Am 39. Prozesstag gegen die rechtsterroristische „Gruppe S“ am 28. Oktober 2021 war der Stuttgarter Sozialarbeiter Roland H. als Zeuge geladen. Er wurde zu Paul-Ludwig U. befragt, den er ab Herbst 2020 betreute. Zu diesem Zeitpunkt saßen die übrigen Beschuldigten schon mehrere Monate in Untersuchungshaft, und Paul-Ludwig U. wurde vom LKA geschützt. Wie schon bei einigen Prozesstagen zuvor, kreisten die Gespräche um die Frage, ob auf U.s Aussagen Verlass sei, und ob U. dem LKA ohne jede Gegenleistung Informationen gab. Im Gegensatz zu einigen Zeug*innen vor ihm zeichnete Roland H. ein positives Bild von U. Er habe keine psychische Erkrankung oder Auffälligkeit bei U. erkennen können. Auch von Zuwendungen durch die Behörden wisse er nichts.
Eingangs lässt der Vorsitzende Richter (VR) den Zeugen sich und seine Arbeit vorstellen. H. beschreibt sich als „klassischen Sozialarbeiter“ und ist bei einem freien Träger der Straffälligenhilfe angestellt. Er erklärt, er unterstütze dort Menschen mit Hilfebedarf und sei Fachbereichsleiter für das betreute Wohnen. Dabei biete man vorwiegend keine eigenen Wohnungen an, sondern betreue die Menschen in den von diesen, mit privatem Mietvertrag selbst angemieteten Wohnungen; mit dem Ziel, den Menschen zu helfen, in ihrer Wohnung bleiben zu können. Paul-Ludwig U. kenne er seit Herbst 2020. Damals habe sich ein Herr S. vom LKA gemeldet und für U. um sozialarbeiterische Unterstützung gebeten. S. und dessen Kollege R. hätten erklärt, dass U. Betreuung bei Postschriftverkehr, Antragsstellungen und alltäglichem Bedarf benötige. Zu dem Zeitpunkt, so schildert der Zeuge weiter, habe er vom LKA noch nicht erfahren, wo U. wohne; das LKA habe versucht, zu verhindern, dass dessen Adresse und Identität an die Öffentlichkeit gelangen. S. sei dann mit U. bei ihm im Büro vorbeigekommen und berichtet, dass es demnächst eine Wohnung für U. gebe, in die er ziehen solle. Außerdem stehe eine Verhandlung an, bei der U. Angeklagter und gleichzeitig Zeuge sei. Unterlagen habe er, so H., vom LKA keine bekommen. Seitdem und bis heute stünden U. und er in wöchentlichem Kontakt. Mal telefonisch, mal im Büro oder in U.s Wohnung. Gestern habe U. beispielsweise wegen einer Arbeitsstelle angerufen. Der VR fragt, ob sie sich auch über den Prozess unterhalten würden. H. erwidert, er frage immer, wie es laufe, „um zu wissen, wie der Druck ist“. „Inhaltlich“ sprächen sie aber nicht über das Verfahren. Die Verhandlung gehe U. sehr nahe. U. sei vor allem sehr ungeduldig, wenn beispielsweise bei Briefen an Behörden nicht sofort eine Antwort kommen würde. Auf Frage des VR erläutert H., dass U. allein lebe und dass er (H.) nicht wisse, wer die Wohnung für U. angemietet habe. U. sei dort allein lebensfähig, sei „eher selbständig und eigeninitiativ“.
Zeuge: U. war kooperativ und nie übergriffig oder aufdringlich
Der VR fragt den Zeugen H., ob er noch vom LKA angerufen werde. Der entgegnet, dass er es sei, der den Beamten S. anrufe, weil dort noch Unterlagen von U. lägen, beispielsweise Dokumente für die Krankenkasse. H. gibt an, dass er U. als zuverlässig erlebe. U. komme mit der Nachbarschaft gut aus und habe Kontakte zum Deutschen Roten Kreuz (DRK) geknüpft, wo er ehrenamtlich aktiv sei. Der VR bittet um eine knappe Beschreibung von U. Roland H. beschreibt U. daraufhin als ungeduldig; U. wolle viel nachholen, ergreife Initiative, organisiere sich selbst, sei kooperativ. Er habe U. nie übergriffig oder aufdringlich erlebt. In Bezug auf dieses Verfahren wisse er aus der Erzählung von U., dass es diese „Gruppe S“ gebe und er da Mitglied gewesen sei, das aber nicht gewollt habe. Der VR konfrontiert den Zeugen mit der Aussage einer Bewährungshelferin, die gesagt habe, U.s Schilderungen über seine Rolle in dem Verfahren seien von einer gewissen Begeisterung und Euphorie getragen. Der Zeuge widerspricht dem. Auf die Frage, ob er von früheren forensisch-psychiatrischen Gutachten wisse, antwortet H. mit Ja: U. habe erzählt, dass diese nicht zuträfen. U. habe auch erzählt, dass er von sich aus die Zusammenarbeit mit dem LKA gesucht habe. Über dieses Thema, so der Zeuge, habe er mit U. nicht „inhaltlich detailliert“ gesprochen. Der VR fragt dennoch kleinteilig weiter: ob U. von einer Zusammenarbeit mit dem Generalbundesanwalt gesprochen habe – was H. bejaht – und von einer Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz – was H. verneint. Auch die Begriffe „V-Mann“, „V-Person“ oder „Quelle“ seien nie gefallen. U. sei auf staatliche Stellen zugegangen, weil er die Pläne der Gruppe und die damit einhergehende Gefahr für Menschenleben nicht ertragen habe.
„Vielleicht die eine oder andere Fahrkartenerstattung“
Mit U. habe er nicht über dessen mögliche Rolle in rechtsextremen Kreisen gesprochen, erklärt der Zeuge. Paul-Ludwig U. habe auch nichts über die Aktivitäten der Gruppe oder über die Gruppentreffen an der Hummelgautsche oder in Minden erzählt. U. habe erwähnt, dass man „halt gezielt Menschen umbringen möchte“, über das Thema Bewaffnung habe er aber nichts gesagt. Man habe „ergebnisoffen“ über die weitere, langfristige Perspektive gesprochen, mit oder ohne Haft nach Ende dieses Verfahrens. U. lebe derzeit von Arbeitslosengeld II. Vom LKA oder anderen staatlichen Behörden erhalte er nichts, er habe aber in der Vergangenheit, „vielleicht die eine oder andere Fahrkartenerstattung“ bekommen.
Der VR hakt wegen eventueller Geldzahlungen an U. nach. H. antwortet: Seit einem Jahr erhalte U. ALG II. Was davor gewesen sei, wisse er nicht. Seit er U. betreue, gebe es „definitiv“ kein Geld vom LKA. Der VR hält ihm die Aussage von U.s Bewährungshelferin Nadja Sch. vor, die im Juli 2020 eine Aktennotiz angelegt habe: „Jede Woche komme jemand [vom LKA] und bringe ihm Geld“. H. sagt, so etwas habe er nie erlebt. Die Wohnung von U. sei klein, zweieinhalb Zimmer unter dem Dach, ausgestattet mit den nötigsten Möbeln und einer Küchenzeile. Die Monatsmiete betrage 300 Euro kalt und sei vom ALG II abgedeckt. Die Wohnung sei angemessen, auch aus Sicht des prüfenden Jobcenters. Abgesehen von den Verhandlungstagen am Dienstag und Donnerstag sei U. ehrenamtlich aktiv beim DRK, am Wochenende mache er Unternehmungen in der Natur. Beim DRK habe sich U. zum Grundhelfer ausbilden lassen und einen Lehrgang absolviert, um Corona-Abstriche durchführen zu können. Der Schutz durch die Polizei sei anstrengend gewesen, mittlerweile aber weitgehend aufgehoben. Das LKA habe U. auch die Wohnung und die Möbel besorgt. U. lebe unter seinem Namen, nicht unter einer anderen Identität; er gehe gern auf Leute zu, sei sehr offen.
Lediglich etwas ungeduldig
Ob U. besonders mitteilsam sei, besonders Wert darauf lege, von sich zu erzählen, möchte der VR wissen? Nein, U. sei da nicht außergewöhnlich, antwortet der Zeuge. Depressive oder gar suizidale Tendenzen habe er bei U. nie wahrgenommen. Einmal habe U. davon gesprochen, dass jemand auf ihn angesetzt werden sollte, aber er habe sich nicht besonders in Gefahr gesehen. Der VR fragt: „Haben Sie das Gefühl, dass er – mehr als Sie erwarten würden – Aufmerksamkeit und Wertschätzung erwartet, […] dass es ihm wichtig ist, eine besondere Bedeutung zu haben?“ Der Zeuge verneint, ebenso wie die Frage, ob sich U. durch ein „besonderes Geltungsbedürfnis“ auszeichne.
Der VR setzt nach: „Es gibt Menschen, die davon sprechen, U. bräuchte eine Bühne, auf der er auftreten könne. […] Es ist die Rede von Selbstdarstellung, Selbstinszenierung.“ Der Zeuge weist auch das zurück. Lediglich als ungeduldig habe er U. erlebt und dass er auch mal wütend sei, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen laufe. Er habe U. aber nie als manipulativ erlebt. U. nehme Hilfe gern in Anspruch, fordere sie aber nicht aufdringlich ein. Situationen mit dem Gefühl „da hat er jetzt aber geflunkert“, wie der VR vorhält, habe er nie erlebt. U. trinke allenfalls mal ein Bier, rauche aber trotz der Lungenerkrankung. Über Politik habe man nicht gesprochen.
Insgesamt, so fasst der VR dann zusammen, würden die Schilderungen des Zeugen über U. „signifikant“ von allen anderen Beschreibungen abweichen: „Er wird als jemand beschrieben, der fordernd bis hin zur Übergriffigkeit agiert, der Aufmerksamkeit genießt und braucht, der sich aufwerten will, dem Einschätzungen Dritter enorm wichtig sind. Der unglaublich viel, übergriffig viel von sich erzählt. Der Menschen zu allen Tag- und Nachtzeiten anruft. Und wenn ich Ihre Schilderung daneben stelle, ist er ein völlig normaler Mensch.“ H. sagt, von diesen Extremen habe er bei U. nichts beobachtet. Er halte U. für einen intelligenten Menschen und habe eindeutig schwierigere Probanden. Roland H. erklärt, er arbeite mit U. daran, eine Haftstrafe zu vermeiden.
Betreuer sieht bei U. keine Anzeichen für psychische Erkrankungen
Richterin Geist fragt nach U.s Tätigkeit beim DRK. H. antwortet, er helfe bei Corona-Tests und Blutspende-Aktionen. U.s Lebensperspektive sei eine Ausbildung beim DRK zum Rettungssanitäter. Außerdem fragt Geist nach dem Gesprächsrahmen, als U. gesagt habe, dass Menschen „gezielt umgebracht werden“ sollten. H. sagt, das sei im Kontext eines Gesprächs über das Gerichtsverfahren gesagt worden. Er habe U. gefragt, wie er den Druck aushalte. Der habe geantwortet, „dass es erschöpfend ist, aber er sich auch gut fühlt. […] Wegen der Anschläge, die geplant waren“.
Der Sachverständige Dr. Winckler fragt, was U. über seine Erfahrungen im Maßregelvollzug nach §63 StGB [Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus] berichtet habe. H. sagt, dass U. geäußert habe, er sei dort zu Unrecht untergebracht gewesen. Er habe ein Gutachten angezweifelt, das ihn da reingebracht habe. Anzeichen für eine psychiatrische Erkrankung, Hinweise auf Wahnvorstellungen, Halluzinationen, „maliforme“ Euphorie, krankhafte Antriebssteigerung, schwere Depressionen oder eine auffällige Instabilität habe es im Laufe des vergangenen Jahres nicht gegeben. Winckler lässt sich das Phänomen Ungeduld konkreter schildern. H. berichtet beispielhaft von einer Hausarztsuche, bei der U. nicht sofort einen Termin bekommen habe. Oder als die Energieabschläge zum ALG 2 korrigiert werden mussten: „Da kommt bei ihm ‘ne Ungeduld hoch, und da geht er auch mal hoch, ja.“ U. sei laut und wütend gewesen. Ob U. zur Selbstüberschätzung neige? Nein, da sei nichts gewesen. U.s Pläne seien von einer Realisierbarkeit nicht weit entfernt gewesen, er habe nie bremsend eingreifen müssen. Offenen Streit und Spannungen habe es zwischen ihnen nicht gegeben. U. könne Kritik annehmen. Er habe nie Dinge berichtet, die sich hinterher als falsch herausgestellt hätten, er habe auch keine unwahren Sachverhalte erfunden, um damit ein Bedürfnis zu befriedigen.
Winckler fragt den Zeugen schließlich nach einer eventuellen Partnerschaft von U. Da habe sich in den letzten Wochen „was anbandelt“, sagt H. An dieser Stelle konfrontiert Winckler den Zeugen mit den Angaben U.s aus dessen Gespräch mit ihm als Sachverständiger, in dem U. mitgeteilt habe, dass es seit einigen Monaten eine feste Partnerbeziehung gebe.
Wozu brauchte U. sozialarbeiterische Hilfe?
Winckler weiter: „Bisschen provokant gefragt: Sie schildern U. als Menschen, der realitätsbezogen ist, kooperativ, verlässlich, keine psychischen Auffälligkeiten bietet. Wozu braucht er Sie?“ H. nennt als Beispiele: um die Wohnung zu halten, für Papiersachen, Anträge, Jobcenter, Fahrkarte, auch: Wie funktioniert ein VVS-Schein, welche Unterlagen sind nötig.
Thomas N.s Rechtsanwalt (RA) Sprafke fragt den Zeugen, ob er Sympathien für U. hege. H. sagt, er habe Empathie, wie für alle, die er betreue. Dabei gehe es ihm darum, „dass ich ihn verstehe, dass ich bereit bin, ihn zu unterstützen“. Der RA hakt nach, warum der Zeuge U. in so vielen Alltagsdingen helfen müsse, wenn dieser doch zu einem eigenständigen Leben in der Lage sei. H. nennt Beispiele: „Ich erkläre ihm das Verkehrssystem und welche Zahlungsmöglichkeiten es gibt. Und wenn er es verstanden hat, kann er es auch und führt es selbständig weiter. So funktioniert Betreuung – Hilfe zur Selbsthilfe.“ U.s Hilfebedarf halte er nicht für außergewöhnlich.
RA Stehr, ebenfalls Verteidiger von Thomas N., fragt nach den Möbeln, die das LKA beschafft habe. H. sagt, es habe sich um gebrauchte Möbel gehandelt. Andere Extras habe es nicht gegeben, allerdings habe U. Geld für Zugfahrten vom LKA bekommen.
War U. Mitglied einer Partei?
Frank H.s Verteidiger RA Herzogenrath-Amelung fragt nach Schulden. H. führt aus, diese würden bei der zentralen Schuldenberatung der Stadt Stuttgart aufgearbeitet. U. habe nur ein Handy gehabt, nicht mehrere. Eine Schuldenauflistung und andere Unterlagen wie die ALG-Bescheide habe er vom LKA bekommen, sagt H. auf Frage des RAs. Dieser will wissen, ob U. „mal in einer Partei oder Organisation war“. H. verneint. Und gefragt nach dem politischen Standpunkt von U. sagt der Zeuge: „Weder rechts, weder links. Sondern er ist sehr fokussiert auf das, was gerade passiert.“ Der RA hält dem Zeugen daraufhin vor, in einer Vernehmung in einem anderen Verfahren habe U. angegeben, er sei Mitglied der ‚blauen Partei‘ der ehemaligen AfD-Spitzenfunktionärin Petry. Die letzte Frage des RAs, wie U. an seine Verteidiger*innen gekommen sei, kann der Zeuge nicht beantworten.
Tony E.s Verteidiger RA Becker lässt sich zunächst die Wohnung, in der U. wohnt, detailliert schildern. H. antwortet: „es sind Dachschrägen drin, es sind zweieinhalb Zimmer, also drei Räume. Es ist eine offene Küchenzeile, keine separate Küche. Separat sind nur Toilette und Dusche […] Es gibt noch ein Schlafzimmer und einen Abstellraum“. Vermieter sei nicht das LKA, sondern eine Privatperson, sagt H. auf eine entsprechende Frage des RA. Die Wohnung habe für U. einen sehr hohen Stellenwert, betont der Zeuge: „Es ist die erste eigene Wohnung in seinem Leben, wo er abschließen kann, wo er Privatsphäre hat.“ U. sei in der Nachbarschaft und im DRK eingebunden. Aufgrund der zwei Verhandlungstage pro Woche müsse U. zurzeit dem Jobcenter nicht zur Verfügung stehen. Zwei, drei Mal habe er U. Geld für die Energieabschläge vorgestreckt, das U. jedes Mal zurückgezahlt habe.
Der RA fragt dann, ob der Zeuge mit U. über die Zeugenladung hier gesprochen habe. Ja, er habe U. gefragt, was ihn hier erwarte, und U. habe gesagt, dass es um seine Glaubwürdigkeit gehe, weil man seine Aussagen in Frage stelle. Ob U. mal berichtet habe, dass er auch in anderer Zeit Straftaten aufgedeckt habe, Stichwort Kinderpornographie, will der RA wissen. Der Zeuge sagt, er wisse davon nichts.
„Angebliche“ Anschlagspläne
Steffen B.s Verteidiger RA Flintrop fragt nach Zahl und Dauer der Hausbesuche bei U. Laut H. variieren die Treffen: „Vor zwei Wochen war ich draußen, diese Woche haben wir telefoniert. Nächste Woche treffen wir uns nicht.“ Einmal sei es U. wegen seiner Atemwegserkrankung nicht gut gegangen, da habe er ihn zum Einkaufen gefahren. Wie das Gespräch dann auf das Thema Glaubwürdigkeit U.s gekommen sei, kann der Zeuge nicht mehr klar sagen. Vor dem heutigen Ladungstermin habe er U. nicht getroffen, sagt H.
Nun fragt der RA nach U.s Berichten gegenüber dem Zeugen zu den, Zitat Flintrop, „angeblichen Anschlagsplänen“. Roland H. gibt an, davon habe er nur am Beginn des Betreuungsverhältnis von U. erfahren; danach habe er sich eher aus den Medien über die Verhandlung informiert. Aus einem Spiegel-Bericht von vergangener Woche wisse er auch, dass die Verhandlung bis 2023 gehen solle. Die Frage der Glaubwürdigkeit U.s in dieser Verhandlung sei nur einmal Thema in den Gesprächen gewesen. Zeitlich könne er das nicht exakt einordnen. Mit U. habe er wie mit allen anderen Klient*innen ein Verhältnis per „Sie“.
Dann erwähnt der Zeuge ein Telefonat mit U. vergangene Woche. Er habe U. gefragt, wie er mit seiner Vorladung als Zeuge umgehen solle: „Ich hab eine Vorladung gekriegt. Wie kann ich mir das vorstellen, wie sieht der Tag für mich aus?“
Thorsten W.s Verteidiger RA Kist fragt nach den Tätigkeiten U.s beim DRK. H. erläutert, „DRK-Grundhelfer“ sei ein Einstieg zur Sanitätsausbildung. Laut U. habe dieser schon Erfahrungen vor der Haft in dem Bereich gehabt. Der RA hält Roland H. einen Satz von U. aus den Akten vor: „Das ist ein bisschen wie, als wäre man Gott, man erhält Leben.“ H. erwidert, so etwas habe er nicht mitbekommen.
Kann der Zeuge Zahlungen vom LKA an U. sicher ausschließen?
RA Hörtling, ebenfalls Verteidiger von Thorsten W., lässt sich vom Zeugen noch einmal bestätigen, dass aus dessen Sicht bei U. eine andere Identität nie ein Thema war, und fragt nach, ob der Zeuge U. über die genannten Beispiele hinaus Geld gegeben habe – was dieser verneint. Der RA bohrt: „In dem Gespräch vor einer Woche [zwischen H. und U.], ging es auch darum, dass es geeigneter sein könnte, ihn so darzustellen, dass er auf freiem Fuß bleibt?“. H. antwortet mit Nein.
Vor der Mittagspause gibt es einen heftigen Streit zwischen dem VR und RA Herzogenrath-Amelung außerhalb der von den Mikrofonen übertragenen Situation. Der VR ruft genervt: „Sie haben nicht das Wort, und ich erteile es Ihnen nicht! Und falls jemand Beweisanträge wegen dem DRK stellen will: Die Präsidentin des DRK heißt Gerda Hasselfeld!“
Nach der Mittagspause fragt Werner S.‘ Verteidiger RA Siebers nach, woher der Zeuge denn wisse, dass es keine Zahlungen des LKA gegeben habe. Der Zeuge sagt, dass er das ja anhand des ALG II-Bescheids sehen könne.
Verteidiger versucht, U.s Adresse herauszufinden
Auf Nachfrage von RAin Klein, Verteidigerin von Werner S., gibt H. an, dass er mittlerweile keinen Umweg mehr über das LKA gehen müsse, sondern direkt mit U. aktiv werden könne. Beim Beratungsträger wüssten nur wenige Personen von der speziellen Betreuungssituation von U. Aber die Geschäftsleitung sei informiert und werde regelmäßig auf dem Laufenden gehalten, so H.
Wolfgang W.s RA Grassl greift eine Bemerkung des Zeugen während der Befragung durch RA Flintrop auf: Roland H. habe gesagt, er habe U. angerufen, um zu fragen, womit dieser als Zeuge zu rechnen habe. RA Grassl will wissen, warum H. diese Frage an U. und nicht beispielsweise an seine Kolleg*innen gerichtet habe. Die seien im Urlaub gewesen, daher habe er U. schneller erreicht, erklärt der Zeuge. U. habe ihm weder die Anklageschrift gezeigt noch von dem Vorwurf erzählt, eine Pistole und eine Handgranate bestellt zu haben, führt H. auf Nachfrage aus.
Als der RA direkt fragt: „Wo wohnt Herr U.?“, schreitet der VR ein. U.s Anwälte erklären, dass ihr Mandant seinen Wohnort nicht freiwillig mitteilen werde. Sie beanstanden die Frage vor dem Hintergrund einer möglichen Gefährdung von U. Die Angeklagten im Glaskasten brechen in lautes Gelächter aus. Der VR sagt: „Ich beabsichtige, die Frage nur dann zuzulassen, wenn Sie mir die Bedeutung der Antwort für Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch von einem der Angeklagten darlegen.“ RA Grassl sagt, der Zeuge müsse überlegen, ob er die Frage nicht beantworten dürfe, weil jemand von den Behörden auf ihn zugegangen sei. Grassl will aber weiterhin zum Wohnort fragen. Der VR erlässt die Verfügung, dass die Frage nicht zugelassen wird, „weil von der Aufklärungspflicht nicht geboten“.
War U. im Zeugenschutz oder lediglich in LKA-Betreuung?
RA Grassl erkundigt sich danach, ob U. in einem Zeugenschutzprogramm war. Der Zeuge sagt aus, U. sei vom LKA betreut worden, die Formulierung „Zeugenschutzprogramm“ habe er nicht gehört. Der RA fragt nach, wann sich U. zum betreuten Wohnen beworben habe. H. schildert, dies sei im zweiten Gespräch mit U. der Fall gewesen. Auf Grassls Frage: „Haben Sie ihn bevorzugt, weil das LKA drum gebeten hat?“ antwortet H.: „Ich habe ihn nicht bevorzugt, sondern nach Einschätzung, dass die Betretung leistbar ist, zugesagt.“
Danach bohrt RA Grassl erneut nach U.s Adresse. „Wohnt Herr U. im Bundesland Baden-Württemberg? Wohnt er in Stuttgart?“ Doch auch diese Frage lässt der VR nicht zu. Der RA kontert: „Aus den Akten ergibt sich, dass er im Kreis Ludwigsburg wohnt.“ Grassl fragt, ob dem DRK die Verurteilungen U.s bekannt seien, was H. bejaht. Sofort wechselt Grassl wieder zu einer Frage nach dem Lebensmittelpunkt U.s: „Bei welcher Dienststelle ist er tätig?“ Auch diese Frage wird nicht zugelassen. H. schildert, dass ein LKA-Beamter mit dem DRK gesprochen habe.
RA Grassl: U. wurde der Besitz kinderpornografischer Schriften vorgeworfen
Der RA fragt dann: „Ist Ihnen bekannt, dass das LKA Baden-Württemberg den Verdacht gehegt hat, dass es bei der Auswertung eines PC-Towers des U. eine Vielzahl von Bildern gefunden hat, die sehr junge männliche Personen bei sexuellen Handlungen zeigen, und der Verdacht des Besitzes kinderpornografischer Schriften bestand?“ Der Zeuge verneint. RA Grassl: „Wissen Sie, ob U. Abstriche in Schulen oder Kitas gemacht hat?“ Als H. das bejaht, beginnt der RA eine Frage mit den Worten „Finden Sie gut, dabei zu helfen“, wird aber vom VR unterbrochen.
RAin Rueber-Unkelbach, Verteidigerin von Wolfgang W., fragt nach den Kriterien für einen Betreuungsbedarf. H. schildert das so: Ein Hilfebedarf nach dem SGB müsse bestehen, ein Platz vorhanden sein und eine Beziehungsarbeit zustande kommen. Für U. habe man genau das passende Angebot gehabt.
Gefragt nach dem letzten Kontakt zum LKA antwortet der Zeuge mit „vor kurzem“, als er U.s Rentenversicherungsnummer und die Steuer-ID gebraucht habe.
Das LKA habe ihn, führt der Zeuge aus, vor ein paar Wochen darüber informiert, dass der Beamte Sch. U. nun nicht mehr betreue, und U. auf eigenen Wunsch hin nicht mehr von der Polizei zum Gericht gefahren werde. Die Fahrten seien U. zu kompliziert gewesen. RAin Rueber-Unkelbach insistiert auf einen eventuell anderen Grund: „Haben Sie mal mitbekommen, dass eine mangelnde Absprachemöglichkeit mit U. der Grund war, oder dass es ihm nicht mehr gut genug war?“ Der Zeuge kann hierzu nichts sagen.
Auf die Frage, warum er beim LKA angerufen habe, um die Rentenversicherungsnummer von U. zu bekommen, gibt H. an, früher seien alle Unterlagen von U. beim LKA gewesen. Ob U. einen Sperrvermerk auf seine Adresse habe [mit dem die Daten einer Person zu ihrem Schutz nicht ohne Weiteres abgefragt werden können] wisse er nicht. Er sagt jedoch aus, U. sehe aktuell keine Gefahr für sich. Auf die Frage der Zusammenarbeit von U. und dem LKA-Beamten Sch. sagt H., beide hätten voreinander Respekt gehabt.
„Dass Moscheen angegriffen werden sollen und Menschen zu Tode kommen“
Marcel W.s Verteidiger RA Picker fragt, zu welcher LKA-Abteilung der Beamte Sch. Gehöre. Zur Zeugenschutz-Dienststelle? H. kann das nicht beantworten. Ob U. mal etwas von Schadensersatzklagen erzählt habe? Ja, weil er zu Unrecht im Maßregelvollzug gewesen sei, gibt H. an. Konkreter sei U. da nicht geworden. Der RA geht nun konkreter auf den Vorwurf der Anklage ein: „Als er erzählte, warum er sich aus der Szene rausgezogen hat, Morde, Anschläge, ist da der Begriff ‚Moschee‘ gefallen?“ Ja, sagt H., „in dem Zusammenhang, dass Moscheen angegriffen werden sollen und Menschen zu Tode kommen“. Von wem das gekommen sei, habe U. nicht ausgeführt.
RAin Schwaben, Verteidigerin von Markus K., fragt Roland H., ob sein Träger Personen betreue, die im Zeugen- oder Opferschutz seien. Für ihn sei das die erste Betretung dieser Art, sagt H. Schwaben fragt dann nach der Telefonnummer des LKA-Beamten Sch. Der VR reagiert sauer und zitiert die Nummer des LKA aus dem Kopf. Schwaben fragt nach der Aufgabe dieses Robert Sch. H. antwortet: U. „zu betreuen und schauen, dass nichts passiert“. Außerdem will die RAin wissen, ob die Miete direkt an den Vermieter überwiesen werde, und ob das DRK das Geld an U. überweise oder in bar auszahle. Der Zeuge weiß darauf keine Antwort. Die RAin will wissen, ob der Zeuge die Wohnung als „Super-Schnäppchen“ bezeichnen würde. H. sagt: „Für mich ist das eine gute, günstige Wohnung.“ Als die RAin erneut nach U.s Beziehungsstatus fragt, erwidert H., dass er vorher in der Pause mit U. beim Bäcker gewesen sei. U. habe erzählt, dass er am Abend Bereitschaftsdienst im DRK habe und seine Freundin dort treffe. Schwaben: „Wie ist das für Ihre Arbeit, wenn Sie hier für einen laufenden Klienten Angaben machen müssen?“ H. antwortet, es sei schon ein Problem. Aber die Situation erfordere es.
Kann Paul-Ludwig U. Rettungssanitäter werden?
Michael B.s Verteidiger RA Berthold fragt nach den Fahrten von U. zum Gericht. H. sagt, die Fahrten und Tickets müsse U. selbst organisieren. Der VR ergänzt, dass jeder Angeklagte ggf. das Recht auf Fahrtkostenerstattung habe. Der RA fragt weiter, ob der Zeuge das Fernziel von U., sich zum Rettungssanitäter ausbilden zu lassen, für realistisch halte. H. gibt an, momentan halte er das für machbar. „Wenn das DRK denkt, er kann das machen, dann erlaub‘ ich mir kein Urteil.“
RA Mandic, ebenfalls Verteidiger von Michael B., fragt, wie oft der Zeuge Kontakt zu Sch. vom LKA habe. Roland H. sagt aus, mit Sch. habe er nur telefoniert, wenn er Unterlagen gebraucht habe. Sch. habe betont, dass U. eine Schutzperson sei. Die Betreuung durch den Zeugen sei aber juristisch keine „Bestellung“ gewesen; U. hätte sie zu jeder Zeit abbrechen können.
In einer zweiten Fragerunde erkundigt sich RA Sprafke, ob der Zeuge den Namen Zacharias [von der Bundesanwaltschaft] von U. gehört habe, was dieser verneint. RA Stehr fragt, wie viel Zeit U. beim DRK verbringe. Der Zeuge schätzt, U. sei dort „nicht täglich, aber schon sehr aktiv“. Insgesamt bewege sich U.s Aktivität dort „im Rahmen der Ehrenamtspauschale“. Der RA bohrt: „Eine Person, die keine Bewerbungen schreibt, sehr aktiv beim DRK ist, die eine Fortbildung gemacht hat, steht die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung?“ Der VR unterbricht den RA und fordert ihn auf, sich „auf Fragen zu beschränken, die der Zeuge auch aus eigenem Wissen beantworten kann“.
RA Herzogenrath-Amelung fragt, ob U. das Prozessgeschehen in den Medien intensiv verfolge. Der Zeuge sagt, er gehe davon aus.
„Es scheint so, dass U. auf dem Weg ist in eine andere Existenz“
RA Flintrop hakt zu H.s Bemerkung, er habe U. in der heutigen Mittagspause getroffen, nach, und will wissen, ob sich die beiden zufällig getroffen oder verabredet hätten. „Wir haben uns nicht verabredet“, antwortet H. Was er mit U. besprochen habe? Wo man hier etwas essen könne beispielsweise, gibt H. an. Über den Prozess habe man kein Wort gesprochen. Als der RA fragt: „Ist Ihnen klar, dass Zeugen eigentlich nicht mit Angeklagten sprechen sollen?“ grätscht der VR rein und fragt den Verteidiger zynisch: „Wenn Sie mir noch diese Rechtsnorm mitteilen würden?“ Als alle Fragen gestellt sind, wird Roland H. unvereidigt entlassen. Anschließend geben einzelne Anwält*innen Erklärungen zum Zeugen ab.
RA Herzogenrath-Amelung: „Es scheint so, dass U. auf einem neuen Weg ist in eine andere Existenz. Da kann man ihn nur beglückwünschen. Dies alles sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass der Zeuge zu den Fragen nach der Glaubwürdigkeit des Angeklagten nichts sagen konnte.“
RA Grassl: „Zum Thema der Glaubwürdigkeit U.s nur ein Vorgang exemplarisch: Der Zeuge bekundete, dass U. zurzeit für sich keine Gefahr sehe – während er vorher seine Anwälte sagen ließ, dass sie eine Gefahr für ihn sehen.“
RAin Rueber-Unkelbach: „Wir erwarten mit Spannung das Gutachten von Dr. Winckler, ob es jetzt eigentlich zwei Herr U.s gibt, oder einen mit einer multiplen Persönlichkeit.“
„Die alte Frage“
RA Picker: „Für mich besteht der Anlass festzustellen, dass kein Zweifel daran besteht, dass U. unter den Anwendungsbereich des §1 ZSchG gefallen ist. Da können auch Zuwendungen gemacht werden. Und die sind nach SGB 2 auch nicht anrechnungsfähig, die tauchen in den Bescheiden nicht auf.“ Für ihn sei dabei vor allem relevant, ob der Staat sich für dieses Geld Informationen besorgt habe. „Also die alte Frage: Was hat U. für eine Aufgabe? Ist er lediglich Informant, ist er V-Mann? Das hat Auswirkungen auf die Rechtsprechung. Wenn man als V-Mann handelt, dann geht es schon in Richtung Tatprovokation und möglicherweise in Richtung Einstellung.“
RA Miksch, Verteidigung von Marcel W.: Beim Träger, für den der Zeuge arbeite, „herrscht das Prinzip der positiven Bestärkung, also hatte U. nur Positives zu erwarten“ und habe keinen Grund gehabt, Roland H. zu manipulieren. Bewährungshelfer hingegen müssten anders arbeiten, „von daher hat er bei denen Grund gehabt, den Versuch zu unternehmen, die zu manipulieren.“
RAin Schwaben: „Vielleicht geht es gar nicht um den Status des Zeugen im ZSchG. Die Indizien sprechen doch dafür. Höchstpersönliche Unterlagen wie die Steuer-ID landen beim LKA. Das kenne ich ausschließlich von Leuten, die im Zeugenschutz sind und bei denen man eine neue Identität plant. Und bei denen man auch Postempfangsadresse ist.“ Für sie sei zweitrangig, ob U. Geld oder Mobiliar für seine Information bekommen haben könnte. Wichtig sei, dass U. von seinem Verhältnis zum LKA profitiert und daran zunächst Gefallen gefunden habe. „Und dass dann die Geneigtheit besteht, Dinge zu tun, damit man dableiben kann, versteht sich von selbst.“
„Die haben Angst, dass rauskommt, was noch besprochen wurde“
RA Mandic schließt sich seiner Vorrednerin an. U. bekomme vom LKA außergewöhnlich viel Aufmerksamkeit. „Das ist schon ein Betätscheln. U. solls wirklich gut gehen. Auch dieser intensive Kontakt, ein bis zwei Mal Telefonieren pro Woche! Das kann ein normaler Betreuer gar nicht leisten.“ Fakt sei, dass Roland H. „U. bei Laune halten“ und ihn ans LKA binden müsse. „Die haben Angst, dass rauskommt, was noch besprochen wurde, wie er vielleicht eingewiesen wurde.“ Dann würde der ganze Prozess platzen.
Für den GBA meldet sich Oberstaatsanwältin Bellay zu einem Beweisantrag [siehe dazu Prozesstag 10] zu Wort: Der lege die Annahme nahe, dass es sich beim Betroffenen Wolfgang J. um einen unbescholtenen Bürger handle, der nur durch U. zum Objekt staatlichen Handelns geworden sei. Die Verteidigung von Werner S. verschweige einen Vermerk des KPIZ Unterfranken, demzufolge bei der Durchsuchung Wolfgang J.s eine rechtsradikale Gesinnung deutlich geworden sei. Er spreche sich auf Facebook offen gegen Politiker aus, stehe der „Gelbwesten“-Bewegung nahe und soll ein Hakenkreuz mit dem Satz „Blut und Ehre“ veröffentlicht haben, weshalb die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg ein Verfahren aus 2019 führe. Bellay regt daher an, im Vorfeld der Zeugenvernehmung die Aschaffenburger Akte beizuziehen, um sich ein umfassenderes Bild von Wolfgang J. zu machen.
Der VR ermahnt noch Tony E.s Verteidiger RA Hofstätter, dass häufiges unentschuldigtes Fehlen die Rücknahme der Bestellung zur Folge haben könne.