Zu Beginn des 47. Verhandlungstags am 2. Dezember 2021 gegen die rechtsterroristische „Gruppe S“ gaben die Verteidiger*innen Erklärungen zur Aussage des Gutachters Prof. Hans-Ludwig Kröber vom 46. Prozesstag ab. Diese fielen erwartungsgemäß kritisch aus, da Kröbers Einschätzung des Angeklagten Paul-Ludwig U. weit von den Bewertungen fast aller Verteidiger*innen bzw. von deren Verteidigungsstrategie entfernt war. Anschließend folgte der zweite Teil der Erklärung des Angeklagten Tony E. Dieser behauptete, er habe sich beim Treffen in Minden wie auch in den Chatgruppen lediglich vernetzen wollen. Die neue Gruppe hätte ein Ersatz für das „Freikorps“ werden können. Von Werner S.‘ Absicht habe er keine Ahnung gehabt. Tony E. sagte aus, er habe gedacht, es gehe um den Aufbau einer Gruppe, die bei Demonstrationen konfrontativ auftrete.
Der Vorsitzende Richter (VR) eröffnet die Sitzung und gibt allen anwesenden Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, Erklärungen zur Vernehmung des Zeugen Prof. Hans-Ludwig Kröber vom vergangenen Prozesstag abzugeben. RA Herzogenrath-Amelung, Verteidiger von Frank H., beginnt. Er habe nicht viel von der Aussage des Zeugen erwartet. Interessant sei jedoch, dass der Professor nicht überrascht gewesen sei, dass Paul-Ludwig U. für die Polizei gearbeitet habe. Der RA fragt sich, ob derjenige Paul-Ludwig U. aus dem Gutachten aus dem Jahr 2016 mit dem aus dem Jahr 2019 identisch sei.
RAin Rueber-Unkelbach, Verteidigerin von Wolfgang W., fühlt sich nach den Aussagen der verschiedenen Gutachter*innen an einen Elternabend erinnert. Dort gebe es immer wieder Eltern, die ihre Kinder für hochbegabt halten würden. Bei den Gutachten komme es auf den Blickwinkel an. Prof. Kröber sei ein renommierter Gutachter, der bekannt gewordene Verbrecher begutachtet habe. Im Vergleich zu den krasseren Fällen wirke U. auf ihn weniger pathologisch. Andere Gutachter hingegen hätten Persönlichkeitsstörungen unterschiedlichster Art gesehen. Die RAin betont, letztlich komme es im laufenden Verfahren ohnehin auf das Gutachten des Sachverständigen Winckler an.
Aus Sicht von Marcel W.s Verteidiger RA Picker machte die Zeugenbefragung klar, dass die Psychiatrie keine empirische Wissenschaft wie die Mathematik sei. Es gebe aber Ähnlichkeiten zwischen den Gutachten bei den Eigenschaften, die Paul-Ludwig U. zugeschrieben worden seien, etwa eine manipulative Art. Entscheidend sei am Ende aber, wozu Verhaltensweisen führen würden. Fest stehe für ihn: Ohne Paul-Ludwig U. in Minden säße man nicht hier.
Scharfe Kritik an der Begutachtung durch den Zeugen Kröber
RA Miksch, Verteidiger von Marcel W., hält die vierstündige Explorationszeit von Prof. Kröber für unzureichend. Andere Personen, die länger mit U. zu tun gehabt hätten, könnten umfassendere Auskunft geben.
Markus K.s Verteidigerin RAin Schwaben findet die Befragung „enttäuschend“. Was Prof. Kröber erzählt habe, klinge „wenig logisch und wenig nachvollziehbar“, etwa seine Aussagen zum Thema Narzissmus. Frappierend sei für sie auch der Kreisschluss, dass U. keine Geschichten ausschmücken müsse, weil er ohnehin schon mit grandiosen Geschichten aufwarten könne.
In den Augen von Michael B.s Verteidiger RA Berthold zeigen zwei Komplexe, dass Kröber U. allzu bereitwillig Glauben geschenkt habe. Zum einen die Geschichte mit dem liegengebliebenen Auto auf seiner nächtlichen Spritztour. Der Gutachter hätte nachfragen müssen, wie es sein könne, dass die Batterie leer gewesen sei, U. aber noch die Warnblinkanlage angestellt haben will. Außerdem verweist der RA auf eine Stelle aus dem Gutachten von Dr. P., der schrieb, U. habe ihm erzählt, dass er in der Bezirksliga Fußball gespielt habe und ein guter Sportler gewesen sei. Sein Großvater habe ihm dafür nie persönlich Anerkennung gezollt, sei aber laut U. gegenüber Dritten stolz auf seinen Enkel gewesen. RA Berthold gibt an, dass laut online verfügbaren Chroniken des hessischen Fußballverbandes U.s Verein gar nicht in einer entsprechenden Liga gespielt haben könne. Aus all dem schließt der RA, dass U.s Aussagen unplausibel seien und man ihm aus emotionalen Gründen Glauben geschenkt habe. Es sei Aufgabe des Senats und des Gutachters, U.s Schilderung auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen.
Michael B.s Verteidiger RA Mandic hat beim Zeugen Prof. Kröber eine Lust, nicht regelkonform zu handeln, verspürt. Diese Lust liegt nach Meinung des Verteidigers in der politischen Überzeugung des Professors begründet. Der Zeuge stimme mit U. in der Kritik an den Institutionen überein. Der RA spricht von einem „Gefälligkeitsgutachten“, da der Zeuge den Probanden sympathisch gefunden hätte. Fachlich hätte er den Fall ganz anders bewerten können. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung habe der Zeuge „überhaupt nicht ernsthaft geprüft“.
Der Sachverständige schlägt weitere Zeugenvernehmungen vor
Nun folgt einer der wenigen Momente, in denen auch ein Angeklagter selbst eine Stellungnahme abgibt. Michael B. äußert, dass ihm die Ausführungen des Zeugen zum Thema „Gewaltfantasien“ durch den Kopf gegangen seien, weil Kröber diese als „allzu menschlich“ dargestellt habe.
Der VR fragt den Sachverständigen (SV) Dr. Winckler, ob er aus den bisherigen Zeugenbefragungen die Notwendigkeit weiterer Vernehmungen ableiten könne. SV Winckler verweist auf Differenzen zwischen dem Gutachter Dr. P. und den Akten aus Schloss Haldem. Deshalb würde er gerne den Diplompsychologen G. vom dortigen Maßregelvollzug einladen. Außerdem wäre eine Einladung von Dr. Sch. aus Schloss Haldem ebenfalls interessant, weil Paul-Ludwig U. während seiner Exploration im August geäußert habe, dass weiterhin Kontakt zu Dr. Sch. bestehe. Ebenso habe U. über seinen Aufenthalt hinaus Kontakt zum Oberarzt Dr. B. aus der forensischen Psychiatrie in Dortmund gehalten. Aus den bisherigen Befragungen habe der SV ein „sehr facettenreiches und dichtes Bild“ von den Zeugen erhalten. Auf die Frage des VR, ob U. die Zeugen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht [zum Schutz von Informationen über Patient*innen] entbinden würde, antwortet U. ohne zu zögern mit „Ja, alle.“
Tony E.: „Ich hätte nicht im Mindesten dabei mitgemacht.“
Nach einer kurzen Verhandlungspause nimmt Tony E. mit seinem Verteidiger RA Hofstätter Platz im Zeugenstand. Er setzt die Verlesung seiner schriftlichen Erklärung fort, die er am 45. Prozesstag begonnen hatte.
Tony S. erklärt, es seit mit seiner Familie sowie Werner S. nach der Rückkehr aus Minden im Nachbardorf Essen gewesen. Anschließend sei Werner S. nach Hause gefahren. Am darauffolgenden Mittwoch habe er sich mit Torsten K. anlässlich des monatlichen Treffens seiner Gruppe [„Freikorps Heimatschutz Division 2016“] getroffen. Man habe über das Treffen am 8. Februar in Minden nicht gesprochen. Er habe K. eine Frage zu Paul-Ludwig U. gestellt. Weiter sagt E. aus, er habe nicht den Eindruck gehabt, dass eine Gruppe gegründet worden sei, die gegen Minoritäten und Moscheen Anschläge verüben wollte. „Ich hätte nicht im Mindesten dabei mitgemacht“, so E.
E. sagt, er habe in Minden über die Führung des „Freikorps“ sprechen wollen
Als siebten Punkt seiner Erklärung behandelt E. seine Teilnahme am Treffen in Minden am 8. Februar 2020. Grund für seine Teilnahme sei gewesen, mit Werner S. und Torsten K. „von Angesicht zu Angesicht“ über die Führung des „Freikorps“ [Freikorps Heimatschutz Division 2016] zu sprechen. Der Anführer des „Freikorps“, Sören B., habe E. seit dem Frühjahr 2019 darum gebeten, die Führung zu übernehmen. Dies habe er bis dahin abgelehnt, aber nach verschiedenen Gesprächen ab dem Sommer 2019 mit Werner S. und Torsten K. über eine gemeinsame Leitung des „Freikorps“ mit den beiden nachgedacht. Nach den ungünstigen gesundheitlichen Prognosen im Oktober und November 2019 [in E.s Kopf wurde ein Tumor entdeckt] habe er eigentlich darüber nachgedacht, sich aus dem „Freikorps“ zurückzuziehen, um sich mehr seiner Familie und der Gesundheit widmen zu können. Im Dezember 2019 habe er dann dennoch die Führung übernommen. Einen Tag vor dem Treffen in Minden habe Torsten K. jedoch abgesagt, angeblich, weil er einen Auftrag beim französischen Konsulat in Berlin habe. Außerdem habe er, so erzählt E. weiter, Steffen B. in Minden persönlich treffen wollen, da er ihn in Berlin [bei der Demonstration am 3. Oktober 2019] und am Telefon als „angenehm und überaus sympathisch kennengelernt habe“.
Am 8. Januar 2020 habe Werner S. eine italienischsprachige Nachricht in die Chatgruppe „Heimat“ gestellt, mit dem Hinweis, im Februar 2020 werde es zu größeren Unruhen in Italien kommen. An diesem Tag sowie am darauffolgenden Wochenende habe er, E., Heiko M. in Minden bei dessen Umzug geholfen. Kontakt habe er hierbei nur noch zu Ulf R. gehabt, weil er ihn schon lange gekannt habe. Die anderen Teilnehmer des einen Monat später, am 8. Februar 2020, in Minden stattfindenden Treffens habe er weder gekannt noch von ihren Plänen gewusst. Normalerweise habe er sich immer vor und nach Treffen mit Sören B. ausgetauscht. Nach dem Treffen am 8. Februar habe man sich jedoch nicht getroffen, weil er das das aufgrund des Besprochenen nicht für nötig gehalten habe.
Tony E.s Verhältnis zu Waffen
E. sagt weiter aus, er habe seit dem Jahr 2000 ein – mal mehr, mal weniger ausgeprägtes – Interesse am Preppen gehabt. Vorbild sei für ihn der Survival-Experte Rüdiger Nehberg gewesen. Seit der Wirtschafts- und Energiekrise ab den 2010er-Jahren sei sein Interesse wieder aufgeflammt, befördert durch die Medienberichterstattung. 2016 habe selbst die Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu geraten, sich zu bevorraten. Besonders stark angesprochen habe ihn 2014 der Bericht eines Bosnien-Überlebenden und das Buch „Bürgerkrieg in Deutschland“ von Udo Ulfkotte [Korrekter Titel: „Vorsicht Bürgerkrieg!“, erschienen im rechten „Kopp Verlag“], das er 2015 in die Hände bekommen habe. Darin sei zu lesen, dass 2020 [befeuert durch eine angebliche „Islamisierung“] die staatliche Ordnung zusammenbrechen und ein Bürgerkrieg entfacht werde. Daraus sei der Wunsch entsprungen, Waffen zu besitzen, um seine Familie beschützen zu können.
Er habe diesbezüglich Kontakt nach Sachsen [nahe der tschechischen Grenze] gehabt, aber keine Waffen erhalten, weil durch die Ukraine-Krise der Markt leergefegt gewesen sei. Er habe auch überlegt, auf legalem Wege, beispielsweise über einen Schützenverein oder die Jagd, eine Waffe zu besorgen. Zur Jägerei habe er aus seinem persönlichen Umfeld Kontakte gehabt. Als er 2015 das erste Mal Vater geworden sei, habe er jedoch moralische Zweifel am Töten von Tieren bekommen. Trotz der Jäger in seinem Bekanntenkreis sei er nicht auf die Idee gekommen, Waffen von diesen zu kaufen. Aber: „Mein Prepperherz hätte einen Kauf befürwortet“, so E.
Tony E. gibt in seiner Erklärung an, ihm sei der Charakter des Treffens am 8. Februar 2020 in Minden nicht richtig klar gewesen. Er habe nicht gewusst, dass es auch um Waffen gehe. Praktische Berührungspunkte zu Waffen habe er 2013 bei einer praktischen Waffensachkundeprüfung gehabt und 2018 auf einem Schießstand im Rahmen eines Schießevents eines Bekannten. Seinen Kindern habe E. nie Spielzeugwaffen gekauft. Die bei der Hausdurchsuchung gefundene Softair-Pistole in einer Schüssel auf dem Kühlschrank habe Sören B. 2019 seinen Kindern geschenkt. Diese sei außer Reichweite der Kinder aufbewahrt worden.
Der Austausch über Chatgruppen sei nichts Neues, erklärt E. im Folgenden. Es gebe unzählige Gruppen im „Freikorps“, unter anderem den „Flohmarkt“ und den „Überlebenschat“, in denen man sich über Heimat, Asylpolitik und Demonstrationen austausche. Tony E. habe nicht wahrgenommen, dass in den Chats Teilnehmende für Terrorgruppen rekrutiert worden seien, auch nicht von Werner S.
Dass man in Minden die Handys weggelegt habe, sei kein Hinweis auf eine inhaltliche Brisanz des Treffens, sondern üblich, um nicht abgehört zu werden. Das würde man auch bei den Treffen des „Freikorps“ machen oder auch in anderen politischen Lagern. Es gebe Berichte darüber, dass Geräte einfach so Gespräche aufzeichnen würden, was man an darauffolgender personalisierter Werbung erkennen könne. Diese Furcht sei bei allen Teilnehmenden besonders ausgeprägt.
Tony E. fühlt sich von Werner S. instrumentalisiert
Tony E. erklärt, er gehe davon aus, dass Werner S. „nicht immer ehrlich mit mir war.“ Insbesondere die Gespräche zwischen Werner S. und Thomas N. aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) hätten ihn betroffen gemacht. S. habe E.s Vertrauen dadurch gewonnen, dass er seinen Kindern Geschenke gemacht und stundenlang Lebenstipps erteilt habe. S. habe ihn für sich gewinnen wollen. Man habe eine vertrauensvolle Gesprächsebene gehabt. Gerade in der Zeit der belastenden Tumordiagnose habe ihm Werner S. Zuversicht gegeben. Es habe schon so etwas wie Freundschaft gegeben, aber S. habe ihm nicht immer alles offen gesagt. Man könnte aus den Sachakten den Eindruck gewinnen, S. habe sein Wohlwollen erschleichen wollen. Dass dies für Ziele im Sinne der Anklage geschehen sei, könne er sich jedoch schwer vorstellen.
E.: Sorge um die Heimat, aber keine Anschlagspläne
Als elften Punkt seiner Erklärung geht Tony E. genauer auf die Inhalte aus der TKÜ ein und versucht, alternative Interpretationsmöglichkeiten für seine aufgezeichneten Aussagen in den Telefonaten zu liefern. Der Vorwurf der Behörden, ihm seien die Ziele von Werner S. bekannt gewesen, bestreitet er. Es habe die Gruppe nicht gegeben. Sie sei nicht gegründet worden, und man habe auch nichts geplant. Er habe auch keine Führungsrolle übernommen.
E. gibt an, dass er die strafbare Aussagekraft der gehörten Telefonate vom 29. September 2019 und vom 10. Februar 2020 [in denen E. sich mit S. über zu wenig „offensive“ Kameraden aufregte, angesichts eines angeblich kurz bevorstehenden politischen Umschwungs und einer angeblichen Bedrohung durch Migration] nicht verstehe. Er habe seine Sorge um die Heimat geäußert, aber nicht zum Angriff aufgerufen. Allgemein habe er niemals zu Gewalttaten aufgerufen oder diese gebilligt. Was auch immer Werner S. in den Chatgruppen geäußert habe, es müsse nicht seine Meinung sein. Auch im neu ausgestellten Haftbefehl fänden sich dafür keine Anhaltspunkte.
Im Telefonat am 3. November 2019 habe er von Albträumen berichtet. [„Ich wache manchmal nachts auf, wo Schwarze vor mir stehen mit ‘ner Machete. Das klingt vielleicht schizophren oder krank oder pervers, aber in meinen Augen sind das realitätsnahe Szenarien.“] Richtig sei, dass er gegenüber Torsten K. geäußert habe, seine Familie im Ernstfall verteidigen zu können. Im Telefonat mit Werner S. am 29. September 2019 habe er sich mit ihm darüber ausgetauscht, wie er Personen einschätze. Wenn er davon gesprochen habe, dass diese für die Straße ungeeignet seien, dann habe er ungeeignet für konfrontative Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Demonstrationen gemeint.
Für Tony E. soll die Vernetzung im Vordergrund gestanden haben
Tony E. bestätigt, dass er Mitglied in den Chatgruppen „Heimat“ und „Bayern/Baden-Württemberg“ gewesen sei. Er habe sich jedoch nicht aktiv an den Chats beteiligt und nicht alle Nachrichten gelesen. Nicht alle Gedanken, die dort geäußert worden seien, habe er inhaltlich unterstützt. Dort habe man sich nicht über potenzielle Kandidaten für eine Gruppierung ausgetauscht. Ihm sei es um die Vernetzung von Menschen gegangen, digital wie auch auf persönlicher Ebene.
Wenn man in Telefonaten unabhängig voneinander das Interesse an Personen mit Diplomatenstatus angesprochen habe, dann gehe es auch um Vernetzung, nicht um Anschläge. Wenn man politisch etwas erreichen wolle, brauche man Personen, die gut vernetzt seien. [Am 6. Oktober 2019 beispielsweise Tony E. sprach mit Werner S. über Thorsten K. und hielt ihn offenbar für einen geeigneten Kameraden: Er habe noch zwei Jahre Diplomatenstatus und sei „so ein Kaliber, der nimmt eine Knarre und schießt dir in den Kopf.“]
Angeblich nur an konfrontativen Demonstrationen interessiert gewesen
Des Weiteren behauptet Tony E. in seiner Erklärung, er habe in Minden gehofft, eine neue Gruppe als Ersatz für das „Freikorps“ finden zu können. Es sei nicht um die Gründung einer terroristischen Vereinigung gegangen. Er habe den Plan von Werner S. so verstanden, dass man mehr Präsenz auf der Straße zeigen wolle, etwa bei Patrouillen. Man habe Angst vor einer Verhaftung [korrekt wäre hier Gewahrsamnahme] bei aktiven Teilnahmen an Demonstrationen oder beim Plakatieren gehabt. Deshalb habe er Werner S. die Nummer seiner Frau gegeben, damit er sie in diesem Fall verständigen könne. Es sei außerdem normal gewesen, bei solchen Treffen die Telefone wegzulegen, denn dort solle alles direkt besprochen werden. Dabei gehe es auch um „diffuse oder reale Verschwörungstheorien oder reale politische Bedrohungen“. Im Telefonat am 8. Februar 2020 habe er keineswegs Ulf R., den Vater seines Patenkindes, gedroht, sondern vielmehr zur absoluten Verschwiegenheit aufgerufen. Dies sei ein „übliches Vorgehen in der Szene“.
Über die Intention von Werner S.‘ Frage in Minden und im Telefonat am 10. Februar 2020, ob man offensiv oder defensiv eingestellt sei, habe er nichts gewusst. Er könne daran aber auch nichts Verwerfliches finden. E. wiederholt seine Interpretation, es sei um konfrontative Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht und mit Gruppen von Andersdenkenden in Zusammenhang mit Demonstrationen oder Plakat-Aktionen gegangen. Mit Verweis auf seine Kinder habe er sich nicht gemeldet.
Im Telefonat mit seiner Frau am 8. Februar 2020 habe er von einem Treffen mit zwei möglichen Kandidaten am Folgetag gesprochen. Er habe in zwei Personen, einem Sch. und einem E., mögliche Neumitglieder des „Freikorps“ gesehen, aber nicht mit ihnen über das Treffen in Minden gesprochen.
Insgesamt könne man bei der von der Anklage beschriebenen Gruppe allenfalls von einem gescheiterten Versuch von Werner S. sprechen. Das sei unter anderem an dem negativen Feedback nach dem Treffen an der Hummelgautsche und in Minden erkennbar. In Minden sei überhaupt nichts beschlossen worden. Das belege die Nichtgründung.
Harmlose Chemikalien?
Tony E. geht im Anschluss auf Gegenstände ein, die die Polizei in seinem Haus fand. [Darunter Chemikalien, bei denen geprüft werden sollte, ob sie zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden könnten.] So habe man Wasserstoffperoxid gefunden, das er zur Reinigung von Sanitäranlagen, für die Mundhygiene und als Badezusatz gegen Hauterkrankungen verwende. Diesen Stoff habe er zunächst in der Apotheke in Amelinghausen gekauft, danach in geringerer Konzentration im Internet. Außerdem habe er regelmäßig destilliertes Wasser getrunken. Die Kanister seien mit Worten wie Gesundheit, Glück, Dankbarkeit und Liebe beschriftet gewesen. Er folge da der Lehre von Masaru Emoto, wonach Wasser ein Informationsspeicher sei. Der aufgefundene Pflanzendünger sei eine Hinterlassenschaft der Vormieterin gewesen. Der Verdacht, er wolle daraus Bomben bauen, sei Unsinn. Seine mäßigen Kenntnisse in Chemie würden sich auf Lebens- und Nahrungsmittel beschränken.
Tony E. will weitere Fragen nur schriftlich beantworten
Zum konspirativen Verhalten der Gruppe erklärt Tony E., er sei allgemein misstrauisch gegenüber seiner Umwelt eingestellt. Das sei aber nicht Ausdruck einer konspirativen Haltung. Jedes Handy habe ein Mikrofon und könne abgehört werden. Die Ermittlungsakten würden seine Befürchtungen bestätigen. Er fürchte den technischen Fortschritt. Da er aber nichts zu verbergen habe, habe er all seine Passwörter bereitwillig ausgehändigt. Er sei der festen Überzeugung, dass wenn Werner S. seine angeblichen Ziele offen kommuniziert hätte, sich ein Großteil der Angeklagten am 8. Februar 2020 davon distanziert hätte.
Tony E. verliest abschließend ein paar persönliche Worte hinsichtlich seiner familiären Situation, der Situation in der Untersuchungshaft und deren Folgen. Er erklärt, nicht suizidal zu sein und stark bleiben zu wollen.
Der VR fragt E., ob er auf Nachfragen antworten würde. E.s Verteidiger RA Hofstätter verneint das. Schriftliche Fragen würden aber entgegengenommen und beantwortet. Der VR erklärt, dass der Senat nicht gedenke, so vorzugehen. Es stehe aber allen Verfahrensbeteiligten offen, schriftliche Fragen an den Angeklagten E. zu formulieren.
Für die kommende Woche kündigt der VR die Vernehmung des Zeugen B. an, der vor über 20 Jahren den Angeklagten Paul-Ludwig U. begutachtet hat. Außerdem kündigt RA Picker eine drei- bis vierstündige Aussage seines Mandanten Marcel W. an. RA Mandic beantragt, dass von der Vollziehung der wöchentlichen Meldeauflage für seinen Mandanten Michael B. abgesehen werden soll, da dieser einen neuen Beruf habe. Von Seiten des Senats wird dem nicht stattgegeben, aber auf die Möglichkeit verwiesen, bei der Bundesanwaltschaft einen begründeten Antrag einzureichen.