Am 52. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 11. Januar 2022 setzte der Vorsitzende Richter (VR) die Befragung des Angeklagten Marcel W. aus Pfaffenhofen fort. Dabei lieferte W. Einblicke in seine „Bruderschaft“, die „Wodans Erben Germanien“ und deren bayerische „Division“, der er angehört(e). Er stellte die Gruppe als recht harmlos dar. Der VR nahm ihm das nicht ab und widerlegte einige der Behauptungen mit Chatnachrichten der W.E.G, die Rassismus und eine Begeisterung für Gewalt und Terror zeigten. Gegen Ende des Verhandlungstages sprach Marcel W. über das Treffen der „Gruppe S“ im September 2019 an der Hummelgautsche und bestritt, dort etwas von Einzelgesprächen (bei denen Anschläge auf Politiker besprochen worden sein sollen) oder Schusswaffen mitbekommen zu haben.
Marcel W. erzählt, dass er sich der Bruderschaft „Wodans Erben Germanien“ (W.E.G) Anfang 2019 angeschlossen habe. Diese Gruppierung sei als Abspaltung der „Soldiers of Odin“ gegründet worden. „Deutschland-Chef“ sei Thomas „Thommy“ L. aus Konstanz gewesen. Auf Nachfrage gibt Marcel W. an, er habe kein Problem mit dem Namen seiner Gruppe, weil er „an die alten Götter“ glaube. Die W.E.G hätten Ableger gehabt, sogenannte Divisionen, in Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, NRW und kurzzeitig in Sachsen-Anhalt. Neu gegründete Gruppen hätten sich erst beweisen müssen und seien dann nach und nach eingegliedert worden. Er selbst, so Marcel W., sei Mitglied der „Division Bayern“ gewesen. Die W.E.G hätten ein Regelwerk. An das könne er sich, so Marcel W., aber kaum noch erinnern. Ihm falle aber ein, darin habe gestanden, dass man unpolitisch keine Gewalt anwende. Strukturell sei die „Bruderschaft“ hierarchisch aufgebaut gewesen und habe die Ämter des „Leader“, „Vize“, „Sergeant at Arms“ und „Secretary“ gehabt. Und zusätzlich normale „Member“ sowie deren Vorstufen, die „Prospects“ und „Hanger“ [Hangarounds].
Zu diesen „Hangern“ gehörte offenbar auch W.s Mutter, wie der VR aus Chatnachrichten schlussfolgert. Marcel W. bejaht das und kommentiert: „Ja, ist ja nicht schlimm.“ Der VR zitiert aus einer Sprachnachricht von Marcel W.: „Keine Angst, die ist genauso wie wir.“
Widersprüchliche Aussagen über Mitglieder und Aufgabenverteilung der W.E.G Bayern
Bei seinem Eintritt, erzählt Marcel W., sei Frank H. Vize gewesen, und es habe keinen „Leader“ gegeben. Später sei Frank H. zum „Leader“ befördert worden. Befragt nach der Gruppengröße gibt Marcel W. an, es seien fünf bis sieben Mitglieder gewesen – später spricht er von 13. Bei Aktionen seien trotzdem 15 Personen gewesen, da auch „Anwärter“ teilgenommen hätten. Ein vor Gericht gezeigter Screenshot vom 6. März 2019 zeigt acht Mitglieder, drei „Prospects“ und sieben „Hanger“. Marcel W. berichtet, man habe eine „Freiwilligen-Kasse“ gehabt. Es habe zudem Kleidungsstücke mit dem W.E.G-Emblem gegeben. Im Mai/Juni 2019, sagt W. aus, sei er dann „Member“ und „Sergeant at Arms“ geworden. In letzterer Rolle sei er für die Einhaltung der Regeln verantwortlich gewesen. Der VR weist den Angeklagten auf den etwaigen Widerspruch hin, für die Einhaltung der Regeln zuständig gewesen zu sein, sich an diese jetzt aber nicht mehr erinnern zu können. W. hat nichts zur Aufklärung dieses etwaigen Widerspruchs beizutragen.
„Sogar“ ein Moslem
Stattdessen berichtet er weiter über seine Rolle als „Sergeant at Arms“. Für Waffen sei er nicht verantwortlich gewesen. [Waffen fallen bei manchen klassischen Motorradclubs in den Aufgabenbereich der „Sergeants“.] W. argumentiert, bei ihnen habe ein striktes Waffenverbot geherrscht. Dafür habe er als Sergeant auch die Chatnachrichten überwacht. Er habe, so Marcel W., manchmal intervenieren müssen, aber inhaltlich sei bei den W.E.G fast alles möglich gewesen. Der Angeklagte bezeichnet die heftigeren Inhalte als bloßes „Auskotzen“, und harmlos, da es sich ja lediglich um Online-Kommunikation gehandelt habe und offline nichts gelaufen wäre. Der VR spitzt zu und fasst das Ausgesagte zusammen: „Im Chat darf ich mich aufs Übelste über Migranten aufregen, aber ich darf sie dann nicht auf der Straße verprügeln.“
Immer wieder versucht Marcel W., die Hierarchie in seiner „Bruderschaft“ als bedeutungslos hinzustellen. Trotzdem durfte er als „Sergeant at Arms“ offenbar Mitglieder rügen und sogar rauswerfen. Auch auf diesen Widerspruch weist ihn der VR hin. Rausgeworfen wurde demnach zum Beispiel Eric H. aus Burgau, der kurzzeitig als „Vize“ der Bayern-Gruppe amtierte. Als Grund für dessen Rausschmiss gibt Marcel W. an, H. habe Leute betrogen und habe sich „gewaltandrohend“ verhalten.
In der Gruppe seien, betont Marcel W., auch Mitglieder mit Migrationshintergrund gewesen – Marcel W. nennt sie „Ausländer“. W. zählt auf: Ein Ungar, ein Serbe, zwei Italiener und „sogar“ ein muslimischer Halbsyrer seien dabei gewesen.
„Brüder“ auf Patrouille durch München
Zu den Aktivitäten von W.E.G in Bayern berichtet Marcel W. vom gemeinsamen Zelten auf einen Campingplatz in Passau im Mai 2019, einem Herbstfest 2019 und „Rundgängen“ oder „Spaziergängen“, also Patrouillen in Kleidung mit W.E.G-Symbolik. Diese „Spaziergänge“ habe man gemacht, um „zu schauen“ und „einzugreifen“. Während seiner W.E.G.-Mitgliedschaft, so Marcel W., sei man während dieser Patrouillen immer auf der selben Route durch die Münchener Innenstadt gelaufen, das habe immer eine bis eineinhalb Stunden gedauert. Laut Marcel W. nahmen an den Patrouillen in der Regel sechs bis sieben Personen „Mann“ teil.
Marcel W. berichtet auch von einem Treffen aller W.E.G-Gliederungen am 6. Juli 2019 in einem Sportrestaurant in Ulm. Bereits am Bahnhof seien sie von der Polizei kontrolliert worden. Der Einsatzleiter habe ihnen ein Stadtmitte-Verbot erteilt. Dann seien sie mit Polizei-Begleitung vom Bahnhof zum Treffpunkt gegangen.
Der VR fragt Marcel W. nach den Geschehnissen am 9. Februar 2019 in München. Marcel W. sagt aus, dass er sich an diesem Tag erstmals mit den W.E.G-Leuten getroffen habe. Man habe sich erst in einem Café unterhalten, dann sei man zu einer Flüchtlingsunterkunft aufgebrochen. Er betont: „Die Planung kam von außen.“ Später benennt er als Planer Andi S. und Frank A., den Betreiber von „Patrioten TV Nürnberg“. Dieser habe auch die ganze Zeit gefilmt. Vor Gericht gezeigte Bilder von der Aktion zeigen eine Gruppe von 15 dunkel gekleideten Personen, die auch die Treppen zu den einzelnen Zimmern betreten.
Die W.E.G Bayern in einer Geflüchtetenunterkunft und auf dem Reichsparteitagsgelände
Eine Person mit breitkrempigen Hut fällt auf den Bildern besonders auf. Der VR benennt ihn als „Frank aus Thüringen“. [Es ist der bundesweit in die Schlagzeilen geratene „Frank, der Reisende“] Marcel W. behauptet, er habe das Ziel des Ausflugs nicht gekannt.
Während Marcel W. die Aktion als harmlosen Spaziergang darstellt, sagt der VR, man könne es auch wie folgt sehen: „Da kommt eine beträchtliche Menge dunkel gekleideter Menschen, um eine Ansage zu machen.“ Nach Auffassung des VR hat es sich auch nicht um einen „Spaziergang“ mit zufälligem Ziel gehandelt. Anhand einer Google Maps-Karte rekonstruiert er die Wegstrecke vom Hauptbahnhof zur Unterkunft. Marcel W. behauptet, er sei vor Ort davon ausgegangen, dass die Unterkunft unbewohnt sei. Sie habe wie eine Baustelle ausgesehen. Reaktion des VR: „Verstehe ich nicht, sie sind eine dreiviertel Stunde da hingefahren, um sich eine Baustelle anzuschauen?“ Auch diesen Widerspruch kann der Angeklagte nicht ausräumen.
Anschließend fragt der VR nach einer weiteren Aktion der W.E.G Bayern: Am 23. Februar 2019 zogen 18 Rechte mit Fackeln zum Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Er selbst sei damals nicht dabei gewesen, so Marcel W.. Frank H. hingegen schon.
„Damit niemand sagen kann, die sind alle rechts“
Gefragt nach einer verbindenden politischen Ansicht der W.E.G gibt Marcel W. an, dass das „schwer zu sagen“ sei. Das Einigende seien die Aktionen gewesen. Er räumt aber ein, dass es tendenziell auch eine rechte Einstellung in der Gruppe gebe. Man sei aber vor allem „patriotisch“ gewesen. Darunter versteht Marcel W. eine „Verbundenheit und Liebe zur Heimat. Schutz der Heimat“. Im parteipolitischen Sinn sei man aber neutral gewesen.
Der VR konfrontiert Marcel W. mit dem Screenshot einer Diskussion von W.E.G-Mitgliedern über das Mitführen von schwarz-weiß-roten Fahnen, in der es heißt: „Offiziell sind wir ja unpolitisch.“ Der VR will wissen, was das „offiziell“ heiße. Marcel W. antwortet, man habe „nicht zu sehr in eine Richtung“ gewollt, „damit niemand sagen kann, die sind alle rechts“. Der VR kontert: „Sie behaupten, sie verbringen Zeit mit Menschen, und es ist Ihnen egal, was die sagen und denken. Das nehme ich Ihnen nicht ab.“
Anschließend zählt der VR einzelne W.E.G-Chatgruppen auf: „W.E.G Member“, „Deutsches Kneipentum“, „W.E.G draußen“ [über das Campen], „W.E.G Leader“, „W.E.G Bayern“ und „W.E.G Bayern Leitung“. Marcel W. hält es für wahrscheinlich, dass er Admin in Gruppen von W.E.G Bayern war, aber genau wisse er das nicht mehr. Auf die Frage des VR: „Gab es in den Gruppen auch den Austausch von eher rechtsradikalem Gedankengut?“ antwortet Marcel W.: „Mit Sicherheit gab es den auch.“
W.E.G-Chat feiert den Terror in Halle, weil er „die Richtigen trifft“
Ein vor Gericht gezeigtes Chat-Gespräch über den antisemitischen Angriff auf die Synagoge in Halle unterstreicht das. Dem Chat ist zu entnehmen, dass man nicht wisse, wer dahinterstecke, aber die Aktion sei zu begrüßen, weil er die „Richtigen trifft“. Der VR zitiert und zeigt weitere gewaltbejahende Ausschnitte und stellt fest, dass niemand interveniert habe.
Marcel W. argumentiert, dass das ja „nur“ intern gewesen sei, man habe sich nur ausgekotzt. Der VR entgegnet: „Es fällt einem auf, dass sich dieses Auskotzen richtet gegen Linke, Grüne, Ausländer, Moslems und Juden.“ Marcel W. will das so allgemein nicht stehenlassen: „Bei Juden geht es nur um die verborgene Elite, die im Hintergrund alles steuert.“ Im Chat habe er da nicht differenziert, weil er zu schreibfaul sei.
Kontakte zwischen Marcel W. und anderen Angeklagten
Der VR will wissen, wen Marcel W. in Minden und an der Hummelgautsche kennengelernt habe. Marcel W. zählt auf, dass er Michael B. nur an der Hummelgautsche getroffen habe, und dass Thorsten W., Steffen B., Stefan K. und Markus K. nur beim Treffen in Minden gewesen seien. Werner S., Tony E., Thomas N. Paul-Ludwig U. und Wolfgang W. seien sowohl in Minden als auch an der Hummelgautsche gewesen. Mit Werner S. und Tony E. habe er nach der Hummelgautsche mehr Kontakt gehabt. Nur Frank H. habe er vorher schon gekannt. Die Beziehung zu H. sei „freundschaftlich und vertrauensvoll“ gewesen. Jedes Treffen mit Frank H. habe mit W.E.G zu tun gehabt. Paul-Ludwig U. sei ihm „nervig, provokant, auffallend“ vorgekommen. U. habe „immer ne Schippe drauf“ gelegt. In Minden sei er ihm „fordernder“ vorgekommen; beim Treffen an der Hummelgautsche habe sich U. „hervortun“ wollen und sei „unangenehm“ gewesen.
„Wenn die Antifa ein Prepper-Treffen macht, dann kommen Sie auch?“
Marcel W. berichtet, er sei über Frank H. zu dem Treffen an der Hummelgautsche gekommen, und beharrt darauf, dass es bei den Treffen sowie bei seinem Kontakt zu Werner S. vor allem ums Preppen gegangen sei. „Dieser ganze widerliche Dreck, der uns hier angeheftet wird, ging erst am 8. Februar in Minden los.“ Der VR entgegnet: „Ist das Ihr Ernst, es ging nur ums Preppen? Um nichts anderes?“ Später fragt der VR auch: „Dass die Personen alle rechts eingestellt waren, hat Sie nicht überrascht?“ Marcel W. antwortet, das sei ihm egal gewesen. Der VR fragt weiter nach: „Wenn die Antifa ein Prepper-Treffen macht, dann kommen Sie auch?“ Da entgegnet W.: „Weil die meistens sinnlos rumpöbeln, wohl nicht.“ W. gibt an, dass Werner S. vorgehabt hätte, ein „Prepper-Kollektiv“ aufzubauen, und dessen Organisator gewesen sei.
Der VR fragt W., ob Frank H. einmal gesagt habe, dass Werner S. plane, eine „Kampfgruppe“ aufzubauen. Das könnte sein, antwortet Marcel W., aber „Kampfgruppe sagt ja nichts aus“. Der VR hakt weiter nach: „Kann man sagen, dass S. eine Prepper-Kampfgruppe aufstellte?“ Marcel W. hält das für möglich, es gehe ja auch um die Verteidigung der Familie.
Der VR zitiert aus einem Chat zwischen Frank H. und Marcel W.: „Noch was am Rande, Matze stellt eine Kampfgruppe auf. Die alten Loyalen von damals [Soldiers of Odin].“ Marcel W. habe darauf mit den Worten geantwortet: „Hört sich nicht schlecht an.“ Der VR ergänzt, dass Frank H. geschrieben habe, dass er „schon länger in einer externen Kampfgruppe“ mit ein paar harten Burschen sei. Die Hälfte kenne er von den „Soldiers of Odin“.
Marcel W. will von Einzelgesprächen und Waffen an der Hummelgautsche nichts mitbekommen haben
Der VR zitiert Marcel W. mit: „Hab‘ das Gefühl, dass er [Werner S.] jemand sucht, der den Abzug zieht.“ Frank H. habe ihm darauf zugestimmt. Marcel W. gibt an, daran könne er sich nicht erinnern.
W. sagt aus, sich bei dem Hummelgautsche-Treffen als W.E.G-Repräsentant vorgestellt zu haben. Am Rande des Treffens habe es auch Vernetzungsgespräche gegeben. Von gezielten Einzelgesprächen – ausgehend von Werner S. und Tony E. – habe er, so Marcel W., nichts mitbekommen. Weiter sagt W. aus, dass das Gruppenbild mit Maske, Axt und Machete auf Betreiben von Paul-Ludwig U. entstanden sei. Bei dem Treffen habe er keine Schusswaffen gesehen. Der VR weist darauf hin, dass Paul-Ludwig U. bei der Polizei ausgesagt habe, dass Werner S. eine im Auto deponierte Waffe dabeigehabt habe. Marcel W. kommentiert das mit: „Hat mal wieder nur er gesehen.“ Der VR korrigiert, dass auch Frank H. sich an eine Schusswaffe erinnert und einen Knall gehört habe. Marcel W. bestreitet, etwas gehört zu haben.
W.s Befragung ist noch nicht vorbei
Nach Schutzwesten gefragt, erzählt Marcel W., dass Wolfgang W. eine dabeigehabt habe; diese sei aber nicht schusssicher gewesen. Marcel W. streitet ab, dass an der Hummelgautsche die Rede davon gewesen sei, dass jemand diese Westen besorgen sollte.
Der VR fragt nach einem im Januar [2020] geplanten Treffen in Italien, bei dem es um Aktionen gegen Flüchtlinge habe gehen sollen. Marcel W. antwortet, er wisse nichts darüber. Er weist auf Straftaten von Geflüchteten hin: Es habe damals „mit Macheten und Äxten herumlaufende Leute“ gegeben.
Gegen 17 Uhr verkündet der VR, ein „knappes Drittel“ seiner Fragen gestellt zu haben. Am Donnerstag gehe es weiter.