Prozesstag 55: Marcel W.s angeblicher Ausstiegs-Wunsch

In der Befragung des Angeklagten Marcel W. am 25. Januar 2022 legte der Vorsitzende Richter (VR) das Hauptaugenmerk auf das Treffen am 8. Februar 2020 in Minden. Marcel W. stellte die Situation beim Treffen so dar, dass außer Werner S. und Paul-Ludwig U. niemand für die Anschlagspläne zu begeistern gewesen sei. Er selbst will eine Widerrede gehalten und einige Tage später sogar den Gang zur Polizei erwogen haben. Seiner Aussage stehen jedoch Aussagen von Mitangeklagten, frühere Aussagen von ihm selbst und Inhalte aus Chatgruppen entgegen. Wenig plausibel erscheint zudem seine Erzählung, warum die Gruppe trotz ablehnender Haltung zu den Anschlagsplänen den Kauf von Waffen plante.

Der 55. Prozesstag am 25. Januar 2022 vor dem OLG Stuttgart ist der fünfte Prozesstag, an dem der Angeklagte Marcel W. vom VR befragt wird. Bevor die Befragung startet, geht der VR auf die aktuelle Corona-Situation und die prekäre Lage in den JVAs ein, die aber keinen Grund für eine Verlegung von Inhaftierten darstelle.

Der Angeklagte Marcel W. nimmt neben seinem Rechtsanwalt (RA) Picker vor dem Senat Platz. RA Picker führt die Befragung des Angeklagten damit ein, dass sein Mandant von der bisherigen Befragung angeschlagen sei, er aber ergänzende Ausführungen zu den vorherigen Aussagen machen möchte. W. habe eine Skizze zur Sitzordnung in Minden am 8. Februar 2020 angefertigt, die er für seine Erläuterung nutze.

Der Ablauf der Anschlagsdiskussion in der Version von Marcel W.

Marcel W. beginnt seine heutige Aussage damit, dass ihm die letzten drei Namen bei der Abfrage, wer in Minden ein offensives und wer ein defensives Vorgehen befürwortet habe, wieder eingefallen seien. Dieses Thema sei nach dem Thema Entnazifizierung und Steffen B.s Demonstrationsidee aufgekommen. Werner S. sei B. jedoch hinein gegrätscht und habe gesagt, er wolle das eigentliche Thema des Tages mit ihnen besprechen. Thomas N. und Paul-Ludwig U. hätten sich offensiv positioniert. Frank H. und Thorsten W. hätten sich nicht geäußert. Steffen B., Stefan K., Tony E., Ulf R., Markus K. und Wolfgang W. hätten sich als defensiv positioniert. Weil er gesehen habe, dass das Ergebnis nicht seinen Vorstellungen entspreche, habe Werner S. eine lange Ansprache gehalten. Die Zeit von Demonstrationen sei vorbei, man könne jetzt Geschichte schreiben.

Es habe sich dann eine Diskussion zwischen Paul-Ludwig U. und Werner S. über einen Angriff auf Moscheen entsponnen. Die anderen Teilnehmenden seien mit der Situation überfordert gewesen. U. habe sich angeboten, Anschlagsziele auszuspionieren. Es seien dann Einwürfe gekommen, ob das in Richtung des Anschlags von Christchurch gehen soll [am 15. März 2019 tötete im australischen Christchurch ein Rechtsterrorist 51 Menschen in zwei Moscheen]. Jemand anderes habe auf Frauen und Kinder verwiesen, die auch dort seien. Frank H. habe sich eher dafür ausgesprochen, Moscheen anzuzünden, um für Unruhe zu sorgen. Er selbst, so Marcel W., habe dann eine Gegenansprache gehalten, in der er diese Pläne abgelehnt und hierfür von den anderen Teilnehmenden Zustimmung erfahren habe. Das Thema sei dann durch gewesen, und man habe eine Raucherpause eingelegt.

Der VR kann diese Version des Ablaufs nicht nachvollziehen. Sie decke sich nicht mit den Einlassungen anderer Angeklagter und dem, was Marcel W. bei den letzten Prozesstagen erzählt habe. In dieser Version komme die Frage, ob man offensiv oder defensiv agieren wolle, „aus dem hohlen Bauch“ heraus. Auch in den Akten gebe es nichts, was diese Version stütze. Dagegen habe Steffen B. ausgesagt, es sei klar gewesen, dass es bei der Abfrage um Anschläge gehe.

Wer brachte das Angriffsziel Moscheen zuerst ein?

Der VR möchte von W. wissen, wer das Thema Moscheen zuerst in die Runde eingebracht habe. Marcel W. behauptet, es sei Paul-Ludwig U. gewesen, der es nach Werner S.‘ Ansprache („Geschichte schreiben“) eingebracht habe. Daraufhin habe sich die bereits erwähnte Diskussion zwischen Paul-Ludwig U. und Werner S. entsponnen, weil S. eher kleinere Moscheen als Ziele bevorzugt habe.

Der VR kontrastiert diese Aussage W.s mit dessen Aussage beim Bundesgerichtshof (BGH) vom 27. März 2020, also wenige Wochen nach der Festnahme. Damals habe W. ausgesagt, Werner S. habe seine Vorstellungen erläutert, und W. habe daraufhin eine Gegenrede gehalten. Der VR weist darauf hin, dass der Name von Paul-Ludwig U. erst deutlich später auftauche, und auch die heutige Schilderung des Ablaufs von der damaligen abweiche. Er fragt W., wie es dazu komme. W. erklärt, er sei damals aus dem Leben gerissen und mit der Situation überfordert gewesen. Da Paul-Ludwig U. noch auf freiem Fuß gewesen sei, habe er Angst gehabt, dieser könnte seiner Familie etwas antun, wenn er ihn belaste.

Wie viel war vor Minden von der Anschlagsplanung bekannt?

Die nächste Frage, die im Verhandlungssaal besprochen wird, dreht sich um konkrete Anschlagsideen. Marcel W. führt aus, dass nach Werner S. Ansprache klar gewesen sei, dass sich die Pläne gegen „Ausländer“ richten sollten. Das Thema Moscheen sei aber erst im Anschluss durch Paul-Ludwig U. eingebracht worden. Als das Schlagwort „große Moschee“ gefallen sei, hätten alle gewusst, dass es um Anschläge ging. Damit hätten dann auch die Chatinhalte und die Vorgespräche einen Sinnzusammenhang ergeben, so W. Der VR gibt zu bedenken, dass es auch andersherum einen Sinn ergeben könnte: Man könnte auch unterstellen, dass vor dem Treffen schon klar gewesen sei, dass es um Anschläge gehen würde.

Nachdem sich Marcel W. bei den Befragungen zuvor immer wieder auf das Preppen als Gruppenzweck bezogen hatte, fragt der VR, ob er S.‘ Satz zum „Geschichte schreiben“ damit in Verbindung gebracht habe. „Nein, was will man beim Preppen für Geschichte schreiben?“, antwortet der Angeklagte. Der VR fragt zudem nach, warum W. in dieser Situation nicht einfach aufgestanden und gegangen sei. Die Lage sei viel zu ernst gewesen, erklärt W. Man könne da nicht einfach aufstehen und gehen. Der VR verweist darauf, dass nach W.s Wahrnehmung auch die anderen nicht einverstanden gewesen seien, und fragt, ob er auf der Heimfahrt mit dem Mitangeklagten Frank H. über die Diskussion gesprochen habe. W. bestätigt das. H. habe mit Anschlagsplänen gerechnet, das aber nicht weiter ausgeführt.

Moscheen als Angriffsziele

Werner S. und Paul-Ludwig U. hätten über Angriffsziele diskutiert. Paul-Ludwig U. soll vorgeschlagen haben, große Moscheen wie in Köln anzugreifen. Werner S. habe dies jedoch abgelehnt. Diese seien zu groß, um sie anzugreifen. Die Fluchtmöglichkeiten seien zudem nicht so gut. Stattdessen habe S. einen Angriff auf kleinere Moscheen bevorzugt. Die Diskussion habe nur zwischen S. und U. stattgefunden. U. sei schließlich gegenüber S. eingeknickt.

Egal, ob groß oder klein: Anschlag bleibt Anschlag, wirft der VR ein. Habe denn jemand das Wort ergriffen und gesagt: „Männer, ihr seid völlig durchgeknallt“? Nein, so der Angeklagte. Es habe zunächst Ruhe geherrscht. Die erste Reaktion sei dann aus der Ecke von Ulf R. und Thorsten W. gekommen, mit der Frage, ob das in Richtung Christchurch gehen soll. [Thorsten W. hatte in seiner Aussage vor Gericht diese Frage sich selbst zugeschrieben, um damit seine Ablehnung auszudrücken. Siehe Bericht 3. Prozesstag.] Er, so Marcel W., habe das so verstanden, dass es bei dem Einwurf darum gegangen sei, zu verstehen was genau zur Diskussion stehen würde. Von links sei dann noch der Einwand gekommen, dass man dann auch Frauen und Kinder angreifen würde. Paul-Ludwig U. habe erwidert, dass aus kleinen „Ratten“ auch mal große würden. [Laut Stefan K. sagte U. nicht „Ratten“, sondern „Kanaken“. Siehe Bericht 5. Prozesstag.]

Niemand stand auf und ging

Der VR will wissen, welche Reaktionen Marcel W. bei den anderen beobachtet habe. W. erzählt, Tony E. sei mit der Situation überfordert gewesen und habe gezittert. Steffen B. und Stefan K. hätten ebenfalls abwehrend und geschockt reagiert. Markus K. sei blass gewesen. An Thorsten W. könne er sich nicht mehr erinnern, dagegen aber an die total überforderte Reaktion von Ulf R., die er nicht mehr vergessen könne. Seinen Kompagnon Frank H. habe er in der Situation nicht angeschaut. Dies verwundert den VR, da W. Frank H. von den Anwesenden am besten gekannt habe; gerade da schaue man doch hin. Marcel W. behauptet, er habe sich das nicht getraut, weil H. neben Werner S. gesessen habe. Letztlich sei es darauf hinausgelaufen, dass niemand mitmachen würde, so W.

Frank H. habe noch den Vorschlag eingebracht, Moscheen anzuzünden. Damit habe er nach Auffassung von Marcel W. versucht, den Plan zu entschärfen. Der VR hält Marcel W. eine Stelle aus der Vernehmung von Frank H. vom 14. Februar 2020 vor. Dort äußerte H.: „Unruhe kriegt man schnell rein.“ Man könne Moschee anzünden, denn die Muslime seien sich selbst untereinander nicht grün. Der VR sagt, man könne das so verstehen, dass H. Anschläge im Grunde befürworte. Marcel W. hingegen beharrt auf der Interpretation, dass dies im Vergleich zum Christchurch-Plan eine Art Deeskalation sei. Der VR hält fest, dass alle Befragten gegen die Pläne gewesen sein sollen, aber niemand den Mut aufgebracht habe, „ohne uns“ zu sagen, geschweige denn, den Raum zu verlassen.

Marcel W. hielt die Gruppe für „das letzte Bataillon“ im Widerstand, will aber gegen Anschläge gewesen sein

In der Befragung durch den VR betont W., dass er der erste gewesen sei, der eine eindeutige Widerrede gegen die Anschlagspläne gehalten habe. Nachdem Frank H. gesagt habe, man könne ja Moscheen anzünden, will W. geäußert haben, dass er gegen diese Pläne sei. Die Pläne würden dem entgegenstehen, was Ziel sei und insbesondere die Sicherheit ihrer Familien gefährden, die sie damit auf dem „Silbertablett“ präsentieren würden.

Der VR hält dieser Darstellung mehrere Aussagen von Mitangeklagten entgegen. So habe Paul-Ludwig U. Mitte April 2020 in der Vernehmung geäußert, dass W. mehr Zeit und Geld für eine gute Vorbereitung eingefordert habe. Letztlich habe W. dem Ansinnen jedoch klar und deutlich zugestimmt, so U. Steffen B. habe in seiner Aussage am 19. Mai 2020 angegeben, W. habe sich zunächst defensiv positioniert, aber bestätigt, dass man etwas machen müsse. Stefan K. habe am 23. Juni 2020 W.s Haltung so eingeschätzt, dass er weder klar ja noch nein gesagt habe. W.s Einwand sei gewesen, dass die Zeit zu knapp sei und man auch selbst Kinder habe. Der VR hält fest, dass von Seiten der Mitangeklagten niemand W.s Version bestätige. Er verweist darüber hinaus auf Aussagen aus der Chatgruppe „8.2.“. Dort hatte Werner S. sein Ansinnen eindeutig beschrieben: Es sei die letzte Chance zu handeln, deshalb werde am 8. Februar „bei Brot und Wein […] Krieg“ besprochen. Marcel W. habe darauf erwidert, man könne erst kämpfen, wenn ein vernünftiges Heer stehe. Andernfalls sei alles schnell vorbei. Man sei „das letzte Bataillon“, und es handle sich um die letzte Möglichkeit des Widerstandes.

Für den VR passen die Chat-Auszüge von Werner S. und Marcel W. perfekt zu dem, was in den Verhören über das Treffen ausgesagt wurde. Marcel W. wiegelt ab, dass das Thema Moscheen erst beim Treffen angesprochen worden sei und er beim Thema Krieg nicht daran gedacht habe, Anschläge zu begehen.

„Regierung stürzen? Das ist ja völliger Schwachsinn.“

Gefragt nach dem Ziel der Erwägungen gibt Marcel W. an, man habe Unruhe ins Land bringen wollen. Seiner Erinnerung nach habe das Werner S. ins Gespräch gebracht. Er habe Muslime zu einer Gegenreaktion provozieren wollen. Er nimmt an, dass sich diese Reaktion gegen Deutschland richten sollte. Laut VR geht Frank H.s Aussage im Verhör vom 14. Februar 2020 jedoch in die Richtung, dass es zu Konflikten unter Muslimen kommen sollte.

Weiter erläutert der VR, Paul-Ludwig U. habe bei der Polizei ausgesagt, dass es Werner S. Ziel gewesen sei, mehrere Moscheen gleichzeitig anzugreifen, um einen Bürgerkrieg zu provozieren. Dadurch solle die ungeliebte Regierung gestürzt werden. Marcel W. erwidert auf diesen Vorhalt: „Regierung stürzen? Das ist ja völliger Schwachsinn.“ Der VR verweist auf die Aussage von Wolfgang W. vom 14. Februar 2020. Er habe geäußert, man habe Muslime zur Gewalt provozieren wollen, um eine Reaktion von Polizei und Militär hervorzurufen. Steffen B. habe im Mai 2020 ausgesagt, Werner S. und Paul-Ludwig U. hätten sich für bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesprochen, unterstützt von Marcel W. und Frank H. Während W. glaubt, sich daran zu erinnern, dass das Stichwort „Militär“ im Gespräch gefallen sei, kann er den Vorwurf von Steffen B. nicht nachvollziehen.

Marcel W. ergänzt, andere Anschlagsziele als Moscheen habe er am 8. Februar 2020 nicht vernommen. Er erinnert sich nur daran, dass Paul-Ludwig U. bei den Vorstellungen über die Art des Anschlags sehr kreativ gewesen sei.

Waffenbeschaffung soll nichts mit Anschlagsplänen zu tun haben

In der Darstellung von Marcel W. war das Thema Anschläge nach einer kurzen Diskussion vom Tisch. Nach einer Raucherpause habe man über Waffen gesprochen – W. zufolge völlig losgelöst vom Thema Anschläge. Für den VR klingt diese Behauptung nicht sehr plausibel.

Das Thema Waffen habe Werner S. angestoßen mit den Worten an Steffen B.: „Du kommst doch an Waffen ran.“ Laut Marcel W. war es B. „arg unlieb, dass er vor Fremden“ darauf angesprochen wurde. Als Geldbetrag wurden nach Angabe von W. 50.000 Euro veranschlagt. Die Waffenwünsche seien reihum abgefragt worden. Marcel W. kann sich angeblich aber außer bei Werner S. („Kalaschnikow“) und Paul-Ludwig U. („Eierhandgranaten“, „Uzi“) nicht an die Wünsche der Teilnehmer erinnern bzw. verneint deren Interesse. Dagegen steht die Aussage von Wolfgang W. vom 14. Februar 2020, dass alle Anwesenden mindestens eine Kurzwaffe gewollt hätten. Marcel W. dagegen behauptet nun, er habe keine Waffe gewollt. Da Paul-Ludwig U. ihn aber immer wieder bedrängt habe, habe er auf eine K98 verwiesen, auf die er in Sachsen Zugriff habe. Er begründet das als Versuch, U. ruhig zu stellen. Im März 2020 hingegen hatte W. in einem Verhör seine Ablehnung gegenüber Waffen mit Bedenken begründet: „Was, wenn die das wirklich machen?“

Für die Beschaffung der Waffen seien Steffen B. und Frank H. angesprochen worden. H. habe in der Runde gesagt, dass man mit dem Motorrad recht einfach nach Tschechien fahren könne, um Waffen zu besorgen und nach Deutschland zu bringen. Während Marcel W. die Aussage [genau wie Frank H. in dessen erster Vernehmung] lediglich als Aufzeigen einer Möglichkeit verstanden haben will, gaben Steffen B. und Stefan K. an, H. habe sich aktiv angeboten, Kurzwaffen [Pistolen] in Tschechien zu besorgen.

Gespräche über Waffenbeschaffung und Geld – alles nur „Gerede“?

Reihum wurden laut Marcel W. anschließend Geldbeträge für die Waffen zugesagt. Insgesamt sei eine Summe von 35.000 Euro zugesagt worden. Er selbst habe wegen seiner Arbeitslosigkeit kein Geld hinzugeben können, versichert Marcel W. Er könne sich nur noch an die Beträge von Werner S. (5.000 Euro) und Tony E. (vermutlich 2.000 Euro) erinnern. Paul-Ludwig U. habe wegen seiner Arbeitslosigkeit selbst nichts geben können, aber 5.000 Euro seitens der „Bruderschaft Deutschland“ zugesagt. Wie er dazu kam, das Geld zuzusagen, ohne sich abgesprochen zu haben, das habe sich W. auch gefragt. Bei Ulf R. sei er sicher, dass dieser nichts geben wollte. R. habe auch keine Waffe bestellt. Andere Gruppierungen seien im Zusammenhang mit den Finanzen nicht genannt worden. Im Laufe des Treffens seien zwar auch die Namen weiterer Personen genannt worden, die nicht dabei sein konnten; Geldzusagen hätten aber nur Anwesende gemacht. Die Frage, wie das Geld eingesammelt werden sollte, sei offengeblieben.

Bezüglich der Waffenbeschaffung sei nur vereinbart worden, dass Werner S., Paul-Ludwig U., Steffen B. und Frank H. das zusammen erledigen sollten. Auf die spätere Nachfrage, welche Aufgabe Marcel W. in der Gruppe gehabt habe, vermutet dieser, er könnte mit Frank H. für die Abholung von Waffen vorgesehen gewesen sein. Es sei aber nie etwas Konkretes besprochen gewesen. Alles sei vielmehr „Gerede“ gewesen. Einen Termin zur Abholung habe es jedenfalls nicht gegeben.

Marcel W. zu Minden: „Es wurde eigentlich nichts beschlossen“

Der VR will mehr über die Aufgabenverteilung in der Gruppe wissen, über die bereits von W. erläuterte bezüglich der Waffenverteilung hinaus. W. bestreitet, dass man weitere Aufgaben verteilt habe. Die Beschaffung von Stichschutzwesten sei Thema an der Hummelgautsche gewesen. Ob darüber in Minden gesprochen wurde, daran kann sich der Angeklagte nicht erinnern. Auf die Frage des VR, ob jemand bereit gewesen sei, sein Leben zu geben, verweist W. auf Paul-Ludwig U. Dieser habe gesagt, dass er [wegen diverser Vorerkrankungen] ohnehin bald sterbe. An den Zusammenhang dieser Äußerung kann er sich nicht erinnern und ergänzt, dass „er mit der Zeit schon längst drüber ist, wo er tot sein wollte“.

Als Ergebnis des Treffens hält W. fest: „Es wurde eigentlich nichts beschlossen.“ Paul-Ludwig U. habe am Ende versucht, Steffen B. und Werner S. zu bedrängen, etwas zu verabreden. Einen Termin für ein erneutes Treffen habe man nicht verabredet. W. gibt an, das Datum 21. März nur aus den Akten zu kennen. [Dieser Tag wurde in der überwachten Kommunikation der Angeklagten genannt. Bislang konnte der Hintergrund aber nicht geklärt werden. Siehe hierzu den Bericht zum 9. Prozesstag.] Werner S. habe gegenüber Frank H. seine Unzufriedenheit mit dem Ausgang des Treffens kundgetan. Auch Paul-Ludwig U. habe unzufrieden auf Marcel W. gewirkt. An neue Codewörter kann sich W. nicht erinnern; er erwähnt jedoch, dass der Begriff „Trauerflor“ gefallen sei. [Laut Paul-Ludwig U. sollte mit der Farbe des Flors am Ärmel der Beteiligten die Kommunikation bei der geplanten Waffenübergabe aus Tschechien erleichtert werden. Siehe Bericht 7. Prozesstag.] Werner S. habe die Aufgabe gehabt, neue Karten und Telefone in Italien zu besorgen.

Abendessen und frühzeitige Abreise

Nach dem Treffen im Mindener Haus von Thomas N. seien Marcel W. selbst sowie Wolfgang W., Paul-Ludwig U., Thomas N, Werner S., Tony E. und Frank H. in ein Restaurant gegangen, das einem Patenonkel von Tony E.s Kindern gehöre. Eventuell sei auch Markus K. mitgekommen, da ist sich W. nicht sicher. Ulf R. hingegen sei als Erster nach Ende des Treffens abgereist, nach ihm zeitlich Steffen B., Stefan K. und Thorsten W. Warum sie nicht blieben und die anderen ins Restaurant begleiteten, kann der Angeklagte nicht sagen. Er selbst sei zu Fuß zum Restaurant gelaufen. Seine Stimmungslage zu diesem Zeitpunkt beschreibt W. als depressiv und ängstlich. Er habe befürchtet, dass der Inhalt des Gesprächs rauskommen könne, ihm niemand glauben würde und er „für nichts“ ins Gefängnis gehen müsse. Frank H. habe die schlechte Stimmung bemerkt und ihm gesagt, er solle sich keine Sorgen machen. Beim Essen habe er sich dann entspannt, weil am Tag ohnehin nichts beschlossen worden sei, so W.

Die Entscheidung gegen die geplante Übernachtung in Minden sei am selben Tag gefallen. Paul-Ludwig U. habe gefragt, ob er bei W. und Frank H. mitfahren könne, was diese verneint hätten. Er sei dann mit Wolfgang W. Richtung Koblenz mitgefahren. Während Frank H. für die Rückfahrt viel Kaffee beim Essen getrunken habe, habe sich W. ein „Sturzbier“ genehmigt. Gegen 19 Uhr seien sie in Richtung München aufgebrochen, eine halbe Stunde nach Wolfgang W. und Paul-Ludwig U.

Spitzelverdacht auf der Heimfahrt

Im Auto hätten er und Frank H. von Werner S. oder Tony E. einen Anruf erhalten: U. habe bei Thomas N. gestohlen und behauptet, dass er und Wolfgang W. auf dem Weg nach Koblenz observiert würden. Marcel W. fügt an dieser Stelle an, er habe zunächst vermutet, dass Thorsten W. etwas mit der mutmaßlichen Bespitzelung zu tun haben könnte, weil er im öffentlichen Dienst arbeite. Auf die Frage des VR, wann W.s Verdacht dann auf Paul-Ludwig U. gefallen sei, antwortet W., dass das bei der Hausdurchsuchung aufgekommen sei. Werner S. habe zuvor gewarnt, voreilige Schlüsse zu ziehen, aber dennoch Paul-Ludwig U. verdächtigt. U. habe bei ihm (Marcel W.) einen schlechten Eindruck hinterlassen. An der Hummelgautsche, aber auch in Minden habe er U. verdächtigt, Drogen zu konsumieren. Er habe U. in Minden nicht abgenommen, dass er noch vom Vorabend verkatert sei.

Werner S. wollte nach Minden nur noch mit der „alten Garde“ etwas unternehmen

Bevor sie aus Minden aufgebrochen seien, hätten Werner S., Frank H. und Marcel W. verabredet, sich noch einmal zu treffen. Werner S. habe Marcel W. über Telegram wegen eines erneuten Treffens angeschrieben. Der VR blendet an dieser Stelle den Auszug eines Telegram-Chats zwischen Werner S. und Marcel W. vom 13. Februar 2020 ein. Darin ist eine Sprachnachricht von Werner S. verlinkt. In dieser kommt Werner S.‘ Enttäuschung über das Treffen zum Ausdruck. Er wolle nur noch mit der „alten Garde“ etwas unternehmen, die schon zwischen 10 und 30 Jahren im Widerstand sei, darunter Frank, Steffen, Stefan, „Otto“ [Wolf E.] und weitere. Verwundert ist er darüber, dass Ralf N. niemanden geschickt habe, und vermutet, dass dieser beleidigt wie ein „Leberwürstel“ sei. Werner S. gab in der Nachricht außerdem die Devise aus, die Füße still zu halten. Er wolle sich innerhalb der nächsten drei Tage mit Frank H. und Marcel W. treffen, um weiterzuschauen. Auf die Frage des VR an Marcel W., was ihm dabei durch den Kopf gegangen sei, antwortet dieser, er sei hin- und hergerissen gewesen. Er habe sich dann wieder mit dem Gedanken beruhigt, dass in Minden ja nichts beschlossen worden sei.

Ausstiegsszenario trotz reger Chat-Aktivität?

Der VR hält dem Angeklagten W. einen Auszug aus seiner Vernehmung vor dem Haftrichter vor. Dort habe W. ausgesagt, dass er mit den Leuten nichts mehr zu tun haben wollte und es die Woche nach Minden in ihm gearbeitet habe. Am darauffolgenden Wochenende [14. bis 16. Februar 2020] habe er alles abbrechen und die Kontakte löschen wollen, da ihm seine Familie wichtiger sei. Der VR fragt nach, wie das mit dem geplanten Treffen mit Werner S. zusammenpasse. Marcel W. behauptet, er habe ihm seinen Ausstieg direkt mitteilen wollen. Dies hätte er auch direkt in Minden machen können, wendet der VR ein. „Stellen Sie sich mal die Situation vor“, erwidert Marcel W.

Der VR weist auf die Telegram-Gruppe „Tutto ramazotti“ und Marcel W.s Aktivitäten darin hin. W. gibt an, diese Gruppe sei als Nachfolge-Chat zur „Heimat“ gegründet worden. Dies sei wegen des Spitzelverdachts gegen Paul-Ludwig U. nötig gewesen, weil einige Inhalte des „Heimat“-Chats „missverständlich“ gewesen seien. Ob alle anderen Teilnehmer aus Minden ebenfalls in diesem Chat gewesen seien, wisse er nicht. In einem Chatauszug, der an die Wand projiziert wird, sind auch Namen zu lesen, die nicht mit dem Treffen in Minden in Zusammenhang stehen.

Der VR fragt nach den Zugangskriterien für diesen Chat, den Werner S. eröffnet habe, und welchen Zweck der Chat gehabt hätte. Diente der Chat dazu, die 100-prozentig Vertrauenswürdigen zu sammeln? Marcel W. gibt hierauf keine Antwort. Er habe gedacht, es gehe darum, alle über den Spitzelverdacht gegen Paul-Ludwig U. auf dem Laufenden zu halten. Er habe im Chat mitgemacht, um herauszufinden, was aus dem Spitzelverdacht werde. Der VR macht auf die Datenauswertung des Chats aufmerksam, die zeige, dass W. rege in der Gruppe aktiv gewesen sei. Warum, wo er doch habe aussteigen wollen? Marcel W. sagt, er habe Angst gehabt, selbst für einen Spitzel gehalten zu werden. Und davor, dass die Polizei eines Tages vor seiner Tür auftauchen könnte. Seine Chat-Nachricht „Wir sollten die Gruppe Heimat schließen! Wenn er v mann [sic!] ist, wissen die mehr als Bescheid“ will er so gedeutet wissen, dass die Inhalte in Verbindung mit dem Treffen am 8. Februar missverstanden werden könnten. Er habe mit niemandem über das Treffen am 8. Februar gesprochen, will aber selbst eine Anzeige bei der Polizei für den Fall erwogen haben, dass Werner S. bei seinem Plan geblieben wäre.

Marcel W.: Planlos beim „Tag der Nation“ in Berlin

Der VR schließt den Fragenkomplex zum Minden-Treffen am 8. Februar 2020. Er wendet sich nun kleineren Themenkomplexen zu. Einer davon ist die Demonstration am 3. Oktober 2019 in Berlin. Marcel W. bemüht sich, eine Verbindung zu dieser Demonstration von sich fernzuhalten. Er sei kein Demogänger mehr und habe auch nicht an dieser Demonstration teilgenommen. Ob die „Bruderschaft Deutschland“ zur Demo aufgerufen habe und ob die Teilnahme an der Demonstration im Chat von „Wodans Erben Germanien“ besprochen wurde, habe ihn nicht interessiert. Bei der Frage, ob an der Hummelgautsche wenige Tage zuvor über die Teilnahme an der Demonstration diskutiert wurden, erklärt W., es nicht mehr zu wissen.

Der VR hält ihm einen Auszug aus dem Chat „WEG Bayern Leitung“ vor, in dem Marcel W. demnach schreib, dass Ralf N. auch nach Berlin fahre. Bei der Frage, ob und wie viele Teilnehmende von „Wodans Erben Germanien“ nach Berlin gefahren seien, benennt W. Frank H., einen Andreas mit dem Spitznamen „Planlos“ und zwei, drei weitere Mitglieder als Teilnehmer. Nach Angabe von Frank H. aus einem Chat mit Daniel K. vom „Bündnis Deutscher Patrioten“ hingegen nahmen „17 Mann in Farben [Abzeichen ihrer Gruppierung] und ohne“ teil.

Der VR lässt Fotos von der Demonstration in Berlin auflegen und befragt Marcel W., wen er erkenne. So sind auf dem ersten Bild Frank H., Werner S. und Ralf N. zu sehen. W. erkennt einzelne Mitglieder der „Wodans Erben Germanien“. Laut einer Nachricht von Frank H. in der Gruppe „Heimat“ vom 9. September 2019 habe man je zwei Interessenten aus Burgau, Konstanz und Ulm für die Demonstration gehabt. Marcel W. gibt sich weiterhin uninteressiert, wisse weder, ob auf der Hummelgautsche konkret etwas besprochen wurde, noch dass bei den „Wodans Erben“ viel darüber gesprochen wurde. Von einer Vernetzung in Berlin habe er keine Ahnung. Der VR hält dagegen, Frank H. habe im Chat geschrieben, die Demonstration in Berlin diene auch der Vernetzung seiner „Wodans Erben Germanien“ mit dem „Bündnis deutscher Patrioten“, der „Bruderschaft Deutschland“ und dem „Freikorps Division Heimatschutz“.

Marcel W.s Hang zu Waffen

Zum Abschluss des Prozesstages befragt der VR den Angeklagten W. zu seinem Verhältnis zu Waffen. W. hatte zu einem früheren Zeitpunkt erzählt, dass er Zugriff auf einen K98 Karabiner habe. W. gibt an, sein Opa habe ihn als Kind mit auf einen Schützenhof nach Leipzig mitgenommen. Auf die Frage, wie er zu Waffen stehe, antwortet Marcel W., sein Verhältnis sei „normal“. Das bedeute, er wisse, dass Waffen einem nichts tun, sondern nur die Menschen, die diese benutzen.

Auf die Frage, ob er Waffen besitze, zählt W. auf: eine Schreckschusswaffe von Röhm, zwei Camping-Messer (für Holz und zum Kochen) sowie ein altes Bajonett, welches er von seinem Onkel zum 17. oder 18. Geburtstag geschenkt bekommen habe. Es werden mehrere Aufnahmen von Asservaten im Gerichtssaal eingeblendet. Darunter befindet sich auch eine kleine Pistole, die W. von seinem Schwiegervater erhalten haben will, sowie eine Waffe seiner Frau. Eine Waffenberechtigung brauche er dafür zuhause nicht, so W. Die Pistole habe er nur mal an Silvester auf seinem Balkon eingesetzt.

Eine letzte Aufnahme zeigt ein Bild von Marcel W. an einem Maschinengewehr. Das Foto schickte W. an Frank H. W. erklärt dazu, es sei im Waffen- und Anglergeschäft seines Schwiegervaters aufgenommen worden. W. gibt an, gerne eine solche Waffe besitzen zu wollen. Auf die Frage, ob er Waffen verkauft habe, erwidert Marcel W., er habe nur den Kontakt zu seinem Schwiegervater vermittelt. Damit endet die Befragung des Angeklagten Marcel W.

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