Am 37. Prozesstag, dem 21. Oktober 2021, wurde die Zeugenbefragung des Kriminalhauptkommissars Michael L. (54) fortgesetzt. Er leitete am 14. Februar 2021 die Durchsuchung bei dem Angeklagten Wolfgang W. in Koblenz sowie das anschließende Verhör. Dabei wurde klar, dass Wolfgang W. im Polizeiverhör bestätigte, dass in Minden Geld für Waffen gesammelt worden sei. W. bestellte offenbar eine Pistole, wenn möglich auch eine Maschinenpistole. Aufschluss konnte der Zeuge auch über die Arbeit der Ermittlungsbehörden gegen die „Gruppe S“ geben. Das Treffen in Minden wurde offenbar videoüberwacht – allerdings nur die Einfahrt, nicht die Gespräche selbst. Die Verteidigung monierte die schlechte Vorbereitung des Zeugen auf das Verhör von Wolfgang W. Am Ende des Prozesstags kündigten einige Angeklagte an auszusagen.
Zu Beginn teilt der Zeuge mit, dass er mit seinem Inspektionsleiter Kontakt aufgenommen und die Frage gestellt habe, ob es eine Aussage-Beschränkung gebe. Eine solche gebe es nicht. Zu seiner beruflichen Laufbahn merkt der Zeuge L. noch an, dass er sich als Abwesenheitsvertreter beim Staatsschutz mit „Rechts-Links“ befasst habe.
Der Vorsitzende Richter (VR) fragt den Zeugen, was er mit der Aussage „Wir sind näher dran, als sie glauben“ gemeint habe. Dieser antwortet, dass damit „vielfältige Operationen“ gemeint gewesen seien, und zählt auf: Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), eine Vertrauensperson, mindestens ein verdeckter Ermittler. In Minden sei man zusätzlich mit einem Observationsteam vor Ort gewesen. Auf die Frage, wer mit Vertrauensperson gemeint sei, antwortet der Zeuge: Das sei Paul-Ludwig U. gewesen. Er sei eine Vertrauensperson, da er mehrfach vernommen worden sei und umfangreiche Aussagen gemacht habe. Er habe allerdings niemals Aufträge erhalten und sei in den Vernehmungen als Beschuldigter geführt worden. Der Zeuge betont ebenfalls, dass sein Inspektionsleiter ihm gestern am Telefon gesagt habe, dass zu keiner Zeit „Zusicherungen materieller oder immaterieller Art“ an Paul-Ludwig U. gemacht worden seien.
Es folgen weitere Nachfragen zu den Aussagen des Zeugen am Dienstag. Wolfgang W. habe ihm (L.) gegenüber einen Matthias [Spitzname von Werner S.] als verantwortliche Person für das Treffen in Minden benannt. W. habe aber auch gesagt, dass es keinen Wortführer gegeben habe. Es sei wild durcheinandergeredet worden. L. sagt, das habe er W. nicht abgenommen. W. habe angegeben, dass der Zweck der Bewaffnung gewesen sei, gerüstet zu sein, wenn es „los geht“. Erneut erzählt der Zeuge, dass W. ihm am Morgen der Durchsuchung erzählt habe, 3.000 bis 5.000 Euro zugesagt zu haben [als Werner S. in Minden gefragt haben soll, wer welche Geldsumme für Waffenkäufe beisteuern könnte].
Videoaufzeichnungen in Minden, aber keine Aufnahmen aus dem Raum des Treffens
Auf die Frage nach „ständiger Bildübertragung“ durch die Behörden in Minden wird durch die Abgaben des Zeugen L. klar, dass mindestens eine aufgestellte Kamera am 8. Februar 2020 Bilder live von der Einfahrt des Treffpunkts übertrug. L. sagt aus, seine Aufgabe an diesem Tag im Stabsraum sei die Verpflegung und Kräftelage gewesen. In diesem Raum habe er beobachtet, dass bei dem Treffen einzelne Personen ihre Handys in ein Auto gelegt und mindestens ein Handy in Alu-Folie eingewickelt hätten. Im Gebäude habe es keine Kamera oder Abhörgeräte gegeben. Laut Zeuge wurde derartiges „weder beantragt noch benutzt“; er habe nichts von einer „Wanze mitbekommen“ oder „dass so etwas auch nur versucht wurde“.
Der Zeuge wird gefragt, weshalb die geplanten Video-Aufzeichnungen von W.s Vernehmung nicht zustande gekommen seien. Dieser erklärt, die Bundesanwaltschaft habe Druck ausgeübt und für Haftbefehle schnell auswertbare Protokolle benötigt. Durch Verschriftlichungen von Videovernehmungen wäre das auf die Schnelle nicht möglich gewesen. Daher habe er „die Anweisung [gehabt], nur ein Protokoll anzufertigen“. Die Anweisung, keine Videovernehmung durchzuführen, habe er unmittelbar vor der Vernehmung bekommen.
Fragen der Verteidiger*innen
Rechtsanwalt (RA) Herzogenrath-Amelung, Verteidiger von Frank H., fragt, was der Zeuge mit der Aussage gemeint habe, dass das Verfahren als geheim eingestuft gewesen sei. Michael L. antwortet, dass „in der Polizei viel geschwätzt“ werde. Um einen „Hype“ zu vermeiden, sei die Informationspolitik restriktiv gehandhabt worden. Die Bezeichnung „geheim“ sei keine offizielle Einstufung.
Auf eine weitere Nachfrage bestätigt der Zeuge, dass er als Objektverantwortlicher [für die Hausdurchsuchung bei Wolfgang W.] nur eine dünne Mappe mit „nicht ganz 20 Seiten“ bekommen habe. Später ergänzt er, dass in der Personalmappe nicht viel gestanden habe: Name, Adresse, Geburtsdatum, Führerscheinklasse. Es sei kein Bild des Verdächtigen in der Mappe gewesen. Auch keine Angabe über die Mitbewohnerin oder Informationen über Hunde, welche bei der Durchsuchung angetroffen worden seien. Die Durchsuchungsbeschlüsse seien spät bei ihm eingetroffen und so plötzlich gekommen, da die Gruppe sich möglicherweise gerade bewaffnet. Sie habe bereits über selbstgebaute Waffen verfügt. Es wäre zu gefährlich gewesen sei, noch länger abzuwarten.
Werner S.‘ Verteidiger RA Siebers fragt Michael L., ob diesem beim Telefonat mit seinem Vorgesetzten aufgetragen worden sei, dass er „morgen erzählen soll, dass Herr U. keine Zusicherungen bekommen habe“. Der Zeuge lacht und verneint dies. Die Informationen zu Paul-Ludwig U. seien in einem Nebensatz gefallen. L. gibt auf Nachfrage an, sich mit der Aussage von Paul-Ludwig U. auf die Vernehmung von Wolfgang W. vorbereitet zu haben. Das Protokoll habe er auf der Fahrt von Stuttgart nach Koblenz quergelesen. Er habe nur zwei Stunden Zeit gehabt, sich auf die Vernehmung und die Hausdurchsuchung vorzubereiten. Der Fragenkatalog [den die Bundesanwaltschaft den zuständigen Beamt*innen für das Verhör geschickt hatte] sei ihm darum zu kompliziert und umfangreich gewesen.
Der Zeuge meint, sich erinnern zu können, dass Wolfgang W. mit einer Schutzweste zum Treffen gekommen sei und er der Gruppe angeboten habe, weitere dieser Westen zu beschaffen. Bei dem Angeklagten seien eine Stichschutzweste und Platten für eine ballistische Weste gefunden worden. W.s Sohn habe erzählt, dass die Platten aus alten Beständen der Bundeswehr ausgesondert worden seien.
Der Zeuge erinnert sich an einige Störungen von W.s Verhör und polizeilicher Behandlung: Während der Befragung sei eine Person hereingekommen und habe ein Ende angemahnt. Weiter erzählt L., dass er es nicht für gut befunden habe, dass W. auf dem Koblenzer Revier erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Ebenfalls habe ihn gestört, dass sich zwei anwesende Beamte aus Rheinland-Pfalz entgegen der vorherigen Absprache in die Befragung eingemischt hätten.
RAin Rueber-Unkelbach kritisiert einen Ausspruch des Zeugen L. während der Vernehmung. Er habe als Vernehmungsbeamter gesagt: „Genau das wollen wir hören.“ L. räumt ein, dass dies grenzwertig gewesen sei. Die RAin zitiert erneut aus dem Vernehmungsprotokoll: „Herr W., sie eiern immer noch rum.“ Antwort: „Ich hab‘ keine Eier mehr, ich hab‘ sie verloren.“ Die RAin möchte wissen, wie der Zeuge das verstehe. Dieser antwortet, er habe diese Aussage so verstanden, dass W. „keinen Mumm mehr“ gehabt habe.
RA Picker fragt, warum der Zeuge in Zusammenhang mit Paul-Ludwig U. am Dienstag [36. Prozesstag] von einem „Hinweisgeber“ gesprochen und heute von einem „V-Mann“. Der Zeuge gibt an, er verwende die Begriffe synonym.
Weitere Fragen der Verteidiger*innen
Marcel W.s Verteidiger RA Picker kritisiert, dass Wolfgang W. noch während der Hausdurchsuchung zur Polizeiwache abtransportiert worden sei. Ein Wohnungsinhaber habe das Recht, bei der Durchsuchung anwesend zu sein. Der Zeuge stimmt zu, Wohnungsinhaberin sei jedoch Frau D., die Lebensgefährtin von Wolfgang W. Außerdem habe er W. das Recht eingeräumt zu bleiben, doch W. sei einverstanden gewesen, früher zu gehen.
RA Berthold, Verteidiger von Michael B., fragt nach den von Wolfgang W. in der Vernehmung verwendeten Begriffe wie „Sammelpunkte“ oder „Fluchtpunkte“. Der Zeuge sagt, dies seien Begriffe aus der Prepper-Szene. Man suche sich Punkte, die oftmals im Wald und einfacher zu verteidigen seien.
RA Bertholds Teamkollege RA Mandic fragt, ob es ungewöhnlich sei, dass TKÜs vom Verfassungsschutz kommen. Der Zeuge erwidert, dass in vielen Staatsschutz-Fällen ein Behörden-Austausch stattfinde. Der RA fragt weiter nach dem Gespräch am Mittwoch mit dem Vorgesetzten L.s und dessen Inhalt. Der Zeuge gibt an, er habe diesem von der Aussage am Dienstag erzählt, und dass er bei den letzten Fragen bezüglich der Aussagegenehmigung unsicher gewesen sei. Sein Vorgesetzter habe ihn später zurückgerufen und gesagt, er könne alles sagen, was er gehört habe. Auf die Frage, ob er von sich aus über Paul-Ludwig U. gesprochen habe, antwortet er, dass ihm ungefähr gesagt worden sei, dass er das sagen könne, da U. ja nie irgendwelche Vorteile erhalten habe.
Der Zeuge erzählt Wolfgang W.s Verteidiger RA Grassl, dass er für weitere Tätigkeiten in dem Verfahren vorgesehen gewesen sei – unter anderem habe er weiter zu Wolfgang W. arbeiten sollen. Dann sei er aber erkrankt und Ende April 2020 aus dem Verfahren ausgeschieden. Damit endet die Befragung des Zeugen, und der VR gibt den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, Erklärungen zu den Aussagen abzugeben.
Kritik an polizeilicher Vernehmungstaktik
RA Herzogenrath-Amelung bemängelt, dass die Durchsuchung und Vernehmung W.s von jemandem durchgeführt wurde, der nur am Rande informiert worden sei. Die mangelnde Vorbereitung kritisieren auch andere RA*innen. Zusätzlich moniert RA Herzogenrath-Amelung, die Vernehmung sei auf Druck der Bundesanwaltschaft abgebrochen worden, obwohl der Beamte noch etliche Fragen gehabt habe. Es habe die Vorstellung gegeben, dass Waffen beschafft worden seien und Anschläge drohten. Dieser Einschätzung entgegen stünde das Telefonat vom 10. Februar 2021 zwischen Werner S. mit Tony E.
RAin Rueber-Unkelbach, Verteidigerin von Wolfgang W. kritisiert, dass ihr Mandant möglicherweise keine Getränke oder Essen erhalten habe. Man müsse sich fragen, ob er vernehmungsfähig gewesen sei.
Wer brachte Anschläge ins Gespräch – War es Paul-Ludwig U.?
Marcel W.s Verteidiger RA Miksch stellt heraus, dass laut dem Zeugen L. Paul-Ludwig U. die Anschläge auf Moscheen vorgeschlagen habe. Wolfgang W. habe laut L. gesagt, dass der Vorschlag strittig gewesen sei. Im Protokoll stehe, dass es nur Vorschläge gewesen seien. Der erwähnte „Matze“ aus Bayern könne nicht Marcel W. sein, da die Beschreibung nicht zu ihm passe. Die Äußerung des Zeugen „dann sind wir schon einen Schritt weiter, das wollen wir hören“ zeige, dass man nicht ergebnisoffen an die Vernehmung herangegangen sei.
Miksch Teamkollege RA Picker merkt an, der Zeuge sei der zweite Polizeibeamte, der bestätigt habe, dass es Observationen in Form von Videoaufnahmen gegeben habe, die nicht in die Akten gelangt seien. Die Missverständnisse über Namen in den Aussagen einiger Beschuldigter erklärt sich der RA damit, dass sich die Protagonisten in Minden fremd gewesen seien. Die Zusammensetzung bei dem Treffen deute darauf hin, dass man zu diesem Zeitpunkt nicht von der Gründung einer terroristischen Vereinigung sprechen könne.
RA Berthold betont, es habe laut L. keine konkrete Planung aus Sicht des Angeklagten Wolfgang W. gegeben. Er habe Vokabeln der Prepper-Szene wie „Tag X“ und „Fluchtpunkte“ gebraucht; dies habe aber nichts mit Anschlagsplanungen zu tun.
RA Mandic sagt, die Zeugenbefragung bestätige den Verdacht, dass Paul-Ludwig U. die Gespräche in Minden auf Anschläge gelenkt habe. Anderen Teilnehmern sei es überwiegend ums Preppen gegangen. Die Waffen seien nur für zu Hause gedacht gewesen, um die Familie schützen. Die sich wiederholenden Beteuerungen, U. habe von den Behörden nichts bekommen, nähren in den Augen des RA einen gegenteiligen Verdacht.
Tony E. will nun doch vor Gericht aussagen
Der VR gibt Gelegenheit, auf die am Dienstag aufgeworfene Frage zu antworten, ob noch einer der Angeklagten Angaben machen wolle. Der Angeklagte Tony E. möchte laut seinem Anwalt Mitte/Ende November eine schriftliche Einlassung machen. [Bislang hatte sich E. wie die meisten Angeklagten geweigert, vor Gericht auszusagen.] Steffen B. möchte möglichst noch im November eine ergänzende Ausführung machen und dabei Nachfragen zulassen. Auch Marcel W. kündigt an, sich zur Sache einzulassen. Er werde Fragen von allen Prozessbeteiligten beantworten. Dafür peilt er Anfang Dezember an.
Alle anderen Angeklagten möchten keine Einlassungen machen. Auch Michael B. will laut seiner Verteidigung „mittelfristig erst einmal davon absehen“. [B.s Haftentlassung war unter anderem damit verbunden, dass er Einlassungen ankündigte.] Damit endet der 37. Prozesstag.