Am 17. Prozesstag am 14. Juli 2021 wurden zwei Polizeibeamte befragt, die den Angeklagten Markus K. aus Minden am 16. Februar 2020 von der JVA Karlsruhe in die JVA Detmold überführt hatten. Im Laufe der vierstündigen Fahrt unterhielt sich K. mit den Polizisten. Polizeihauptkommissar Peter H. sagte aus, dass Markus K. erzählt habe, dass er Angaben beim Ermittlungsrichter gemacht habe und weitere bei der Polizei machen wolle. Aber er mache sich Sorgen um seine Familie. Er sei früher in „Kameradschaften“ aktiv gewesen, habe sich aber wegen seiner Familie aus der Szene zurückgezogen. Thomas N. habe ihn zu dem Treffen am 8. Februar 2020 in Minden eingeladen. Er habe dort als einer der Ersten gesagt, dass er passiv bleiben wolle. Darüber hinaus beantragte Rechtsanwalt (RA) Becker, Verteidiger von Tony E., den Angeklagten Paul-Ludwig U. in Haft zu nehmen. U. sei ein selbsternannter Agent, der bewusst die „Gruppe S“ gegenüber den Behörden konstruiert habe.
Als erster Zeuge wird der 31-jährige Peter H., Hauptkommissar beim LKA Baden-Württemberg, vernommen. Er gibt an, dass er sich an vieles nicht mehr habe erinnern können, aber bei der Lektüre der Akten sei ihm manches wieder eingefallen. Bis zum Transport von Markus K. war H., so erzählt er, nicht in das Ermittlungsverfahren gegen die „Gruppe S“ involviert. Er habe von den Festnahmen in den Medien gelesen und vor seinem Einsatz nichts über Markus K. gewusst. Nur dessen Haftbefehl habe er kurz vor der Fahrt überflogen. Am 16. Februar 2020 hätten er, seine Kollegin B. und sein Kollege K. gegen 9.15 Uhr Markus K. in Karlsruhe in Empfang genommen. Von dort seien sie ohne Pause nach Detmold gefahren, wo sie gegen 13 Uhr angekommen seien. Peter H. berichtet, er habe im Auto neben dem Beschuldigten auf der Rückbank gesessen. In Karlsruhe habe man den Polizist*innen mitgeteilt, dass der Beschuldigte den Häftlingsgottesdienst besucht habe und sehr nachdenklich sei. Die JVA habe auch mitgeteilt, dass der Häftling sehr unauffällig und kooperativ sei. Für den Transport habe man ihn mit einem Transportgürtel und Handschellen vor dem Körper gesichert. Ob K. zudem Fußfesseln trug, kann der Zeuge nicht mehr sagen.
Wurde Markus K. vor seinen Aussagen korrekt über seine Rechte belehrt?
Peter H. erinnert sich, dass Markus K. ihm sehr niedergeschlagen vorgekommen sei. Erst nach einer ganzen Weile sei es zu einer Kommunikation zwischen ihm und K. gekommen. Der Zeuge gibt an, er habe den Beschuldigten gefragt, ob er etwas beim Ermittlungsrichter gesagt habe. Als Markus K. daraufhin angefangen habe zu sprechen, habe Peter H.s Kollege den Beschuldigten schnell über dessen Rechte belehrt. Der Beschuldigte habe gesagt, dass sein Verteidiger eigentlich gesagt habe, er solle nichts sagen. Markus K. habe ihm berichtet, er habe dennoch bereits ausgesagt, wolle bei der Polizei weitere Angaben machen und wisse gar nicht, warum er da hineingeraten sei. Das sei nur gekommen, weil Thomas N. ihn angesprochen und gesagt habe: „Du bist doch ein guter Mann.“
Der Zeuge erinnert sich, er habe Markus K. nur vereinzelt Fragen gestellt. Als er K. nach den Namen der anderen Beschuldigten gefragt habe, habe K. nur den von Werner S. gekannt. Der Beschuldigte habe dann gesagt, seine Familie sei der Grund, warum er sich aus der rechten Szene herausgezogen habe. Er sei mal Teil der Kameradschaftsszene gewesen. [Laut Antifa-Infoblatt Ausgabe 131 war er aktiv bei den „Nationalen Sozialisten Bückeburg“.] Einen Anschlag habe er nie begehen wollen. Wieso er dann zu dem Treffen gegangen sei, habe er ihn gefragt, erinnert sich Peter H. Dieser habe erklärt, er sei auf Einladung von Thomas N. dagewesen und habe dort kundgetan, dass er nicht aktiv, sondern passiv sein wolle. Außerdem habe er nachgeschoben, dass er nicht einmal die finanziellen Mittel habe, um die Gruppe zu unterstützen.
Der Zeuge erinnert sich, er habe bewusst nicht nachgefragt, weil er den Sachverhalt nicht näher gekannt habe. Markus K. hingegen habe einige Fragen gehabt: wie das Verfahren weitergehe, wie lange die U-Haft dauern würde, ob er dort Besuch bekommen könne und wo der Prozess stattfinden werde. Peter H. berichtet auch, er habe Markus K. von einer Haftprüfung nach sechs Monaten erzählt.
Ansonsten habe man die Fahrt größtenteils schweigend verbracht. Das Radio sei gelaufen, erinnert sich der Zeuge. Nur als dort in den Nachrichten die „Gruppe S“ thematisiert worden sei, habe man das Radio leiser gestellt. Am Folgetag habe Peter H. aus seiner Erinnerung heraus einen Vermerk über das Gespräch verfasst.
Mehrere Verteidiger*innen monieren die Rechtsbelehrung von Markus K.
Im Anschluss an die Befragung durch den Vorsitzenden Richter (VR) sind die Verteidiger*innen an der Reihe. RA Just, Verteidiger von Stefan K., möchte wissen, ob die Vernehmung im Auto geplant gewesen sei. Der Zeuge verneint das.
Auf die Frage von Markus K.s Verteidigerin RAin Schwaben, wie der Zeuge den Begriff „passiv“ interpretiert habe, antwortet dieser, er habe sich darunter vorgestellt, dass Geld gegeben, aber nicht aktiv zu den Waffen gegriffen würde. Die ebenfalls Markus K. verteidigende RAin Weis kritisiert, dass die Belehrung des Beschuldigten möglicherweise fehlerhaft erfolgt sei, weil Markus K. nur ein Hinweis gegeben und keine formale Belehrung würden sei.
Auch Marcel W.s Verteidiger RA Picker merkt an, man sei im „juristisch schwierigen Bereich“ bei der Frage, ob es sich bei den Aussagen von Markus K. um verwertbare Spontanäußerungen handle, da der Zeuge sich nicht erinnern könne, ob er eine Belehrung gemacht habe.
Thorsten W.s Verteidiger RA Kist fragt den Zeugen, ob aus der Aussage von Markus K., er sei bei dem Treffen „einer der Ersten, die sich als passiv bezeichneten“, zu folgern sei, dass sich mehrere der Anwesenden so bezeichnet hätten. Der Zeuge stimmt dieser Einschätzung zu. Schließlich wird er unvereidigt entlassen.
RA Becker beantragt einen Haftbefehl gegen Paul-Ludwig U.
RA Becker, Verteidiger von Tony E., stellt den Antrag, U. in Haft zu nehmen. [Bislang ist er der einzige Angeklagte auf freiem Fuß.] Dafür führt er mehrere Haftgründe an: U.s Straftaten sowie eine Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr. Zuerst listet er juristische Vorwürfe gegen U. auf: dass dieser spätestens ab September 2019 den Ermittlungsbehörden vorgetäuscht habe, dass Straftaten geplant seien. Darüber hinaus habe Paul-Ludwig U. Dritte gegenüber einer Behörde wider besseres Wissen verdächtigt. Nach bisherigen Erkenntnissen sei davon auszugehen, dass U. die anderen Angeklagten dahingehend habe beeinflussen wollen, eine rechtsterroristische Gruppierung zu gründen und sich an Straftaten zu beteiligen. Und dass U. online, insbesondere auf Facebook, gezielt als „Agent Provocateur“ unter Reichsbürgern, Mittelalterfans und Preppern gewirkt habe.
Der RA betont, für ihn sei klar, dass eine „Gruppe S“ nie existiert habe. U. habe die Gruppe erfinden müssen, um seine Rolle als „Geheimagent“ spielen zu können. Teile der Angeklagten hätten sich den gefährlichen Unsinn angehört, mehr aber auch nicht. Dennoch habe U. gegenüber den Behörden Straftaten vorgetäuscht. Die Anklage sei seinem Schauspiel aufgesessen.
„In mittelbarer Täterschaft“ sei U. der Freiheitsberaubung verdächtig [vermutlich spielt er hier auf die Inhaftierung der Angeklagten an]. Außerdem sei er auch am Tod des Angeklagten Ulf R. Schuld. [Dieser hatte sich, mutmaßlich auch in Folge seiner Inhaftierung, selbst getötet.]
RA Becker sieht bei U. eine Fluchtgefahr
Im Herbst 2019 habe sich U. gewaltbereit geäußert, argumentiert der RA weiter, und zitiert: „Ich kann doch nicht jeden Nigger killen, den ich sehe, aber das kommt noch.“ Auch sei U. ein Waffennarr: Er habe am 19. August 2019 in der Facebook-Gruppe „Last Man Standing“ ein Bild einer Schusswaffe gepostet. Am 2. Oktober 2019 habe die Polizei am Hauptbahnhof Heidelberg eine Waffe bei U. sichergestellt.
RA Becker argumentiert, dass U. sich nicht befragen lassen wolle und gelogen habe, wie beispielsweise die Befragung seines ehemaligen Bewährungshelfers Jens W. gezeigt habe. Es sei klargeworden, dass U. manipulieren könne. Daraufhin habe sich U. krankgemeldet. [Die Verhandlung fiel am 6. und 7. Juli 2021 wegen der Krankmeldung aus.] Ein Attest bescheinige U. Rückenschmerzen. Der RA regt eine amtsärztliche Untersuchung mit Röntgen und MRT an, um zu zeigen, dass U. simuliere, um sich dem Verfahren zu entziehen.
U. habe mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, vermutet der RA. Da er auf Bewährung sei, beständen erhebliche Fluchtanreize. U. halte zudem nichts hier, weder Kinder noch eine Beziehung. Sollten sich U.s Angaben als Lügen herausstellen, würde er obdachlos werden, so der RA, denn U. werde „vom LKA alimentiert“. U. habe auch Kontakte zu Ex-Inhaftierten, die ihm helfen könnten, unterzutauchen. Wegen seiner Erkrankungen habe U. eine eingeschränkte Lebenserwartung, eine Haft sei für ihn eine Haft bis zum Lebensende. Das alles verstärke die Fluchtgefahr, argumentiert der RA.
Versucht Paul-Ludwig U., auf Zeug*innen einzuwirken?
Für eine Verdunklungsgefahr spricht in den Augen des RAs, dass U. auf Zeugen einwirke. Das habe sich beispielsweise aus der Vernehmung von Jens W. ergeben, den U. vor dessen Ladung als Zeuge angerufen und darüber informiert habe, dass U.s Glaubwürdigkeit in Frage stehe.
Die Wiederholungsgefahr sieht der RA in der Tatsache, dass U. mehrere Monate vor seinem Kontakt zu den Angeklagten in der Facebook-Gruppe „Die Unbeugsamen“ von Wolfgang J. versucht habe, die Mitglieder zu beeinflussen. Der RA befürchtet, U. könnte so etwas erneut versuchen.
Als fünften und letzten Haftgrund führt der RA Anstiftung zum Terrorismus an. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass U. Anschläge begehen könnte, so der RA. Er habe vielfältige Kontakte in die rechte Szene aufgebaut. Insgesamt sei eine Inhaftierung von U. unumgänglich, schließt der RA.
Vertreterin der Bundesanwaltschaft widerspricht dem Antrag auf Haftbefehl
Oberstaatsanwältin (OStA) Bellay nimmt dazu Stellung. Sie äußert Verständnis für das Ansinnen, weist aber darauf hin, dass man noch am Anfang der Beweisaufnahme stehe. Die Argumente seien allesamt Wertungen der Verteidigung von Tony E. Den Vorwurf, U. habe den Selbstmord von Ulf R. verursacht, finde sie geschmacklos. Die OStA sieht bei U. keinen dringenden Fluchtverdacht und keine Haftgründe.
RA Haupt, Verteidiger von Paul-Ludwig U., hat nun das Wort. Er sagt, in der Anregung seien viele Behauptungen enthalten, und sie sei reine Show. Man solle abwarten. Das Attest habe der Senat akzeptiert. Ein Kontakthalten mit etwaigen Zeugen sei keine Beeinflussung.
Unter den Verteidiger*innen der anderen Angeklagten hingegen findet der Antrag, U. in Haft zu nehmen, mehr Zuspruch. Die Verteidigungen von Markus K., Marcel W., Wolfgang W., Michael B., Thorsten W. und Frank H. schließen sich an. Dem Antrag, U.s Rücken amtsärztlich untersuchen zu lassen, schließen sich die Verteidiger*innen von Markus K., Wolfgang W., Michael B. und Thorsten W. an.
RAin Schwaben mutmaßt, dass U. sicherlich bereits wieder im Gefängnis säße, hätte er nicht seine Rolle gespielt. Sie verweist dabei auf die Aussage der nach Jens W. für U. zuständigen Bewährungshelferin, Nadja Sch., derzufolge U. nicht resozialisierbar sei.
Michael B.s Verteidiger RA Mandic begrüßt die Ausführungen von RA Becker, sagt aber, er mache sich keine Illusionen hinsichtlich eines Haftbefehls. Der ganze Prozess sei eine „schiefe Konstruktion“. U. sei von Anfang an „als Quelle oder V-Mann geführt“ worden. Es gehe hier um rechtsstaatswidrige Praktiken zu dem Zweck, alle möglichen Gruppierungen „abseits vom Mainstream“ zu kriminalisieren: Prepper, Mittelalterfans oder Germanengläubige. [RA Mandic ist sichtlich erregt und wird immer lauter.] U. hetze auf, er bekomme hier den roten Teppich ausgerollt und ziehe seine Show ab. Wegen seiner Rückenschmerzen habe er per Fax Prozesstage absagen lassen. Der VR unterbricht ihn, doch der RA redet weiter. Schließlich wird sein Mikrofon abgestellt.
Polizist Kai-Uwe K. bestätigt die Aussagen seines Kollegen Peter H.
Nach einer kurzen Pause erscheint der Zeuge Kai-Uwe K., ein 28-jähriger Polizeiobermeister bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) Göppingen. Eingangs erläutert er, er sei vor der Überführung von Markus K. von Karlsruhe nach Detmold ab Januar 2020 in das Verfahren involviert gewesen. Er sei bei Durchsuchungen in Bayern beim Angeklagten Werner S. und bei der Auswertung der Funde am darauffolgenden Samstag anwesend gewesen. Im Verlauf der Befragung bestätigt K. die Darstellung des ersten Zeugen an diesem Tag über den Ablauf der Überführung. Der Zeuge berichtet, Markus K. habe hinter ihm gesessen und sehr geknickt gewirkt. Vom Gespräch habe er nur Wortfetzen mitbekommen, da er telefoniert habe. Im Anschluss an einige wenige Fragen der Verteidigung wird der Zeuge entlassen.
Der VR bittet um Erklärungen zu den Äußerungen des Zeugen. RA Picker verkündet, er halte an der Frage fest, ob die Aussagen trotz einer fehlenden korrekten Belehrung verwertbar seien.
RA Mandic stellt einen Befangenheitsantrag gegen den VR
Dann stellt RA Mandic einen Befangenheitsantrag gegen den VR. Dafür kommt der RA auf den Vorfall zurück, bei dem ihm zuvor das Mikrofon abgeschaltet wurde. Er gibt bekannt, sein Mandant Michael B. lehne den VR ab. B. habe „ganz erhebliche Spannungen“ zwischen dem VR und seinem Verteidiger bemerkt, da der VR den RA erst unterbrochen und ihm dann nicht wieder das Wort erteilt habe. Diese Spannungen und die Zurechtweisungen ließen Michael B. befürchten, der VR wolle Paul-Ludwig U. beispringen. Der VR sei „unangemessen feindselig und unsachlich“.
Der VR sagt nichts zu dem Befangenheitsantrag und fährt mit einigen Hinweisen fort. Er erklärt, die Audiodateien der abgehörten Telefonate seien durch die Wasserzeichen [die man hinzufügte, um eine Weitergabe der Dateien beispielsweise an die Medien zu vermeiden] zu groß für viele der von der Verteidigung abgegebenen USB-Sticks.
Dann verkündet der VR den Beschluss zu einem früheren Antrag, nämlich dem Sachverständigen Winckler aufzugeben, die Exploration von Paul-Ludwig U. vollständig durch eine Bild-Wort-Aufnahme zu dokumentieren. U. verwahre sich dagegen, und eine solche Aufzeichnung sei nicht zwingend notwendig, da eine Exploration keine Verhandlung sei, so der VR.
Am Ende dieses Verhandlungstags weist der VR darauf hin, dass es dem Senat obliege, „zu jeder Zeit die Haftvoraussetzung zu prüfen“. Er sehe derzeit keine Veranlassung dazu. Damit endet dieser Verhandlungstag.