Prozesstag 21: Tony E. als Beinahe-Anführer des „Freikorps“

Am 21. Prozesstag, 28. Juli 2021, wurden erneut abgehörte Telefonate eingeführt. Im ersten Gespräch bezeichnet Tony E., frustriert über das „Freikorps Heimatschutz“, die Chatgruppe „Heimat“ als „‚Korps‘ neben dem ‚Korps“. Außerdem sagt er, er sei bereit, für die gemeinsamen Ziele zu sterben.

Am 21. Prozesstag spielt der Vorsitzende Richter (VR) erneut mitgeschnittene Telefonate zwischen Werner S. und Tony E. vor. Das erste stammt vom 3. November 2019 um 22.58 Uhr. Tony E. verkündet darin, dass er sich nun doch vorstellen könne, das „Freikorps“ anzuführen [siehe dazu Prozesstag 20]. „Aber dann brauche ich Leute, die mir da zur Seite stehen. […] Ich will nicht Sören um Erlaubnis bitten müssen, wenn ich ihm sage, ich mache das nicht alleine.“

Außerdem habe er heute den aktuellen Anführer Sören B. in einem Café getroffen, der über Thomas [vermutlich Thomas N.] hergezogen habe. „Das habe ich aber gleich abgebrochen.“ Allerdings hat Tony E. offenbar Verständnis für B.s Abneigung: „Thomas ist natürlich speziell und sehr anstrengend.“ Wenn E. tatsächlich „Korps“-Chef werden sollte, dann „als alleinige Führungsspitze und ohne Wenn und Aber, ohne Abstimmen und haste nicht gesehen.“

Werner S. scheint von E.s Entscheidung nicht recht überzeugt. „Was liegt dir an diesem ‚Korps‘“, will er mehrfach wissen. „Im Augenblick ist das ‚Korps‘ eine Totgeburt“, stimmt E. dem zweifelnden S. zu. Er strebe eher „ein ‚Korps‘ neben dem ‚Korps‘“ an. „Die Menschen [im ‚Korps‘] sind mir egal.“ Ihm gehe es eher um Prestige und „um alleinige Entscheidungsgewalt“ und darum, Sören B. abzulösen. [Mit dessen Führungsstil waren S. und E. schon länger unzufrieden.] Dass B. im Falle eines Führungswechsels Einfluss auf E.s Entscheidungen nehmen könnte, ist für E. ausgeschlossen: „Entweder er gibt mir die alleinige Macht, oder er ist raus.“

Tony E.: „Ich bin bereit, mein Leben aufs Spiel zu setzen“

Werner S. ist noch immer nicht überzeugt vom „Freikorps“: „Mit Uniform, Namen und Titeln kann ich überhaupt nichts anfangen. Wenn du wirklich draußen auf der Straße effizient arbeiten willst, dann kannst du dir das schenken.“ Ganz im Gegensatz zu „dem anderen Ding, an dem wir da gerade arbeiten“.

Tony E. widerspricht, Sören B. habe selbst auch mal etwas in die Richtung von Werner S.` Gruppierung vorgeschlagen. Er druckst etwas herum, offenbar aus Angst, das Telefonat könnte überwacht werden. „Eine anonyme Gruppe. Das ist immer so blöd am Telefon. Eine Spezialeinsatz… Wir sollten da asap [schnellstmöglich] ins Gespräch kommen.“ Die Chatgruppe „Heimat“ sei bereits ein „indirektes ‚Korps‘ neben dem ‚Korps‘“, so Tony E.

In Werner S.‘ Augen ist das offenbar die Organisationsform der Zukunft: „Die Zeiten von diesen Bürgerwehr-artigen Geschichten wie ‚SOG‘, ‚Wodans [Erben]‘ und so sind vorbei. […] Wir sind eine Splittergruppe.“ Tony E. scheint derselben Ansicht: „Wir sind viel weiter, wir sind viel weiter! Wir sind quasi im Sinne der Staatssicherheit sind wir der Deep State, aber auf der anderen Seite. Ich bin mir dessen bewusst, und ich bin auch bereit, mein Leben aufs Spiel zu setzen, wie auch immer. Ich muss nur für mich gewährleisten, dass da jemand ist: Meinen Jungs muss es, egal was auch immer passiert, muss sich jemand um die kümmern.“

Über die weitreichenden möglichen Auswirkungen der geplanten Aktionsform ist sich auch Werner S. bewusst: „Das, was wir machen, das was wir in Hamburg besprechen werden, das dürfte unter Umständen einschneidend sein für unser aller Leben […] Dann werde ich natürlich versuchen, […] ein Konzept vorzulegen, dass das, dass du irgendwann mal weg wärst, nicht passiert.“ [In Hamburg sollte Ende 2019 ursprünglich das Treffen stattfinden, das nach mehreren Absagen im Februar 2020 abgehalten wurde und bei dem die Anschlagspläne konkreter besprochen wurden.] Weiter schildert S. seinen Anspruch so: „Wir müssen das Ganze hochgradig effizient und professionell besprechen und dementsprechend auch vorgehen.“

Tony E.s Albtraum: „Wo Schwarze vor mir stehen mit ner Machete“

Tony E. wirkt nicht ganz so optimistisch: „Man muss solche Szenarien als Ultima Ratio vor Augen haben. Ich wache manchmal nachts auf, wo Schwarze vor mir stehen mit ner Machete. Das klingt vielleicht schizophren oder krank oder pervers, aber in meinen Augen sind das realitätsnahe Szenarien.“ „Ja, das kann jeden von uns treffen“, stimmt S. ihm zu. Doch was Tony E. dann beschreibt, gefällt ihm nicht: „Es ist nicht so, dass ich Angst habe vor Aua oder Tod oder wie auch immer. […] Ich bin heute um ein viel, vielfaches weiter als vor fünf, sechs Jahren, als ich in jedem Restaurant eine Gefahr gesehen hab. Ich hab überall eine Waffe drin gesehen.“ Werner S. warnt ihn, man könnte E. als verrückt abstempeln: „Behalt‘ das mal für dich.“

Werner S. über Michael B.: „Der ist ein Vorsichtiger, aber zu allem bereit“

Anschließend kommen sie noch einmal auf Thorsten K. [angeblich ehemaliger Fremdenlegionär aus Hamburg] zu sprechen. „Thorsten müssen wir immer so bisschen Futter geben, so alle zwei, drei Tage, und ich glaube, der ist dann auch Gewehr bei Fuß“, so Tony E. Auch Werner S. scheint ihn für ein geeignetes Mitglied zu halten: „Thorsten ist einer von den Leuten, auf die ich Wert lege. Der hat Connections, einen gewissen Geist und eine Ausbildung, die sich sehen lassen kann.“

Als weiteren vielversprechenden Kandidaten nennt Werner S. Michael B.: „Der ist zwar ein Vorsichtiger, aber der ist zu allem bereit. Dann haben wir den Steffen B., der ist ein bisschen vorsichtig, macht aber alles mit.“ Steffen B. sei bisher nur bereit, sich auf etwas vorzubereiten. Selbst loszuschlagen sei etwas ganz anderes. Tony E. attestiert Steffen B. „einen gewissen Intellekt. Der spritzt sich noch seine Anabolika. Aber er ist kein Dummer […]. Er ist finanziell relativ unabhängig, auf ihn hören ein paar Leute. Ich halte viel auf ihn und ich weiß auch, dass er auf mich bisschen was hält.“

Einige andere, die offenbar für das geplante Treffen in Hamburg in Betracht kämen, kennt Werner S. selbst noch nicht, wie er sagt. Und „den Ralph [vermutlich Ralph E. aus Witzehave] kenn‘ ich zwar, aber ich weiß nicht, wie er agiert, was er denkt.“ Er nennt N. den „Boxclubmann“. Tony E. scheint Ralph besser zu kennen: „Der hat ja gesessen wegen versuchten Totschlags oder Mordes, der ist eins zu eins ein Handlanger von Thorsten K.“

Dann kommt Tony E. auf Thomas G. aus Hamburg zu sprechen. „Der ist noch eine Nummer größer. Der ist ein Typ, der ist 2 Meter groß, ganz bekannter Türsteher aus Hamburg, der arbeitet bei Schill.“ [Roland Schill, bekannt als „Richter Gnadenlos“ und Innensenator aus Hamburg]. […] Thorsten G. lebe im Augenblick noch von seinem guten Ruf, aber das ist irgendwann auch vorbei. Der ist eine Granate vor dem Herrn.“ Tony E. spricht auffallend bewundernd über K., obwohl er in den Chats nicht häufig schreibe: „Für den würde ich meine Hand ins Feuer legen. Er muss seine Füße stillhalten, weil er so im Fokus der Öffentlichkeit steht.“ Thorsten K. sei „ein Psychopath. Der sollte für uns in Hamburg der erste Mann sein. Vor dem habe ich Respekt. […] Er hat noch Diplomatenstatus, das könnte für uns vorteilhaft sein.“

Werner S. klingt ebenfalls bewundernd und hebt hervor, dass Thorsten K. Generalmajor sei. Er erwähnt, dass Thorsten K., Ralf N. und [Name unverständlich] im Telegramchat „Besprechungszimmer“ seien. Insgesamt strebt er offenbar zehn Mitglieder an. „Wir sind rund zehn Leute, und zehn sollten es auch sein von Anfang an.“ Sie zählen weiter auf, wer dabei sein soll: ein [Name unverständlich] aus Holstein, Paul-Ludwig U., Michael B. „und sein Gianni“, vor allem aber Ralf N, den sie wie einen Prominenten behandeln wollen, damit er überhaupt Interesse am Treffen zeigt. „Dem muss man sagen: Komm vorbei, du musst dich um nichts kümmern, für die Übernachtung ist gesorgt“, vermutet Tony E. „Ich habe den Vorteil, dass wir gut miteinander können. Er ist ein großer Fan von mir, wie er immer sagt.“

Halligalli wie in der Präsidentensuite“

Als Ort für das Treffen ist Tony E. von Hamburg nicht ganz überzeugt. Lieber, so schlägt er vor, sollte man es direkt in seinem Haus veranstalten, das nahe Hamburg stehe: „Ich hab hier eine repräsentative Location. Das ist ja auch wichtig, gerade für so Leute wie Ralf N. Hier können wir ein Wochenende Halligalli machen wie in der Präsidentensuite und wichtige Dinge im entsprechenden Kreis besprechen.“ Tony E. zählt eine eigene Sauna sowie eine große Auffahrt und ein ebenfalls großes Gästezimmer als Pluspunkte auf.

Tony E.s Partnerin sollte laut E. allerdings für so ein Treffen außer Haus sein: „Meine Frau habe ich schon ein Stück weit eingeweiht, dass du und der Micha [Michael B.] auf jeden Fall da seid. […] Ich würde gut finden, wenn wir meine Frau in gewissen Hinsicht ausquartieren könnten, dass wir sagen: Mäuschen, fahr doch morgen ins Hotel, da hast du Essen und ein Zimmer umsonst, weil ich hier ein Treffen hab.“ E. betont einen Vorteil seines Hauses für konspirative Treffen: „Hier können wir ungestört die Handys in meinen Safe im Keller packen.“

Doch nicht nur das Treffen mit allen zehn „Kameraden“ ist Tony E. wichtig: „Ich möchte ein paar Stunden mit dir alleine verbringen“, wünscht er sich liebevoll von Werner S. „Dass du vielleicht einen Abend vorher zu mir kommst, dass wir einen Abend für uns haben. Meine Jungs freuen sich auch irre auf dich.“ Eigentlich kann es E. gar nicht schnell genug gehen: „Recht herzlich, von mir aus darfst du gerne morgen schon hier aufschlagen.“ Sie beraumen für das Treffen ein Wochenende um den 30. November oder 14. Dezember 2019 an. Am 7. und 8. Dezember sei nämlich ein „Freikorps“-Treffen, wirft E. ein.

Hochstapler Werner S. belog seinen Freund Tony E.

Dann wechselt Tony E. das Thema und spricht über Gedanken, die er sich gerade über seine berufliche Zukunft macht. Er zieht in Betracht, zu Werner S.‘ Beruf zu wechseln und wie er Lampen zu restaurieren. „Das wäre was für mich. Und du hast ja gesagt: In zwei, drei Jahren kannste dir ein Haus davon kaufen.“ [Was E. hier noch nicht weiß: Werner S. hat ihn angelogen. Sein Geschäft warf so wenig ab, dass S. Sozialhilfe beantragte.] Tony E. fährt hoffnungsvoll fort, er habe bereits in seiner Firma kommuniziert, dass er sich bald ausklinken werde. Stattdessen würde er gerne ein dreiwöchiges Praktikum in Werner S.‘ Werkstatt absolvieren. „Das freut mich“, entgegnet, Werner S., reagiert aber ansonsten recht zögerlich auf Tony E.s Vorschlag.

E. sucht nicht nur politisch und beruflich, sondern auch privat mehr Anschluss an Werner S. Seinen kommenden Sommerurlaub möchte er mit S. in den italienischen Apenninen verbringen. Die Lage seiner immer wieder angesprochenen Berghütte beschreibt Werner S. als 100 Minuten von Genua und 80 ab Turin.

Tony E. kündigt eine Aussage an

Mit etwas Geplänkel über den Urlaub endet die Tonaufnahme. Bei der anschließenden obligatorischen Möglichkeit für Erklärungen bezieht sich RA Berthold auf eine Äußerung von Werner S., in der dieser Bertholds Mandanten Michael B. als „Freelancer in der Gruppe ‚Heimat‘“ bezeichnet. Das klinge despektierlich, so der RA, und deute darauf hin, dass Michael B. in der Gruppe „nicht die volle Verfügungsgewalt hat“. Außerdem sage Werner S., Michael B. sei „zwar ein Vorsichtiger, aber zu allem bereit“. Das interpretiert RA Berthold dahingehend, dass Michael B. als Prepper „Überlebensfähigkeiten hat, die andere nicht haben. Das hat Werner S. hier wohl gemeint.“ S. halte Michael B. nicht für einen „zuverlässigen Teilnehmer für seine Offensivpläne“.

Nach diesen Worten macht RA Becker eine Ankündigung: Sein Mandant Tony E. „beabsichtigt, sich zur Person und zur Sache umfassend zu äußern“. Dabei werde E. auch auf die abgehörten Telefonate Bezug nehmen. Bei diesen Worten regen sich einige Angeklagte, von denen die meisten seit Verhandlungsbeginn beharrlich schweigen. Frank H. schüttelt den Kopf und schlägt die Hand an die Stirn.

Anschließend ist ein weiteres Telefonat zu hören. Darin spricht Werner S. am 15. November 2019 um 15.20 Uhr auf Michael B.s Mailbox und teilt ihm mit, dass das Treffen am 14. und 15. Dezember stattfinden werde, und Tony E. seine Villa zur Verfügung stelle.

Gespräch über Tony E.s Krebsdiagnose

Direkt im Anschluss spielt der VR ein längeres Telefonat vom 7. November 2019 ab. Darin tauschen sich Tony E. und Werner S. über E.s frisch diagnostizierten Gehirntumor aus. Tony E. betont, er sei „ein Gegner der Schulmedizin“ und hält Krebs nur für einen „Indikator“ für ein grundlegenderes Problem im Lebenswandel. Darum nimmt er sich nun vor, beruflich kürzer zu treten. „Meine Diagnose ist für dich persönlich nur zur Kenntnisnahme. Ich bin ja keine Muschi, alles gut. Mein subjektives Befinden ist: alles easypeasy.“

Werner S. hingegen hofft, dass Tony E. auch politisch weniger tut, und fordert ihn auf: „Klipp und klar auf die Gesundheit achten, und das ist ganz klar das, was du jetzt machen musst. […] Ich gehe davon aus, dass von den zehn Leuten fünf abspringen. Damit möchte ich dich ungern belasten.“ Würde Tony E. sich aus Aktionen heraushalten, würde er das verstehen. „Aber die Qualität der weiteren Vorgehensweise würde ich nochmal besprechen.“ Tony E. ist nicht begeistert: „Ich bin ja auch einer, der vormarschiert. […] Ich stehe zu meinem Wort.“ Sie einigen sich darauf, das Thema persönlich zu besprechen.

Werner S. spricht ihm Mut zu: „Du bist mitten im Leben, du bist standhaft und stabil.“ Trotzdem ist er auch der Ansicht, Tony E. sollte auch seine Entscheidung, die Führung des „Freikorps“ zu übernehmen, noch einmal zu überdenken. „Kümmer dich erst mal um dich. Du hast Familie, einen Hund, Haus, Hof, Arbeit.“ Doch Tony E. scheint nicht geneigt, kürzer zu treten: Er fühlt sich dem jetzigen „Freikorps“-Chef Sören B., der auf Nachwuchs-Suche ist, verpflichtet, wie er sagt. Trotzdem versichert er Werner S.: „Das darf der Sören nicht wissen, aber du bist für mich mein Ansprechpartner Nummer Eins.“

Nun wechselt er das Thema und spricht wieder über seine Überlegung, ein Praktikum bei Werner S. zu machen und danach ebenfalls Lampen zu restaurieren. Werner S. reagiert zurückhaltend [vermutlich da er Tony E. angelogen und seine Gewinne weit übertrieben hatte].

Märtyrer-Aktion als Ultima Ratio

Der Tumor wurde offenbar früh erkannt, und noch scheint er mit einer Größe von 7 Millimetern recht klein und gutartig zu sein. Tony E. überlegt aber auch schon, was wäre, sollte er irgendwann einmal Krebs im Endstadium haben: „Unter Umständen eröffnen sich für mich im schlimmsten Falle ungeahnte Möglichkeiten. […] Als Ultima Ratio unter Umständen“, sagt er nebulös. [Er meint offensichtlich, in dem Fall könnte er auch solche Aktionen durchführen, bei denen man Haftstrafen, Verletzungen oder den eigenen Tod befürchten müsste.]

Tony E. kommt auf den Sänger Werner Böhm zu sprechen. Er verkaufe Böhm bald Holz, und Böhm werde auf seinem 40. Geburtstag singen. „Dann ist Ralf N. auch da, das wird bestimmt lustig“, erzählt er.

Werner S.‘ Facebook-Sperre

Werner S. berichtet, sein Facebook-Account sei heute gesperrt worden. „Ich habe nichts gemacht“, beschwert sich S. „Die sollen mich am Arsch lecken, ich trete da nicht wieder ein.“ Tony E. stimmt ihm zu: „Wenn die mich jetzt wieder sperren, mache ich da auch nichts mehr.“ Beide erzählen, sie hätten sich nur auf Facebook registriert, um Kontakte zu knüpfen. Werner S. hält es daher nicht für sonderlich schlimm, jetzt keinen Zugriff mehr auf seinen Account zu haben. „Ich bekomme über andere Kanäle 50 Nachrichten im Stundentakt.“ Außerdem sei er noch unter dem Namen Matthias S. auf dem russischen Facebook-Äquivalent VKontakte zu finden.

Beide bemängeln, dass Kommunikation ohne potenzielle Überwachung nur noch im persönlichen Gespräch möglich sei. Selbst Briefe seien nicht sicher: „Das wird hier noch so weit kommen wie in der DDR“, prophezeit Tony E. „Aber dann sind wir hoffentlich schon unter der Erde, damit sollen sich die anderen [kommende Generationen] befassen.“ Werner S. stellt sich das anders vor: „Vorher haben wir noch viele plattgemacht.“ Tony E. pflichtet ihm bei: „Das hoff ich.“

Erklärungen

Nach diesem Gespräch erhalten wie immer die Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu Stellungnahmen. RA Miksch, Verteidigung von Marcel W., beginnt: „Im Gespräch wurde unter anderem gegenüber E. der Eindruck erweckt, dass E. bei S. arbeiten könne und in zwei Jahren so viel Geld verdienen kann, dass er davon ein Haus kaufen kann.“ Dabei habe S. doch Sozialhilfe beantragt. Für den RA ergibt sich daraus die Frage, „was von diesem Gerede überhaupt noch ernstgenommen werden kann.“

RA Berthold ordnet das Telefonat zeitlich ein und verweist darauf, dass Tony E. erst nach dessen Verdachtsdiagnose „etwas fatalistisch wird“, während er davor noch sehr „an seinen kleinbürgerlichen Errungenschaften hing“. Daraus folgert der RA, dass sein Mandant Michael B., der E. an der Hummelgautsche getroffen habe, E. nicht als Fatalisten kennengelernt habe, der über Szenarien für seine „Ultima Ratio“ nachdenke.

Frank H.s Verteidiger RA Herzogenrath-Amelung verweist darauf, dass Werner S. Tony E. dazu aufgerufen habe, die Priorität auf dessen Familie statt auf politische Aktivitäten zu setzen. Tony E. mit seiner Villa, einer intakten Ehe und zwei kleinen Kindern würde seine Errungenschaften nicht „für so einen Schwachsinn“ aufs Spiel setzen, argumentiert er.

Telefonat zwischen Thomas N. und Werner S.

Da sonst niemand etwas zum Beweisstück zu sagen hat, führt der VR das nächste ein: ein Telefonat zwischen Thomas N. und Werner S. vom 10. November 2019 um 11.11 Uhr. [Thomas N. ist in der Aufnahme schlecht zu verstehen, daher sind von ihm kaum Aussagen protokolliert.] Thomas N. fragt Werner S. zweifelnd, ob er wirklich glaube, dass die für das Treffen angekündigten 13 Personen auch wirklich kommen würden.

Werner S. rechnet auch nicht damit. „Das ist eine Farce. Am Ende werden da sechs, sieben Mann sein.“ Und: „Selbst, wenn da 13 Mann sind, dann kenne ich davon nur vier.“ Er erwähnt einen Herrn D.: „Den kenne ich nicht, der ist aber auch ein Fatzke. Und die anderen sind Mädchen. Die werden meiner Zukunftsplanung nichts bringen.“ Das Treffen sei ohnehin nur auf Norddeutschland fokussiert, und er wolle nur kommen, um die Teilnehmenden persönlich kennenzulernen.

Thomas N. teilt seine Zweifel: Die Teilnehmenden hätten nichts Wichtiges zu besprechen. „Das, was wirklich zählt, ist das, was wir am 14. und 15. Dezember zu besprechen haben.“ Bei den Aktionen, die man dort bespreche, würden sich die Teilnehmenden des Nord-Treffens „in ihren scheiß Erdlöchern verstecken“.

Werner S. fühlt sich offenbar durch aktuelle Entwicklungen in Zeitnot: „Wir reiten immer tiefer in die Scheiße! […] „Die schauen mit geschlossenen Augen zu, das sind Feiglinge. Keiner nimmt das Zepter in die Hand. Die warten darauf, dass Leute wie du und ich auf die Straße gehen und was unternehmen. Und dann schreien die: Endlich tut mal einer was. Anstatt dass die sich selber mal bewegen.“ Deswegen interessiere er sich nicht für das „Freikorps“.

Werner S. in Zeitnot: „Wir müssen langsam hinlangen, sonst wird das nix mehr“

Die beiden zählen weitere Personen auf, die sich [vermutlich zum Treffen in Norddeutschland] angekündigt hätten. Unter ihnen ist einer mit dem Pseudonym „Hess“, der Kontakte zu den „Steeler Jungs“ aus Essen habe, sowie jemand, der sich „Ansgar“ nenne. Tony E. und Paul-Ludwig U. werden ebenfalls genannt.

Werner S. redet sich in Rage: „Seit 2014 kriegen wir einen Arschtritt nach dem anderen. Einer nach dem anderen verreckt zuhause. Und die bohren in der Nase, die sitzen auf ihrer Couch und wünschen sich ein schönes Wochenende. Das geht so auf keinen Fall weiter. Aufbauen, kennenlernen, vernetzen – schön und gut. Aber wir müssen jetzt langsam hinlangen, sonst wird das nix mehr.“ Er warte nur noch, bis Michael B. von einer Italienreise zurückkehre, dann will er ein Treffen organisieren. Thomas N. stimmt S.‘ Pessimismus zu: „Wir stehen am Abgrund. Andere stehen da und wissen nicht, was sie machen sollen. Wir gehen voran im Kampf.“

S. bezieht sich auf eine Nachricht von Thomas N. in einer Chatgruppe, in der dieser „die alten preußischen Werte Stabilität, Disziplin, Sauberkeit“ hochgehalten habe: „Dann könnten wir mit 30, 40 Mann viel veranstalten. Aber selbst in den eigenen Reihen hapert es am Pflichtbewusstsein sich selbst gegenüber, aber auch seinen Kameraden und dem Land gegenüber. Es ist schon weit nach 12. Und das habe ich schon vor drei, vier Jahren gesagt. Wenn wir jetzt nicht zusammen rausgehen…“ Auch in seiner eigenen Gruppe [vermutlich im „Heimat“-Chat] vermisst er Engagement; Marcello und einige andere würden sich dort nicht mehr melden. Er werfe sie nur nicht aus dem Chat, um den Rest nicht zu demoralisieren. „Das ist für mich kein Verein mehr“, echauffiert sich N.

Solche Männer gehen in die Geschichte ein“

Werner S. äußert, er bekomme im Chat nur von Thomas N., Markus K., Tony E. und jemandem mit dem Pseudonym Thor regelmäßige Nachrichten. Er beschwert sich über Prepper, die nur besprächen, wer welchen Wasserfilter im Notfallrucksack habe. „Die werden niemals rausgehen, sich bewaffnen und auf die Straße gehen und da aufräumen. Das sind Weicheier, das sind Waschlappen!“ Von der eigenen Gruppe verspricht er sich mehr: „Solche Männer gehen in die Geschichte ein; solche Männer werden in die Geschichtsbücher eingehen mit Rang und Namen.“

Dann kommen sie auf Markus K. zu sprechen. Werner S. sagt, er kenne ihn nicht gut, weil K. sich nur vorsichtig äußere.“ Thomas N., über den der Kontakt zu K. zustande kam, sagt: „Wenn ich ihn einlade, hafte ich dafür.“ S. schlägt N. vor, einen Telegram-Chat mit Markus K. und weiteren ihm geeignet scheinenden Personen zu erstellen. „So Hakenkreuz-Vögel passen da nicht so, die haben den Sinn nicht begriffen“, rät ihm S. Dann verabschieden sich die beiden und legen auf.

Ein letztes Mal für diesen Prozesstag kommen die Verteidiger*innen zu Wort. RA Berthold sagt, dass im Verfahren Gruppen genannt werden, die „sich immer wieder neu bilden und wieder zusammenfallen.“ Die straff organisierte Gruppe, die einen Umsturz anstrebe, gebe es nicht.

RA Herzogenrath-Amelung äußert – nicht als erster der Verteidiger*innen in diesem Verfahren – den Verdacht, dass Thomas N. bei Telefonaten betrunken gewesen sein könnte. Der RA fordert eine Sachverständigenprüfung.

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