Prozesstag 58: Vorläufige Zusammenfassung

Der 58. Hauptverhandlungstag am 8.2.2022 begann mit einer Verzögerung. Der Vorsitzende Richter (VR) Anderer gab den Grund bekannt: „Heute hatte man in einer Poolprobe einen positiven Test, und wir mussten fünf Tests einzeln nachholen. Und wir haben einen Wachmeister, Schrägstrich eine Wachmeisterin, positiv getestet.“ Er freue mich sehr, „dass alle Angeklagte sich haben testen lassen“, ebenso wie die GBA, der Senat, „16 Verteidiger und 25 von 40 Wachmeistern“.

Dann reagiert der Vorsitzende noch – ohne es direkt auszusprechen – auf die provozierende Erklärung von Rechtsanwalt Mandic vom letzten (57.) Prozesstag am 1.2.2022. Offensichtlich auf den von Mandic erhobenen Vorwurf der „politischen Justiz“ bezogen, sprach der VR über eine „sich an Wort und am Geist unserer Verfassung orientierten und dem Geist unserer Verfassung dienenden Justiz“. Mandic verlangte daraufhin eine Unterbrechung, die der VR aber nicht gewährte.

Auf dem Programm des langen Prozesstages stand dann die Vernehmung der LKA-Beamtin Marianne L. Sie arbeitet beim LKA Baden-Württemberg im Rauchgiftbereich, hatte zuvor keine Erfahrung in Staatsschutzsachen und gehörte auch nicht der Ermittlungsgruppe zur „Gruppe S.“ an. Trotzdem wurde sie beauftragt, die Durchsuchung beim Angeklagten Marcel W. zu leiten und ihn am Zugriffstag (14.2.2020) zu vernehmen. Beteiligt an der Razzia war ein Spezialeinsatzkommando, zwei weitere Beamt*innen des LKA Baden-Württemberg sowie elf Beamt*innen des LKA Bayern. Ziel sei das Auffinden von Beweismitteln zu einem konkreten Anschlag gewesen. Oder von Hinweisen und Kartenmarterial, die bzw. das auf einen bevorstehenden Anschlag hindeuten könnte(n). W., so führte L. aus, habe darauf verwiesen, dass im Wohnzimmer zwei Schreckschusswaffen mit Munition liegen würden sowie mehrere Messer in einem Rucksack. Erst im Verlaufe der Durchsuchung habe sie einen Anruf erhalten, dass W. vorläufig festzunehmen sei, das sei vorher so nicht besprochen gewesen. Marcel W. sei eröffnet worden, „dass ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ anhängig sei. Der VR hielt L. entgegen, dass W. im Durchsuchungsbeschluss nur als „Unterstützer“, nicht als „Mitglied“ bezeichnet worden sei.

Es wurden im Prozess anschließend diverse Lichtbildmappen in Augenschein genommen: von allen Zimmern, dem Zustand bei der Durchsuchung und von der Auffindesituation sowie Asservierung diverser Gegenstände, darunter Laptops, Mobiltelefone, Speicherkarten, aber auch Feuerwerkskörper, Zielscheiben, rechten Flyern und Büchern. Gezeigt wurden auch Fotos einer aufgefundenen Rechnung für die CD „Sturmwehr – Heiliger Krieg“ und für diverse Kleidungsstücke mit neonazistischen Bezügen, z.B. einem Kapuzenpulli mit Aufschrift „Division Deutschland“. W. sei während der Razzia sehr gefasst gewesen und habe über sein Hobby „Bushcrafting“ erzählt. Freiwillig habe er die PIN seines Mobiltelefons verraten. Man habe polizeilicherseits eine Vorinformationen über einen Karabiner im Hause W.s gehabt. W. habe angegeben, dieser sei zur Zeit bei einem Waffenhändler bei Leipzig. Gegen 11:10 Uhr habe sie W. dann die vorläufige Festnahme erklärt.

Der Vorsitzende Richter konfrontierte die Zeugin mit der damals bereits geänderten StPO, nach der ab diesem Zeitpunkt zwingend ein*e Verteidiger*in hätte hinzugezogen werden müssen. Die Zeugin sagte, ihr sei die geänderte Rechtslage bekannt gewesen, W. habe aber drauf verzichtet. Der VR wies sie darauf hin, dass nach der StPO zwingend ein*e Verteidiger*in zu bestellen sei.

Die Zeugin berichtet, dass W. zur PI Pfaffenhofen verbracht worden sei, wo er eine freiwillige DNA-Probe abgegeben habe. Sie habe dann noch für den Folgetag seinen Transport nach Stuttgart organisieren müssen. Ohne Hinzuziehung eines Anwalts/einer Anwältin habe sie damals damit begonnen, W.zu vernehmen. Vor der Durchsuchung sei sie kurz gebrieft worden, also habe sie nach den Treffen an der Hummelgautsche und in Minden sowie nach Aktivitäten in Telegram-Chatgruppen gefragt. Lichtbildmappen o.ä. habe sie für die Vernehmung nicht zur Verfügung gehabt. Die Vernehmung durchzuführen, sei für sie sehr schwierig gewesen, da sie zum Beispiel nicht einmal die Spitznamen der beteiligten Personen gekannt hätte. Fragestellungen und Antworten seien bei W. „auseinandergelaufen“, so die Zeugin L.

Auf Nachfragen des VR hin schilderte die Zeugin, W. habe zugegeben, zusammen mit Frank H. beim Treffen in Minden gewesen zu sein, mit dem er auch zusammen in der „Bruderschaft“ „Wodans Erben Germanien“ aktiv sei. W. habe bei der Vernehmung mit dem Namen Werner S. nichts anfangen können. Auf ihren Vorhalt hätte W. angegeben, beim Treffen an der Hummelgautsche keine Pistole dabeigehabt und keine Schießübungen durchgeführt zu haben. Seine Antworten seien zumeist ausweichend gewesen. Ein Beispiel der Zeugin L.: „Auf meine Frage, ob man sich über Gewalt zur Umsetzung der Ziele unterhalten hat: Da kam, dass er nicht immer im Raum gewesen wäre und er nicht alles mitbekommen hätte.“ Auf eine Planung von Gewalttaten in Minden angesprochen, habe W. geantwortet: „Ich habe die Äußerungen, die in dem Zusammenhang gesagt wurden, nicht ernst genommen.“ Zum Thema Waffenbeschaffung habe er nichts Konkretes antworten können, als Begründung dafür habe W. angegeben: „Ich glaube, ich bin rausgegangen, weil ich diese Richtung nicht richtig finde.“

W. habe angegeben, so L., seit Februar 2019 Mitglied bei den „Wodans Erben“ zu sein. Frank H. sei der „Leader“ gewesen, er, W., „Sergeant at Arms“. Er habe vor allem überwachen müssen, dass sich die Mitglieder im Chatverkehr gesetzeskonform verhalten. L. sagte, sie habe dazu aber keine Vorkenntnisse gehabt. W. sei seinen Angaben zufolge auch in der Chatgruppe „Heimat“ aktiv gewesen. Zum Schluss der Vernehmung habe W. die Erklärung abgegeben, dass er sich „von jeglicher Art von Gewalt distanziere“. Zitat: „Der einzige politische Kampf, den ich führe, ist ein demokratischer Weg.“ In einem zivilen Dienstfahrzeug hätten sie W. damals noch nach Augsburg gebracht und dort an die Transportkräfte übergeben, die W. wiederum nach Stuttgart gefahren hätten.

Nun folgten die Nachfragen der Verteidiger*innen. Auf Frage von Rechtsanwalt Hofstätter nach „konkreten Beweismitteln für konkrete Anschlagspläne“ antwortete die Zeugin L., dass sie nichts gefunden hätten, was konkret darauf hingedeutet hätte. Als Rechtsanwalt Mandic an der Reihe war, wollte er eine Unterbrechung, um über einen Befangenheitsantrag beraten zu können. VR wollte ihm das Wort aber nur für Fragen an die Zeugin erteilen. Auf Nachfrage eines anderen Rechtsanwalts berichtete die Zeugin L. noch, dass sich die Ehefrau von W. damals sehr negativ über ihren Mann geäußert habe, „Dass er sich nur mit alten Männern und gescheiterten Existenzen treffen würde. Und sie meinte auf Nachfrage, dass er auch eine gescheiterte Existenz wäre.“

Anschließend wurden noch ein paar Verteidiger-Erklärungen zur Vernehmung der Zeugin abgegeben. Rechtsanwalt Becker widersprach der Verwertung der Aussagen L.s über die Vernehmung W.s, weil diesem damals kein*e Verteidiger*in zur Seite gestanden habe. Rechtsanwalt Picker verlangte die Verlesung der „Regeln“ der Gruppe „Wodans Erben Germanien“. Schließlich stellte Rechtsanwalt Mandic einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter. Hierzu wiederholte Mandic seine provozierende Erklärung vom letzten Verhandlungstag (1. Februar 2022) noch einmal weitgehend. Der Verhandlungstag endete um 17:07 Uhr.

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