Im Fokus des 36. Prozesstags gegen die „Gruppe S.“ am 19. Oktober 2021 stand die Hausdurchsuchung und erste Vernehmung des Angeklagten Wolfgang W. aus Koblenz. Als Zeuge war Kriminalhauptkommissar Michael L. vom LKA Baden-Württemberg geladen. L. berichtete, dass W. bestätigt habe, dass beim Minden-Treffen am 8. Februar 2020 über den Kauf von Waffen gesprochen worden sei. Ebenso darüber, Moscheen anzuzünden. W. habe behauptet, damit nicht einverstanden gewesen zu sein, und versucht, das Thema kleinzureden, sich hierbei jedoch in Widersprüche verstrickt. Einerseits sei laut W. beim Treffen nur „Geschwätz“ gelaufen, andererseits habe er sich rausziehen wollen, weil etwas Illegales geplant worden sei.
Der VR eröffnet den Prozesstag. Als Zeuge ist Kriminalhauptkommissar (KHK) Michael L. vom LKA Baden-Württemberg geladen. Er war am 14. Februar 2020 Objektverantwortlicher für die Hausdurchsuchung und Erstvernehmung des Beschuldigten Wolfgang W. aus Koblenz. Nach der Belehrung durch den VR wird sein Werdegang vorgestellt und seine Beteiligung an den Ermittlungen abgefragt. Seine Berufslaufbahn bei der Polizei begann Michael L. demnach 1984. Seit dem 1.1.2008 ist er beim LKA in der Abteilung Staatsschutz tätig, zunächst in der Inspektion 620 (Islamismus), seit etwa 2018 in der Inspektion 610 (Rechtsextremismus). Bevor er in die Ermittlungen der „Soko Valenz“ eingebunden wurde, war er stellvertretender Leiter der Auswertungsabteilung in der Inspektion 610.
Auf die Frage des VR, ab wann er in die Ermittlungen eingebunden worden sei, gibt der Zeuge an, kurz vor Feierabend des Tages vor der Hausdurchsuchung [also am Donnerstag, 13. Februar 2020] informiert und beauftragt worden zu sein. Davor habe er zwar mitbekommen, dass es ein größeres Verfahren gebe, sei aber nicht vertieft beteiligt gewesen. Die Ermittlungen seien geheim erfolgt. Er habe für die Soko im Vorfeld ein Formblatt für die standardmäßige Personenabklärung [zu Meldeauskunft, vorhandene Telefone oder Einträge im POLAS – POLizeiAuskunftsSystem etc.] erstellt.
Welche Informationen lagen dem Zeugen vor der Hausdurchsuchung vor?
Der VR bittet den Zeugen, sich an die Situation vom Donnerstagmittag zu erinnern und daran, was er zu diesem Zeitpunkt über das laufende Verfahren gewusst habe. KHK L. gibt an, vor der Durchsuchung gewusst zu haben, „dass gegen eine Gruppierung ermittelt wird, und dass die möglicherweise Attentate auf Politiker, Muslime oder Flüchtlinge durchführen möchte und dass die sich Waffen beschafft haben, auch selbstgebaute“. Am Tag des Treffens in Minden [8. Februar 2020] sei er im Stabsraum beim LKA in Fellbach gewesen. Er sei für die Versorgung des Stabes zuständig gewesen. Dort habe er nur gesehen, was die Kamera übermittelt habe. So sei auf dem Monitor zu erkennen gewesen, dass die Teilnehmer ihre Handys in Alufolie einwickelten und sie dann draußen im Auto verstauten. Welche Schlüsse die Ermittler aus der Observation gezogen hätte, habe er nicht mitbekommen. Er habe aber mitbekommen, dass gegen eine möglicherweise zweistellige Anzahl von Personen ermittelt wurde, weil Personal zusammengezogen worden sei. Er habe die Personen jedoch nicht gekannt, gegen die ermittelt wurde. Er sei vielmehr mit seinen eigenen Ermittlungen in der „Reichsbürger“-Szene und mit der Vorbereitung einer größeren Hausdurchsuchung für die Folgewoche beschäftigt gewesen. „Die konnte ich in der Pfeife rauchen“, erklärt der Zeuge, weil das Verfahren der „Soko Valenz“ Vorrang erhalten habe.
Irgendwann – der Zeuge kann es zeitlich nicht mehr richtig einordnen – habe er mitbekommen, dass es einen Hinweisgeber geben soll. Er ist sich nicht sicher, ob er im Rahmen einer Videovernehmung Kontakt zu diesem Hinweisgeber hatte. Der Zeuge gibt an, dass er sich die Technik der Videovernehmung in einer Vernehmungspause angeschaut habe, da er selbst noch keine Vernehmung per Video vorgenommen hätte. Wenn er den Hinweisgeber gesehen haben sollte, dann nur kurz. Gesprochen habe er ihn jedenfalls nicht. Er habe nur dessen Nachnamen gekannt. Der Zeuge ordnet diesen Tag kurz vor oder nach dem Treffen in Minden ein. Der VR korrigiert ihn. Die Vernehmung, von der der Zeuge spreche, habe Mitte April in Stuttgart mit den Herren St. und Kriminaloberkommissar T. stattgefunden. Paul-Ludwig U. sei kurz nach dem Treffen in Minden am 9. Februar 2020 in Mosbach vernommen worden.
KHK Michael L. kann sich kaum an tragende Beweismittel erinnern, von denen er am 13. Februar gewusst habe. Er habe mal ein Bild eines vorherigen Treffens [an der Hummelgautsche] gesehen und vielleicht mal einen Brocken zu selbstgebastelten Waffen aufgeschnappt, wenn sich zwei Kollegen auf dem Flur über den Fall unterhalten hätten. Über die Bedeutung des Hinweisgebers Paul-Ludwig U. für die Ermittlungen könne er jedoch keine Angabe machen. Er verweist auf den Geheimhaltungscharakter der Ermittlungen.
Die Vorbereitung: „Erschreckend wenig“ Informationen
Nach der telefonischen Anweisung, am Folgetag als Objektverantwortlicher bei einer Hausdurchsuchung in Koblenz tätig zu werden, habe er sich mit seinen Kolleg*innen Frau B. und Herr M. abgesprochen, dass sie nach Hause fahren, ihre „Köfferle“ packen und er sie anschließend mit dem PKW abholen würde. Er selbst habe an der Einsatzbesprechung teilnehmen können, aber „wenig, erschreckend wenig“ Informationen zum Fall und zum Objekt bzw. zum Beschuldigten erhalten. „Das ganze kam mir vor wie mit heißer Feder gestrickt“, berichtet der Zeuge. Die Objektmappen seien leer gewesen. Er habe sich noch das Protokoll der Vernehmung von Paul-Ludwig U. vom 9. Februar besorgen können sowie ein Datenblatt des Beschuldigten Wolfgang W., auf dem jedoch nur die Adresse und ein Fahrzeug vermerkt gewesen seien, und ein Foto vom Hummelgautsche-Treffen erhalten. Das Protokoll habe er auf dem Weg nach Koblenz noch lesen können.
Über Wolfgang W. habe er nur wenige Informationen gehabt. Eine Kollegin, Laura B., habe ihn noch darüber informiert, dass W. sich angeboten habe, Schutzwesten zu besorgen. Deshalb sei ein Fund von Schutzwesten bei der Durchsuchung besonders interessant. Aus der Verschriftlichung habe er entnommen, dass W. sich habe Waffen beschaffen wollen. Ansonsten habe er nur gewusst, dass dessen Lebensgefährtin im Rollstuhl sitze. Man habe sich auf dem Hinweg mit den rheinland-pfälzischen LKA-Kollegen zusammentelefoniert und sich in Koblenz mit dem Staatsschutz und der Leiterin der Kriminalpolizei getroffen. Gemeinsam habe man das Objekt abgeklärt und das SEK verständigt. Die Kriminaldirektion Koblenz sei gebeten worden, vier Durchsuchungskräfte plus einen IT-Forensiker zur Verfügung zu stellen. Man habe dann auf das Fax mit dem Durchsuchungsbeschluss gewartet. Dieses sei jedoch erst am späten Donnerstag- bzw. Freitagmorgen angekommen.
Der Ablauf des 14. Februar 2020 in Koblenz
Der Tag der Hausdurchsuchung, so der Zeuge, habe für die Ermittler um 4:30 Uhr im Polizeipräsidium Koblenz begonnen. Dort habe er den Durchsuchungsbeschluss erhalten, diesen gelesen und Kopien angefertigt. Die Durchsuchung habe wie angeordnet um 6:00 Uhr mit der Stürmung durch das SEK begonnen. Um 6:10 Uhr sei das Objekt vom SEK an die Ermittler*innen übergeben worden. Die Durchsuchung der Wohnung und des Autos habe bis 11:08 Uhr angedauert. Am Mittag sei die Vernehmung des Beschuldigten von 11:54 bis 13:45 Uhr im Polizeipräsidium am Moselring erfolgt. Danach habe man abgebrochen, weil es keinen Sinn mehr gemacht habe. Er habe, so KHK L., den Tag über immer wieder in Kontakt mit der Einsatzleitung in Stuttgart gestanden, diese aber nicht immer erreichen können. Zum Ende der Vernehmung befragt, gibt der Zeuge aber auch an, man habe nach einer halbstündigen Pause weiter vernehmen wollen. In einem Telefonat mit der Einsatzleitung in Stuttgart habe er dagegen die Anweisung erhalten, den Beschuldigten nach Karlsruhe zu transportieren. Für die Einsatzleitung, so vermutet L., habe es ausreichend Anhaltspunkte gegeben, um Wolfgang W. beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe vorzuführen und einen Haftbefehl zu erwirken. Man habe dann den Gefangenentransport im PKW der baden-württembergischen LKA-Ermittler*innen vorbereitet, sei gegen 16:00 Uhr losgefahren und habe den Beschuldigten gegen 20:00 Uhr im Polizeipräsidium Karlsruhe abgeliefert.
Durchsuchung und erste Vernehmung am Morgen des 14.2.2020
Die Aufgabenverteilung am Morgen habe so ausgesehen, dass er Objektverantwortlicher und Kontaktperson zur Einsatzleitung, Frau B. Schriftführerin und der Kollege M. für das Anfertigen von Bildern zuständig gewesen sei. Die rheinland-pfälzischen Kollegen hätten das Objekt durchsucht. Der Beginn der ersten Vernehmung habe sich etwas verzögert, da es zwei große Hunde in der Wohnung gegeben habe. Um sich diesen zu nähern, hätte man schon „suizident“ sein müssen. Die Hunde seien dann von einem eigens angeforderten Hundeführer in das Badezimmer gesperrt worden. Zudem habe man sich um W.s Lebensgefährtin Claudia D. kümmern müssen. Er (L.) habe sie über die Hausdurchsuchung aufgeklärt und dafür gesorgt, dass eine weitere Beamtin hinzugezogen wurde, die sich um Claudia D. gekümmert habe. Den Beschuldigten Wolfgang W. habe er spärlich bekleidet auf einem Küchenstuhl im Wohnzimmer vorgefunden. W. sei mit Handschellen gesichert worden. Er habe sich W. beim Betreten vorgestellt, den Durchsuchungsbeschluss des BGH auf Antrag der GBA ausgehändigt und den Tatvorwurf eröffnet. Es sei ein Hinweis erfolgt, dass W. im Prinzip nicht reden müsse und dass er das Recht habe, einen Anwalt hinzuzuziehen. Darauf habe Wolfgang W. trotz mehrfacher Hinweise jedoch verzichtet und kundgetan, erst bei einer Vorführung vor einem Haftrichter einen Rechtsbeistand hinzuziehen zu wollen. Man habe W. Kleidung gereicht und sich mit ihm um 6:41 Uhr auf das Sofa setzen können. Da W. das wegen der Handschellen nicht habe selbst machen können, habe ihm ein Polizeibeamter beim Umblättern der Seiten des Durchsuchungsbeschlusses geholfen. Ob W. den gesamten Beschluss gelesen habe, weiß der Zeuge nicht. Ebenso wie Herr L. aus Baden-Württemberg seien auch noch zwei Kollegen vom Polizeipräsidium Koblenz im Wohnzimmer anwesend gewesen. Auf dem Sofa sitzend sei eine erste „informatorische Befragung“ des Beschuldigten in Gang gekommen.
Werner S. wird als Macher des Treffens bezeichnet
Der VR fragt den Zeugen nach seinem Eindruck vom Beschuldigten Wolfgang W. Der Beschuldigte sei zwar nicht in eine Schockstarre verfallen, aber aufgrund des SEK-Einsatzes leicht geschockt gewesen und habe nicht gewusst, worum es gehe. Er (KHK L.) habe ihm dann den Durchsuchungsbeschluss gegeben, damit er sich diesen durchlese. Gefragt, ob er verstanden habe, worum es geht, habe W. mit „Ja, klar“ geantwortet und dass er nicht gedacht hätte, dass das so schlimm gewesen sei, was sie gemacht hätten. Ob er dem Beschuldigten den Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung nochmal näher erläutert hat, weiß der Zeuge nicht mehr. Ein erstes Stichwort, mit dem Wolfgang W. konfrontiert worden sei, wäre das Treffen in Minden am 8. Februar 2020 gewesen. W. habe seine Teilnahme bestätigt. Er habe sich dort mit einer Gruppe „Patrioten“ getroffen, die er von Facebook kenne. Ob andere Messengerdienste zu diesem Zeitpunkt erwähnt wurden, weiß der Zeuge nicht mehr. W. habe mehrere Namen von Teilnehmern des Treffens genannt. Diese habe der Zeuge am Morgen jedoch nicht aufgeschrieben, weil er das in der ordentlichen Vernehmung am Nachmittag noch einmal habe aufgreifen wollen. Der Zeuge sagt aus, dass das ein Fehler gewesen sei, weil W. die Namen am Nachmittag nicht mehr alle genannt habe. Als Macher des Treffens habe W. „Matthias, der [einen] bayrischen Akzent hat“, angesehen. Gemeint gewesen sein dürfte Werner S., der den Spitznamen „Matze“ trage. Laut dem Zeugen bezeichnet W. „Matthias als denjenigen, der die Fäden in der Hand hielt“.
„Als Ergebnis wurde vereinbart, sich zu bewaffnen“
Auf die Frage, worüber gesprochen wurde, antwortete W., man habe über Waffen gesprochen. „Als Ergebnis wurde vereinbart, sich zu bewaffnen“, liest der VR aus dem Gesprächsvermerk von L. vor. Hellhörig sei er geworden, so der Zeuge, als W. davon gesprochen habe, dass man vorgehabt habe, Kurz- und Langwaffen anzuschaffen. Hierbei handele es sich um Fachwörter, die seiner Meinung nach zeigen würden, dass sich jemand mit dem Thema Waffen befasst habe. Es hätten laut W. alle Waffen haben wollen. Einzelne, z.B. „Matthias“, hätten eine Maschinenpistole bestellt. An Namen anderer Interessenten kann sich der Zeuge nicht mehr erinnern. Bei der Frage, ob W. im Gespräch erwähnt habe, dass manche Teilnehmer keine Waffen haben wollten, muss der Zeuge ebenfalls passen. Außerdem habe W. ausgesagt, er selbst habe auch Waffen bestellt und 3.000 bis 5.000 Euro für den Kauf hinzugeben wollen. Insgesamt habe man laut W. 25.000 bis 30.000 Euro sammeln wollen. Der VR interessiert sich dafür, ob das Geld laut der Aussage von W. auch für andere Zwecke vorgesehen gewesen wäre. Er hält dem Zeugen aus dessen Vermerk das Zitat vor, mit dem Geld „sollten unter anderem Waffen gekauft werden“. Auf die Frage, wofür „unter anderem“ stehe, kann der Zeuge keine Auskunft geben.
Beim Gespräch über das Thema Waffen habe er (KHK L.) den Beschuldigten W. erneut auf die Möglichkeit eines Anwalts hingewiesen, weil er den Eindruck gehabt habe, dass eine richterliche Vorführung am nächsten Morgen immer wahrscheinlicher werde, wenn er Waffen bestellt und Geld für den Waffenkauf angeboten habe. Waffenrechtlich handele es sich einwandfrei um einen Verstoß. Der Tatverdächtige W. sei aber bei seiner Position, erst beim Haftrichter einen Anwalt hinzuzuziehen, geblieben.
(Antimuslimischer) Rassismus als Antrieb
Im Gespräch über das Treffen in Minden habe sich Wolfgang W. an die Teilnahme der Gruppierung „Wodans Erben“ erinnert, so KHK L. Er habe ihn darauf angesprochen, dass es sich hierbei um eine extrem rechte Gruppierung handle. W. habe daraufhin angefangen, herumzudrucksen. Über die Tatmotivation des Angeklagten finde sich im Gesprächsvermerk die Aussage, dass bei dem Treffen „Patrioten, die die Situation nicht gutheißen“, teilgenommen hätten. Wolfgang W. habe sich die ganze Zeit darüber beklagt, dass nichtarbeitende Nicht-Deutsche „alles in den Arsch reingeschoben kriegen“. Er müsse dagegen für alles selbst aufkommen. Seine seit einem Mordanschlag im Rollstuhl sitzende Lebensgefährtin müsse alles beantragen. Er habe behauptet, als Deutscher habe man keine Rechte mehr. Dagegen würden sich „Clans“ und Muslime zusammenrotten und Deutschland beherrschen. Als Beispiel habe er „Zusammenballungen“ junger muslimischer „Schlägertrupps“ angeführt, die an bestimmten Treffpunkten aggressiv aufträten.
Die Frage des VR, ob W. etwas dazu geäußert habe, was genau man habe unternehmen wollen, verneint KHK L. Auf die Frage, wozu man sich bewaffnen wolle, habe W. geantwortet: „Wenn es losgeht“. Der VR hält aus dem Vermerk vor: „Er wollte Waffen deshalb, um sich und seine Frau zu schützen.“
Wolfgang W. will zu spät an der Hummelgautsche gewesen sein
Der VR leitet zur Frage über, ob es bereits vor Minden Treffen unter Beteiligung von W. gegeben habe. W. habe angegeben, so der Zeuge, dass es im September bereits ein Treffen gegeben habe. Er sei jedoch zu spät gekommen, habe nur noch etwas gegessen und sei dann unverrichteter Dinge wieder heimgefahren.
Der VR fragt nach, warum der Zeuge die Vernehmung beendet habe. Dies sei der Gemengelage geschuldet gewesen, so L. Es habe Unterbrechungen durch Kollegen gegeben, und W. habe kaum noch etwas ausgesagt. Er habe außerdem der angedachten Videovernehmung nicht vorgreifen wollen, damit W. nicht darauf verweisen könnte, er habe das am Morgen schon gesagt. Es sei zu diesem Zeitpunkt auf dem Sofa schon klar gewesen, dass es noch zu einer ordentlichen Vernehmung kommen werde.
Vorläufiges Fazit des Vormittags
Der VR erkundigt sich beim Zeugen, wie das Gesprächssetting gewesen sei und ob er das Gespräch auf dem Sofa als Vernehmung verstanden habe. „Logisch“, antwortet dieser. Er habe W. immer wieder Brocken hingeworfen, dieser sei jedoch nicht auf den Punkt gekommen. Das Gespräch habe mehr an der Oberfläche gekratzt. Man habe es um 9:35 Uhr beendet. Seine Kollegen hätten dann die ED-Behandlung vornehmen wollen. Seinen Vermerk zum Vormittag habe er auf einem Rechner im Polizeipräsidium geschrieben, bevor die Vernehmung am Mittag begann. Seine Notizen seien stichwortartig gewesen. Am Ende des Vormittags habe keine Anweisung vorgelegen, W. festzunehmen. Diese sei erst am Nachmittag gekommen. Es sei ihm aber klar gewesen, dass es auf eine Vorführung hinauslaufe, so L.. Nach seinem Eindruck vom Angeklagten am Ende des Vormittags gefragt, ordnet der Zeuge W. eher als ängstlich denn als selbstbewusst ein. Er sei ruhiger und nachdenklicher geworden, vom Verhalten her insgesamt eher zurückhaltend.
Weniger auskunftsfreudig am Mittag
Nach einer Mittagspause befragt der VR den Zeugen Michael L. zur Vernehmung Wolfgang W.‘s auf dem Polizeipräsidium Koblenz. W. sei weniger auskunftsfreudig als am Morgen gewesen, so L. Man habe „ihm buchstäblich jedes Wort aus der Nase ziehen“ müssen. Er vermute, dass W. sich in den zwei Stunden Gedanken zu seiner Situation gemacht habe und deshalb nicht mehr so gesprächig gewesen sei. Er habe, so der Zeuge, an der Vernehmung als Vernehmungsführer teilgenommen, zudem seine Kollegin B. als Protokollantin und zwei Kollegen aus Rheinland-Pfalz.
Die Vernehmung haben mit der üblichen Belehrung und Hinweisen zur Rechtslage begonnen. Obwohl noch ausdrücklicher auf die Möglichkeit eines Rechtsbeistands hingewiesen worden sei, habe Wolfgang W. erneut darauf verzichtet. Ein Vernehmungskonzept habe es aufgrund von Unwissen über das Verfahren nicht gegeben. Sein Vorwissen habe auf den Aussagen am Vormittags, dem Inhalt des Protokolls der Vernehmung von Paul-Ludwig U. vom 9.2.2020 und dem Durchsuchungsbeschluss basiert. Den vorliegenden Fragenkatalog habe man nicht richtig nutzen können. Er habe sich darin nicht zurechtgefunden. An eine Mappe mit Fotos der Beschuldigten kann sich L. nicht erinnern.
Die Vernehmung am Nachmittag habe dann nicht einmal an der Oberfläche gekratzt, fasst der Zeuge seinen Eindruck zusammen. So habe W. die Gruppe zunächst als „einfach eine Gruppe, wo man meckert“, charakterisiert. Er habe sich darüber ausgelassen, dass „wir immer mehr Probleme bekommen, immer mehr zahlen“. Mit „wir“ seien „die Deutschen“ gemeint gewesen. Im Laufe des Gesprächs sei klar geworden, dass mit „die Anderen“ Muslime und Geflüchtete gemeint gewesen seien. Diese würden sich laut W. z.B. im Bahnhofsviertel in Gruppen zusammenfinden und „mutmaßliche Deutsche“ zusammentreten. W. habe zwar auch von ausländischen Kollegen gesprochen, mit denen er klarkomme, aber im Fokus hätten diejenigen gestanden, die laut W. Ärger verursachen würden.
„Tag X“-Erzählungen beim Hummelgautsche-Treffen
Das Treffen an der Hummelgautsche am 28. September 2019 sei in der Vernehmung kurz angeschnitten worden. W. habe gemotzt, dass er 500 km gefahren sei, aber das vermeintliche „Survival-Training“ bei seiner Ankunft schon abgebrochen gewesen sei. Bei der Frage, ob es dort auch um Waffen gegangen sei, ordnet der Zeuge die genannten Waffen wie Äxte und Messer als normal für Survival-Trainings ein. Wolfgang W. habe eine Stichschutzweste oder Splitterschutzweste dabeigehabt und gesagt, dass er auch weitere Westen besorgen könnte. Gefragt, wofür man die brauche, habe er auf einen „Tag X“ verwiesen, der auch Gegenstand des Treffens gewesen sei. Es sei nach Aussage von Wolfgang W. erläutert worden, dass man sich an diesem Tag an Fluchtpunkten in Wäldern treffe. L. gibt an, dass er das als unschlüssig betrachtet habe, da W.s Lebensgefährtin schließlich im Rollstuhl sitze. Zum W.s Äußerungen zum Thema „Tag X“ liest der VR aus dem Protokoll vor: „Ja, ich weiß nicht, dass in nächster Zeit hier was Schlimmes passiert.“ Man habe sich vorgestellt, so der Zeuge, dass ein Heer von Migranten oder „die Antifa“ eine Revolution vom Zaun breche. Das Wort „Heer“ habe W. beim Gegenlesen des Vernehmungsprotokolls gestrichen. Der Zeuge ist sich aber sicher, dass das so gesagt wurde.
W. versucht das Thema kleinzureden
Ergänzend habe Wolfgang W. bei der Vernehmung am Nachmittag zum Minden-Treffen gesagt, dass dieses auch die Themen Survivaltraining und Fluchtpunkte zum Gegenstand gehabt hätte. Er habe wiederholt: Man habe über Waffen gesprochen und dass das gesammelte Geld für Waffenbeschaffungen angedacht gewesen sei. Beim Thema Waffen habe er (L.) den Eindruck gehabt, dass W. versuchen würde, das Thema kleinzureden. Man habe laut W. nur 25.000 Euro sammeln und ausschließlich Kurzwaffen, 9 mm, für Zuhause anschaffen wollen. Angesprochen auf das Thema Maschinenpistolen, habe W. aber bestätigt, dass Werner S. eine solche habe bestellen wollen. Der VR zitiert aus dem Protokoll: „Nicht nur Matthias wollte eine Maschinenpistole. Wenn sie [die Waffen] da gewesen wären, hätte bestimmt jeder eine genommen.“ Es sei außerdem konkret der Wunsch eines groß gewachsenen, langhaarigen und älteren Teilnehmers in einer Jacke von „Wodans Erben“ [= Frank H.] benannt worden, der eine Pistole habe haben wollen. W. habe außerdem behauptet, dass er keine Ahnung von Waffen habe. Der Zeuge interpretiert das als Schutzbehauptung, weil W. am Vormittag Fachjargon verwendet habe. W. habe auch behauptet, keine Ahnung von der Beschaffung der Waffen gehabt zu haben. Er hätte nur einen Telefonanruf für die Geldübergabe erwartet. Bei der Durchsuchung seien „eine Vielzahl von Waffen“ gefunden worden, vor allem Messer, die zumindest „zum Teil nicht als Metzger- oder Küchenmesser durchgehen“ würden. Außerdem eine Schreckschusspistole, für die W. einen kleinen Waffenschein besitze. Man habe auch über die Preise gesprochen und dass W. eigentlich zu viel Geld für eine einzige Waffe habe geben wollen. W. habe geäußert, dass das überschüssige Geld dann eben für einige andere verwendet werden könne, die nur Hartz IV bezögen. W. soll gesagt haben: „Wo soll das Geld herkommen? Das war genauso ein Geschwätz wie mit den Sammelpunkten.“ Die Leute hätten sich hervortun wollen.
Wozu Waffen?
Beim Treffen sei auch darüber gesprochen worden, was man als Gruppe erreichen wolle. Einige hätten vorgeschlagen, dass man sich mit den Migranten prügeln solle, einen „Denkzettel“ verpassen, wenn sie „die eigenen Leute“ zusammenträten. W. habe von einer Art „Schaulaufen“ gesprochen. Jedoch nicht gegen „Clans“. Vor diesen hätte man „Muffe“ gehabt. Auf die Frage, wofür man dann Waffen gebraucht hätte, habe W. „Für Zuhause“ geantwortet. Irgendjemand habe laut W. „Moscheen“ als Ziel in den Raum geworfen, vermutlich Paul-Ludwig U.. Man habe darüber gesprochen, Moscheen anzuzünden. Der Ermittler B. (Rheinland-Pfalz) habe gefragt, warum die Gruppe den Konflikt wollte. Die Antwort liest der VR aus dem Protokoll vor: „Was ist das für eine Frage, weil das unser Land ist und nicht von den Muslimen.“ W. habe gefordert: „Die sollen zurück gehen, wo sie herkommen.“ Und: „Wir hätten gehofft, dass Militär und Polizei endlich mal für Ruhe sorgen.“ Für ihn, so L., höre sich das nach „Revierkampf“ an. W. habe zuvor angegeben, er und einige andere seien mit den Anschlägen auf Moscheen nicht einverstanden gewesen. Das, was sie vorhätten, habe nicht nach „Armee“ aussehen sollen.
Wolfgang W. spricht von „Geschwätz“ und „Ausstieg“
Dem VR fällt die mehrmalige Verwendung des Wortes „Geschwätz“ in die Vernehmung W.‘s auf. Er fragt den Zeugen nach seiner Einschätzung dazu. KHK L. antwortet, ihm sei mit der Zeit klar geworden, dass W. enttäuscht darüber gewesen sein könnte, dass die anderen nur so wenig beizutragen hätten. Außerdem Und dass von den erwarteten 30 Personen nur so wenige zum Treffen nach Minden gekommen seien. W. habe in der Vernehmung angegeben, es sei „alles nur Geschwätz [gewesen]. Die Leute puschten sich hoch“. W. habe die Leute alle nicht gekannt, aber bei konkreten Nachfragen der Ermittler ein paar Namen wie Tony, Matze, Paul, [Thomas] N. genannt. W. habe auch von einem Ausstiegsszenario gesprochen. Er habe ja Paul-Ludwig U. bis zum Koblenzer Hauptbahnhof mitgenommen. Danach habe er in Chatgruppe geschrieben, er sei verfolgt worden. Und am nächsten Tag per WhatsApp, er sei kontrolliert worden. Damit habe er sich aus der Gruppe rausziehen wollen. Der Zeuge L. interpretiert das dahingehend, dass W. am Samstag gemerkt habe, dass er an etwas Illegalem beteiligt sei. Oder dass W. darüber enttäuscht gewesen sei, dass man nichts auf die Reihe bekommen habe und „nicht zu Potte gekommen ist“.
Der VR fasst zusammen. L. habe in der Vernehmung einerseits herausgearbeitet, dass Wolfgang W. das Treffen als „Geschwätz“ und andererseits als etwas Illegales darstelle. „Das passt doch irgendwie alles nicht“, so der VR. L. sagt, er habe das auch nicht richtig einordnen können. Die Distanzierung von der Gruppe habe er W. auch nicht so richtig geglaubt. Dafür habe man W. zu sehr die Worte aus der Nase ziehen müssen.
Der Druck in der Vernehmung wird erhöht
Im Vernehmungsprotokoll fällt dem VR ein Satz des Zeugen KHK L. auf: „Wir waren sehr viel enger dran an, als Sie denken.“ Der VR möchte wissen, was es damit auf sich habe. L. sagt, dieser Bemerkung habe ein Konglomerat verschiedener Informationen zugrunde gelegen. Er habe gesehen, wie in Minden die Handys in Alufolie eingewickelt worden seien. Aus Erzählungen habe er außerdem gewusst, dass in den Chats Codewörter benutzt worden sei, also nicht Klartext gesprochen worden sei. Der VR fragt nach, woher er das gewusst habe. Der Zeuge antwortet, er habe das vielleicht auf dem Flur aufgeschnappt oder sei von Kollegen dazu befragt worden, weil er ja im Bereich „Rechts“ tätig sei.
Der VR hält dem Zeugen eine weitere seiner Äußerungen aus der Vernehmung vor. Nachdem das Anzünden von Moscheen durch W. angesprochen worden sei, habe L. laut Protokoll geäußert: „Genau das wollen wir hören.“ L. spricht von einer „unbedachten“ Äußerung, die er tatsächlich so getätigt habe. Der VR hält dem Zeugen eine weitere seiner Aussagen vor: „Herr [W.], Sie eiern hier rum.“ Der Beschuldigte habe darauf geantwortet: „Ich habe keine Eier mehr, ich habe meine Eier verloren.“ Der Zeuge erinnert sich an diesen Satz, der sehr resigniert gewirkt habe. W. sei dabei zusammengesunken. Der VR fragt den Zeugen nach seinem Gesamteindruck nach der Vernehmung bzw. ob konkrete Handlungen schon im Raum gestanden standen hätten oder ob er eher von vagen Plänen ausgegangen sei. Michael L. sagt aus, er habe den Blick nur auf eine Person, nämlich auf W. gehabt. Er habe aber den Eindruck gehabt, dass es Herrn W. noch nicht konkret genug geworden sei.
Was darf der Zeuge aussagen? Was nicht?
Der VR fragt den Zeugen, ob er nach der Hausdurchsuchung weiter ermittelt habe. Michael L. gibt an, mit der Ermittlung des Umfelds von Herrn W. begonnen zu haben. Aus gesundheitlichen Gründen sei es aber nicht mehr zu weiteren Vernehmungen durch ihn gekommen.
Nach dem VR nutzt Richter Mangold sein Fragerecht. Ihn interessiert, was am 8. Februar 2020 in die Stabsstelle übertragen worden sei. Der LKA-Mitarbeiter L. zögert. Es handle sich um verdeckte Maßnahmen, und er wisse nicht, ob seine Aussagegenehmigung hierfür ausreiche. Der VR bittet ihn, das bis zur Fortsetzung am Donnerstag zu klären. Ebenso zögerlich ist der Zeuge bei der Frage von Richter Mangold, was er bei der Aussage „Wir haben verdeckte Maßnahmen, wir waren näher dran als Sie denken“ im Blick gehabt habe. Auch hier verweist der Zeuge auf seine Zweifel, ob das von der Aussagegenehmigung gedeckt sei. Ihm seien die Maßnahmen in Minden zum Teil bekannt gewesen. Er kläre bis Donnerstag auch diesen Punkt mit seinen Vorgesetzten. Der VR merkt an, dass ihn das in seinem Vertrauen in seriöse Ermittlungsarbeit irritieren würde, wenn ein LKA-Ermittler derartiges einem Beschuldigten vorhalte, aber vor Gericht nichts dazu sage. Der VR unterbricht die Vernehmung des Zeugen KHK Michael L. um 16:26 Uhr. Die anderen Verfahrensbeteiligten sollen am darauffolgenden Donnerstag die Möglichkeit erhalten, den Zeugen zu befragen.
Klärung weiterer Aussagen von Angeklagten im Blick
Der VR greift im Anschluss die Fragestellung einer eventuellen Aufhebung der Trennung der Beschuldigten durch Unterbringung in unterschiedlichen JVA auf. Hierbei sei eine sorgfältige Abwägung notwendig, weil eine Zusammenführung von Inhaftierten deren Aussageverhalten beeinflussen könnte. Der VR weist deshalb auf die Möglichkeit hin, dass die Angeklagten im Verfahren aussagen könnten. Der VR fragt ab, wie der aktuelle Sachstand sei. RA Becker kündigt eine geschlossene Erklärung seines Mandanten Tony E. an, die dieser verlesen werde, ohne Fragen in freier Rede zu beantworten. Die Verteidiger*innen von Frank H., Steffen B., Werner S., Wolfgang W. und Marcel W. geben an, das mit ihren Mandanten besprechen zu wollen. RAin Schwaben erklärt, man sei jederzeit bereit, eine Erklärung zur Person zu verlesen. Eine Erklärung zur Sache bedürfe jedoch der Klärung mit ihrem Mandanten Markus K.. Wenn, dann erfolge diese eher schriftlich ohne die Möglichkeit der Nachfrage. Der VR bittet darum, das bis zum folgenden Donnerstag oder Dienstag zu klären, um den weiteren Zeitplan festlegen zu können. Eine Erklärung sei aber auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
Zum Ende hin moniert RA Picker, dass sich der Zeuge nicht zu polizeitaktischen Fragen habe äußern wollen. Er bittet den VR, bei der GBA einzuwirken, dass Informationen zur Observation des Treffens in Minden der Verteidigung bereitgestellt werden. Pickers diesbezügliche Interpretation eines Verfassungsgerichtsurteils wird vom offenbar sehr skeptischen VR als „nicht ganz unmutig“ bezeichnet.