Am 22. Prozesstag, 3. August 2021, wurde der Zeuge Matthias J. vom LKA Baden-Württemberg befragt. Er leitete die Hausdurchsuchung am 14. Februar 2020 beim Angeklagten Thomas N. und dessen anschließende Vernehmung. Der Zeuge berichtete, dass Thomas N. zurück zum Deutschen Kaiserreich von vor 1918 wolle. In diesem Zusammenhang habe N. den Begriff „Entnazifizierung“ im Verhör „unendlich oft“ verwendet. Wenn man ihn in die Schublade 1933 stecken wolle, würde er dagegen mit einem Strafantrag bei der Generalstaatsanwaltschaft Moskau vorgehen, soll N. gedroht haben. Bei dem Treffen, das am 8. Februar 2020 in seinem Haus stattfand, will er nur Werner S., Tony E. und Paul-Ludwig U. gekannt haben. Ziel des Treffens sei ebenfalls die „Entnazifizierung“ gewesen.
Es ist die letzte Verhandlungswoche vor der Sommerpause. Zu Beginn teilt der Vorsitzende Richter (VR) mit, dass Rechtsanwalt (RA) Lober sein Mandat für Michael B. beendet habe. Dann erscheint der Zeuge Matthias J., Kriminalhauptkommissar (KHK) beim LKA Baden-Württemberg. Zunächst befragt der VR den Zeugen. Herr J. befindet sich seit 2002 im Polizeidienst und arbeitet seit 2013 im LKA in der Inspektion 410, die für Rauschgiftkriminalität zuständig ist. Dass er an diesem Verfahren beteiligt ist, hänge mit dem Personalbedarf seiner Kolleg*innen aus der federführenden Inspektion 610 (Staatsschutz) zusammen. J. leitete am 14. Februar 2020 die Hausdurchsuchung bei Thomas N. in Minden und das anschließende Verhör bei der Mindener Kriminalpolizei. Zuvor habe er noch nie Kontakt zu N. gehabt und nichts über das Verfahren gegen ihn gewusst, berichtet J.
Anschließend schildert er den Einsatz. Er sei zusammen mit drei weiteren Kolleg*innen des LKA Baden-Württemberg vor Ort gewesen. Außerdem seien Einsatzkräfte aus Bielefeld beteiligt gewesen. Spezialkräfte hätten das Durchsuchungsobjekt gesichert. Den Zugriff habe er selbst nicht gesehen. Nach der Sicherung der Räume habe er mit den Kolleg*innen das Haus betreten und dabei Thomas N. nackt auf dem Wohnzimmerboden sitzend vorgefunden. Die Lebensgefährtin von N. und deren Sohn (30) seien ebenfalls anwesend gewesen. J. habe N. den Tatvorwurf eröffnet und dass dieser Beschuldigter und vorläufig festgenommen sei. Den Durchsuchungsbeschluss des Bundesgerichtshofs habe er ihm ausgehändigt und ihn über seine Rechte und Pflichten belehrt. N. habe sich dann in Anwesenheit eines Kollegen ankleiden dürfen. Im Anschluss hätten sie sich an einen Tisch im Wintergarten gesetzt. Thomas N. habe eine Kopie des Durchsuchungsbeschlusses zum Lesen ausgehändigt bekommen. Er habe diesen bis Seite fünf gelesen und gesagt, er habe mit der Sache nichts zu tun und wisse nicht, was das soll. Insgesamt sei N. „zurückhaltend, wortkarg“ gewesen, er habe kaum kommuniziert, auch nicht mit seiner Lebensgefährtin. „Er hat gefasst gewirkt“, erinnert sich J.
Das Verhör im Büro der Kriminalpolizei Minden
Einen Arzt habe N. nicht gebraucht. Die Festnahme sei um 6.55 Uhr erfolgt. Rund eine Stunde später habe man ihn auf das Mindener Polizeirevier gebracht und ihn dort erkennungsdienstlich behandelt. Gegen 11.30 schließlich habe er – KHK J. – den Anwalt von N. erreicht, der sich dann auf den Weg zur Wache gemacht und dort mit N. gesprochen habe. „Das ging schon recht lange“, erinnert sich der Zeuge. Zur anschließenden Vernehmung erschienen sei der Beschuldigte mit seinem Anwalt Schmalz, der Polizeibeamte H., die Schreibkraft Frau S. und er selbst. Er, so der Zeuge J., habe die Vernehmung geleitet.
Das Verhör habe von 13.25 Uhr bis 15.27 Uhr gedauert. Die Vernehmung sei ohne weitere Vorabsprachen gestartet worden. Auf die Frage, ob der Beschuldigte in der Zwischenzeit habe essen können, verweist KHK J. auf die Kolleg*innen in Minden. „Normalerweise ja“, so der KHK. Gefragt nach Veränderungen in der Befindlichkeit von Thomas N. sagt der Zeuge aus, dass er keine Veränderungen habe feststellen können. N. sei weiterhin „zurückhaltend“ gewesen, habe inhaltlich jedoch folgen können. Es habe weder Hinweise auf körperliche oder gesundheitliche Reaktionen noch auf eine Suchtproblematik gegeben. Die Wohnung sei bei der Durchsuchung „allgemein unordentlich“ gewesen. Während der Vernehmung sei Thomas N. schwer zu verstehen gewesen, was aber an seinem Dialekt gelegen haben könnte, vermutet der Zeuge. N. habe gesagt, er fühle sich fit und sei noch nie in psychiatrischer Behandlung gewesen. Nach einer erneuten Belehrung und einer Erörterung des Tatvorwurfs, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, habe das Verhör begonnen. Auf eine spätere Nachfrage von Wolfgang W.s Verteidiger RA Grassl, ob der Beschuldigte den Tatvorwurf verstanden habe, erklärt der Zeuge, er sei nach N.s Gespräch mit dessen Anwalt davon ausgegangen. J. kann sich nicht daran erinnern, ob er bei der Vernehmung einen Fragenkatalog abgearbeitet hatte. [Ein solcher Katalog kam bei anderen Angeklagten zum Einsatz, um die Beamt*innen auf das Verhör vorzubereiten.] Er habe Nachfragen an den Beschuldigten gestellt und der Schreibkraft Frau S. die Formulierungen für das Protokoll diktiert.
„Das Internet ist ja voll davon“
„Ich möchte damit nichts zu tun haben“ habe Thomas N. auf den Tatvorwurf entgegnet. Auf die Frage, ob er denn von solchen Gruppen schon mal etwas gehört habe, habe der Beschuldigte ausgesagt: „Jawoll, davon habe ich schon gehört, das Internet ist ja voll davon.“ Die Frage des VR, ob der Zeuge J. die Namen von Werner S., Tony E., Paul-Ludwig U. und Michael B. kenne, bejaht der Zeuge. Diese Namen hätten im Durchsuchungsbeschluss gestanden. Der VR will wissen, ob J. sich an die Reaktion des Beschuldigten auf diese Namen erinnern könne. Der Zeuge gibt an, Thomas N. habe gesagt, er kenne Herrn S. unter dem Namen Werner, Herrn E. unter dem Namen Tony und Herrn U. unter dem Namen Paul. Der Name [Michael] B. habe ihm nichts gesagt. Der VR hält dem Zeugen eine Formulierung aus dem Vernehmungsprotokoll vor: „Diesen Tony kenn ich seit zwei Jahren. Dieser sollte sich ebenfalls wie ich entnazifizieren und wie ich weitere Personen für eine Entnazifizierung“ ansprechen. Dies sei so von Thomas N. gesagt worden, so Herr J.
N. sei dann auf das Treffen an der Hummelgautsche 2019 eingegangen. Er habe dort nur schauen wollen, wer dorthin kommt und ob diese Leute für eine „Entnazifizierung“ in Frage kämen, habe N. im Verhör behauptet. Entsprechende Anträge [auf „Entnazifizierung“] habe er zuhause. Als das Gruppenbild an der Hummelgautsche aufgenommen worden sei, habe er seine Sachen gepackt, weil er damit nichts zu tun haben wollte, habe N. auf Anraten seines damaligen RA Schmalz angegeben.
Im Folgenden sei N. – so der Zeuge – zur Fahrt zu einer Demonstration nach Berlin [am 3. Oktober 2019] befragt. Tony E. habe ihn in Minden abgeholt und mitgenommen. Zum Treffen am 8. Februar 2020 in seinem Haus habe Thomas N. angegeben, dass Werner S., Tony E. und Paul-Ludwig U. dabeigewesen seien. Die anderen habe er nicht gekannt. Insgesamt seien es neun Teilnehmer gewesen. Er habe Mettbrötchen und Kaffee serviert. Inhaltlich sei es um „Entnazifizierung“ gegangen. Es habe diesbezüglich weitere Treffen geben sollen, so N. Wer nicht mitmachen wollte, habe gehen können; dies hätte aber einen Kontaktabbruch zur Folge gehabt. Manche Gespräche hätten draußen beim Rauchen stattgefunden; von ihnen habe N. laut eigener Aussage nichts mitbekommen.
„Entnazifizierung“ nach „Reichsbürger“ Art
Der VR fragt, warum das Wort „Entnazifizierung“ im Vernehmungsprotokoll „unendlich oft“ auftauche. Dies sei N. wichtig gewesen, antwortet J. Thomas N. habe im Verhör erklärt, er verstehe darunter eine Rückkehr zum Kaiserreich: „Die beim Treffen [am 8. Februar 2020 in Minden] waren, wollen alle zurück zum Status Kaiserreich bis 1918, wenn sie die Entnazifizierung wirklich machen.“ Er (N.) selbst habe sich an den Chatgruppen „Heimat“ und „Freikorps“ beteiligt. Dort sei die Einstellung „deutschnational, besonders Kaiserreich […] in Ordnung“ gewesen. Nach N.s Ansicht werde durch die „Entnazifizierung“ der Frieden wiederhergestellt. Der Versailler Vertrag sei abgelaufen. N. habe betont, dass er Gewalt ablehne. Die Gewaltfreiheit sei nötig im Zusammenhang mit dem Versailler Vertrag – warum, habe N. nicht so richtig erklären können, berichtet der Zeuge.
J. erinnert sich daran, dass N. außerdem betont habe, dass er das ablehne, was nach 1933 passiert sei. Das sei ein Verbrechen gewesen, habe N. ausgesagt. „Wenn ich in die Schublade 1933 reingeschoben werde, möchte ich einen Strafantrag bei der Generalstaatsanwaltschaft Moskau stellen“, äußerte N. laut Protokoll, aus dem der VR vorliest.
Thomas N. und die „Gruppe S“
KHK J. wird gefragt, was der Beschuldigte Thomas N. über die im Durchsuchungsbeschluss aufgezählten Mitglieder Werner S., Tony E., Paul-Ludwig U. und Michael B. gesagt habe. J. gibt folgende Aussagen des Angeklagten wieder: Nach Angaben von N. habe er Werner S. vor der Durchsuchung drei Mal getroffen und mehrmals mit diesem telefoniert. Man habe über Facebook-Nachrichten gesprochen, in denen behauptet wird, die Antifa wolle jemanden töten. Man habe darüber gescherzt, dass man auch die Antifa töten könne. Außerdem sei es um Aussagen des amerikanischen Geheimdienstes gegangen, dass es in Deutschland zu einem Bürgerkrieg kommen soll. Zur politischen Einstellung von Werner S. befragt, habe der Beschuldigte geäußert, er kenne diese nicht. N. habe S. als „freundlich“ erlebt. Von ihm habe er nur gewusst, dass er einen Bezug zu Italien habe und selbstständig sei.
Zu Tony E. habe der Beschuldigte im ersten Verhör geäußert, dass er ihn seit zwei Jahren kenne und ihn als „freundlich“ empfunden habe. E. habe ihn in die Chatgruppen „Heimat“ und „Freikorps“ eingeladen und ihn zu den Treffen an der Hummelgautsche und zur Demo in Berlin abgeholt. E. sei es gewesen, der ihn gefragt habe, ob das Treffen im Februar 2020 bei N. in Minden stattfinden könne. Nach Auffassung von N. sei E. ebenfalls an einer „Entnazifizierung“ interessiert gewesen.
Ärger mit dem Finanzamt und Ermittlungen wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz
Richterin Borguin möchte wissen, was Thomas N. zu seinen persönlichen Verhältnissen angegeben habe. Der Zeuge erläutert, dass N. von seiner On-Off-Beziehung zu seiner Lebensgefährtin seit 2009 berichtet habe. 2019 hätten sie sich schließlich darauf geeinigt, zusammen zu sein, und über eine Hochzeit nachgedacht. Nach acht Jahren Schule habe N. eine Ausbildung zum Fliesenleger absolviert. Bis 2008 habe er von diesem Job gut gelebt. Dann habe es Probleme mit dem Finanzamt gegeben, obwohl er – laut eigener Aussage – keine Schulden gehabt hätte. Die Miete für das Haus, in dem er, seine Lebensgefährtin und deren Sohn leben, betrage 860 Euro. Der Sohn zahle etwas mehr als die Hälfte. N.s Partnerin sei mit ihm dort eingezogen. Die Wohnverhältnisse waren nach Einschätzung des Zeugen J. undurchsichtig. Oben habe der Sohn gewohnt. Die Lebensgefährtin habe mal oben bei ihrem Sohn und mal unten beim Beschuldigten übernachtet.
N., der gebürtig aus Sachsen-Anhalt stammt, habe fünf Geschwister. Zu dreien bestehe noch Kontakt. Seine Mutter lebe in Mitteldeutschland. Als die Richterin dem Zeugen aus dem Vernehmungsprotokoll die Aussage vorhält, dass Thomas N. wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz angezeigt worden sei, erinnert sich der Zeuge auch hieran. Der Senat beendet damit seine Befragung des Zeugen und gibt den anderen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Thomas N. will sich bei einer russischen Behörde „entnazifiziert“ haben
Oberstaatsanwältin (OStA) Bellay beginnt und möchte wissen, was N. von der Zeit nach seiner Lehre erzählt habe. Der Zeuge erklärt, N. habe im Verhör davon gesprochen, 1996 nach Minden gezogen zu sein, um als Fliesenleger in einer Schlachterei zu arbeiten. Vor der Beziehung mit seiner derzeitigen Partnerin sei er zu DDR-Zeiten für ein Jahr verheiratet gewesen.
Die OStA fragt nach der politischen Selbsteinschätzung des Beschuldigten im Verhör. J. gibt N.s Aussage wieder, dass er sich in der Mitte sehe. Er wolle „mit Rechts und Links nichts zu tun haben“. N. habe angeben, sich vor drei Jahren „entnazifiziert“ zu haben. Von einer russischen Behörde habe er Post bekommen, die den Eingang seines Antrags bestätigt haben soll. Um welche „Behörde“ es sich gehandelt haben soll, daran kann sich der Zeuge nicht erinnern.
Des Weiteren möchte OStA Bellay mehr zu den Treffen der „Gruppe S“ wissen. Laut J. sagte N., in Alfdorf habe man Bier getrunken, gegrillt und über Alltägliches gesprochen – nicht über Nazi-Kram, wie N. beteuert habe. Vielmehr habe er sich dafür interessiert, wer dort für eine „Entnazifizierung“ in Frage käme. Da es geregnet habe, sei er nur eine Nacht geblieben. Zur Demo in Berlin habe N. ausgesagt, dass sie dort die Anwesenheit des rechten Spektrums und von Antifas bemerkt hätten. Es habe ein Hin- und Hergeschrei gegeben. Das sei ihnen „unheimlich“ gewesen, weshalb sie dann auch gegangen seien, so Thomas N. im Verhör.
Befragung durch die Anwälte
Nun erhalten die Verteidiger*innen Gelegenheit, den Zeugen J. zu befragen. In dessen Antworten bestätigt er, dass das Mindener Treffen der Gruppe im Februar 2020 polizeilich observiert worden sei. Auf die Durchsuchung und die Vernehmung habe er sich mit dem Durchsuchungsbeschluss und bei einer Vorbesprechung vorbereitet, gibt der Zeuge an. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung habe es keinen Haftbefehl gegeben, daher habe man Thomas N. auf Anordnung seiner Dienststelle erst einmal nur vorläufig festgenommen. Die Frage von Thomas N.s Verteidiger RA Sprafke, ob er vor dem Einsatz gewusst hätte, ob es einen Haftbefehl gibt, verneint der Zeuge. Ihm sei gesagt worden, dass ein Haftrichter prüfe, ob es einen Haftbefehl gibt.
RA Hofstätter, Verteidiger von Tony E., geht darauf ein, dass im Durchsuchungsbeschluss vier Namen genannt würden, die der Zeugen auch bei der Vernehmung gekannt habe. Der RA fragt, ob J. bekannt gewesen sei, dass es um einen größeren Personenkreis ging. J. bejaht: Er habe gewusst, dass man nicht nur in Minden eine Durchsuchung durchgeführt habe. Er habe die Namen der anderen Beschuldigten aber damals noch nicht gekannt.
„Sagte Ihnen der Name [Paul-Ludwig] U. vor der Vernehmung etwas?“, hakt RA Herzogenrath-Amelung nach, der Frank H. verteidigt. Der Zeuge J. bestätigt, dass er den Namen aus der Durchsuchungsanregung gekannt habe und auch daraus wusste, dass U. beim Treffen am 8. Februar gewesen sei. Auf die Nachfrage, ob er von U.s Kontakt zu den Ermittlungsbehörden wusste, erwidert der Zeuge, er müsse erst klären, ob er sich dazu äußern dürfe.
„So etwas habe ich noch nie auf Papier bringen müssen“
Im Folgenden geht es um die Einschätzung von N.s Weltbild. J. merkt an, dass N.s Antworten auf seine Fragen „unkonventionell“ gewesen seien. Er habe sich aber nichts dabei gedacht, dass der Beschuldigte sich selbst als politisch mittig verortet, obwohl im Durchsuchungsbeschluss ein extrem rechter Hintergrund festgehalten sei. „Wenn er das so sagt, dann schreibe ich das auf.“ Beim Begriff der „Entnazifizierung“ sei er jedoch stutzig geworden. Heute wisse er, erklärt der Zeuge, dass „Reichsbürger“ damit beschreiben würden, dass sie sich von der Zeit des Dritten Reiches lossagen würden. In diesem Weltbild werde aus dem Kreis der Alliierten nur Russland als Schutzmacht anerkannt. Für die „Entnazifizierung“ würden „Reichsbürger“ Anträge an die russische Botschaft stellen, die dann eine Bescheinigung ausstelle. Damit sähen sich die „Reichsbürger“ als entnazifiziert an.
RA Picker, Verteidiger von Marcel W., hält dem Zeugen eine Stelle aus dem Vernehmungsprotokoll vor, wo N. davon spricht, dass er in Moskau einen Strafantrag stellen wolle, wenn er in die Nazi-Schublade gesteckt werde. KHK J. sagt: „So was habe ich [zuvor] noch nie gehört. So etwas habe ich noch nie auf Papier bringen müssen.“ RA Sprafke hakt nach, ob es nicht seine Aufgabe sei, einen Strafantrag entgegen zu nehmen. Der Zeuge erwidert, wenn er ernst gemeint sei, dann ja. Aber als hier der Generalstaatsanwalt in Moskau genannt worden sei, habe er sich nicht zuständig gesehen.
Der Zeuge versichert sich über seine Aussagegenehmigung
In der Befragung durch die Verteidigung verweist der LKA-Beamte J. an manchen Stellen darauf, dass er sich vor einer Beantwortung zunächst bei seinem Vorgesetzten rückversichern müsse. RA Siebers, Verteidiger von Werner S., fragt, welcher Art seine Aussagegenehmigung sei. Diese sei allgemein, antwortet der Zeuge.
In der nun folgenden Mittagspause kann sich der Zeuge offenbar bei seinem Vorgesetzten darüber rückversichern, worüber er aussagen darf. Jedenfalls macht er nach der Pause weitere Angaben auf Fragen der Verteidigung. RA Becker, Verteidiger von Tony E., möchte wissen, wer ihm in dieser Sache vorgesetzt gewesen sei, wer ihm Anweisungen für den Einsatz gegeben habe und mit wem er während des Einsatzes habe Rücksprache halten können. J. erklärt, dass es am Einsatztag eine Führungsgruppe in Stuttgart und eine in NRW gegeben habe. Mit diesen habe er Kontakt gehalten. Einsatzleiter seien Herr L. und Herr G. vom LKA Baden-Württemberg gewesen.
RA Herzogenrath-Amelung interessiert sich dafür, was der Zeuge vor der Vernehmung von Thomas N. über den Mitangeklagten Paul-Ludwig U. wusste und ob er Erkenntnisse über Verbindungen von U. zu Ermittlungsbehörden hatte. Steffen B.s Verteidiger RA Flintrop ergänzt die Frage um den Verfassungsschutz. Der Zeuge antwortet, ihm sei bekannt gewesen, dass es in der Gruppe einen Beschuldigten gegeben habe, der Informationen weitergegeben habe. Er habe aber nicht gewusst, ob es eine Führung oder einen Auftrag gegeben habe.
Thomas N. erinnerte sich nicht an Michael B.s Namen
RA Becker kommt auf die Vorbereitung des Zeugen auf diesen Einsatz zurück. Ob J. dafür der Durchsuchungsbeschluss ausgereicht habe? „Sie sollen da einen mutmaßlichen Terroristen vernehmen und haben keinerlei Kenntnis von dem, was sich da im Hintergrund abgespielt hat?“ KHK J. erörtert, dass er in erster Linie für die Hausdurchsuchung verantwortlich gewesen sei und dass ihm der grobe Sachverhalt für die Vernehmung gereicht habe. Es sei auch nicht unüblich, dass bei mehreren gleichzeitig stattfindenden Durchsuchungen Ermittlungskräfte dabei seien, die nicht auf dem umfassenden Ermittlungsstand seien.
Von Seiten der Angeklagten richtet Michael B. das Wort an den Zeugen. B. möchte wissen, ob der Zeuge N. Bilder vorgelegt habe und warum N. ihn, B., wohl als einzigen der vier Genannten nicht gekannt habe. Bilder habe er ihm nicht vorgelegt, sagt J., sondern nur Namen genannt, und der Name B. habe N. nichts gesagt. B. fragt nach, ob der Zeuge sich gefragt habe, wie es sein könne, dass Terroristen gemeinsam einen Anschlag planen, einander aber nicht kennen. J. äußert, dass die Beschuldigten schließlich aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengekommen seien. Nach dieser letzten Frage wird der Zeuge unvereidigt entlassen.
Verteidiger kritisieren Ermittler und zeichnen diffuses Bild vom Angeklagten
Der VR gibt die Gelegenheit für Stellungnahmen zum Zeugen. RA Picker kritisiert, dass man nicht zum ersten Mal im Prozess einen Beamten vernehme, der nicht aus der entsprechenden Abteilung komme und dementsprechend wenig Vorwissen habe. Seiner persönlichen Meinung nach habe KHK J. nicht besonders engagiert gewirkt. All das werfe ein „seichtes Bild“ auf die Ermittler. Die Befragung habe nichts gebracht.
Wolfgang W.s Verteidiger RA Grassl greift den „Reichsbürger“-Hintergrund des Angeklagten N. auf. Dieser habe erst später begriffen, welcher Sachverhalt ihm vorgeworfen wurde, aber nicht, welche Rechtsfolgen das für ihn habe. N. habe die Ansicht gehabt, dass die Gesetze der Bundesrepublik für ihn nicht gelten.
Für RA Herzogenrath-Amelung findet es interessant, dass der Angeklagte Thomas N. nur drei von den zwölf Leuten gekannt habe. Laut Anklage hätten sich da angeblich Menschen zu Mord und Totschlag verabredet, die einander aber nicht gekannt hätten. Das hält der RA für „lebensfremd“. N. vertrete mit seiner Erklärung zum Thema „Entnazifizierung“ wirre Ansichten und kenne die Rechtsordnung der Bundesrepublik nicht. Der RA fragt sich, ob jemand mit „so einem Quatsch jemals eine Gefahr werden konnte“.
Thomas N.s Verteidiger RA Sprafke betont, dass sein Mandant in der Vernehmung zwanglos über „Entnazifizierung“ gesprochen habe, nicht aber über das, was die Anklage ihm vorwerfe, also Anschläge und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Neue Haftbefehle und Beweisanträge der Verteidigung
Der VR geht auf den Folgetag ein, an dem neue Haftbefehle eröffnet werden sollen. RA Mandic, Verteidiger von Michael B., habe einen Haftprüfungsantrag gestellt. Der VR belehrt ihn, dass die Prüfung mit der Eröffnung von Haftbefehlen einhergehe. Von den Verteidiger*innen der Angeklagten, bei denen neue Haftbefehle eröffnet werden, möchte der VR wissen, ob deren Mandanten sich äußern wollen. Die Verteidigungen von Marcel W. und Michael B. erklären, ihre Mandanten würden Angaben zur Person, aber nicht zur Sache machen. Frank H., Markus K. und Steffen B. lassen über ihre jeweilige Verteidigung ausrichten, sie würden keine Angaben machen.
Anschließend stellen mehrere Anwält*innen Anträge. RA Grassl beantragt, OStA Zacharias als Zeugin zu vernehmen, um zu prüfen, ob diese in ihrer dienstlichen Funktion dem Angeklagten U. vor und nach den Ermittlungen Handlungsanweisungen erteilt habe, zum Teil auch über Dritte. Der RA begründet den Antrag vor allem mit Aussagen U.s, der den Namen Zacharias mehrfach verwendet und dabei den Eindruck vermittelt habe, er sei ihr Mitarbeiter. Die RA*innen Abouzeid, Schwaben, Siebers, Berthold, Kist, Ried, Becker und Linke schließen sich an. OStA Bellay erwidert, sie habe keine Bedenken, ihre Kollegin Zacharias hier zu hören.
RA Siebers nennt seinen Mandanten Werner S. einen „maßlos übertreibenden Schwätzer“
RA Siebers stellt drei weitere Anträge. Zuerst beantragt er die Vernehmung der Direktorin der italienischen Nachrichtendienstkoordination, Elisabetta Belloni. Sie werde bestätigen, dass es in Italien keine Gruppe von 100 Männern geben würde, die Migrant*innen erstechen und mit Trauerflor kommunizieren würden. [Paul-Ludwig U. hatte in einem Verhör erzählt, man werde sich beim geplanten Waffendeal mittels verschiedenfarbiger Stoffschleifen an der Kleidung Signale geben.] Außerdem werde sie bestätigen, dass es kein Grundstück in Ligurien gebe, das als Treffpunkt einer solchen Gruppe diene, erst recht nicht bei seinem Mandanten Werner S. Über S. äußert RA Siebers, er sei ein „maßlos übertreibender Schwätzer“, der sich mit solchen Geschichten selbst aufgewertet habe. Es habe nie die von ihm beschriebene Gruppe gegeben. S. habe bei den Mitangeklagten den Eindruck erwecken wollen, er sei „mit allen Wassern gewaschen“. Dem Antrag schließen sich die RA*innen Schwaben, Picker, Mandic, Ried, Becker, Sprafke und Linke an. Von Seiten der Anklage wird erklärt, eine solche Vernehmung sei nicht notwendig.
Als zweiten Antrag bringt RA Siebers eine Befragung von Polizeibeamt*innen ein. Diese sollen bestätigen, dass es keine „Gruppe S“ gebe und der Name nichts anderes als ein Arbeitstitel des LKA Baden-Württemberg sei, der in keinem Zusammenhang mit einem Personenkreis stehe. OStA Bellay verweist darauf, dass allen Beteiligten klar sein dürfte, dass es sich hierbei um einen Arbeitsnamen handelt. Dem Antrag schließen sich die RA*innen Schwaben, Rueber-Unkelbach, Mandic, Kist und Sprafke an.
Zuletzt stellt RA Siebers einen Antrag, der dem Antrag von RA Grassl ähnelt. Auch er möchte OStA Zacharias vernehmen lassen, weil es für das Verfahren von Bedeutung sei, ob Paul-Ludwig U. ein Agent Provocateur gewesen sei oder nicht. Wenn U. tatsächlich ein Agent Provocateur sein sollte, dann sei die „Gruppe S“ keine Gefahr gewesen, da die Ermittlungsbehörden immer auf dem aktuellen Stand gewesen seien und den Aktivitäten ein Ende hätten bereiten können. Sollte OStA Zacharias keine Aussagegenehmigung erhalten, behindere das das Verfahren. Sollte sie glaubhaft widerlegen, dass U. geführt wurde, könne man dessen Aussagen noch weniger glauben, „weil er dann ein noch größerer Sprücheklopfer wäre als Werner S.“. Diesem Antrag schließen sich die RA*innen Schwaben, Picker, Rueber-Unkelbach, Mandic, Kist, Ried, Becker, Linke und Sprafke an. Damit endet dieser Prozesstag.