Prozesstag 54: Marcel W. stellt Paul-Ludwig U. als Einheizer von Minden dar

Am 20. Januar 2022 konnte das Verfahren um die „Gruppe S“ mit dem 54. Prozesstag fortgesetzt werden. Erneut wurde der Angeklagte Marcel W. aus Pfaffenhofen vernommen. Der Vorsitzende Richter (VR) versuchte, ihn insbesondere zu Aussagen zum Treffen der Tatverdächtigen am 8. Februar 2020 in Minden zu befragen. Als einige Anwesende über die Planung von Demonstrationen geredet hätten, so W., sei Werner S. dazwischen gegangen und habe das Thema beendet. Später habe Paul-Ludwig U. die „Schlagworte“ „Große Moschee Köln“, „Waffen“, „Handgranaten“, „Uzi“ etc. eingebracht; ihn identifizierte Marcel W. neben Werner S. als Wortführer des Treffens und insbesondere als Einheizer beim Thema Anschläge. Bei W. Angaben wurde ein auffälliger Unterschied zwischen seiner Aussage vor Gericht und seiner Aussage vor dem Haftrichter 2020 kurz nach seiner Verhaftung deutlich: 2020, als W. noch nicht wissen konnte, dass Paul-Ludwig U. die „Gruppe S“ an die Behörden verraten hatte, hatte er ihm keine besondere Rolle bezüglich der Anschlagsgespräche zugeschrieben. Zwei Jahre später und im Wissen um U.s Verrat stellte er diesen als denjenigen dar, der diese Pläne in Minden aufs Tableau gebracht hätte.

Der Vorsitzende Richter (VR) verkündet eingangs, dass die Verteidiger*innen (RA*innen) Rueber-Unkelbach und RA Hofstätter heute fehlen. Außerdem berichtet er, dass mehrere Prozessbeteiligte Kontakt zu Corona-Infizierten gehabt hätten und er mit mehreren lokalen Experten darüber gesprochen habe, wie sowohl die Fortsetzung der Verhandlung als auch die Sicherheit der inhaftierten Angeklagten trotz der Omikron-Welle sichergestellt werden könne. Der VR betont die Wichtigkeit von Tests und Impfungen und verfügt eine FFP2-Maskenpflicht im gesamten Gebäude. In medizinischen Ausnahmefällen sei auch eine OP-Maske erlaubt. Sollte jemand die FFP2-Maske nicht die komplette Dauer eines Prozesstages hindurch tragen können, werde er Pausen einlegen. Im Sinne der Angeklagten wolle er, so der VR, wo immer möglich vermeiden, Verhandlungstage ausfallen zu lassen. Wer Kontaktperson sei, dürfe sich auch ohne Quarantäneordnung von den folgenden Prozesstagen abmelden.

Nun treten Marcel W. und sein RA Picker nach vorn. W. sagte bereits an den vergangenen beiden Prozesstagen aus und stellt sich heute erneut den Fragen des VR. Dieser möchte zuerst mehr über W.s Fahrt zum Treffen nach Minden im Februar 2020 erfahren. Marcel W. berichtet, er sei von Frank H. gegen sechs oder sieben Uhr morgens zuhause abgeholt worden. In Minden angekommen, habe man als Treffpunkt ein Restaurant angesteuert. Warum nicht Thomas N.s Adresse, wo das Treffen stattfand, will der VR wissen. W. erwidert, das Restaurant habe einen Parkplatz.

„Ich bin ja nicht erst seit heute im Widerstand“

Der VR hingegen vermutet, dass man diesen Treffpunkt aus Angst vor Überwachung wählte. Er zitiert dazu aus einem Chat zwischen Tony E. und Marcel W., in dem dieser als Begründung für die Geheimhaltung des Treffpunkts schrieb: „Auch Telegram ist nicht sicher…“. Der VR kommentiert: „Das liest sich nicht wie eine Parkplatzsuche.“ Aus einem anderem Chat geht hervor, dass auch andere Eingeladene die Adresse erst am Vortag des Treffens erfuhren.

Marcel W. führt aus: „Ich bin davon ausgegangen, dass es sich um eine Aktion gegen die Antifa handeln kann, also ne Aktion im strafbaren Bereich. Deswegen diese Heimlichtuerei.“ Der VR hakt nach: Es sei doch ein Treffen geplant gewesen, keine Aktion gegen die Antifa. Marcel W. sagt dazu, er sei davon ausgegangen, eine Aktion gegen die Antifa werde beim Treffen besprochen. Darum sei die Sicherheitsvorkehrung „gang und gäbe“, schließlich könne jeder den Chatgruppen beitreten, und die Polizei könnte vielleicht mitlesen. „Ich bin ja nicht erst seit heute im Widerstand“, betont W. Was er damit meine, will der VR wissen. „Dass diese Vorsichts-Dinger schon immer so waren […] in der rechten Bewegung.“ Mit „Widerstand“ meine er „nicht gegen was Bestimmtes, gegen verschiedene Sachen, […] gegen Angst zum Beispiel.“ „Sagen Sie es doch“, fordert der VR. W. formuliert: „Dass für alle ohne Kontrollen hier die Tore geöffnet wurden. Dass die Ängste und Nöte von Leuten auf der Straße einfach ignoriert wurden.“ Sein Widerstand richte sich auch „gegen Gewalt von Links und Gewalt gegen normale Rentner. Teilweise gegen die Art und Weise der Regierung, dass sich die Parteien gegenseitig zerpflücken, anstatt die Probleme gemeinsam anzugehen.“

W. beklagt sich: Er sei mit Begriffen wie „Widerstand“ aufgewachsen und habe vor „dem verdammten Treffen“ nicht darüber nachgedacht, wie er formulierte. „Jetzt sieht das anders aus“, gibt er zu. Er habe aber nichts „mit bösem Hintergedanken“ gesagt oder geschrieben. Das sei alles „dummes Gequatsche“, das hätten auch alle im Chat gewusst, der ja zumal geschlossen gewesen sei.

Wieder die Erzählung von der friedlichen Demo-Eskorte

Der VR kommt zurück auf die Frage nach Thomas N.s Adresse: „Jetzt standen Sie am Restaurant. Als Sie das Auto abstellten, wussten Sie, wo es jetzt hingeht?“ W. gibt an, er könne sich nicht mehr genau daran erinnern, wann und wie er die Adresse erfahren habe. Jedenfalls habe man auf dem Parkplatz auf Werner S. und Tony E. gewartet und sei dann gemeinsam zu N.s Haus gegangen. Der VR hilft seiner Erinnerung auf die Sprünge und liest eine Sprachnachricht von Tony E. vor, in der dieser Marcel W. die Anschrift nennt. Dann zitiert er eine Chatnachricht von Frank H. an W., in der dieser ihn bittet, sich zum Essen im Restaurant später „nach Möglichkeit neutral oder was Dezentes“ anzuziehen. Was sich W. dazu dachte, will der VR wissen. W. argumentiert, im Restaurant sei „Publikumsverkehr“, weiter habe er das aber nicht hinterfragt, sondern sich aus Höflichkeit daran gehalten.

Der VR erkundigt sich, ob Marcel W. als Privatmann oder als Repräsentant der „Wodans Erben Germanien“ teilnahm. W. antwortet: beides, an erster Stelle aber für die W.E.G. In diesem Zusammenhang bittet der VR um Erklärung einer Formulierung W.s im Chat mit Werner S., wo dieser W. zu „absoluter Verschwiegenheit“ aufforderte und etwas über „Antifa klatschen“ schrieb. Was das mit W. als W.E.G-Repräsentant zu tun habe? Marcel W. behauptet, er habe das so interpretiert, dass Werner S. in Minden etwas bereden wollte – aber nichts über Gewalttaten der W.E.G, er habe es eher verstanden als Bezug auf das „Eskortieren von Leuten [von Demonstrationen] zu Parkplätzen“.

Ein dritter W.E.G-Repräsentant war nach Minden geladen

Was die genaue Rolle W.s als W.E.G-Repräsentant beim Mindener Treffen gewesen sei, fragt der VR. „Man hört sich das an, nimmt das mit und bespricht das im Führungschat. Und dann wird das in die verschiedenen Chats, BaWü oder Bayern, geschrieben, wer Interesse hätte.“ Im virtuellen Zeitalter könne man Aktionen sehr schnell planen. W. fügt an, er und Frank H. seien „in Farbe“ nach Minden gefahren, also er in einer W.E.G-Jacke und H. in einem Zipper mit W.E.G-Symbol. Primär seien sie als Repräsentanten der W.E.G Bayern dort gewesen, „aber nach einem Gespräch mit den Bundesweiten“ auch für die gesamte Gruppe.

Als der VR sich erkundigt, ob außer W. und H. weitere W.E.G-Mitglieder zum Treffen eingeplant gewesen seien, nennt W. einen Kameraden namens Wi., der wegen eines Todesfalls seiner Großmutter nicht gekommen sei. W. merkt aber an, dass er sich nicht sicher sei, ob er das gerade mit einem anderen Treffen verwechsle. Offenbar nicht, denn der VR zitiert eine WhatsApp-Nachricht von Marcel W. an den Kameraden Wi. fünf Tage vor Minden, in der er Wi. beschwört: „Du wirst auch zu diesem Treffen und was dort gesagt wurde mit nichts und niemandem reden.“ Auch diese Vorsichtsmaßnahme begründet Marcel W. mit seiner damaligen Vermutung, es würden Aktionen gegen die Antifa besprochen. Da sei das „ja ganz normal“. Bezogen auf Wi.s spontanes Wegbleiben vom Treffen merkt Marcel W. noch an: „Im Nachhinein bin ich froh, dass er nicht mitgekommen ist. Sonst würde er wahrscheinlich auch hier sitzen.“

Wer kannte wen?

Gefragt danach, mit welchen Teilnehmern er in Minden vorher gerechnet habe, zählt W. mehrere rechte Gruppierungen auf: die „Bruderschaft Deutschland“, W.E.G, das „Freikorps“. An angekündigte Personen kann sich W. nicht erinnern, nur an Ralf N. – der absagte – und „der Fremdenlegionär, keine Ahnung wie der hieß“.

Auch hier hilft der VR mit Zitaten aus der Chatgruppe „8.2.20“ nach, wo Werner S. am 1. Februar 2020 die Eingeladenen aufzählte: „Thorsten, Ralf, Tobi, Paul, [Frank] H., Markus, Matze [Marcel W.], ein Mann von Tony eventuell, Sören, […] Otto würde ich auch einladen.“ Marcel W. behauptet, mit manchen dieser Namen nichts anfangen zu können.

Auf Bitte des VR zählt W. auf, wen er schon vor Minden getroffen habe: Tony E. und Paul-Ludwig U., Werner S., Wolfgang W., Thomas N. und „Matze zwo“ [Michael B.] an der Hummelgautsche. Frank H. habe er schon aus W.E.G gekannt. Steffen B., Ulf R., Markus K., Steffen K., Thorsten W. und Ralf habe er zuvor noch nie getroffen; Sören kenne er nicht. Die ihm Unbekannten habe er auch in den Chatgruppen nicht bewusst wahrgenommen. Außerdem habe er in Minden erstmals Thomas N.s Frau getroffen, die aber nur das Essen gebracht habe. Ulf R. sei als letzter zum Treffen gekommen.

„Verfolgungswahn“ wegen potenzieller Überwachung

Zum zeitlichen Ablauf des Treffens gibt Marcel W. an, bis zur Vorstellungsrunde habe man nur über Belangloses gesprochen. Der VR wundert sich darüber angesichts W.s Behauptung, er habe erwartet, dass es beim Treffen um Straftaten gehen würde. „Worum es geht, dazu kein Wort?“ W. verneint. Dazu, wer die Idee hatte, die Handys rauszulegen, fällt W. nicht mehr ein. Dass man das getan habe, habe er aber als normal gefunden, besonders hinsichtlich seiner Erwartung an das Thema des Treffens. „Ich kenn’s nicht anders.“ Er habe einen „Verfolgungswahn“. Schließlich hätten Smartphones damals schon eine Spracherkennung gehabt.

Irgendwer – W. beruft sich wieder auf Erinnerungslücken – habe um eine Vorstellungsrunde gebeten. Dabei habe er, so W., erstmals von den „Vikings“ gehört. W. bestätigt Aussagen einiger Mitangeklagter, dass sich Werner S. vorgestellt habe mit den Worten, er müsse sich nicht vorstellen, und Paul-Ludwig U. geprahlt habe, man könne ihn googlen, dass er den Staat verklagen werde und „volle Entscheidungsgewalt“ im Namen der „Bruderschaft Deutschland“ habe, obwohl er dort nur Mitglied auf Probe sei – Letzteres habe für Irritation gesorgt. Ebenso die Vorstellung von Thorsten W. als Beschäftigter im öffentlichen Dienst; an diese Diskussion will sich Marcel W. aber nicht mehr genau erinnern können.

Schweigegebot mit Strafandrohung: „Dass er umgebracht wird oder so“

Der VR will das nicht so stehen lassen: „Wir geben unsere Handys ab und machen alles total geheim, aber lassen einen Polizisten am Tisch sitzen?“ W. gibt an, den meisten sei das egal gewesen, schließlich habe der Großteil noch nicht gewusst, worum es später gehen sollte. Warum dann die Argwohn gegenüber einem Beamten, will der VR wissen? Marcel W. beharrt darauf, dass die meisten Anwesenden nicht hätten absehen können, was besprochen würde; die Moscheen seien noch nicht angesprochen worden: „Ich glaube, dass dieses ekelhafte Thema erst ganz zum Schluss kam.“

Nach den Standpunkten in der Diskussion um Thorsten W.s Teilnahme gefragt, ist Marcel W. wieder unsicher. Letztlich sei Thorsten W. aber geblieben, darum gehe er davon aus, dass die meisten kein Problem mit seiner Anwesenheit gehabt hätten. Der VR hält ihm eine Aussage von Steffen B. vom 19. Mai 2020 vor, der sagte, dass Marcel W. gegen Thorsten W.s Teilnahme gestimmt habe. W. gibt an, er würde das auch vermuten, sei aber nicht sicher. Der VR gibt ein Gespräch zwischen Marcel W. und Werner S. vom 8. Februar 2020 um 22.40 Uhr wieder, in dem Marcel W. sein Unwohlsein über diese Entscheidung ausgedrückt habe und gesagt habe, Thorsten W. habe sich von ihm mit einem süffisanten Lächeln und den Worten verabschiedet: „Wir sehen uns.“

Der VR fragt nach einer Warnung in Minden, man solle nichts über dieses Treffen nach außen tragen. Wer das sagte, will W. nicht mehr genau wissen: Werner S. oder Paul-Ludwig U. seien das gewesen. Er bestätigt aber die Aussage anderer Angeklagter, dass diese Aufforderung mit einer Strafandrohung verbunden gewesen sei: „Ja, dass er umgebracht wird oder so.“ Außer dem Raum des Treffens habe er, so W., nur die Toilette gesehen sowie bei vier, fünf Raucherpausen eine Biertischgarnitur am Haus.

„Ich bin ja zu jung, um ein Nazi zu sein“

Als die inhaltliche Diskussion in Minden begann, habe man sich erst locker unterhalten, so Marcel W. Alle hätten darauf gewartet, dass Werner S. seine angekündigte Ansage machen würde. Zuerst habe Thomas N. „mit dem Entnazifizierungsthema“ angefangen; ob allein oder gemeinsam mit anderen und ob Werner S. das anmoderierte, kann Marcel W. nicht mehr mit Sicherheit sagen. „Haben Sie begriffen, um was es da geht“, fragt der VR. W.: „Dass man kein Nazi mehr ist. […] Ich bin ja zu jung, um ein Nazi zu sein.“ Er kenne das nur aus dem Geschichtsunterricht; „dass das heute noch gemacht wird, wäre mir neu“. Für dieses Thema hätten sich ohnehin kaum Anwesende interessiert. Jedenfalls habe Thomas N. zur Entnazifizierung irgendwelche Ausdrucke mitgebracht, die ihm sehr wichtig gewesen seien – Marcel W.: „Ob das jetzt ein richtiges Dokument ist, das da von Russland kommt, das sei dahingestellt“ – und habe so gewirkt, als sei in seinen Augen die „Entnazifizierung“ das Hauptthema des Treffens. Markus K. könnte das ebenso gesehen haben.

Als man übers Preppen gesprochen habe, so W., habe Ulf R. gesagt, „dass er ein paar Lagerstätten ums Haus hat und das Haus so vorbereitet hat, dass er sich verteidigen kann“. Der VR macht darauf aufmerksam, dass andere Angeklagte den Ablauf der Themen anders beschrieben hätten: erst Prepping, dann Moscheen, dann Entnazifizierung. Marcel W. beharrt darauf, dass man über Moscheen zuletzt gesprochen habe. Beim Thema Preppen „war es im Prinzip wie an der Hummelgautsche: Viel Reden, und es geht nicht weiter.“ Man habe auch keinen Termin für einen Prepping-Lehrgang oder ähnliches vereinbart. Auch zur Entnazifizierung habe man seiner Erinnerung nach nichts weiter beschlossen.

Werner S.: Auch laut Marcel W. nicht mehr an Demonstrationen interessiert

Neben den drei genannten Themen besprach man laut Marcel W. unter Federführung von Steffen B. oder Stefan K. auch Demos. W. tippt, dass es Werner S. war, der dieses Gespräch „abrupt“ beendet habe. Der VR hält ihm diesbezüglich Steffen B.s Aussage vom 19. Mai 2020 vor, in der dieser behauptete: „Ich habe gesagt, dass ich bei der VSG bin, dass da aber nichts mehr läuft, und wir hier sind, um Plakate zu drucken für die nächste Demo. Und da wurde ich von Herrn S. unterbrochen. […] Er hat gesagt, dass wir über den Scheiß schon lang hinaus sind und andere Dinge passieren müssen.“ Marcel W. sagt dazu, an den genauen Wortlaut könne er sich nicht mehr erinnern, „aber es passt“.

Direkt danach habe Werner S. zu einer langen Ansage ausgeholt, den genauen Inhalt könne er aber nicht mehr wiedergeben. Der VR hilft aus mit W.s früherer Aussage: Geschichte schreiben statt auf Demos gehen. Marcel W. kommentiert, diese Rede von S. habe ihn durch ihre Heftigkeit erschreckt, trotz der Ankündigung, bei dem Treffen werde S. eine Ansage machen. S. sei dabei auch laut geworden. „Ich hab ihn als netten, normalen und verständnisvollen Menschen kennengelernt an der Hummelgautsche.“ Bei seiner Ansage in Minden sei Werner S. ganz anders gewesen. Bei diesem Punkt habe er S. und U. als Wortführer wahrgenommen.

Nicht Werner S., sondern nun doch Paul-Ludwig U. als Einheizer?

S. habe mehr geredet, aber U. habe „die Schlagworte gebracht: „große Moschee Köln“, „Waffen“, „Handgranaten“, „Uzi“. An diesem Punkt habe Marcel W. widersprochen. Ein anderer habe eingeworfen: „Da sind auch Frauen und Kinder drinne“, und U. habe erwidert: „Aus kleinen Kanaken werden große.“ W. merkt an: „Ich kann nicht sagen, ob das das war, über was S. tatsächlich reden wollte. Er hat ja zur großen Moschee nicht gesagt: ‚Nee, sowas machen wir nicht‘, sondern er hat gesagt: ‚Wir nehmen kleine [Moscheen]‘.“ Marcel W. sagt, er könne sich vorstellen, dass U. bei diesem Punkt keine Geduld für S.‘ ausschweifende Redeweise gehabt und darum auf den Punkt gebracht haben könnte, was S. ohnehin hätte sagen wollen. Nach diesem Punkt und S.‘ Ansage vom „Krieg“ seien alle still gewesen. „Das musste erstmal sacken.“

Der VR will wissen, ob die Abfrage, wer offensiv und wer defensiv sei, vor oder nach dem Moschee-Thema gekommen sei. Marcel W. ist sich nicht sicher, er schreibt die Frage aber Werner S. zu. Auf die Frage, wie W. diese Frage interpretiert habe, sagt dieser: „Defensiv: Wer für Verteidigung ist. Und offensiv: Wer offensiv ist.“ Der VR fragt, nach dem Zusammenhang. W.: „Wenn was passiert, ziehen wir uns zurück, verstecken wir uns: Das hätte ich in die Ecke defensiv geschoben. Und offensiv: Angriff.“ Worauf dieser Angriff abzielen sollte, sei ihm nicht klar gewesen. Er habe auch nicht das Gefühl gehabt, als wüssten alle Beteiligten, was „offensiv oder defensiv“ genau bedeuten sollte.

„Ich hab defensiv gesagt!“

Ob niemand nachgefragt habe, erkundigt sich der VR. Marcel W. verneint. „Aber das ist auch verständlich, weil die Leute ja eigentlich auch dieses Preppen an sich vorhatten. Das war ja bei [Steffen] B. auch genau das Gleiche, oder bei H. und mir.“ Wer sich auf die Frage hin als defensiv und wer als offensiv einordnete, kann W. nicht mehr genau sagen. Er befürchte, seine richtigen Erinnerungen nicht von dem trennen zu können, was er aus den Akten wisse. Der VR gibt Stefan K.s Aussage wieder: „U. hat gesagt, er wäre offensiv. Der H. war offensiv. Auch [Werner] S. [Steffen] B. hat defensiv gesagt.“ Weiter liest der VR vor, wie K. in der damaligen Aussage die Begriffe interpretierte: „Offensives Verhalten wäre Angriff, wirklich purer Angriff.“ Steffen B. habe einen Monat vor K.s Aussage zur Polizei zu dieser Frage gesagt: „Es ging um Anschläge“, das sei jedem klar gewesen. Der VR hakt nach: Ob das Marcel W. damals auch klar gewesen sei. Ganz abwegig sei die Assoziation von „offensiv“ mit Anschlägen schließlich nicht, wo doch zuvor Demonstrationen als nicht mehr ausreichend bezeichnet worden seien. Marcel W. hält dagegen, es hätte ja immer noch um Aktionen gegen die Antifa gehen können.

Dann fragt der VR nach, ob W. wirklich sicher sei, dass er sich als defensiv bezeichnete: K. habe ausgesagt, Marcel W. sei sich bei der Frage „nicht ganz sicher“ gewesen. Der VR merkt an, dass K. keinen Grund gehabt habe, Marcel W. zu belasten. W. beharrt auf seiner Aussage und ruft: „Ich hab defensiv gesagt! Aber ich konnte auch nicht wirklich was damit anfangen.“ Daran, dass jemand seinen Standpunkt zur Einordnung defensiv oder offensiv erläutert hätte, kann sich Marcel W. nicht erinnern.

Laut W. wurde in Minden nicht über Anschläge auf Politiker gesprochen

Der VR stellt fest, dass Marcel W.s heutige Aussage von der abweiche, die er beim Haftrichter des BGH machte, und zitiert von damals: „Dann ging es eigentlich schon ins Volle. Dann hatte Teutonico [Werner S.] seine Ideen geäußert. Er war sehr dominant und hat das Gespräch bestimmt. Ich hab in der Zeitung gelesen, es soll über Politiker gesprochen worden sein. Das ist da nicht in der Runde vorgekommen. Da ging es um die Moscheen. Als er fertig war mit seiner Vorstellung, gab es für jeden die Möglichkeit, was zu sagen. Diese Möglichkeit hab ich ergriffen und meine Abneigung erklärt. Frank H. hat mich auch bestätigt, man will ja in einer friedlichen Zukunft leben und keinen Krieg.“ Diesen Auszug kommentiert der VR: „Es ist verblüffend, dass in dieser Passage der Herr U. nicht auftaucht. Da haben Sie einen Termin beim Haftrichter und Sie erzählen aus der Erinnerung von vor sechs, acht Wochen. Und da kommt keine Entnazifizierung vor und kein Herr U.“

Oberstaatsanwältin bezeichnet W.s Erzählung als „totaler Quatsch“

Marcel W. verteidigt sich: „Ich wurde danach auch nicht gefragt. Sie wissen auch nicht, was das für eine psychische Belastung ist. […] Letztlich ist das auch nichts anderes, als was ich jetzt gesagt habe.“ Oberstaatsanwältin Bellay ruft: „Totaler Quatsch!“ Der VR beharrt darauf, dass Marcel W. zwei verschiedene Aussagen gemacht habe. Der Senat werde sich dazu eine Meinung bilden. Er will Marcel W. festnageln: „Sie sagen, was sie heute sagen, das ist das Richtige?“ Marcel W. antwortet vage: „Soweit ich es sagen kann…“ Bei der Haftprüfung sei es nur um den Moschee-Komplex gegangen, da sei nach nichts anderem gefragt worden.

Der VR lässt das so stehen und kommt zurück auf die offensiv-defensiv-Frage in Minden. „Hatten Sie das Gefühl, dass ein Erwartungsdruck aufgebaut wurde?“ Marcel W. erwidert, vielleicht habe S. mit dieser Frage eher die Anwesenden einschätzen wollen. Das sei aber schwer zu sagen. Der VR konkretisiert seine Frage: „Wenn ich mir überlege, ich will einen Anschlag begehen. Dann brauch ich eigentlich keine Defensiven.“ Daraus schließe er, dass es eine Erwartungshaltung gegeben habe. Marcel W. sagt nun doch: „Ich denke schon, dass es eine Erwartungshaltung gab, ja. […] Vom Fragesteller, von S.“

Ob auf die Einordnung einiger als defensiv jemand negativ reagiert habe, will der VR wissen. Marcel W. verneint. Der VR hakt nach: Ohne Erläuterung sei die Frage nach offensiv oder defensiv doch sinnlos. Marcel W. kommt daraufhin wieder auf seine damalige Interpretation zurück, es könnte um Demos oder die Antifa gehen. Das habe er aber nicht laut ausgesprochen, es hätte also sein können, dass andere bei B.s oder K.s Erwähnung von Demos auch an andere Anlässe als die Antifa gedacht haben könnten. Er jedenfalls, so W. hätte sich bezüglich Demonstrationen gegen die Antifa als offensiv eingeordnet; als später das Thema Moscheen aufkam, hätte er sich hingegen als defensiv verstanden. Der VR will es konkreter wissen: Ob Werner S. bei der Ansage, die Zeit der Demos sei vorbei, deutlich gemacht habe, dass er sich lediglich auf körperliches Vorgehen gegen die Antifa bezog? W. verneint: S. habe ausschließlich gesagt, dass man über Demos hinaus sei.

„Dass da ein oder zwei vorhatten, was zu machen mit Moscheen“

Wann U. die große Moschee in Köln erwähnt habe, fragt der VR. „Das ist das, was ich auch nicht mehr weiß“, antwortet W. „Ob er reingeschossen ist mit der großen Moschee in Köln und S. dann sagte: ‚Nee, was Kleines‘ – oder ob er Moschee gesagt hat, und dann große Moschee, und dann S. das gesagt hat.“ Dass U. die große Moschee in Köln ins Gespräch brachte, da sei sich W. aber sicher. „War da klar, dass er nicht davon spricht, dass man die bloß mal besuchen könnte, sondern dass er da was vorhat“, hakt der VR nach. „In dem ganzen Zusammenhang ja“, gibt W. an. „Es hat dann alles Sinn ergeben.“

Der VR präzisiert, das Ganze könne nur folgendermaßen einen Sinn ergeben: „Einer sagt: ‚Wir machen ne Demo gegen die Antifa.‘ Dann sagt jemand: ‚Wir sind darüber längst hinaus.‘ Und dann, wenn jemand sagt: ‚Moschee in Köln‘, das passt doch nicht zusammen. Sondern es müsste jemand sagen: ‚Sprechen wir doch nicht über das Ziel Antifa, sondern über das Ziel Moslems.“ Marcel W. widerspricht: „Das ist ja das komplette Gegenteil von dem, was ich gesagt habe.“ Der VR erwidert: „Aber vielleicht vernünftiger im Ablauf.“ Marcel W. beharrt auf seinen Angaben. Bei der Gegenrede gegen Demos sei ihm klar gewesen, dass seine Vermutung, es gehe um die Antifa, nicht passe. „Und dann war klar, was gemeint war. Nämlich, dass da ein oder zwei vorhatten, was zu machen mit Moscheen.“ Der VR fragt, ob er hier an Anschläge dachte. W. dazu: „Schon. Aber das war ja kein Plan oder irgendwas, sondern die haben halt ihr Zeug erzählt.“

W.s RA Picker bittet um eine Pause: W. habe Konzentrationsschwierigkeiten. Der VR entscheidet sich, die Verhandlung nun zu unterbrechen. Er werde den vorgesehenen Zeugen für den kommenden Prozesstag ausladen, sodass W. die Gelegenheit für weitere Angaben habe.

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