Für den 60. Prozesstag am 15. Februar 2022 war ursprünglich geplant, per Videokonferenz einen verdeckten LKA-Ermittler zu vernehmen. Wegen technischer Probleme konnte das allerdings erst gegen Ende des Prozesstages stattfinden – trotz Protests der Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Stattdessen wurden für den Großteil des Verhandlungstages überwachte Telefonate der Angeklagten abgespielt. Es handelte sich um Gespräche des Angeklagten Thomas N., vor allem mit seinem Mitangeklagten Markus K. Aus den Aufnahmen gehen ihr „Reichsbürger“-Weltbild und eine Gewaltbejahung hervor.
Eingangs teilt der Vorsitzende Richter (VR) mit, dass die Video-Übertragung zur Befragung des in einem anderen Raum sitzenden verdeckten Ermittlers des LKA Baden-Württemberg nicht funktioniere. Man wolle den Zeugen mit dem Codenamen „VE 105“ davor schützen, erkannt zu werden und habe deshalb eine optische und akustischen Verfremdung geplant. Die Vernehmung werde zudem nicht aufgezeichnet. Ebenfalls zum Schutz des Zeugen will der Senat die Öffentlichkeit ausschließen. Die Rechtsanwält*innen (RA*innen) aller Angeklagten außer Paul-Ludwig U., Thomas N. und Werner S. widersprechen diesem Ausschluss.
RA Siebers, Verteidigung von Werner S., fragt, ob sichergestellt sei, dass in dem Raum, in dem der Zeuge sich aufhalte, keine weitere Person mit Aktenwissen sei. Der VR sichert zu, dass der Senat das auch nicht wolle. RA Siebers verweist darauf, dass er die Erfahrung gemacht habe, dass ein Hauptermittlungsführer bei so einer Vernehmung einem Zeugen Zettel zuschiebe.
Der VR verkündet trotz des Protests den Beschluss, dass die Öffentlichkeit von der audiovisuellen Vernehmung ausgeschlossen werde, um den Gefahren einer Enttarnung zu begegnen. Die Zuschauer*innen könnten den verdeckten Ermittler eventuell an seiner Sprechweise oder dem Dialekt erkennen. Der VR versichert, man beschränke sich bei der optisch-akustischen Verfremdung auf ein Mindestmaß.
Als klar ist, dass die Technik am heutigen Verhandlungstag eine solche Vernehmung nicht zulässt, spielt der VR stattdessen mehrere Aufnahmen aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ab.
TKÜ vom 11. Januar 2020, Dauer: 16 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Thomas N. erzählt Markus K., dass er mit „Giovanni“ [Werner S.] gesprochen habe. Dann echauffieren sich beide über US-amerikanische Truppen in Deutschland und tauchen in ihre „Reichsbürger“-Welt ab, wobei erneut mehrfach der Begriff „Entnazifizierung“ fällt. An einer Stelle verkündet N.: „Der Tag der Entscheidung ist da.“ Er spricht von schweren Opfern, die man bringen müsse.
Thomas N.s Verteidiger RA Sprafke weist darauf hin, dass über das bekannte Thema „Entnazifizierung“ gesprochen worden sei, aber nicht über Anschläge. RAin Schwaben, Verteidigerin von Markus K., schließt sich dem an. Durchgehendes Thema sei „Entnazifizierung“ gewesen. Dass man bei dem Treffen in Minden über etwas anderes habe sprechen wollen als Entnazifizierung, ergebe sich aus dem Gespräch nicht.
TKÜ vom 15. Januar 2020, Dauer: 6 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und seiner Frau.
N.s Frau ist offenbar zuhause und sucht einen vermissten Gegenstand. Sie zählt am Telefon alles auf, was sie auf ihrer Suche statt des gesuchten Gegenstands findet. Dabei erwähnt sie auch eine Pistole.
TKÜ vom 17. Januar 2020, Dauer: 1 Minute 30. Gespräch zwischen Thomas N. und Werner S.
Thomas N. erzählt vom Sohn eines Freundes, der Interesse habe, mitzumachen. Dieser treibe auch Kampfsport. Werner S. will mehr über ihn erfahren, ist aber grundsätzlich nicht abgeneigt.
RA Sprafke erklärt, es gehe um den 16-jährigen Sohn von Uwe G. Wenn man über die Aufnahme eines 16-Jährigen spreche, höre sich das nicht nach einer Terrorgruppe an.
TKÜ vom 23. Januar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Thomas N. sagt, dass er keinen Reisepass habe. Man werde sie nicht rauslassen [ins Ausland]. Er sagt auch: „Entweder kämpfen wir, oder wir lassen es sein.“
TKÜ vom 23. Januar 2020, Dauer: 10 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Thomas N. und Markus K. empören sich u.a. über eine Polizeikontrolle und die europäische militärische Polizeitruppe „Euro Force“. N. beklagt sich, dass sich keiner wehre und es „nur noch mit Gewalt“ gehe.
RA Sprafke interpretiert diese letzte Aussage seines Mandanten in Verbindung mit der zuvor thematisierten Polizeigewalt. Dagegen müsse man sich laut N. wehren. N. spreche später auch davon, der Antifa „eine in die Fresse“ zu hauen. Von einem Sprengstoffanschlag hingegen sei zu keiner Zeit etwas zu hören.
TKÜ vom 23. Januar 2020, Dauer: 53 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Thomas N. empört sich: „Die wollen einen echt verknechten, versklaven, die Schweine.“ K. berichtet von einer Begegnung mit der Polizei, der er in „Reichsbürger“-Manier gesagt habe, dass sie keine rechtliche Grundlage habe. An einer Stelle äußert sich N. über seine Feinde wie folgt: „Totschlagen wie Ratten und vor die Tür legen“. K. erzählt: „Mitte April solls hier rumsen.“ N. entgegnet: „Juni geht es los.“ Offenbar erwarten sie bürgerkriegsähnliche Unruhen, denn N. äußert: „Die Kanaken kriegen dann auch weniger Geld, und die kämpfen dann auch.“ N. fordert dazu auf, sich darauf vorzubereiten: „Die Axt soll man schärfen.“ Beiden schimpfen noch auf „die Antifa“ („Nennen sich Antifaschisten, sind aber die Faschisten“), Merkel („Fotzenmerkel“) und auf die CDU („Schweine und Deutschlandverräter“). Markus K. erzählt, dass er Flyer der „Reichsbürger“-Gruppe „staatenlos.info“ verteile. Anschließend sprechen beide eingehend über ihre „Reichsbürger“-Aktivitäten. N. berichtet, dass er einer Behörde einen Vertrag zugeschickt habe. Beide reden auch über eigene Nummernschilder und Außenwimpel. Markus K. erwähnt einen Waffenschein und den Kauf eines Tasers. Später sprechen die beiden über Demos. K. sagt: „Ich denke, da müsste es mal richtig rumsen.“
RA Sprafke bezeichnet das Gehörte als „Gespräch unter Brüdern im absolut privaten Kreis“, als Gespräch unzufriedener Menschen, die Unmut geäußert hätten. Man höre „krude, aber diffus gehaltene Gewaltfantasien“. Sie seien nicht proaktiv. Ein Bürgerkrieg werde laut Thomas N. von anderen gestartet. Der RA kündigt an, er wolle den Bundeszentralregister-Auszug seines Mandanten N. einführen. Darin finde sich nur ein Verstoß gegen das Waffengesetz.
Frank H.s Verteidiger RA Herzogenrath-Amelung bekundet, es sei ein langer Weg von einer Gewaltfantasie zum Sachverhalt, in eine Moschee zu gehen und Menschen zu töten. Dazu sei N. nicht fähig gewesen.
TKÜ vom 24. Januar 2020, Dauer: 1 Minute. Gespräch zwischen Thomas N. und Werner S.
Thomas N. und Werner S. sprechen über das geplante Treffen am 8. Februar.
TKÜ vom 31. Januar 2020, Dauer: 2 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Unbekannt.
[Unverständlich]TKÜ vom 3. Februar 2020, Dauer: 11 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Thomas N. erzählt, dass er Paul-Ludwig U. abholen müsse. K. nimmt ihm diese Aufgabe jedoch ab. Beide sprechen über das geplante Treffen am 8. Februar. Man wolle danach Essen gehen. Ulf [Ulf R., der sich in der Untersuchungshaft noch vor Prozessbeginn das Leben nahm] werde wohl nicht kommen, weil sein Vater operiert werde. Markus K. kündigt an, dass er „die Anträge“ mitbringe [offenbar „Reichsbürger“-Papiere]. Sie erwähnen auch, dass Tony E. schlecht erreichbar sei.
Tony E.s Verteidiger RA Hofstätter weist darauf hin, dass sich sein Mandant Unmut zugezogen habe, weil er sich nicht um die Organisation gekümmert habe. Das passe nicht zum den Vorwurf [der Rädelsführerschaft] gegen ihn.
TKÜ vom 6. Februar 2020, Dauer: 9 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Die beiden unterhalten sich über die Anfahrt und Abholung von Paul-Ludwig U. sowie die Verpflegung der Gäste. K. sagt, er kenne U. nicht, und bezeichnet N. als „Kamerad und „guter Mensch“. K. fragt nach Sören vom „Freikorps“ und einem geplanten Geburtstags-Besuch.
RA Sprafke weist darauf hin, dass sich N. mit K. über den bevorstehenden Samstag unterhalten habe. Thomas N. habe es tendenziell gut gefunden, dass U. schon vor Samstag anreisen würde, sonst bekäme er ja gar nichts mit vom Samstag. Damit habe N. den geplanten Vortrag über Entnazifizierung gemeint.
Tony E.s Verteidiger RA Becker bezieht sich auf die Erwähnung des Geburtstags von Sören. Gemeint sei der Geburtstag von Sören B. am 21. April. Das passe nicht zu Anschlagsplanungen.
Der Angeklagte Michael B. bekundet, im Telefonat sei über das leibliche Wohl und Schafplätze gesprochen worden; das passe nicht ins Bild mit Anschlägen.
TKÜ vom 8. Februar 2020, Dauer: 1 Minute 31. Gespräch zwischen Thomas N. und Torsten W.
Torsten W. verkündet Thomas N., dass er gleich losfahre. Er sei aber krank.
W.s Verteidiger RA Kist weist darauf hin, dass Thorsten W. deutlich angeschlagen gewesen sei.
TKÜ vom 8. Februar 2020, Dauer: knapp 30 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
K. und N. sprechen über die Wahl in Thüringen. Thomas N. beklagt: „Es gibt keine Demokratie mehr.“ Markus K. stimmt zu und spricht von „Wahlbetrug“. N. bekundet: „Immer mehr kommen rein und rein“, und das Sozialsystem gehe kaputt. „Es geht ums nackte Überleben.“
An dieser Stelle unterbricht der VR die Präsentation der TKÜ-Mitschnitte. Die Technik funktioniere jetzt, und man könne mit der Videovernehmung des verdeckten Ermittlers beginnen. Daher müsse die Öffentlichkeit den Saal nun verlassen – was dann auch geschieht.