Prozesstag 29: Frank H., unschuldig und ahnungslos?

Am Donnerstag, 16. September 2021, wurde die Befragung von Kriminalhauptkommissar W. fortgesetzt, der am 14. Februar 2020 den Angeklagten Frank H. verhört hatte. Im Gegensatz zum Dienstag war der Polizei-Zeuge besser vorbereitet. Er erinnerte sich daran, dass Frank H. über das Treffen am 8. Februar 2020 in Minden behauptet habe, vier Personen, darunter er selbst, hätten die Anschlagspläne und die Waffenbeschaffungspläne explizit abgelehnt. Das steht im Widerspruch dazu, dass Frank H. anderen Aussagen zufolge die Waffen in Tschechien besorgen und per Motorrad über die Grenze schmuggeln wollte. In der Vernehmung gab H. laut dem Zeugen auch bereits zu, eine kleinkalibrige Waffe für sich besorgt zu haben. Damals habe Frank H. auch erzählt, dass er Werner S. 2016 über das Bürgerwehr-Milieu kennengelernt habe. Er selbst war „Sergeant at Arms“ bei der Gruppe „Soldiers of Odin“ (SoO) in Bayern und nach deren Spaltung 2018 Präsident der bayerischen Sektion der „Wodans Erben Germanien“ (WEG).

Zeuge W. berichtet, dass H. im Verhör am 14. Februar 2020 Aussagen ohne rechtsanwaltlichen Beistand gemacht habe. Der Zeuge liest bei seiner Befragung immer wieder aus dem Verhörprotokoll vor. Er gibt zu, dass er das Protokoll nach dem vergangenen Prozesstag, auf den er nicht gut vorbereitet wirkte, noch einmal durchgelesen habe. Darum könne er sich heute besser als vorgestern an die Geschehnisse vom Februar 2020 erinnern.

Folgendes berichtet der Zeuge über das, was Frank H. ihm erzählt habe: Frank H. sei bei den SoO in Bayern „Sergeant at Arms“ gewesen. Die Gruppe habe „Spaziergänge“ durchgeführt. Ende 2018 habe es eine Spaltung gegeben, aus der sich die Sektion Bayern der „Wodans Erben Germanien“ mit rund 20 Mitgliedern gebildet habe. Frank H. sei zum Präsidenten dieser Sektion gewählt worden.

Zum Treffen der „Gruppe S“ am 8. und 9. Februar 2020 in Minden seien laut Frank H. insgesamt elf Personen gekommen, wovon er schon vier bis fünf über die SoO gekannt habe, darunter Werner S. Den habe er 2016 bei einem Vorfall mit einer Dame kennengelernt. Das Problem sei damals „mit Nachdruck gelöst“ worden. Frank H. habe Werner S. als „Naturbursche“, „zu radikal“ und „zu extrem“ wahrgenommen.

„Da reicht es, eine Moschee anzuzünden, da hat man schon die erste Randale“

Beim Treffen habe derjenige, in dessen Haus man sich getroffen habe [Thomas N.], über das Thema Entnazifizierung gesprochen [ein für N. und andere „Reichsbürger“ zentraler Begriff; siehe Bericht zum 22. Prozesstag]. Bei dem Treffen sei auch das Stichwort „Bürgerkrieg“ gefallen. Frank H. habe erzählt, man wolle „komplette Unruhe erzeugen“. Später an diesem Prozesstag zitiert die Anklage aus der Vernehmung: „Unruhe kriegt man leicht rein, weil die Moslems sich nicht grün sind. Da reicht es, eine Moschee anzuzünden, da hat man schon die erste Randale.“ Auf die Nachfrage der Oberstaatsanwältin (OStAin) an den Zeugen W., ob Frank H. klar gewesen sei, worum es bei dem Treffen gehen sollte, antwortet W.: „Ja, so ungefähr.“

Frank H. berichtete laut W., dass bei dem Treffen er selbst, Marcel W. und zwei Familienväter dem Plan reserviert gegenübergestanden hätten. Es habe auch insgesamt wenig Zustimmung zu Waffenkäufen gegeben. Drei, vier Personen seien „empfänglich für Langwaffen“ gewesen. Laut W. sagte Frank H., einer aus der Gruppe, links von ihm sitzend, habe signalisiert, er könne die Waffen besorgen. [Aussagen anderer Beschuldigter zufolge war das Steffen B.] Es sei von einer Summe von 40.000 Euro [für die Waffenkäufe] gesprochen worden. Laut W. sei nur Paul-Ludwig U. zu allem entschlossen gewesen. Werner S. habe bei fehlender Beteiligung geplant, sich nach Italien abzusetzen. Aus dem Treffen sei nichts Konkretes zustande gekommen, man habe bezüglich der Angriffe auf Moscheen nichts weiter besprochen. Man habe sich nur darauf verständigt, sich an einem anderen Termin erneut zu treffen. Es sei auch darüber gesprochen worden, „Politiker wegzuräumen“. Aber es seien keine Namen genannt worden, man komme so schlecht an sie heran.

Frank H.: Laut Polizist Angst vor seinen eigenen Leuten wegen seiner Aussagen

In einer Zigarettenpause der Vernehmung habe Frank H., so W., angedeutet, dass er die Konsequenzen bei Aussagen fürchte und Angst habe. Wenn man in so einer Runde aussage, könne etwas passieren. W. habe ihn damit beruhigt, dass die Staatsanwaltschaft in dem Fall entsprechend reagieren würde.

Frank H. erzählte W. in seiner Vernehmung von seinem Hobby Motorradfahren. Die Touren hätten ihn, teilweise mit seiner Frau, nach Österreich, Südtirol und Tschechien geführt. [Hintergrund der Frage ist, dass andere aussagen, Frank H. habe angeboten, Waffen aus Tschechien zu beschaffen.] In Tschechien, so habe H. berichtet, könne man Waffen in einem kleinen Laden in Winterberg [Tschechisch: Vimperk, Südböhmen] kaufen. Er habe einen Zimmerstutzen [eine traditionelle Schusswaffe] mit 4,5 Millimeter dort gekauft. W. berichtet, dass Frank H. in Minden erzählt habe, dass man als Motorradfahrer nicht an der Grenze kontrolliert werde. Daraufhin habe es eine Anfrage von Werner S. gegeben.

Auf Nachfrage von Frank H.s Verteidiger Rechtsanwalt (RA) Herzogenrath-Amelung erläutert der  Zeuge, dass er erst auf der Fahrt mit seinem Kollegen G. von Stuttgart nach München am 14. Februar 2020 eingewiesen worden sei, zuvor habe er nichts über den Fall gewusst. Er habe kurz vor dem Einsatz eine Objektmappe und eine Personenmappe erhalten. Bei der Hausdurchsuchung habe ein großer zeitlicher Druck geherrscht.

Im Verhör sagte Frank H. bezüglich dem Treffen an der Hummelgautsche W. zufolge, dass man dort mit Pfeil und Bogen geschossen habe. Werner S. habe auch eine Schusswaffe im Kofferraum gehabt und diese gezeigt, später sei dann ein Knall zu hören gewesen. Außerdem sei ein Orientierungsmarsch geplant gewesen, aber nicht zustande gekommen.

Bezüglich seiner Gruppe WEG habe Frank H. erzählt, dass er versucht habe, radikale Mitglieder auszuschließen. Außerdem habe man auch „Ausländer“ aufgenommen, beispielsweise einen Halbsyrer, ein paar Italiener und eine Ungarin.

Frank H.: Ich bin kein Terrorist

Marcel W.s Verteidiger RA Picker will wissen, mit welcher Erwartungshaltung der Zeuge W. in die Vernehmung gegangen sei. Der antwortet, er sei neutral gewesen. Frank H. habe „kooperativ-umgänglich“ gewirkt und habe das Bedürfnis gehabt, auszuräumen, „dass ich Terrorist bin“.

RAin Schwaben, Verteidigerin von Markus K., fragt W. nach seinem Eindruck von Frank H. Der Zeuge antwortet, die Wohnung habe auf eine Waffen-Affinität von Frank H. schließen lassen. H. sei ein Prepper, aber keiner der harmlosen Sorte. Der Fluchtrucksack sei griffbereit an seinem Bettende deponiert worden. Man habe ein Karambit-Messer gefunden. Im Auto habe H. ein Jagdmesser mit offener Lasche griffbereit positioniert. Die Jacke an der Garderobe habe ein WEG-Emblem gehabt.

RAin Schwaben fragt nach dem Wort „Entnazifizierung“ in der Vernehmung. W. antwortet, darüber sei er auch gestolpert. Frank H. habe gesagt, diese werde noch fortgesetzt, aber er, W., habe nicht weiter nachgefragt. Er habe das Thema dem Komplex „Reichsbürger“ zugeordnet.

Michael B.s Verteidiger RA Mandic fragt nach W.s beruflicher Position zum Zeitpunkt des Einsatzes. Der antwortet, er sei von Januar 2017 bis April 2021 beim Staatsschutz des LKA im Bereich „Ausländerextremismus“ beschäftigt gewesen zu sein. Zum Tag der Hausdurchsuchung gibt W. an: „An dem Tag ist alles zusammengetrommelt worden, was verfügbar war.“

Welche Rolle hatte H. als „Sergeant at Arms“?

Auch der Angeklagte Frank H. befragt W. kurz nach dem Inhalt seines Kellers. Dieser sei ja zur Hälfte gefüllt mit Campingartikeln. Auch der Fluchtrucksack sei, so H., erkennbar noch nicht fertig gepackt gewesen. Der Zeuge erwidert, H. habe zwei, drei Arten von Kochern. Diese Ausrüstung würde für Prepper sprechen. Außerdem bittet H. den Zeugen, dessen Definition eines „Sergeant at Arms“ vom Dienstag zu wiederholen. W. definiert dieses Rang als „Logistiker und Tour-Organisator“.

RA Herzogenrath-Amelung fragt: „Welchen Eindruck hatten Sie nach Abschluss der Vernehmung von der Glaubhaftigkeit der von Herrn H. gemachten Angaben?“ W. antwortet, „vom Bauchgefühl“ her habe er keinen Zweifel. Es seien seiner Einschätzung nach „Fragmente drin, die nicht die Unwahrheit sind“. Der RA zitiert Frank H.: „Ja, ich mache Angaben bei der Polizei, da ich ein großes Interesse habe, die Vorwürfe auszuräumen.“ W. sagt, das „kam glaubhaft rüber“. RA Herzogenrath-Amelung hält es in dem Zusammenhang für „bemerkenswert, dass er [H.] auf eine Anwalt verzichtete“.

Mehrere RA*innen kritisieren die Polizeiarbeit. Tony E.s Verteidiger RA Becker beispielsweise zitiert aus einer Antwort von W.: „An dem Tag ist alles zusammengetrommelt worden, was frei war.“ Der RA kritisiert, das sei das Grundsatzproblem in diesem Verfahren. Es würden Beamte ohne Kenntnis und ohne ordnungsgemäße Einweisung eingesetzt. Den Durchsuchungsbeschluss habe man erst um 5.30 Uhr in München erhalten.

Steffen B.s Verteidiger RA Ried bezieht sich auf eine Aussage von H., dass zwei Familienväter sich nicht an der geplanten Aktion hätten beteiligen wollen. Per Ausschlussverfahren kommt der RA zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um Stefan K. und Steffen B. handeln müsse. Tony E.s Verteidiger RA Becker verweist darauf, dass sein Mandant ebenfalls Kinder habe.

Erklärungen nach Selbstleseverfahren

Nach diesen Beiträgen geht es um den sogenannten Selbstleseordner: In der Sommerpause des Verfahrens bekamen alle Beteiligten eine Akte mit Chatinhalten mehrerer Telegram-Gruppen zu lesen, darunter „Heimat“, „Besprechungszimmer“, „Netzwerke BW/BY“, „Tutto Ramazotti“, „Netzwerk Ost“ und „Netzwerk Nord“. RA Becker gibt an, dass sein Mandant Tony E. sich nur in sieben der Gruppen beteiligt habe, und das hauptsächlich in Form von Smalltalk, Begrüßungsformeln wie „Moin“ oder Emojis. Es fänden sich keine Umsturzbestrebungen, Anschlagspläne oder Ähnliches von Tony E. Auf die Ankündigung von Werner S., „wir werden alle verrecken“, antworte sein Mandant mit „Nö, ich nicht.“ Das spreche gegen eine Todessehnsucht. E.s Anteil sei verschwindend gering, und er habe keine Admin-Rolle wahrgenommen. Nirgendwo komme eine staatsfeindliche Gesinnung zum Ausdruck. Außerdem hätten die eingeführten Chats aus mehreren Gründen einen begrenzten Beweiswert: So seien Links nicht mehr abrufbar. Es gebe zudem Zeitlücken ohne Kennzeichnung; Chats rissen teilweise mitten am Tag ab. Außerdem fehlten Zustellungs- und Lesenachweise. Es sei unklar, ob und wann Beiträge abgerufen wurden. Auch die Statusmeldung „gelesen“ zeige nur das Öffnen eines Beitrags an.

RA Miksch gibt an, dass sein Mandant Marcel W. an den meisten Chatgruppen nicht beteiligt gewesen sei. In der nach dem Minden-Treffen gegründeten Chatgruppe „Tutto Ramazotti“ habe er zwar etwas geschrieben, diese habe aber nur das nächste Treffen zum Inhalt gehabt.

RAin Schwaben verweist darauf, dass ihr Mandant Markus K. nicht identisch sei mit Markus T. in den Chats. Markus K. sei nur in zwei Gruppen gewesen, ihm werde aber die Teilnahme in weiteren zwei angelastet. Das könne aber nicht sein, da der gemeinte Markus T. angebe, er wohne bei Mannheim beziehungsweise sei in einer Stunde im Pfälzer Wald. Das treffe auf K. nicht zu. Außerdem habe Markus T. eine andere [Telegram-] ID als ihr Mandant.

RA Berthold gibt an, dass sich sein Mandant Michael B. nach dem Hummelgautsche-Treffen nur zweimal an Chats beteiligt habe. Außerdem habe er eine Chatgruppe Süd „für Prepper-/Outdoor-Treffen“ gründen wollen.

Zum Abschluss dieses Verhandlungstags erwähnt der Vorsitzende Richter Akten, die die Verteidiger*innen erhalten hätten. Einerseits einen Gerichtsband aus Augsburg vom Verfahren gegen Werner S. wegen Anstiftung zum Mord. [Werner S. hat laut Medienberichten im Gefängnis versucht, bei einem Mitinhaftierten und mutmaßlichen Camorra-Mitglied einen Mord an Paul-Ludwig U. in Auftrag zu geben.]; andererseits Akten zu den Ermittlungen wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung gegen Wolfgang J., Johnny L. und [Name unverständlich].

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