Am 59. Prozesstag, dem 10. Februar 2022, wurden mehrere abgehörte Telefonate von Thomas N. abgespielt. Darin bekundete N. dem als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung angeklagten Werner S. erneut seine Zuneigung und Loyalität. In mehreren Telefonaten mit Markus K. war zudem zu hören, das Thomas N. sich als Kämpfer bis zum Untergang sah und nicht mehr „kuschen“ wollte. Gemeinsam mit seinen Gesprächspartnern erging sich N. in seinen Telefongesprächen auch in antisemitischer und rassistischer Hetze und erwog Gewalttaten gegen Antifaschist*innen.
Der Vorsitzende Richter (VR) bittet Oberstaatsanwältin (OStAin) Bellay um eine Erklärung zum Beweisantrag von Rechtsanwalt (RA) Picker vom Monatsanfang. [Es geht um die Verlesung der Regeln der „Wodans Erben Germanien“, W.E.G]. OStAin Bellay erklärt, dass der Antrag wohl aufzeigen soll, dass die W.E.G nicht rechtsextrem seien. Man werde der Verlesung der Regeln aber nicht entgegentreten.
Der VR erlässt eine Verfügung, um 25 Aufzeichnungen aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) aus dem Zeitraum vom 2. November 2019 bis zum 12. Februar 2020 als Beweismittel einzuführen.
TKÜ vom 2. November 2019, Dauer: 16 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Werner S.
Werner S. klagt gegenüber Thomas N. über Sören B., der in seiner Gruppe „Freikorps Heimatschutz – Division 2016 das Original“ keine Führungsqualitäten beweise: „Sören ist auch kein Führer.“ Auch über eine andere Gruppe [vermutlich den „Heimat“-Chat] beschwert er sich. Er habe keine Lust mehr, Zeit in die Leute zu investieren. Von 30 Gruppenmitgliedern hätten sich nur sechs zurückgemeldet. Sie sprechen über ein Treffen im Norden. S. hinterfragt den Sinn solcher Treffen „mit irgendwelchen Pappnasen“. Die beiden lästern über Aktivisten, die „Laberhelden“ seien und nur irgendwo dazugehören wollten. S. zieht zudem über das „Freikorps“ her und bekundet, es brauche eine Alternative.
TKÜ vom 16. November 2019, Dauer: 6 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Werner S.
Werner S. erzählt von einer Hausdurchsuchung bei ihm. Die „haben mehr mitgenommen als mir lieb ist“. N. möge Tony E. anrufen. N. beteuert überschwänglich seine Loyalität: „[…] Ich bin für dich der Freund. […] Wenn du sagst, komm runter, dann komme ich runter. […] Du bist der einzige Mensch, dem ich vertraue.“ S. wirkt damit überfordert.
TKÜ vom 10. Dezember 2019, Dauer: 8 Minuten. Gespräch Thomas N. mit Werner S.
N. erzählt S. von vermeintlichen Erfolgen bei seinen „Reichsbürger“-Aktivitäten. Die Hälfte der Forderung an ihn [offenbar eine Geldstrafe] sei zurückgenommen worden. S. ist zwar begeistert, betont aber auch, er kenne sich damit nicht aus. Sie sprechen über eine Gruppe [vermutlich das „Freikorps“]. N. sagt, dass diese verseucht sei. S. erwidert, er habe die Gruppe verlassen, aber Tony [E.] werde sie säubern. N. verspricht, weiterzukämpfen und betont: „Wir sind Kämpfers.“ [sic] Dafür bräuchten sie die „richtigen Leute“. Werner S. kündigt an, dass Torsten [K.] einen Franzosen [evtl. Ralph E.] zu dem [für Dezember 2019 anberaumten, dann aber ausgefallenen] Treffen mitbringen werde.
Nach diesem Audio gibt RA Mandic, Verteidiger von Michael B., eine Erklärung ab: N. sei in einen Wahn verfallen „mit seinem Entnazifizierungskram“. Werner S. habe ihn darin bestärkt, um ihre Beziehung zu festigen.
TKÜ vom 23. Dezember 2019, Dauer: 19 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Werner S.
Die beiden besprechen das geplante Treffen am 18. Januar 2020. [Der Termin verschob sich später auf den 8. Februar]. Werner S. erzählt, dass er Ende Januar wegen eines Notartermins in Italien sei. [Er kaufte dort eine Hütte in den Bergen.] Er bietet N. an, ihn dort zu besuchen. Dieser zeigt sich interessiert. Sie sprechen auch über Telefonnummern und die damit verbundene Sicherheit. Thomas N. gibt zu bedenken, dass auch eine neue Nummer schnell bei den Behörden bekannt sein könnte, sobald man damit jemanden anrufe.
Zu diesem Teil des Gesprächs erklärt Michael B.s Verteidiger RA Berthold: Wären S. und N. Terroristen, hätten sie sich wohl kaum offen darüber unterhalten, über andere Nummern zu kommunizieren. Die beiden seien „Terroristen-Darsteller, aber keine Terroristen“.
TKÜ vom 23. Dezember 2019, Dauer: 12 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Unbekannt, evtl. Markus K.
Thomas N. erzählt seinem Gesprächspartner von einem Marcel, der fünf Kinder habe. Er habe diesen Marcel gefragt, wie er es fände, wenn seine Tochter unter der Scharia leben müsse. N.s Gesprächspartner stimmt ihm zu. Es gebe wenige, die „Mumm in den Knochen“ hätten. Thomas N. kündigt an, er werde eine neue Gruppe eröffnen. Dann ergeht er sich in einem Pathos vom „kämpfend untergehen“.
Markus K.s Verteidigerin RAin Schwaben moniert Vermerke wie „unverständlich“ in der Verschriftlichung. Sie könne der TKÜ nur schwer folgen. Der VR merkt an, sie könne ja den Antrag stellen, etwas noch einmal anzuhören.
TKÜ vom 23. Dezember 2019, Dauer: 19 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. (und stellenweise dessen Frau) und Markus K.
Thomas N. erzählt, wie er Marcel angestachelt habe mit rassistischen Zukunftsängsten. Sie sprechen über ihre „Reichsbürger“-Ideologie und die ihnen wichtige „Entnazifizierung“. N. schlägt erneut vor, eine eigene Gruppe aufzumachen. N.s Frau lädt Markus K. für Samstag zum Essen ein.
TKÜ vom 30. Dezember 2019, Dauer: 3 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Unbekannt, vermutlich Markus K.
Die beiden klären einen Termin. [Vermutlich geht es um das geplante Treffen vom 18. Januar.]
TKÜ vom 2. Januar 2020, Dauer: 2 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Unbekannt, vermutlich Markus K.
Thomas N. informiert seinen Gesprächspartner, dass das geplante Treffen jetzt in Minden stattfinden werde.
TKÜ vom 4. Januar 2020, Dauer: 50 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Markus K.
Die beiden unterhalten sich erneut über das geplante Treffen, und N. gibt an, dass es bei ihm stattfinden soll. Ansonsten geht es um „Reichsbürger“-Erzählungen, die Gesundheitsprobleme von Markus K. und Antisemitismus. An einer Stelle sagt Thomas N.: „Der Jude ist das Schlimmste.“
TKÜ vom 6. Januar 2020, Dauer: 1 Stunde 19 Minuten. Gespräch zwischen Thomas N. und Unbekannt, vermutlich Markus K.
Auch dieses Telefonat kreist um das geplante Treffen. N. verkündet, es finde statt „bei mir zuhause, wo keiner mithören kann“. N. sagt auch, er habe „keine Lust mehr zu kuschen“. Es gehe nur noch anders und „nicht mehr das friedlich, verstehst Du?“ Ansonsten schimpfen beide über „die Antifa“, die sie „Kriminelle“ nennen, und über Muslime, die im Gespräch als „Dreck“ bezeichnet werden. Auch von „Kanaken“ ist die Rede.
In Bezug auf „die Antifa“ sagt N., diese müsse man nur mal „einschüchtern, mehr nicht“. Später überlegt er aber auch laut: „Vielleicht muss man mal aktiv draufschlagen.“ Sein Gesprächspartner schlägt vor, die politischen Gegner einzeln aufzusuchen und dann… [bedeutungsvolle Pause]. Ansonsten geht es auch ums Preppen und das Anlegen von Vorräten.
Michael B. ergreift erneut das Wort
Nach dieser letzten Aufnahme am 59. Prozesstag gibt es erneut die Möglichkeit für Erklärungen. RA Picker weist darauf hin, dass N. auf das zunächst im Januar geplante Treffen zu sprechen gekommen sei und dass es dort um eine Vereinigung von Gruppen gehen sollte. Ebenso sei die Rede davon gewesen, dass man gegen den schwarzen Block vorgehen müsse. Das bestätige die Aussage seines Mandanten Marcel W. [Dieser behauptete am 49. Prozesstag, dass es in Minden weniger um Anschläge, sondern vielmehr um Angriffe auf Antifaschist*innen gegangen sei.]
Auch der Angeklagte Michael B. ergreift das Wort und kommentiert das Gehörte: „Ich habe hier zwei besorgte Bürger gehört, die sich äußern wie an vielen Stammtischen.“
Der VR kündigt an, am Dienstag werde ein verdeckter Ermittler befragt. Am Donnerstag werde man gegebenenfalls auch den Kommissar K. [der LKA-Kontaktbeamte von Paul-Ludwig U.] anhören.