Prozesstag 57: Vorläufige Zusammenfassung

Der 57. Prozesstag am 1. Februar 2022 begann mit einem längeren Programm außerhalb der Hauptverhandlung. Fast eineinhalb Stunden lang referierten der Vorsitzende Richter (VR) Anderer, Prof. Dr. Ehehalt vom Gesundheitsamt Stuttgart, Oberarzt Dr. Menzel vom Klinikum Stuttgart und Richterin am Landgericht Künzel (die für die Verwaltung das Strafverfahrens zuständig ist) das Corona-Schutzkonzept für die kommenden Verhandlungstage. Sie erläuterten ausführlich die Infektionslage,  Masken, Impfung und Quarantäneregelungen und bewarben die neue Teststrategie (mittels ID-Now-Pooltestung) für die Prozessbeteiligten. Außerdem beantworteten sie weitere medizinische Fragen, vor allem aus den Reihen der Verteidiger*innen. Der VR warf die Frage auf, ob zur Sicherung des Verfahrensablaufs zukünftig nicht die Verteidiger*innen-Paare sicherheitshalber auseinandergesetzt werden sollten, und erntete dafür heftigen Widerspruch.
Um 10:55 Uhr ging es dann mit der Hauptverhandlung weiter. Auf dem Programm stand die Fortsetzung der Vernehmung des Angeklagten Marcel W. Dieser schilderte zunächst von sich aus, dass er sich – nach dem Studium der Akten – von Werner S. belogen fühle. Es ging dann weiter mit Fragen der Verteidiger*innen. Gestellt wurden zum Beispiel detaillierte Nachfragen zum Treffen in Minden („Wo wurde das Essen serviert?“, „Wie war die Sitzordnung im Lokal?“) und zur im Vorfeld des Treffens eingerichteten Telegram-Chatgruppe. Rechtsanwalt Herzogenrath-Amelung wollte wissen, ob die Zusammenkunft gebäudetechnisch hätte gefilmt werden können, Rechtsanwalt Just fragte zur „Waffenbestellung“. Marcel W. antwortete ihm: „Von einer direkten Bestellung würde ich absehen. Aber es wurde halt gefragt: Lang- oder Kurzwaffe. Und U[…] hat Granaten und Uzi ins Spiel gebracht und S[…] Kalaschnikow.“

Auf Frage von RA Berthold erzählte Marcel W., dass er den Eindruck einer Sympathie zwischen Paul-Ludwig U. und [der nicht in Minden anwesenden] Marion G. hatte. Über G. sagte W.: „Sie war schnell sauer, als man sich lustig über sie machte, weil sie mit nem Flitzebogen in ’n Asylantenheim schießen will.“ Auf Frage des Angeklagten Michael B. berichtete Marcel W., Werner S. habe vor „Wellen an Schwarzen“,  die „kommen, die uns angreifen“ gewarnt: „Dass man sich schnell vorbereiten muss, um dann schnellstmöglich sich mit den Familien zurückziehen kann, die ersten Angriffswellen abwartet und dann zurückschlägt, denn man kann ja nicht ein Leben lang im Wald sein.“
Nach der Mittagspause stellte Rechtsanwalt Picker Fragen zur Gruppierung „Wodans Erben Germanien“, zum Preppen und zu Werner S. Überraschenderweise antwortete Marcel W. auf Pickers Frage „Kam Ihnen der Gedanke: Der hat vielleicht Anschläge vor?“: „Mal kurz gedacht, aber dann wieder verworfen, weil das ist so fern der Realität.“

Dass man in Minden die Handys hätte abgeben müssen vor der Besprechung, sei für ihn nicht ungewöhnlich gewesen, sagte W. auf Frage von Rechtsanwalt Miksch. Er habe ja schließlich gedacht, es gehe „vielleicht gegen die Antifa“. Ebenfalls überraschend gab W. zu, dass er mit Frank H. bereits vor dem Mindener Treffen in einem Chat diskutiert hätte, ob es dort vielleicht um Anschlagspläne gehen solle. Schließlich erzählte W. auch von der Aktion von „Wodans Erben“ & Co, als sie in München durch eine Geflüchtetenunterkunft im Stadtteil Moosach liefen: „Die Planung lag beim ‚Andy Planlos‘.“
Nachdem am Nachmittag die Vernehmung W.s beendet war, gaben viele Prozessbeteiligte Stellungnahmen ab. Oberstaatsanwältin Bellay sagte: „Die Angaben des Angeklagten W[…] sind nicht nachvollziehbar und Schutzbehauptungen, er muss sich überlegen, ob er sich damit einen Gefallen getan hat.“ Rechtsanwalt Herzogenrath-Amelung versuchte, mit W.s Aussagen die Angeklagten zu entlasten: „Dilettantischer kann man keine terroristische Gruppe gründen […]. An einem Ort wie Stammheim ist es sinnvoll, sich an Baader-Meinhof zu erinnern, intellektuell, von der Verankerung in der Gesellschaft. Und wenn ich das vergleiche, ist die Bilanz eindeutig: dass wir es hier mit einer völligen Dilettantentruppe zu tun haben.“ Auch Rechtsanwalt Sievers versuchte, die Angaben W.s zur Entlastung heranzuziehen: „Es wird zum wiederholten Mal bestätigt, dass S[…] ein zum Teil maßlos übertreibender Aufschneider war, bei dem man nicht unterscheiden kann, was ernst gemeint war und was nicht“. Rechtsanwalt Mandic schließlich provozierte die Bundesanwaltschaft und den Vorsitzenden Richter, indem er u.a. sagte: „Das ist ein politisches Verfahren“ und [mit zynischem Unterton] „Wer so denkt, wer die Grenzen nicht offenhalten will, der will Ausländern was antun…“ Er schlussfolgerte: „Mit diesem Verfahren soll ein Exempel statuiert werden [für diejenigen], die ähnliche Gedanken haben, wie beispielsweise die AfD.
Der Prozesstag endete um 16:34 Uhr.

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