die große Nummer durchziehen. […] Diese Leute haben doch zu viele Filme geguckt!“ Dann erzählt er, er habe mal den Bundestag besucht. Daraufhin habe B. ihn gefragt, „ob die Zuschauerkanzel da oben, ob das offen ist oder geschlossen. Das ist doch offen zu sehen, dass es offen ist.“

Dann echauffiert sich einer der beiden Gesprächspartner über einen Konflikt in einer der Gruppen: „Die drohen mir mit Entfernung! […] Alle Moderatoren sind angehalten, nicht mehr wegen jedem Scheißdreck ein Statement zu bringen. Ich, du, der Hans, der Leader, wir geben keine Statements mehr ab. Somit können sie uns nicht mehr sperren. Und es gibt eine Gruppe, der ‚Landser‘, das ist wie ein Archiv. Da lassen wir alles auflaufen. Und jeden einzelnen Bericht guck ich mir an, und dann wird entschieden: löschen, entfernen.“

Anschließend lamentiert er über eine angebliche Überwachung von Online-Diensten. „Telegram, Instagram, WhatsApp, Google, das ist alles ein Verein. Das ist eine Organisation. Wenn du deine Daten in Google eingibst, kriegst du das nie wieder raus.“ Er habe versucht, seine Daten bei Facebook zu löschen, sei aber gescheitert. Er spricht von einem „großen Lauschangriff“ und von „Beschattung“. [Anschließend ist ein längerer Ausschnitt des Gesprächs fast gänzlich unverständlich.]

Kleine und größere Streitereien unter Rechten

Sie sprechen über einen Harry Z.:. „64 Jahre alt, ehemaliger Zuhälter, im Milieu in Mannheim“. Z. habe behauptet, er habe mit diesem Job 20 Millionen Euro Umsatz gemacht. Außerdem habe Z. gesagt, „unsere Gruppe könnte man vergessen, er hätte sich das anders vorgestellt. Ich hätte von Taktik keine Ahnung. Ich habe ihm geschrieben, was das soll. […] Ich reiße mir hier den Arsch auf!“ Er habe Z. die Rolle als Gruppenleiter im Chat „Widerstand“ entzogen. Nun gehe Z. nicht mehr ans Telefon. „Er hat das alles schon geplant. Aber der hat vom Tuten und Blasen keine Ahnung.“ Z. habe „mit Eli rumgemacht“. Diese Eli komme auch am 6. [vermutlich ist der 6. Oktober 2019 gemeint], genauso wie eine Helena aus dem Bayerischen Wald und ein Hans aus Hamburg.

Einer der Gesprächspartner zeigt sich besorgt über die deutsche Wehrhaftigkeit: „Die Bundeswehr hat nur noch Munition für 24 Stunden.“ [Erneut sind weite Teile der Aufnahme unverständlich.]

Einer der beiden spricht über einen Plan, den er offenbar hegt: „Wir müssen uns sputen, sonst brauchen wir auch keine Spendenaktion mehr. Ich habe für jeden Einzelnen von euch eine feste Aufgabe.“

Dann sprechen sie über „Kanaken“, zu deren Gunsten die Kriminalstatistik verfälscht werde. Einer der beiden beziffert ihren Anteil unter seinen Mithäftlingen mit 80 Prozent. „Das ist unglaublich!“ Nach etwas Geplänkel über die Vorzüge verschiedener Supermärkte und Discounter verabschieden sie sich.

RA Herzogenrath-Amelung: S.‘ angebliches Waffenlager und sein Tunnel sind eine Lüge

Der VR fragt nach Erklärungen. RA Herzogenrath-Amelung greift die Passage über Werner S. auf: „Da wird berichtet, dass ihm S. erzählt habe, er habe sechs Kalaschnikows mit 150.000 Schuss Munition in einem Tunnel unter seinem Hof gehabt. […] Das ist interessant, weil wir wissen, dass S. nie in einem Grundbuch stand, also keinen Hof hatte. Und das mit den sechs Kalaschnikows dürfte denselben Wahrheitsgehalt haben, wie dass er bei den Alpini war oder bei der Bundeswehr: Alles hochgradig gelogen.“ Der RA bemerkt abschließend, dass er auch die angeblichen Äußerungen von S. beim Mindener Treffen 2020 für „nur Geschwätz“ halte.

Da sonst niemand etwas zum gehörten Telefonat sagen möchte, spielt der VR die nächste TKÜ ab: ein Gespräch vom 24. November 2019 zwischen Paul-Ludwig U. und einer Helena. Es dauert etwa eine halbe Stunde. [Wieder lässt sich teils nicht rekonstruieren, wer was sagt, und wieder sind weite Teile des Telefonats kaum zu verstehen.] Werner S. wird darin als „Querulant“ bezeichnet, der „ständig rummotzt“ und „Eifersuchtsnummern“ habe.

Plante Werner S., mit einer Gruppe in den Bundestag einzudringen?

Weiter sprechen sie darüber, dass Werner S. gefragt habe, „wie es im Bundestag innen drin aussieht. […] Keine Chance. Wenn wir in den Bundestag reinkommen, werden wir gefilmt. […] Und wir können uns nur als Gruppe anmelden, da müssen wir ein Verein sein. […] Es gibt einen wunden Punkt am Bundestag, das ist sein Dach. Dazu bräuchten wir aber die richtigen Leute mit militärischer Ausbildung. Leute, die topfit sind. Und da muss ein Operationsplan erstellt werden. Wenn wir uns da vom Dach rein stürzen, oh leck mich am Arsch.“

Kurz darauf sagt einer der beiden Telefonierenden: „Ich habe ja dem Teutonisch erklärt, mit zweihundert Mann den Bundestag stürmen ist völliger Schwachsinn. Hundert werden verhaftet und hundert eingekesselt. […]  Und alle kriegen sie 30 Jahre Gefängnis. Ist ja klar, das ist Hochverrat, damit musst du ja rechnen.“

„Da werden auch Migranten kommen und dich bedrohen“

Sie sprechen über eine Mitstreiterin namens Edith. U. bittet Helena, sich mit ihr anzufreunden: „Wir brauchen die noch ein bisschen. Mach auf Sympathie.“ U. kündigt an: „Ich muss zu euch, zu jedem Einzelnen, immer wieder. Ihr müsst mich sehen, ich muss euch richtig kennenlernen. Das geht nicht anders. Wir kriegen es sonst nicht hin. Der Christian ist schon weiter.“

An Helena gerichtet warnt U.: „Du bist an der Front. Du bist dir das schon bewusst? Da werden auch Migranten kommen und dich bedrohen.“ Abschließend albern sie noch eine Weile herum, kichern und wünschen sich gute Nacht.

Niemand meldet sich zu diesem Beweisstück zu Wort, daher beendet der VR den Prozesstag.

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