Am 41. Prozesstag am 11. November 2021 wurde die Zeugin Cornelia K. (60) aus München befragt, eine langjährige Freundin von Werner S., dem mutmaßlichen Gründer der „Gruppe S“. Sie ist Immobilienmaklerin. Zwischenzeitlich waren die beiden ein Paar. Offenbar präsentierte sich Werner S. der Zeugin gegenüber ganz anders als seinen politischen Mitstreitern. Es ergibt sich das Bild, dass die Zeugin S. aus emotionaler Zugewandtheit unterstützt hat. Sie eröffnete für ihn ein Konto und stellte ein Auto zur Verfügung, als S. Sozialhilfe bezog. Sie gab ihm 130.000 Euro als Darlehen zum Kauf einer Immobilie in Italien. Die Zeugin ist Werner S. offenbar weiterhin verbunden. Sie besuchte ihn bereits zweimal im Gefängnis und überweist ihm monatlich Geld in die Haft. Am Ende des Prozesstags räumt sie ein, sie lasse sich von S. ausnutzen.
Der Vorsitzende Richter eröffnet der Zeugin Dr. Cornelia K., es sei gegen sie ein Verfahren wegen des Verdachts der „Beihilfe zum Sozialhilfebetrug“ anhängig; als Zeugin müsse sie sich aber nicht selbst belasten. K. möchte trotzdem Angaben machen.
Zuerst stellt sie sich kurz vor: Sie sei 60 Jahre alt, lebe geschieden und haben zwei erwachsene Töchter. Sie habe Jura studiert, in den Rechtswissenschaften promoviert und sei seit Ende 2004 Immobilienmaklerin. Werner S. kenne sie seit etwa 20 Jahren. Sie habe ihn Anfang der 2000er Jahre in Aschheim, einer Nachbargemeinde von Kirchheim, kennengelernt. Dort sei er Barkeeper gewesen. Sie und S. seien zeitweise ein Paar gewesen; die Beziehung sei aber rein platonisch gewesen. Am Anfang sei sie in S. verliebt gewesen. Die Beziehung sei mal intensiver, mal lockerer gewesen. Sie sei mit Werner S. sechs bis neun Mal in den Urlaub gefahren. Nach Norddeutschland, an die Ostsee, nach Italien und Griechenland. Der VR fragt nach Veränderungen vor der Inhaftierung von Werner S. Die Zeugin antwortet, dass der Kontakt lockerer geworden sei. Das liege aber auch an ihrem Beruf. Sie habe viel zu tun gehabt.
Aus ihrer polizeilichen Vernehmung hält ihr der VR vor: „Er hat sich so verändert. Nach dem Tod seiner Mutter [22. März 2011]. Er hatte so eine Wut.“ Die Zeugin wiegelt ab: „Kann sein, dass ich das so gesagt habe.“ Sie weist darauf hin, dass sie damals in einem Schockzustand gewesen sei. Am Tag der Vernehmung sei die Hausdurchsuchung gewesen. Die Vernehmung sei auf eine Stunde angesetzt gewesen, habe aber drei Stunden lang gedauert. Die Mitschrift sei dreimal überarbeitet worden. S.‘ Wut, die sie in der Vernehmung thematisierte, habe sich darauf bezogen, dass er mit den Beerdigungskosten seiner Mutter allein gelassen worden sei. Zeitweise habe Werner S. keinen Kontakt zu seinem Bruder Carsten S. gehabt.
S. schaute Enthauptungsvideos des IS
Der VR hält der Zeugin vor, dass sie Werner S. zum Gang zum Psychologen geraten habe. Sie erwidert, dass S. darauf positiv reagiert habe. Er habe gesagt, das müsse er sich überlegen. Weiter hält ihr der VR vor, dass Werner S. ihr erzählt habe, dass er IS-Videos anschaue, in denen man Enthauptungen sehe. Die Zeugin bestätigt das. Er habe auch nachts nicht mehr schlafen können. „Ich würde ihn nach 20 Jahren als ängstlichen Menschen einschätzen.“ Auf die Frage, ob S. die Videos zum Spaß oder aus Angst vor dem IS geschaut habe, entgegnet sie: „eher Angst“. Sie habe nicht den Eindruck, dass ihm das Spaß bereitet hätte.
Die Zeugin erzählt auf die Frage des VR nach ihrem Kontakt zu S., sie habe ihn im August letzten Jahres zweimal besucht und ihm zu Weihnachten geschrieben. Dies habe sie dann abgebrochen, da sie es schrecklich gefunden habe, „ihn im Gefängnis zu besuchen“. Man habe dort keine Privatsphäre.
Der VR fragt nach den Eigenschaften von S. Die Zeugin beschreibt ihn als „sehr charismatisch […], dabei aber nicht selbstbewusst“ und „teilweise ängstlich“, „hilfsbereit“, „sensibel“ und „besorgt“ um „seine Lieben“, sein Umfeld, auch Tiere. Weiter nennt sie S. einen „Dampfplauderer“. Außerdem habe er gewisse Spleens. „Er war manchmal in seiner Welt.“
Weiter fragt der VR, ob K. wisse, dass S. im Oktober 2016 in Augsburg von einer psychologischen Sachverständigen untersucht worden sei. K. verneint. Der VR zitiert aus dem psychologischen Gutachten von 2016, in dem S. angegeben hatte, dass es ihm schlecht gehe. Er sei psychisch am Ende, habe soziale Phobien und könne nicht ohne Hilfe rausgehen. Die Begleitperson von Werner S. beim Besuch der psychologischen Sachverständigen berichtete, dass sie Werner S. gemeinsam mit dessen Frau und dessen Bruder betreue. Aus dem Gutachten geht außerdem hervor, dass S. mit Stand 2016 seit 1998 nicht mehr gearbeitet habe.
Ein falscher Polizist
Der VR fragt die Zeugin nach ihrem Wissen über Kindheit und Jugend von S. Sie erzählt, dieser und sein Zwillingsbruder stammten aus zweiter Ehe. Aufgewachsen sei Werner S. am Starnberger See. Der Vater stamme aus Ungarn. Er sei als Versicherungsvertreter viel unterwegs gewesen, die Mutter sei nicht berufstätig gewesen. Laut VR wurde die Ehe 1988 geschieden. Zu seinem Bruder habe Werner S. fünf, sechs Jahre keinen Kontakt gehabt. Werner S. habe kein Abitur und habe in München eine Ausbildung zum Hotelfachmann absolviert. Später habe er Vitrinen für Museen gebaut und in einem Sonnenstudio gearbeitet. Er sei zwischendurch auch als Visagist [1988-89] tätig gewesen. Auf die Frage nach einem bei der Durchsuchung aufgefundenen Abiturzeugnis des Leibnitz-Gymnasiums in St. Ingbert entgegnet die Zeugin, davon wisse sie nichts.
Die Zeugin berichtet weiter, dass Werner S. ihr erzählt habe, beim bayrischen LKA und beim Zoll als verdeckter Ermittler eingesetzt gewesen zu sein. Er habe ihr erzählt, dass er 16 Jahre für die Polizei gearbeitet hätte. Außerdem habe er ihr von seiner Spielsucht erzählt, wegen der er seine Polizeitätigkeit aufgegeben habe. Einmal habe er bei einem Treffen mit ihr in einem Café eine Weste mit der Aufschrift „Polizei“ getragen. Später habe er erst in München ein Sonnenstudio betrieben und dann Lampen in seiner Mickhausener Werkstatt restauriert. Für deren Ankauf sei er auch nach Italien und Frankreich gefahren. Auf Nachfragen erzählt sie, dass Werner S. kein italienisch habe sprechen können, sie aber gemeinsam versucht hätten, italienisch zu lernen.
„Nazi war für ihn ganz schlimm. So hat er sich auch nicht gesehen.“
Der VR fragt, was die Zeugin über die politische Einstellung von S. weiß. Diese sagt aus, S. tendierte eher in die rechte Richtung. Weiter sagt sie: „Nazi war für ihn ganz schlimm. So hat er sich auch nicht gesehen.“ Politik sei eher selten ein Thema gewesen. Als sie den Urlaub in Griechenland geplant hätten, hätten sie aber über Asylbewerber gesprochen. Aus Angst vor ihnen und davor, dass einer von ihnen ihn dort „einen Kopf kürzer machen“ könnte, habe Werner S. es einmal nicht hinbekommen, nach Griechenland zu kommen. Auch habe er sich über die „Flüchtlingswelle“ aufgeregt. An antisemitische Äußerungen hingegen könne sie sich nicht erinnern.
Auf Nachfrage des VR räumt die Zeugin ein, Werner S. einen Bus, der als Leasingwagen über ihr Geschäft lief, geliehen zu haben. Außerdem habe sie für ihn ein Konto eröffnet, auf das er Zugriff gehabt habe. Der VR äußert folgenden Verdacht zu der Eröffnung des Kontos: „Es liegt nahe, dass Sie ein Konto für ihn eröffnet haben, um ihm zu helfen, sich Sozialhilfe zu ergaunern.“ Die Zeugin widerspricht.
Die Zeugin gibt weiter an, dass Werner S. in Augsburg in einer Wohnung von ihr gewohnt habe. Die Miete dazu habe das Amt bezahlt. Außerdem habe sie S. ein Darlehen über 130.000 Euro für den Kauf eines Hauses in Italien gewährt, das sie gemeinsam hätten nutzen wollen. Nach der Inhaftierung von S. habe dessen Expartnerin das Darlehen übernommen; sie zahle jetzt auch die Zinsen. Laut VR liegen diese bei 0,6 Prozent.
Die Zeugin unterstützt Werner S. bis heute
K. behauptet noch, sie habe vorgehabt, Ende 2019 einen Cut unter die Hilfen für Werner S. ziehen. Die Nachfrage des VR, warum sie dann im Herbst 2019 Werner S. ein Darlehen gegeben habe, kann die Zeugin nicht überzeugend beantworten.
Nun übergibt der VR das Fragerecht an den Sachverständigen Dr. Winckler. Ihm gegenüber gibt die Zeugin an, ihr Verhältnis zu Werner S. sei gespalten gewesen.
Auf Frage von Staatsanwältin (StAin) Masslow erzählt die Zeugin, dass sie Werner S. ein monatliches Haftgeld von 200 Euro überweise. Davon zahle Karin T. die Hälfte. Die StAin konfrontiert die Zeugin mit dem Widerspruch, dass S. angeblich kein Konto habe eröffnen können, er ihr aber monatlich seine Miete von seinem Post-Girokonto überwiesen habe.
Werner S.‘ Verteidiger RA Siebers fragt die Zeugin nach Preppern. Sie erzählt, dass S. vor ein paar Jahren erzählt habe, er treffe sich mit Leuten, die Überlebenstrainings machen würden, um sich auf schlimme Zeiten vorzubereiten. Er habe gesagt, es sei auch für sie gesorgt. Das sei vor 2015 gewesen.
„Ausgenommen wie eine Martinsgans“
Der VR spitzt zu, man könne ihre Beziehung so beschreiben: „Da lernt die 40-jährige wirtschaftlich selbstständige Frau den 35-jährigen Barkeeper kennen.“ Sie bleibe ihm bis zum heutigen Tag treu und nehme dabei in Kauf, „wie eine Martinsgans“ ausgenommen zu werden. „Könnte da etwas dran sein?“ Die Zeugin antwortet mit „Ja“.
RA Herzogenrath-Amelung, Verteidiger von Frank H., betont in einer Erklärung, die Aussagen von Werner S. in Bezug auf seinen Grundbesitz seien falsch gewesen. [S. hatte wiederholt angedeutet, er besitze mehrere Grundstücke oder Gebäude.] Ebenso habe S. gelogen, als er behauptet, bei der Bundeswehr und vier Jahre bei den Alpini [italienische Gebirgsjäger] in Südtirol gedient habe. Er habe kein Italienisch gekonnt. Der RA bilanziert, S. sei ein Hochstapler. Sein Teamkollege RA Linke fügt hinzu, dass sich S.‘ Zukunftspläne nicht mit Anschlagsplänen hätten vereinbaren lassen.
Marcel W.s Verteidiger RA Picker beschreibt Werner S. als schillernde Persönlichkeit und überlegt laut, ob S. auch an der Hummelgautsche oder in Minden geschauspielert haben könnte.
RA Miksch, der ebenfalls Marcel W. verteidigt, erklärt, die Zeugin habe S. als sensibel und charismatisch beschrieben und als jemanden, der keine Neonazis mochte. Der RA schlussfolgert daraus, dass ein etwaiger Tatbeitrag von S. reine Schauspielerei gewesen sei.
Damit endet der 41. Prozesstag.