Nachdem der Prozess gegen die „Gruppe S“ sechs Wochen wegen Erkrankungen und Corona-Quarantäne pausieren musste, wurde er am 17. Mai 2022 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart mit der Befragung des bayerischen Kriminalbeamten Florian G. fortgesetzt. Der Polizist war bei der Hausdurchsuchung beim Angeklagten Marcel W. in Pfaffenhofen für dessen Bewachung zuständig. Außerdem wurde das dritte Selbstleseverfahren abgeschlossen. Aus den Reihen der Verteidigung wurden Zweifel am Beweiswert der Chatauszüge geäußert. Es folgten mehrere Aufnahmen aus der Telekommunikationsüberwachung. In einem Gespräch unterhielt sich Marion G. mit einem Mann aus Norddeutschland über Stützpunkte im Ausland, auf die man sich zurückziehen könnte, um von dort aus Rückschläge gegen von ihr befürchtete Angriffe von Migranten zu starten. In einem weiteren Gespräch unterhielten sich zwei ehemalige „Gelbwesten“ aus der Region Heilbronn über dieselbe Thematik und den Wunsch, dass die Regierung gestürzt werden möge. Es wurde behauptet, im Untergrund würden Vorbereitungen dazu laufen.
Nach einer sechswöchigen Unterbrechung wird der Prozess gegen die „Gruppe S“ vom Vorsitzenden Richter (VR) fortgesetzt. Seit dem letzten Verhandlungstag am 5. April fielen sieben Prozesstermine wegen coronabedingter Absonderungen und anderweitiger Erkrankungen von Verfahrensbeteiligten aus. Der VR erklärt, dass man sich durch die neue Absonderungsordnung nun in der Situation befinde, dass weiter verhandelt werde, selbst wenn Verfahrensbeteiligte nach der Rückkehr aus der verkürzten Quarantäne weiterhin hochansteckend sein könnten. Die Corona-Verordnungslage stimme nicht mit der medizinischen Lage überein, kritisiert der VR. In den Vollzugsanstalten gebe es eine sich „dramatisch zuspitzende Infektionssituation“. Vor diesem Hintergrund werde überlegt, alle Angeklagten in die JVA Stuttgart zu verlegen, da diese bislang am besten mit der Coronasituation umgehen könne. Der Senat bemühe sich darum, Sitzungsausfälle zu vermeiden.
Steffen B.s Verteidiger, Rechtsanwalt (RA) Ried, stellt einen Antrag gegen die Fortsetzung der Hauptverhandlung. Er beantragt, die Haftbefehle des Bundesgerichtshofs in Form der vom OLG Stuttgart verlängerten Haftbefehle aufzuheben und die Verhandlung nicht weiter fortzusetzen. Die sechswöchige Unterbrechung sei eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes zu Lasten der Angeklagten. Die bestehende Regelung sei verfassungswidrig. Oberstaatsanwältin Bellay widerspricht dem Antrag: Die Fristen seien gewahrt worden; die in der Corona-Zeit erlassene Verordnung soll sicherstellen, dass die Verhandlung unter Pandemiebedingungen fortgesetzt werden kann. RA Siebers tritt dem Antrag ebenfalls entgegen. Sollte der Senat dem Antrag nachkommen, beantrage die Verteidigung von Werner S. die Abtrennung seines Verfahrens. Nach einer Pause verkündet der Senat seine Entscheidung, den Antrag der Verteidigung von Steffen B. abzulehnen. Die Fristen seien gewahrt worden, die Verzögerung nicht der Justiz anzulasten.
Bayerischer LKA-Zeuge hatte nur wenig Vorkenntnisse zum Verfahren
Als Zeuge ist der bayerische LKA-Kriminaloberkommissar (KOK) Florian G. (45) geladen. Der VR klärt zunächst die persönlichen Daten des Zeugen ab. KOK Florian G. ist 1995 in den Polizeidienst eingetreten und arbeitet seit 2013 im Staatsschutzdezernat des bayerischen LKA. Sein Aufgabenschwerpunkt sind dort Ermittlungen gegen Gruppierungen mit Bezug zur Türkei bzw. gegen Kurd*innen. Davor war er mehrere Jahre beim Mobilen Einsatzkommando (MEK), wo er Erfahrungen mit Observationen und der Lösung mobiler Zugriffslagen sammelte.
Auf die Frage des VR, wann KOK G. erstmals in Berührung mit dem Verfahren gekommen sei, antwortet der Zeuge, dass dies rund eine Woche oder zehn Tage vor den Hausdurchsuchungen am 14. Februar 2020 gewesen sei. Am Tag der Durchsuchung habe man sich in Pfaffenhofen, dem Wohnort von Marcel W., auf der Wache getroffen und den Einsatz kurz vorbesprochen, so der Zeuge. Er habe die Aufgabe bekommen, Marcel W. zu bewachen. Vor dem Einsatz habe er nur gewusst, dass gegen eine Gruppe ermittelt werde. „Offensichtlich hat man mit einer Bewaffnung gerechnet“, so G. Die Informationen habe er von einem Herrn E. erhalten, dem Ansprechpartner des LKA Bayern. Dieser habe am Einsatzmorgen die Einsatzbesprechung zusammen mit seiner baden-württembergischen LKA-Kollegin L. geleitet.
„Weil ich greifbar war“
Gegen 6 Uhr sei am Morgen der Zugriff durch das SEK erfolgt. Nachdem die Räumlichkeiten gesichert waren, seien er und seine Kolleg*innen aus Bayern und Baden-Württemberg in die Wohnung gefolgt und hätten mit der Durchsuchung begonnen. Auf die Frage des VR nach dem Zweck der Maßnahme gibt der Zeuge an, man habe vor allem Beweismitteln gesucht. Von im Vorfeld geplanten Festnahmen habe er nichts mitbekommen. Das sei bei der Einsatzbesprechung ebenso wenig Thema gewesen wie eine mögliche Beschuldigtenvernehmung. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung sei dann die Rede von einer Vernehmung von Marcel W. durch die baden-württembergischen Beamt*innen die Rede gewesen. Auf die Frage des VR, ob er den Durchsuchungsbeschluss gesehen habe, antwortet der Zeuge, dass er ihn in den Händen des Beschuldigten W. gesehen, aber selbst nicht gelesen habe. Die Frage des VR, ob G. Zugriff auf die Ermittlungsunterlagen des LKA Baden-Württemberg hatte, verneint er.
„Warum sollten Sie, und nicht jemand anderes, den Herrn W. bewachen?“, fragt der VR. Der Zeuge lacht: „Weil ich greifbar war“. Die Personalressourcen seien eng begrenzt. Von den bayerischen Kolleg*innen sei er der einzige gewesen, der nicht in der Abteilung Rechts beim Staatsschutz tätig war.
Marcel W. soll Minden als „Treffen unter Freunden“ dargestellt haben
Im Fokus des VR steht im Folgenden die Frage, welche Situation der Zeuge im Durchsuchungsobjekt vorgefunden habe. KOK G. schildert, dass sich in der Wohnung noch einige SEK-Beamt*innen befunden hätten. Er habe den Beschuldigten W. im Wohnzimmer vorgefunden, dessen Frau und Sohn hätten sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der Wohnung befunden. Man habe die Plastikfesseln von Marcel W. entfernt und einen Bauchgurt mit Handschließen angelegt. Die Belehrung des Beschuldigten habe er nicht mitbekommen, das habe die baden-württembergische LKA-Beamtin L. schon erledigt. Außerdem habe er, so der Zeuge, auch nicht die Übergabe des Durchsuchungsbeschlusses mitbekommen.
Der VR befragt den Zeugen nach seinem Eindruck von W. in dieser Situation. KOK Florian G. schildert, dass W. relativ ruhig und gelassen gewirkt habe. W. habe den Durchsuchungsbeschluss mehrfach gelesen, genommen und weggelegt, vor- und zurückgeblättert und seine Verwunderung über den Aufwand zum Ausdruck gebracht. Zum Treffen am 8. Februar 2020 in Minden sagte W. nach Angabe des Zeugen, dass es sich um ein „Treffen unter Freunden“ gehandelt habe. Bis auf den Namen des Mitangeklagten Paul-Ludwig U. hätten ihm die Namen nichts gesagt, auch nicht der von Werner S. Paul-Ludwig U. habe beim Treffen bis auf seine Gefängnisstrafen nicht viel erzählt. Marcel W. sagte laut Florian G., dass er sich von U. habe fernhalten wollen, um nicht in eine Ecke gedrängt zu werden.
Marcel W. habe Gespräche über Umsturzpläne bestritten
Der VR greift Formulierungen aus dem Vernehmungsprotokoll auf. Demnach sagte Marcel W., in Minden sei es um Überlebenstrainings und Übernachtungen in der Natur gegangen. Der Zeuge erinnert sich, dass sich W. als naturliebhabender Mensch dargestellt habe. Man habe über neue Ausrüstungen gesprochen und darüber, dass man die Nacht draußen verbringen wolle. Vom VR darauf angesprochen, ob Marcel W. sich in Gegenwart des Zeugen über die Themen Umsturz oder Bürgerkrieg geäußert habe, sagt Florian G., dass Marcel W. diese Vorwürfe beim Lesen des Durchsuchungsbeschlusses wiedergegeben, aber bestritten habe, dass dies Thema in Minden gewesen sei. W. habe behauptet, seine Absicht sei dies ohnehin nicht. W. habe zwar seinen Wunsch nach einem Politikwechsel geäußert, habe aber gesagt, diesen wolle er auf legalem Weg ohne Gewalt erreichen. Er sei bei diesem Punkt jedoch nicht konkreter geworden. Der VR fragt den Zeugen, ob sich Marcel W. zu seiner politischen Haltung geäußert habe. Er sei nicht ausländerfeindlich, solange sich Migrant*innen ans geltende Recht halten, soll W. im Beisein des Zeugen geäußert haben.
Marcel W. machte auf Waffen in seiner Wohnung aufmerksam
Der VR erkundigt sich nach dem Gemütszustand des Angeklagten W. während der Durchsuchung. KOK G. beschreibt ihn als ruhig, gefasst, kooperativ und nicht feindselig. Er habe sich spontan geäußert, wodurch eine Kommunikation entstanden sei, allerdings nicht in einer Vernehmungssituation, so der Zeuge. Dafür habe er zu wenig über das Verfahren gewusst. Marcel W. habe während der Razzia von sich aus auf zwei Schreckschusswaffen hingewiesen, die unter einem Glastisch im Wohnzimmer lagerten. Eine Waffe habe ihm gehört, die andere seiner Frau. Außerdem habe er auf zwei Einhandmesser aufmerksam gemacht, die in einem Rucksack im Flur verstaut waren und die W. laut eigener Aussage für Übernachtungen brauchte. Der Zeuge G. habe ihn daraufhin gefragt, ob er noch andere Waffen besitze. Marcel W. habe einen Karabiner K98 genannt, der in Delitzsch bei einem Waffenhändler lagere, weil das Ordnungsamt W. den Besitz von Waffen untersagt habe. Der VR lässt Fotos der Durchsuchung an die Wand projizieren, auf denen die Fundorte und die Waffen zu sehen sind, unter anderem in einem Tarnfleckrucksack.
Keine Vorkenntnisse zu Namen und rechten Kleingruppierungen
Der VR geht auf die Nennung von Namen in Zusammenhang mit der Durchsuchung bei W. ein. Der Zeuge gibt an, dass ihm die Namen von Paul-Ludwig U., Werner S. und Frank H. zum Zeitpunkt der Durchsuchung nicht gesagt hätten. Im Verlauf des Vormittags habe er zwar mitbekommen, dass es auch in München eine Durchsuchung gegeben habe, er habe aber keinen Namen erfahren.
Der VR geht auf einen schriftlichen Vermerk des Zeugen G. ein, in dem es heißt, dass Marcel W. gegenüber der LKA-Beamtin L. aus Baden-Württemberg gesagt habe, er sei mit Frank H. nach Minden gefahren. H. sei ein „Patriot“, befinde sich aber immer auf dem „legalen Weg“, so W. Wieso G. „legalem Weg“ in Anführungszeichen gesetzt habe, möchte der VR wissen. Das habe er getan, so G, weil ihm nicht klar gewesen sei, was damit gemeint gewesen sei. Der VR fragt, ob es Anzeichen für eine rechte Orientierung des Angeklagten W. bei der Durchsuchung gegeben habe. Der Zeuge erklärt, dass nichts Entsprechendes geäußert worden und in der Wohnung auch nichts ersichtlich gewesen sei. In seinem Arbeitsbereich seien rechte Kleinstgruppierungen nicht so geläufig. So verneint der Zeuge auch, die Gruppierung „Wodans Erben Germanien“ (WEG) gekannt zu haben. Der Zeuge bestätigt eine Passage aus dem Protokoll, laut der Marcel W. gegenüber der LKA-Beamtin L. behauptete, die rechte Gesinnung von Frank H. nicht bemerkt zu haben. Laut dem Bericht der Objektverantwortlichen L. endete die Durchsuchung um 11.25 Uhr. Marcel W. wurde anschließend zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die Polizeiinspektion Pfaffenhofen gebracht. Er habe den Beschuldigten dort zuletzt gesehen, aber zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, wie es mit W. weitergehe, so G. Er habe bei der Rückfahrt nach München jedoch erfahren, dass W. nach Karlsruhe verlegt werden sollte.
Die Befragung durch die RA*innen bringt wenig Neues. Auf die Frage von Markus K.s Verteidigerin Schwaben, ob die Durchsuchungsaktion überstürzt gewirkt habe, erklärt der Zeuge, diese sei wie bei anderen „normal“ verlaufen. Der Zeuge wird schließlich unvereidigt entlassen. RA Miksch, Verteidiger von Marcel W., schließt aus dem kooperativen Verhalten seines Mandanten, dass dessen Äußerungen in Minden nicht sicherheitsrelevant gewesen seien und er sich nicht bedroht gefühlt habe.
Die Anwält*innen bezweifeln den Beweiswert des Selbstleseverfahrens
Nach der Befragung des Polizei-Zeugen geht der VR zum dritten Selbstleseverfahren über. RA Becker verliest eine Erklärung: Sein Mandant Tony E. sei nur an einem Bruchteil der vorliegenden 112 Chats auf verschiedenen Plattformen beteiligt gewesen. In Einzelchats mit Werner S. sei nach Auffassung von E.s Anwälten keine Bestrebung ihres Mandanten zu erkennen, eine Administratorenrolle zu übernehmen. In den Chats sei es vielmehr um die Vorbereitung von Treffen, das Essen, das Wetter und die Verkehrslage gegangen. E.s Frage, ob bei dem Treffen mit einem Sören auch die Frauen dabei sein könnten, lasse kein konspiratives Vorgehen erkennen.
E.s Verteidigung leitet aus diesem Selbstleseverfahren ab, dass ihr Mandant den Chats keinen hohen Stellenwert beigemessen habe und über wenig bis keine Entscheidungsgewalt verfügt habe, was sich unter anderem daran zeige, dass Werner S. Entscheidungen ohne Rücksprache mit E. gefällt habe. Nach Ansicht der RAs zeige keine Nachricht eine staatsfeindliche Gesinnung E.s.
Insgesamt zweifelt die Verteidigung E.s den Beweiswert der in das Verfahren eingeführten Chats an. Es fehle an technischen Nachweisen, Verschriftungen seien fehlerhaft, und es sei unklar, ob sich jede Nennung eines „Tony“s tatsächlich auf ihren Mandanten beziehe. Dass die Nachrichten als gelesen markiert seien, bedeute zudem nicht, dass E. auch Kenntnis vom Inhalt gehabt hätte.
Auch RAin Schwaben zweifelt am Beweiswert der Chats. Ihr Mandant Markus K. sei an nur wenigen Chats beteiligt gewesen. Es falle schwer, nachzuvollziehen, was besprochen worden sei, weil ihr Mandant Videos als Antwort gesendet habe, die inzwischen nicht mehr aufrufbar seien. Die Textnachrichten ihres Mandanten seien wenig aufrührerisch.
Zurückschlagen ohne offenen Kampf
Der VR kündigt an, ein weiteres Selbstleseverfahren auf den Weg zu bringen. Anschließend lässt er weitere Aufnahmen aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) abspielen. Das erste Gespräch ist ein rund dreiminütiges Telefonat zwischen dem Angeklagten Michael B. und einer weiteren Person vom 13. Februar 2020 um 14.49 Uhr. Der Mitschnitt ist durch zahlreiche Störgeräusche und Überlagerungen von Tonspuren kaum zu verstehen. Die Inhalte können deshalb nicht wiedergegeben werden. Von der Verteidigung wird angeregt, die Aufnahme technisch aufbereiten oder verschriftlichen zu lassen.
Im zweiten abgespielten Telefonat vom 30. September 2019 unterhält sich Marion G. mit einem Gesprächspartner aus dem Norden Deutschlands (Nähe Nordostseekanal) über Auswanderungspläne. Ungarn wird vom Gesprächspartner als Ziel anvisiert. Marion G. zeigt daran ebenfalls Interesse, sieht jedoch Probleme, ihre Mutter davon zu überzeugen.
Marion G. berichtet sodann von einem Treffen vom Wochenende [es dürfte das Treffen an der Hummelgautsche gemeint sein], bei dem sie viele Leute kennengelernt habe. Sie berichtet, dass „im Untergrund“ etwas geschehe. Sie beschreibt gegenüber ihrem Gesprächspartner ein Szenario, in dem es eine „erste Welle“ von „Eingereisten“ gebe, die alles platt mache. Darauf werde ein „Rückschlag“ erfolgen, zu dem man dann legitimiert sei. Den offenen Kampf wolle man vermeiden, weil man zahlenmäßig in der Unterzahl sei. Man brauche Stützpunkte, in denen man sich vorbereiten könne. Sobald die erste Stadt falle, lege man los. Man habe schon die ersten Stützpunkte eingerichtet, erzählt Marion G. Ihr Gesprächspartner erklärt, dass sein Plan, auszuwandern eine politische Entscheidung sei. Er schlägt vor, mit Marion G. in Kontakt zu bleiben, falls sich zwischenzeitlich etwas ergebe. Er behauptet, bei ihm in der Gegend um den Nordostseekanal sei man noch gut aufgestellt. Es handle sich wegen der vielen Jäger um die Region mit der höchsten Waffendichte in Deutschland.
RA Herzogenrath-Amelung erklärt, man habe schon vieles von Marion G. gehört. Für ihn sei auffällig, dass im Szenario die Gewalt von Eingereisten ausgehe, aber nicht von Anschlägen die Rede sei. Michael B.s RA Berthold schließt sich an und fügt hinzu, dass der geplante Rückzug in Stützpunkte für „Guerilla-artige“ Gegenschläge als „Defensivtaktik“ interpretiert werden könne. Zudem bezeichnet er Marion G. als „die Fränkin mit dem Flitzebogen“.
Katastrophenszenarien ehemaliger „Gelbwesten“ aus der Region Heilbronn
Das letzte Telefonat dieses Prozesstags ist ein Gespräch vom 1. Oktober 2019 zwischen Oliver K. und Beate K., zwei ehemalige aktive „Gelbwesten“. Oliver K. erklärt Beate K., dass einige Leute aus einer Chatgruppe geschmissen worden seien, weil sie nicht schnell genug auf eine Art virtuelle Alarmübung reagiert hätten. Marion G. habe zahlreiche Mitglieder entfernt. Oliver K. erklärt, er wolle Bundesländergruppen schließen und sich auf eine Gruppe konzentrieren, in der nur diejenigen Mitglied seien, auf die man sich im Ernstfall verlassen könne. Auf die Frage von Beate K., was Oliver K. mit Ernstfall meine, beschreibt er einen Blackout, der mehr als 30 Stunden andaure. Wenn der Alarm komme, müsse man Kinder und Familie zu Sammelpunkten bringen [genannt wird als Beispiel eine abgelegene Schweinezucht im Wald], dann zurückkehren und losschlagen. Beate K. bringt Baracken auf ehemaligen Bundeswehrgelände als Sammelpunkte ins Spiel. Als weiteren Rückzugsort nennt Beate K. Ungarn. In diesem Telefonat wird ein ähnliches Szenario ausgemalt wie im vorher abgespielten Telefonat von Marion G. Oliver K. redet von „Schlächtern“, die um die Ecke kämen, weshalb es besser sei, sich zuerst zurückzuziehen. Beate K. fragt, ob man die Regierung wohl nochmal stürzen könne. Sie zeigt sich jedoch pessimistisch, die Leute wollten es ihrer Meinung nach nicht kapieren. Sie schaue sich dagegen auf YouTube die Videos von Journalisten an, die „nicht links“ seien. Ihre Nichte arbeite in Stuttgart bei einem Sender, wo sie „fürs Lügen bezahlt“ werde. Oliver K. meint zur Möglichkeit, die Regierung zu stürzen: „Es laufen Dinge im Hintergrund“.
Beide beklagen den Zustand der „Gelbwesten“ und deren internen Querelen in der Region rund um Heilbronn. Beate K. sagt, ihre Gruppe sei „linksunterwandert. Wir sind nicht rechts, auch wenn sie das sagen. Wir sind nur gegen die Altparteien.“ Kurze Zeit darauf äußert sie zum Thema Flüchtlinge, dass sie nichts gegen diejenigen hätte, die etwas schaffen und sich an die Regeln hielten. Aber: „Die Massenmigration gehört gestoppt“, und Schwarze würden nicht „hierher“ gehören, weil sie sich nicht integrieren und zudem „unsere Frauen“ anpacken würden. Sie fordert, dass „die“ [unklar, wer gemeint ist] aus dem Bundestag raus müssten. Oliver K. erzählt, das werde nicht mehr lange dauern, in Berlin sei etwas „im Gange“. Beate K. beklagt, dass ihr Sohn und seine Freundin ihr Kontra gäben und nicht die von ihr angepriesenen YouTube-Videos schauten. Oliver K. glaubt: „In fünf Jahren sieht es hier aus wie nach einem Bürgerkrieg“.
RA Herzogenrath-Amelung sieht in diesem Video erneut keine Hinweise auf Anschlagspläne. Es handle sich um „kein aktives Szenario von rechts, sondern um Reaktion“. Marcel W.s RA Picker sieht hierin eine Unterhaltung über Katastrophenszenarien und Preppen. Er stelle sich aus kriminologischer Sicht die Frage, „ob die intensive Beschäftigung und der Austausch darüber eine Radikalisierung begünstigt und ob das delinquentes Verhalten begünstigt“.