Der Vorsitzende Richter (VR) setzte am 13. Januar 2022 im Verfahren gegen die „Gruppe S“ die Befragung des Angeklagten Marcel W. fort. Dabei legte der VR den Fokus auf Chatgruppen und private Chats, an denen W. beteiligt war. Marcel W. war einen Tag nach dem Treffen an der Hummelgautsche Ende September 2019 den Chatgruppen „Heimat“ und „Netzwerke Bayern/Baden-Württemberg“ beigetreten und im November 2019 von Werner S. zum Administrator der Chatgruppe „Heimat“ ernannt worden. Marcel W. behauptete, der Zweck der Gruppe sei der Austausch über das Preppen gewesen. Mehrere vorgehaltene Äußerungen aus dem Chat zeigten jedoch, dass es auch um Politik, Gewalt und Aktionen ging. Marcel W. behauptete, niemand habe von Werner S. Plänen gewusst. Er sei von Angriffen auf „die Antifa“ ausgegangen. Erst nach dem Treffen am 8. Februar 2020 in Minden habe er begriffen, wo er hineingeraten sei.
Marcel W. erklärt in der Befragung, dass er nach dem Treffen an der Hummelgautsche bei Alfdorf am 28. September 2019 in die Chatgruppen „Heimat“ und „Netzwerke Bayern/Baden-Württemberg“ eingetreten sei, später auch in die Gruppe „8.2.“. Werner S. habe ihm an der Hummelgautsche vom „Heimat“-Chat erzählt. Am nächsten Morgen habe er sich dann den Messengerdienst Telegram installiert. Laut den Ermittlungsakten, so der VR, belegt dies eine Chatnachricht von W. am 29. September 2019 um 8:08 Uhr, in der sich W. in der Chatgruppe „Heimat“ für die Aufnahme bedankt habe.
Auf die Frage des VR, wer ihn in die Chatgruppe aufgenommen habe und ob es entsprechende Aufnahmekriterien gegeben habe, sagt W. aus, dass die Aufnahme relativ unproblematisch erfolgt sei. Er habe kein Bewerbungsverfahren durchlaufen müssen. Marcel W. gibt an, er habe abseits des Hummelgautsche-Treffens nur auf der Heimfahrt von dort mit dem Mitangeklagten Frank H., mit dem er gemeinsam bei der „Wodans Erben Germanien – Division Bayern“ gewesen sei, darüber gesprochen.
Der VR hält Marcel W. Zitate aus einem Telefonat zwischen den Angeklagten Werner S. und Tony E. vom 29. September 2019 gegen 11 Uhr vor. Darin äußert Werner S., dass er lange mit W. und Frank H. gesprochen habe. H. habe Marcel W. als sehr loyal dargestellt und empfohlen. Der VR interpretiert das Audio so, dass hier vor der Aufnahme ein gutes Leumundszeugnis eingeholt wurde. Marcel W. gibt sich diesbezüglich unwissend. Eine besondere Rolle von Werner S. im Aufnahmeverfahren will er nicht wahrgenommen haben.
Das Preppen als angeblicher Gruppenzweck
Marcel W. bemüht sich von Beginn an, die Chatgruppen als Austauschforen zum Thema Preppen darzustellen. Dies sei ihm gegenüber an der Hummelgautsche so dargestellt worden. „Ich war einer von denen, die das lernen wollten“, behauptet der Angeklagte. Die Gruppe „Heimat“ habe dabei der bundesweiten Vernetzung dienen sollen, die Gruppe „Netzwerke Bayern/Baden-Württemberg“ sei dagegen eine regionale Untergliederung, in der nicht viel mehr außer „Moin“ geschrieben worden sei.
Was die Gruppennamen mit dem Thema Preppen zu tun haben, kann sich der Angeklagte auf Nachfrage des VR nicht so richtig erklären. Von seinen Mitangeklagten kann er auch nur Frank H. und Werner S. sicher der Prepper-Szene zuordnen. Er habe keine Ahnung, wer überhaupt in der Gruppe „Heimat“ Mitglied gewesen sei.
Der VR hakt weiter bezüglich des Gruppenzwecks nach. In einem Chat sei von Werner S. die Formulierung gebraucht worden, es gehe „ans Eingemachte“. Hierzu möchte der VR wissen, wie der Angeklagte das mit dem Thema Preppen in Verbindung gebracht habe. Marcel W. behauptet, es sollten Prepper-Lehrgänge geplant werden. Auf mehrmaliges Nachhaken des VR erklärt der Angeklagte W., dass auch politische Themen besprochen worden seien. Dies sei deshalb passiert, weil die angeblich geplanten Lehrgänge nicht in die Tat umgesetzt worden seien. Der VR zeigt sich darüber verwundert, dass dem Abgleiten des Chats vom Preppen ins Politische nicht widersprochen worden sei.
Große Klappe? Den Platz neben den Ahnen erkämpfen
Der VR lässt einige Auszüge aus den Chats an die Leinwand projizieren. Marcel W. äußerte darin unter anderem: „Den Platz neben unseren Ahnen müssen wir uns erst verdienen! Dazu müssen wir kämpfen und fallen.“ Und: „Wer ans fallen denkt, glaubt nicht an den Sieg, wer nicht an den Sieg glaubt, ist fehl am Platz. Natürlich wird es Opfer geben, aber davon sollte keiner reden, das schmälert den Kampfeswillen.“ Im gleichen Chat stand an anderer Stelle: „Ich hasse das rote Pack, aber glaub mir, connewitz muss richtig geplant sein“. [Schreibweise jeweils im Original] Er habe mit Polizisten gesprochen, die nur zu gerne „das kommunistische Gesindel“ niederknüppeln würden.
Was W. damit habe ausdrücken wollen, will der VR wissen. Marcel W. führt aus, es gehe um Situationen, in denen sich die Gewalt hochschaukle. „Das ist auf Verteidigung gemünzt“, beteuert er. Auf die Frage, was das Preppen mit den Ahnen zu tun habe, wiederholt W., es gehe darum, die Familie zu verteidigen, und er wisse nicht, wie das Gespräch zustande gekommen sei. „Es geht um Gewaltanwendung“, so der VR. Antwort W.: „Ja.“ Der VR: „Dass man das gerne macht.“ W: „Nein.“ Der VR: „Aber warum schreiben Sie das dann?“ Der Angeklagte ordnet das als „große Klappe“ ein. Er selbst traue sich das nicht zu.
An einer anderen Stelle im Chat bezog sich Marcel W. auf das Widerstandsrecht im Grundgesetz, von dem er bei einer Schulung gehört haben will. Zudem träumte er am 26. Januar 2020 davon, dass man „Seite an Seite“ vorgehe und „dann aus Kameraden Waffenbrüder“ werden. Werner S. reagierte darauf mit „Kanns kaum erwarten, wenn ich ehrlich sein darf.“ Außerdem hält der VR eine Passage vor, in der Marcel W. anmahnte, es würde Themen geben, die man besser „Auge in Auge“ bespreche. Auf die Frage des VR, wie er das meine, äußert W., er habe Missverständnisse vermeiden wollen. Der VR weist darauf hin, dass man diese Passagen auch anders verstehen könne. Also sei W. im Moment des Schreibens bewusst gewesen, dass man so etwas „missverstehen“ könne. Es gebe viele solcher Beispiele, über die man sich im Prozess unterhalten könne, hält der VR fest.
Die Suche nach „echten Kameraden“ für den „Widerstand“
Eine weitere Aussage W.s aus dem „Heimat“-Chat wird vom VR vorgelesen. Dabei geht es darum, dass man sich auf einen harten Kern konzentrieren und nur Leute aufnehme sollte, auf die man sich verlassen könne. Für den VR widerspricht das der vorigen Behauptung W.s, es habe keine Aufnahmevoraussetzungen gegeben. W. hält dagegen: Die Nachricht meine, man müsse sich auf die Leute im Ernstfall verlassen können. In einer ähnlichen Weise äußerte sich Werner S. im Chat. Er suche nach „echten Kameraden ohne Lug und Trug“. Der VR fasst zusammen, die Angst vor Verrat stecke überall drin. An einer anderen Stelle sprach Marcel W. davon, „Müll und Gesindel kann man nie vermeiden“. Was für Marcel W. wie eine „überspitzte“ Formulierung für Verräter klingt, ist für die Ohren des VR nur schwer erträglich.
Darüber hinaus tauchte im Chat erneut der Widerstandsbegriff auf. Marcel W. führt in der Gruppe „Heimat“ dazu aus, dass man „nur an einem gewissen Zeitpunkt über unsere Bruderschaften hinwegsehen und zum richtigen Zeitpunkt zu einer Macht werden“ müsse. Dabei finde bereits in den „Bruderschaften“ eine Vorauswahl geeigneter Leuten statt, so der VR. Auf seine Frage, was W. damit und mit dem Wort „Widerstand“ gemeint habe, sagt W. aus, man müsse seine Kräfte bündeln, aber nicht im Sinne einer Machtergreifung. Vielmehr richte sich der Widerstand gegen „Staat und Links“.
Auf den VR wirkt es nach dem Vorhalt dieser Passagen schwer nachvollziehbar, dass hier Menschen gechattet haben, die sich nur für Preppen und Lehrgänge interessieren. Er fragt, warum man all diese Passagen so dramatisch anders verstehen könne? Doch der Angeklagte W. kann ihm hierauf keine Antwort geben. Er selbst sehe nichts, was auf die Interpretation der Anklage deute.
Hitler-Smileys: Jeder könne machen, was er will
Ein weiterer Fragenkomplex dreht sich um Gruppenregeln im Chat. Der VR möchte wissen, ob es bestimmte Themen oder Inhalte gegeben habe, die im Chat zu vermeiden gewesen seien. Nach einigem Nachhaken erinnert sich der Angeklagte, dass es im „Heimat“-Chat Streit über die Nutzung von Hitler-Smileys gegeben habe. Für W. ist das angeblich nicht nachvollziehbar, denn jeder könne schließlich machen, was er wolle. Wenn das jemand gepostet habe, hätte er das so hingenommen.
Auf die Frage, ob eine Überwachung durch den Verfassungsschutz befürchtet worden sei, sagt W., das könne schon sein. Der VR fragt nach: eine „Prepper“-Gruppe, die Angst hat, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden? Laut W. haben sich in der Gruppe einige Rechte, aber auch „Normale“ befunden. Es habe einen „Verfolgungswahn“ gegeben. Man habe gewusst, dass „Wodans Erben Germanien“ vom Verfassungsschutz beobachtet würde.
Werner S. riet zur Zurückhaltung im Chat
Der VR hält Marcel W. eine längere Nachricht von Werner S. vor, die dieser als Reaktion auf ein neues Gesetz der „antideutschen Regierung“ in den Chat gestellt hatte. Werner S. schreibt: „[…] bitte ich aus Selbstschutz und Schutz dieser Gemeinschaft, künftig auf antisemitische Äußerungen nebst Verherrlichung populärer Politiker ab 1932 [sic] – 1945 und Propaganda diesbezüglich zu verzichten“. Die Gruppenmitglieder sollten beherzigen, dass die Sicherheitsbehörden sonst mit „allerhärtesten Konsequenzen“ dagegen vorgehen würden. Wer sich nicht daran halten könne, solle die Gruppe verlassen. Ähnliches habe S. in der später gegründeten Gruppe „Tutto ramazotti“ geschrieben. Dort hieß es, man solle Acht geben, was man schreibe, und „gegebenenfalls wichtige Mitteilungen ‚hübsch machen‘“. Der VR will von Marcel W., der in beiden Gruppen aktiv war, wissen, wie er solche Aufforderungen verstanden habe. W. gibt an, vermutet zu haben, dass niemand etwas Verfassungswidriges schreiben sollte. Auf die Frage, ob es Aufpasser im Chat gegeben habe und warum Werner S. das geschrieben habe, reagiert W. zunächst ausweichend. Nach so langer Zeit könne er sich nicht mehr so richtig daran erinnern.
Administrator: Marcel W. als Aufpasser im angeblichen Prepper-Chat
Auf erneute Nachfrage des VR erinnert sich Marcel W. daran, dass er von Werner S. zum Admin in der Gruppe „Heimat“ ernannt worden sei. Er habe zwar Befugnisse gehabt, einzugreifen; davon habe er aber keinen Gebrauch gemacht, weil es nicht seine Chat-Gruppe gewesen sei.
Seine Ernennung zum Admin sei das Resultat eines Gesprächs mit Werner S. gewesen. Davon berichtete W. Frank H. in zwei WhatsApp-Sprachnachrichten vom 26. November 2019, die im Prozess abgespielt werden. Werner S. sei begeistert davon gewesen, wie konsequent Marcel W. bei „Wodans Erben Germanien“ gegen Mike Sch. aus Sachsen vorgegangen sei. W. habe Sch. aus der Gruppe geworfen, weil dieser Gruppenmitglieder betrogen und Frauen gegen falsche Versprechungen ins Bett gelockt habe. Dieses Vorgehen und W.s Warnung vor Sch. an andere Gruppen hätten Werner S. so imponiert, dass er W. zum Admin der „Heimat“-Gruppe ernannt habe. Diese Beförderung habe W. stolz gemacht, weil er sich als Repräsentant der „Wodans Erben Germanien“ sah.
Spärlich bleiben W.s Angaben zu weiteren Admins der „Heimat“. Werner S. sei der Gruppengründer gewesen. Daneben wisse er nur noch vom Mitangeklagten Tony E., dass er Admin gewesen sei. Die Anweisungen, was zu tun sei, habe W. von Werner S. erhalten. Er (W.) habe dann zwei bis drei Mal dazu ermahnt, sich an die Grupperegeln zu halten. Aber da sich keiner daran gehalten habe, sei es ihm letztlich auch egal gewesen. Er habe nicht eingegriffen. Auf Nachfrage des VR, ob das nicht nötig gewesen sei oder er sich nicht getraut habe, behauptet W., dass Letzteres der Fall gewesen sei.
Konspirativer Personenschutz für rechte Rentner?
Dem VR ist aufgefallen, dass im Chat mehrfach dazu ermahnt worden sei, das Mindener Treffen am 8. Februar 2020 nicht offensiv anzusprechen. Werner S. haben am 30. Januar 2020 in der Gruppe „Heimat“ geschrieben, man möge sich „bitte etwas zurückhalten bzgl. eines möglichen Treff“. Marcel W. kann sich das nicht erklären; man habe die Einladung nach Minden sehr kurzfristig bekommen und nicht gewusst, worum es dort gehen sollte.
In einem Privatchat habe Werner S. ihm geschrieben, er (W.) werde am 8. Februar sehen, worum es gehe. Da Werner S. um die vermeintliche Gewaltablehnung von Marcel W. wisse, so W., habe er auch gesagt, es werde W. nicht gefallen, was besprochen werde. Er (W.) habe vermutet, dass es um Angriffe auf „die Antifa“ gehen sollte. Das sei ja strafbar, deshalb habe man sich nicht offen geäußert. Hintergrund dieser Vermutung sei eine Nachricht von Ralf N. von der „Bruderschaft Deutschland“ um den Jahreswechsel gewesen. Er habe über eine Konfrontation mit Antifas am 29. Dezember 2019 in Köln berichtet. [Damals demonstrierte das rechte Spektrum vor dem WDR wegen des sogenannten „Oma-Lieds“ über Umweltschutz.] Die „Bruderschaft Deutschland“ sei nach W.s Meinung dafür bekannt, etwas rabiater vorzugehen. Seine Leute von den „Wodans Erben Germanien“ hätte er in einer solchen Situation eher in der Aufgabe gesehen, mitdemonstrierende Rentner zu den Parkplätzen zu begleiten, um sie vor Angriffen durch Antifas zu schützen.
Der VR bezweifelt, dass es eines konspirativen Treffen bedurft hätte, um Rentner zum Parkplatz zu begleiten. Des Weiteren könne er zwar nachvollziehen, dass man im Vorfeld nicht über den Inhalt des Treffens gesprochen habe, nicht jedoch, dass das Treffen als solches geheim gehalten werden sollte. Darüber hinaus spricht er den Widerspruch zwischen der behaupteten gewaltfreien Grundeinstellung des Angeklagten einerseits und der Erwartung von Angriffen auf „die Antifa“ andererseits an.
Nur nicht im Chat „darüber“ sprechen
Nach dem Treffen am 8. Februar 2020 in Minden stand der Verdacht im Raum, bei Paul-Ludwig U. handle es sich um einen Spitzel. [Im Chat vom 13. Februar 2020 wurde er als „Judas“ bezeichnet.] Es wurde dazu ermahnt, darauf zu achten, was man schreibt. Da Marcel W. das Treffen am 8. Februar bislang immer als ergebnis- und harmlos darstellte, fragt der VR nach, was geschehen sei, dass man nun vorsichtig sein müsse. Marcel W. erklärt, es sei klar gewesen, dass Werner S. Angriffen auf Moscheen nicht widersprochen habe. Auch wenn auf dem Treffen nach W.s Darstellung nichts konkret beschlossen wurde, habe man befürchtet, jemand könnte das nach außen tragen. Er habe erst da gemerkt, wo er da hineingeraten sei.
Um der Frage auf den Grund zu gehen, was Marcel W. schon vor dem Treffen in Minden wusste, wird ein Chatauszug aus der Gruppe „Heimat“ vom 2. Februar 2020 näher angeschaut. Dort schreiben Marcel W. und Werner S. miteinander. Werner S. schreibt: „Es bleibt dabei, dieses Jahr soll es geschehen, egal ob mit oder ohne Euch!!“ Marcel W. erwidert, man bespreche alles außerhalb des Chats, was von S. unterstrichen wird: „Nur nicht im Chat.“ Denn, so S.: „Sonst ist das einzige, was dieses Jahr passiert, vielleicht Inhaftierungen und nicht mehr!“ [Schreibweise jeweils im Original]
Worüber sollte außerhalb des Chats einer vermeintlichen Prepper-Gruppe gesprochen werden, was zu einer Inhaftierung führen könne, bohrt der VR nach. Marcel W. gibt sich unwissend, redet vom Preppen, von möglichen Angriffen auf die Antifa, dass der Chat sich verselbstständigt habe, er es nicht mehr wisse und in dieser „Stresssituation“ überfordert gewesen sei, wobei der VR hier darauf hinweist, dass eine Reaktionszeit von 50 Sekunden am heimischen PC nicht gerade für eine Überforderung spreche. Marcel W. beteuert, es sei nicht um das gegangen, was am 8. Februar diskutiert worden sei. Er habe Werner S. im Vorfeld nicht so eingeschätzt, dass er solche Pläne hege.
Der VR weist auf ein Detail in den Ermittlungsakten hin, dass gerade diese Stelle aus dem Chat auf allen Asservaten bis auf einem gelöscht gewesen sei, und dass es dabei um mehr gegangen sein könnte, als „die Antifa verklopfen“. Zudem falle auf, dass Marcel W. auch hier nicht widersprochen habe, sondern nur darauf verwiesen habe, man solle nicht im Chat darüber sprechen.
Militärischer Dünkel im Chat
Während der gesamten Vernehmung hält der VR Marcel W. immer wieder Chatauszüge vor, die von einem militärischen Dünkel geprägt sind. So heißt es in der Beschreibung der Facebook-Gruppe „I. Zug Heimat“ vom 30. Dezember 2019, es handle sich um einen „Freiwilligenverband“, bei dem auch Leute mitmachen würden, die eine „Ausbildung im militärischen Sinne“ vorweisen könnten. Auch hier heißt es: „Verrat wird strengsten geahndet.“ Für Marcel W. hört sich auch das angeblich nach Prepper-Geschichten an. Man hätte nicht verraten sollen, wo die Vorräte der Prepper-Gruppe versteckt würden. Ein derartiger Sprachgebrauch sei ihm nicht fremd. Er sei damit aufgewachsen.
In einem Privatchat verweist Werner S. gegenüber Marcel W. darauf, dass bei einem geplanten Treffen am 18. Januar 2020 auch Personen teilnehmen sollten, die eine „spezielle Ausbildung“ genossen hätten. Marcel W. gibt an, hierbei an einen zuvor schon erwähnten Legionär und einen früheren LKA-Mitarbeiter gedacht zu haben. Marcel W. sicherte Werner S. seine Verschwiegenheit zu. Für ihn sei „die Befreiung unseres Landes und die Pflicht gegenüber unserer Ahnen und unserer Kinder zu wichtig“. Der VR fragt nach, was das mit der Antifa zu tun habe. W. sagt aus, diese als Terroristen zu betrachten. Die Bilder aus Köln [vom Dezember 2019] hätten die Gruppe wütend gemacht.
Großes Interesse am Treffen
In der Nacht auf den 3. Januar 2020 schrieb Werner S. Marcel W. in einem Privatchat und lud zu einem „brisante[n] Treffen“ ein, das „in geheimen Räumen“ stattfinden solle und bei dem Männer zusammenkämen, „welche Dinge beabsichtigen, die ich hier nicht benennen kann“. [Das Treffen wurde später verschoben und fand letztlich am 8. Februar 2020 in Minden statt.] Werner S. fragte bei Marcel W. nach, ob von der bayerischen Division der „Wodans Erben Germanien“ ein Mitglied teilnehmen könnte, das „auf Herz und Nieren geprüft und völlig loyal“ sei. Am darauffolgenden Morgen besprach W. diese Anfrage mit Frank H. Beide bewerteten die Einladung als „extrem interessant“.
Der VR hinterfragt dieses Interesse W.s, an diesem Treffen teilnehmen zu wollen, obwohl er Gewalt ablehne und davon ausgegangen sein will, dass hier Angriffe auf Antifaschist*innen geplant werden sollten. Marcel W. erklärt, ihn habe die Vernetzung bei diesem Treffen interessiert. Er habe jedoch wegen einer Familienfeier nicht daran teilnehmen können. Das Treffen wurde schließlich am 10. Januar 2020 von Werner S. mit Verweis auf einen unaufschiebbaren Notartermin abgesagt und kurz darauf auf den 8. Februar nach Minden verlegt. Auch hierfür sagten Marcel W. und Frank H. rasch zu.
Wer spricht denn schon ernsthaft vom Krieg?
Für den neuen Termin am 8. Februar in Minden erstellte Werner S. eine neue Telegramgruppe namens „8.2.“, die der Vorbereitung des Treffens dienen sollte. Marcel W. erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine „ziemlich martialische Ansprache“ von Werner S. Dabei habe es sich um nichts gehandelt, was man wirklich habe ernst nehmen können. In der Ansprache, die im Gerichtssaal auf die Leinwand projiziert wird, schrieb Werner S.: „Um was es geht, sollte klar sein, bei Brot und Wein wird ‚Krieg‘ besprochen! Wer dies nicht erträgt, wird fehl am Platze“ sein.“ Das sei nichts anderes als „aufgeputschtes Gerede“ gewesen, so W. Wer spreche denn schon wirklich von Krieg? Man solle nicht alles so wörtlich nehmen, lautet seine an diesem Tag mehrfach vorgebrachte Erwiderung. Das sei alles so weit weg von den Leuten, wie er sie kennengelernt habe. Auf Nachhaken des VR erklärt W., auch hier an Angriffe auf „die Antifa“ gedacht zu haben. Da er Gewalt ablehne, habe er sich als Beitrag seiner Gruppierung überlegt, man könne Rentner zum Parkplatz eskortieren. W. fügt noch an, Ralf N. von der „Bruderschaft Deutschland“ habe zum Missfallen von Werner S. mit einer Aussage „wenig geistreich und instabil“ seine Enttäuschung über die erneute Terminverschiebung zum Ausdruck gebracht.
Laut Einschätzung des VR könnten die verschiedenen vorgezeigten Puzzleteile ein Bild ergeben. Dazu würden auch Aussagen von Marcel W. aus dieser Zeit passen, in denen es heißt, man sei „durch die jahrelange Verblödung unseres glorreichen Volkes […] das letzte Bataillon“. Darüber hinaus habe Frank H. in einem privaten WhatsApp-Chat seinen Verdacht gegenüber Marcel W. geäußert, es könne auch um „Anschlagspläne“ beim Treffen am 8. Februar gehen. H. habe schon auf der Hinfahrt nach Minden das Gefühl gehabt, dass es darum gehen könnte. Marcel W. will aber erst auf der Rückfahrt gegenüber Frank H. geäußert haben, dass er nun verstehe, was H. mit „Anschlagsplänen“ gemeint habe.
Damit endet dieser Prozesstag.