Am 22. Februar 2022 wurde der Hauptkommissar Michael K. als Zeuge vernommen. K. war ab September 2019 als Beamter des LKA Stuttgart in die Ermittlungen zuerst gegen die Gruppe um Marion G. und ab November gegen die „Gruppe S“ involviert. Der Zeuge berichtete vor allem über U.s Vernehmungen vom 17. September, 1. Oktober und 14. Oktober 2019. Aus seiner Zeugenaussage wurde deutlich, dass Paul-Ludwig U. schon vor dem Treffen an der Hummelgautsche von Anschlagsplänen seiner Gruppe gegen Politiker*innen und Schwarze berichtete und den Zusammenschluss als Terrorgruppe bezeichnete. Auch zu der im Prozess bereits hitzig diskutierten Frage, ob U. tatsächlich nur Hinweisgeber gewesen sei oder wie ein V-Mann Gegenleistungen für seine Informationen bekommen habe, gab der Zeuge Auskunft. Dabei konnte er sich jedoch an einige zentrale Punkte nicht erinnern. Vorwürfe der Gegenleistung für U. wie beispielsweise einen Straferlass stritt er ab.
Hauptkommissar Michael K. berichtet eingangs über seinen beruflichen Werdegang. Er habe 1988 bei der Polizei angefangen, zuerst beim Streifendienst und später bei der Rauschgiftfahndung. Dann sei er in den gehobenen Dienst gekommen. Ab 2006 habe er in der Inspektion 610 beim LKA gearbeitet, zumeist im Bereich Auswertung bei der PMK [politisch motivierten Kriminalität] Rechts. Seit 2018 sei er verantwortlich für Ermittlungen in unterschiedlichen Bereichen: Rechtsextremismus, Linksextremismus, Reichsbürger/Delegitimierer. Im September 2019 habe es durch das ZK10 in Gießen [die dortige Staatsschutzabteilung] erste Hinweise auf den Kreis um Marion G. gegeben. Er habe sich mit seiner Kollegin S. federführend darum gekümmert. Ab November habe sich dann in den Ermittlungen die Gruppe der heutigen Angeklagten herauskristallisiert. K. berichtet, er habe den „Arbeitskreis Ermittlungen“ geleitet, der zuerst den Arbeitsnamen „Nukleus“ in Anspielung auf die Chatgruppe „Der harte Kern“ getragen habe und später in „Valenz“ umbenannt worden sei. Diesen Namen habe die Ende November 2019 gegründete Sonderkommission übernommen, die man eingerichtet habe, als die Maßnahmen [Überwachung] ein gewisses Maß überschritten hätten. Bei den Ermittlungen habe er sich um die Organisation und Kommunikation gekümmert. Zu Beginn sei von der Generalbundesanwaltschaft (GBA) Frau Zacharias seine Ansprechpartnerin gewesen, später Frau Dr. Bellay.
10. September 2019: Die ersten Kontakte der Ermittlungsgruppe zum Hinweisgeber Paul-Ludwig U.
Der Vorsitzende Richter (VR) fragt nach dem Kontakt zu Paul-Ludwig U. Der Zeuge erklärt, er habe zu U. Kontakt aufgenommen, weil der sich als Hinweisgeber gemeldet habe. U. sei in einer Mitteilung des ZK10 vom 10. September 2019 aufgetaucht, laut der U. von einem Treffen am 14. September 2019 in Heilbronn berichtetet habe. Der VR bittet den Zeugen, U.s Glaubwürdigkeit einzuschätzen. K. erwidert, man habe U. über polizeiliche Informationssysteme überprüft. Vor dem ersten Zusammentreffen mit U. habe er vom ZK10 die bisher gesammelten Informationen und Aussagen von U. bekommen, ebenso wie das Ergebnis der Observation [des Treffens in Heilbronn]. Er habe sich auch bei den Landesverfassungsschutzämtern und den Polizeibehörden über U. erkundigt und Ergebnisse aus Hessen und Bayern erhalten. K. fügt an, er sei konstant U.s Kontaktperson gewesen, um Brüche zu vermeiden und dessen Aussagebereitschaft nicht zu stören.
Darüber, dass Paul-Ludwig U. angeblich V-Mann für Verfassungsschutzämter gewesen sein soll, wisse er nichts, betont der Zeuge. Aber U. habe berichtet, dass er sich schriftlich an den VS gewandt und dieser ihm lange nicht geantwortet habe. Der VR fragt den Zeugen, wie er einen „Hinweisgeber“ von einer „Vertrauensperson“ abgrenze. Der Zeuge antwortet, ein Hinweisgeber gebe nur einmal und unaufgefordert einen Hinweis. Er bezeichnet U. konkreter als „Hinweisgeber und Auskunftsperson“ und als „derjenige, durch dessen Informationen dieses Verfahren erst zustande gekommen ist“. Die GBA habe U. nie einen Auftrag gegeben.
„So wahr ich hier sitze, hat es solche Aufträge nie gegeben.“
Der VR hakt nach, ob Paul-Ludwig U. eventuell über „Hinweise zwischen den Zeilen“ ein inoffizieller Auftrag erteilt worden sein könnte. Michael K. verneint das vehement: „Zu 100 Prozent, so wahr ich hier sitze, hat es solche Aufträge nie gegeben.“ Später verweist der VR auf ein Telefongespräch zwischen Paul-Ludwig U. und seinem ehemaligen Bewährungshelfer Jens W., in dem U. sagte, er „mache das offiziell alles freiwillig“. Michael K. interpretiert das so, dass U. Vertrauensperson sein und Zeugenschutz erhalten wollte, aber die Voraussetzungen nicht erfüllt habe. Paul-Ludwig U. habe aus seiner Sicht eine klare Linie verfolgt. „Er hatte eine Idee und verfolgte sie.“ Um Anerkennung sei es U. seiner Ansicht nach nicht gegangen. Stattdessen nennt der Zeuge drei andere Motive, die er bei U. vermutet:
- die verlorene Abneigung gegenüber der Polizei durch sein Kennverhältnis zu zwei Polizisten
- das Bedürfnis, etwas wieder gut machen zu wollen
- die Verhinderung von Anschlägen
Nun berichtet der Zeuge K. von seiner ersten Vernehmung des Beschuldigten Paul-Ludwig U. am 17. September 2019 im K6 der Heilbronner Kriminalpolizei. Außer U. und ihm hätten die Beamt*innen G., S. und T. sowie eine Protokollantin teilgenommen. Die meisten Fragen habe Frau S. gestellt. Ziel der Vernehmung sei gewesen, mehr über das Treffen in Heilbronn zu erfahren.
U. verglich „Gruppe S“ und IRA
Paul-Ludwig U. sei ordnungsgemäß belehrt worden [damals noch bezogen auf die „Bildung einer kriminellen Vereinigung]. Der Zeuge erinnert sich an „maschinengewehrsalvenartige Berichte“ von Paul-Ludwig U., also in hohem Tempo und mit vielen unterschiedlichen Themen. Über das Treffen am 14. September 2019 habe Paul-Ludwig U. berichtet, dass es Bezüge der Gruppe zur „Gelbwesten“-Bewegung in Frankreich gebe und die Gruppe „Sinn Fein“ und der IRA ähnle. U. habe über sich gesagt, er sei „als Admin Teil der IRA“. Später zitiert der VR Paul-Ludwig U.: „Das IRA-Prinzip war meine Idee.“
Dem Zeugen Michael K. war auch die Online-Gruppe „Der harte Kern“ namentlich bekannt. Er habe diesen Namen dahingehend interpretiert, dass es einen politischen Flügel gebe, der auf die Straße geht, und einen anderen, der sich Fähigkeiten an Waffen aneigne. Belege dazu habe man nicht gehabt. „Es stand erst einmal im Raum.“ U. habe vom Umgang mit Waffen berichtet und erzählt, dass er gefragt worden sei, ob er sich das zutraue. Außerdem habe U. von Überlegungen der Gruppe berichtet, Stützpunkte, Sammelstellen und Unterschlupfe zu einzurichten. Ein Matthias L., so ergänzt der VR, habe einen alten Bauernhof als Unterschlupf organisieren wollen.
Schon vor der Hummelgautsche berichtete U. über Terrorpläne
Weiter zitiert der VR aus der Vernehmung U.s: „Das Ziel ist, eine Art Bürgerkrieg zu provozieren“. Es seien laut U. Anschläge auf Hofreiter und Habeck geplant gewesen, und Marion G. habe mit einem Bogen auf „schwarze Menschen aus Afrika“ schießen wollen. Motivation der Gruppe sei laut U. die „Flüchtlingskrise“ gewesen. U. habe von einer ernst gemeinten Terrorgruppe gesprochen. An diese Punkte kann sich der Zeuge nicht mehr erinnern. Er erwähnt jedoch, dass er an U.s Aussagen gezweifelt habe. U. hingegen habe nicht gewirkt, als würde er an seinen eigenen Aussagen zweifeln. U. habe „sehr leichtgläubig“ gewirkt.
Bezüglich der Gruppenstruktur habe U. bei der Vernehmung verschiedene Landesgruppen beschrieben, die Marion G. angeleitet habe. Anfangs habe U. Marion G. als Chefin dargestellt, im Laufe der Zeit hingegen als Anhängsel von Werner S. U. habe mehrfach den Wunsch geäußert, als Quelle geführt zu werden. In den Vernehmungspausen habe U. mit einer selbst gebastelten Klorollen-Pfeife Tabak geraucht; eine Konstruktion, die er in der Haft gelernt habe. [Dasselbe wurde U. beim Treffen in Minden als Drogen-Konsum ausgelegt.]
Beschuldigten-Vernehmung vom 1. Oktober 2019
Nach dem Treffen an der Hummelgautsche Ende September 2019 habe man sich am 1. Oktober erneut zu einer Vernehmung getroffen, berichtet der Zeuge. Neben ihm und U. seien wieder die Beamtin S. und eine Protokollantin anwesend gewesen. Er selbst habe U. dabei ergänzende Fragen gestellt. Der VR weist darauf hin, dass im Protokoll dieser Vernehmung von der „Bildung einer terroristischen Vereinigung (zur Begehung eines Mordes)“ die Rede sei. Der Zeuge berichtet, U. habe in dieser Vernehmung über die Pläne beim Hummelgautsche-Treffen mehr oder weniger wiederholt, was er zuvor schon berichtet habe: Habeck und Hofreiter seien als Ziele ausgemacht worden. Man habe mit dem Bogen von Marion G. geschossen, und es seien Waffen dagewesen. U. habe erzählt, dass er in Werner S.‘ Auto eine Waffe gesehen habe, und ein Daniel E. habe eine Makarow dabeigehabt. Ein „Manfred“ habe erzählt, er werde Waffen in Tschechien kaufen. Der Zeuge fügt an, dieser sei später als der Angeklagte Frank H. identifiziert worden. U. habe weiterhin berichtet, dass am Hummelgautsche-Treffen „Wodans Erben Germanien“ und das „Freikorps“ teilgenommen hätten. Der VR zitiert aus U.s Aussage, dass 1.000 Personen organisiert seien. Der Zeuge erinnert sich, er habe die Zahl für überzogen gehalten. U. sei davon ausgegangen, dass „Teutonico“ [Werner S.] das Treffen organisiert habe. Es sei auch die Rede davon gewesen, dass Werner S. sich der „Notfallliste“ von Marion G. bedienen sollte, um neue Mitglieder zu erhalten. In dieser zweiten Vernehmung habe U., so Michael K., erneut darum gebeten, als Quelle geführt zu werden. U. habe mehrfach die Kosten [beispielsweise für Bahntickets zu Vernehmungen und zu Treffen der Gruppe] betont, und dass es schön wäre, wenn er das nicht selber zahlen müsste. Michael K. gibt an, er habe prüfen lassen, ob U. vom Hinweisgeber zur Vertrauensperson werden könnte.
Beschuldigten-Vernehmung vom 14. Oktober 2019
Am 14. Oktober 2019 wurde U. in seinem Wohnort Mosbach erneut vernommen. Anwesend war neben ihm und dem Zeugen wieder die Beamtin S., die, wie sich der Zeuge erinnert, diesmal genau wie er rund 50 Prozent der Fragen gestellt habe.
Der VR fragt nach einem Auszug aus dem Protokoll, laut dem U. berichtet habe, dass in der Gruppe und auch in der „Bruderschaft Deutschland“ eine „Antifa-Liste“ kursiere. Michael K. sagt dazu aus, man habe prüfen müssen, ob es sich dabei um eine alte oder neue Liste handle.
Dann kommt der VR auf das Vorhaben des Zeugen nach der Vernehmung vom 1. Oktober 2019 zurück, nämlich prüfen zu lassen, ob U. vom Hinweisgeber zur Vertrauensperson werden könnte. Das habe nicht funktioniert, so der VR; er zitiert einen Vermerk, demzufolge die GBA keine Möglichkeit für eine derartige Statusänderung bei U. sehe. Der Zeuge bestreitet, sich daran erinnern zu können. Der VR bezeichnet diese Erinnerungslücke als „unglaubwürdig“.
Dann kommt der VR auf den Fund einer Schusswaffe bei U. zu sprechen. [Bei Paul-Ludwig U. wurde am 2. Oktober 2019 am Hauptbahnhof in Heidelberg bei einer Kontrolle eine CO2-Pistole entdeckt und beschlagnahmt. Vermutlich verstieß U. beim Führen dieser Waffe gegen seine Bewährungsauflagen. Ob ihm seine Rolle als Hinweisgeber dabei half, eine Sanktion zu umgehen, bot im Verfahren gegen die „Gruppe S“ bereits mehrfach Anlass zur Diskussion. Nähere Hintergründe zum Waffenfund im Bericht zum 9. Prozesstag.] Der VR erwähnt diesbezüglich, dass U. im Verhör Angst wegen dieses Fundes gezeigt habe, und dass der Zeuge ihm Mut zugesprochen habe. Er werde mit Frau Zacharias sprechen. Der Zeuge sagt aus, er könne sich nicht mehr an die Details erinnern, nur noch daran, dass es bei der Vernehmung am 14. Oktober um den Waffenfund und die Frage, „wie man mit der Anzeige umgeht“, gegangen sei.
LKA-Beamter K. bestreitet, U. vor einer Strafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes bewahrt zu haben
Der VR hält dem Zeugen ein Gespräch mit Paul-Ludwig U. vor, in dem dieser sich bei ihm nach dem aktuellen Stand bezüglich der Anzeige erkundigt. Der VR fragt, ob es dabei um das Ergebnis eines möglichen Gesprächs [mit Zacharias wegen des Waffenfunds bei U.] gegangen sei, und warum dieses Gespräch nicht am Telefon geführt wurde. [Er spielt darauf an, ob der Zeuge eventuell eine Überwachung des Gesprächs umgehen wollte.] Der Zeuge entgegnet, das Gespräch sei „zu wichtig“ gewesen, um es am Telefon zu führen.
Der VR zitiert aus einer E-Mail von Paul-Ludwig U. an das LKA Baden-Württemberg vom 10. Oktober 2019, in der dieser von einem überstürzten Handeln nach dem Halle-Attentat abrät. Der VR bezeichnet den Charakter der E-Mail als fordernd und fragt, ob über diese bei U. zunehmend beobachtbare Haltung mit Frau Zacharias gesprochen worden sei. Der Zeuge bestätigt, das sei immer Thema gewesen.
Nun nimmt der VR Bezug auf ein Telefonat zwischen Paul-Ludwig U. und seinem ehemaligen Bewährungshelfer Jens W. [vom 2. Oktober 2019, siehe Prozesstag 23.] Darin erzählt U., er müsse sich keine Sorgen machen wegen der Waffen-Anzeige. Michael K. werde sich kümmern. Der Zeuge K. widerspricht, das sei so nicht gewesen.
Ein Brief an den Generalbundesanwalt
Der VR thematisiert, dass die Vernehmung geendet habe mit der Übergabe eines Schreiben an den GBA, das Michael K. weiterleiten sollte. K. erklärt, in diesem Brief habe U. seine Gedanken und seine Motivation aufgeschrieben. Er habe das Schreiben weitergeleitet, könne sich jedoch an keine Reaktion erinnern; vielleicht habe man das mal in einer Besprechung thematisiert. Damit wird der Zeuge für diesen Prozesstag entlassen, er soll aber am Donnerstag erneut erscheinen.
Anschließend führt einer der Richter 112 Einzelposten per Selbstleseverfahren in den Prozess ein. [Details hierüber und der restliche Verlauf des Verhandlungstages konnten von der Prozessbeobachtung nicht protokolliert werden.]