Prozesstag 15: Bewährungshelfer W. hält U. für einen Schwätzer, nicht für einen Gewalttäter

Am 15. Prozesstag vor dem OLG Stuttgart am 30. Juni 2021 wurde die Befragung des Zeugen Jens W. vom Vortag fortgesetzt. Er ist der ehemalige Bewährungshelfer des Angeklagten Paul-Ludwig U. und stand auch anschließend mit ihm in regem Kontakt. Die Bundesanwaltschaft (BA) und die Verteidigung hatten die Möglichkeit, ihn zu befragen. Im Fokus der Verteidigung standen dabei vor allem Fragen nach der Glaubwürdigkeit von U., aber auch die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Zeugen. Diesem wurde eine zu große Nähe zu seinem Probanden unterstellt. Am Ende des Verhandlungstages wurde eine abgehörte Aufnahme eines Gesprächs zwischen dem Angeklagten U. und dem Zeugen W. angehört, in der U. die Verbindung der „Bruderschaft Deutschland“ mit sämtlichen großen Rockerclubs erwähnt.

Der 15. Prozesstag am 30. Juni 2021 startet mit der Vernehmung des Zeugen Jens W. W. war der erste Bewährungshelfer des angeklagten Quasi-Kronzeugen Paul-Ludwig U. nach dessen Haftentlassung 2016 [siehe hierzu den Bericht zum 14. Prozesstag]. W. war am Vortag vom VR ausführlich zu seinem Verhältnis zu Paul-Ludwig U. und seiner Rolle als Bewährungshelfer und Führungsaufsicht befragt worden. Nun erhalten die anderen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, Fragen an den Zeugen zu stellen.

Als erste befragt die Oberstaatsanwältin (OStA) bei der Bundesanwaltschaft Dr. Bellay den Zeugen W. Sie bittet ihn, von seinen Erinnerungen an U.s Erzählungen über das Treffen an der Hummelgautsche zu berichten. Der Zeuge erinnert sich, dass er davon gehört habe, aber er könne nicht mehr genau sagen, was er von U. und was aus der Presse erfahren habe. Die OStA fragt zudem, ob es ungewöhnlich sei, dass ein Proband sich selbst als Quelle offenbare. W. gibt an, so etwas habe er vor U. noch nicht erlebt. Er habe U. darauf angesprochen und gefragt, wie er denn in die rechte Szene hineingekommen sei. U. habe angegeben, über Chats den Zugang erhalten zu haben. Auch vom Vorfall mit der CO2-Waffe [die Polizei erwischte ihn damit am Heidelberger Bahnhof auf dem Weg zu einem Treffen] habe U. ihm erzählt, dass er nun ein Verfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes erwarte. Die Waffe habe er zum Selbstschutz getragen. OStA Bellay zeigt sich irritiert darüber, dass U. im Telefonat behauptet habe, der Generalbundesanwalt werde die Heidelberg-Geschichte für ihn regeln. Auf die Frage, ob W. das kritisch hinterfragt habe, kann dieser sich nicht daran erinnern.

Ist U. bereit, den Drohungen Taten folgen zu lassen?

Am Vortag hatte W. ausgesagt, dass von U. auch Stammtischparolen zu hören gewesen seien. OStA Bellay liest aus der Zeuginnenvernehmung der späteren Bewährungshelferin Nadja Sch. vor, dass sie U. als ambivalent wahrgenommen habe. Er habe beispielsweise von „guten und schlechten Flüchtlingen“ gesprochen. Dem Zeugen W. kommt das bekannt vor. Angesprochen auf Gewaltandrohungen in Richtung der Staatsanwaltschaft Paderborn [die U. wegen einer Geiselnahme verurteilt hatte], dass U. dort reingehe und nicht als einziger erschossen werde, erörtert der Zeuge W., dass er U. bei bestimmten Themen schon sehr aufgebracht erlebt habe, aber nicht so krass wie es hier geschildert werde. Das betreffe einige Ärzte aus seiner Zeit in der Psychiatrie oder diese Staatsanwaltschaft. Letzten Endes habe er das als „Gerede“ empfunden, da U. nach Ansprache auch wieder schnell runtergekommen sei. Die Formulierungen von U. seien zwar deftig gewesen, aber ohne konkrete Drohungen.

Die Frage der StA Dr. Maslow, ob Paul-Ludwig U. Anerkennung auch um den Preis, andere zu schädigen, suchen würde, sagt W. aus, dass er das tendenziell verneinen würde. Herr U. habe einen ausgesprochenen Gerechtigkeitssinn.

Die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden aus U.s Sicht

Im Folgenden hält RA Just dem Zeugen die Begriffe „verschlossener Brief“ und „Notfallbrief“ vor und möchte wissen, ob diese ihm bekannt vorkommen würden. W. sagt das nichts; er habe einen laut RA Just von U. angekündigten Brief im Falle, dass ihm etwas zustoßen würde, nicht erhalten. Auf die Nachfrage, wie denn U. seine Tätigkeit für die Ermittlungsbehörden beschrieben habe, erklärt W., dass U. der Auffassung gewesen sei, er helfe bei der Aufklärung schwerer Straftaten. Man begrüße seine Mitarbeit und unterstütze ihn.

Gegenüber einer anderen Zeugin soll der Angeklagte U. gesagt haben, dass der Kontakt zu W. ein besonderer sei. Auf die Frage von RA Just, ob er noch zu mehr ehemaligen Probanden einen so engen Kontakt habe, antwortet W., dass er den Kontakt nicht als besonders eng bezeichnen würde. Er erhalte häufiger Rückmeldungen von Probanden, mit denen er länger zusammengearbeitet habe. Zum Teil kämen sie ihn auch noch nach 20 Jahren im Büro besuchen.

Abschließend fragt RA Just, ob der Zeuge W. dem Angeklagten U. Ratschläge zu seinem Verhalten in der Angelegenheit gegeben habe. W. erwidert, er habe U. dazu geraten, einen Anwalt hinzuzuziehen, als er gemerkt habe, wo U. hineingerate. An Ratschläge aus einem Telefonat, beim Treffen am 8. Februar 2020 einen Herzinfarkt vorzutäuschen, kann er sich jedoch nicht erinnern.

Eine von zwei Kontaktpersonen

RA Abouzeid erkundigt sich nach den konkreten Kritikpunkten von Nadja Sch. an Jens W. Laut W. konfrontierte diese ihn mit unqualifizierten Vorwürfen und spielte ihn „schulmeistermäßig herunter“. Solche Gespräche erlebe er nicht oft. An Einzelheiten könne er sich nicht erinnern. RA Abouzeid greift scharf ein, hält dem Zeugen vor, dass er sich manchmal an Kleinigkeiten erinnere, aber wenn es wichtig werde, dann an nichts. Der RA bezieht sich nun auf die Behauptung, W. habe Sch. dafür kritisiert, dass sie zu schnell Dinge aufschreibe, die U. tat oder sagte. Daher will er von W. wissen, ob es Geheimnisse zwischen ihm und U. gebe. Herr W. verwehrt sich dagegen und betont, dass er sich nicht schützend vor den Angeklagten stelle. Er habe auch keine Vertraulichkeit zugesichert.

RAin Schwaben macht darauf aufmerksam, dass sich U. von seinem Bewährungshelfer W. zunächst dramatisch in den Zeugenschutz verabschiedet habe und sich dann doch wieder in mehreren Telefonaten bei ihm gemeldet habe. Sie will vom Zeugen wissen, ob ihn das nicht irritiert habe. Jens W. erklärt, es sei wohl so, dass man im Zeugenschutz zwei Kontaktpersonen benennen dürfe.

Paul-Ludwig U. sprach mit W., wie dieser berichtet, neben seinem Kampf gegen die Justiz auch über die Bewältigung des Alltags. W. erzählt, viele seiner Vorgaben habe U. umgesetzt, beispielsweise Behördengänge. Er habe sich kooperativ gezeigt und sei den Weisungen nachgekommen. Die Abstinenz vom Alkohol habe W. als sinnvoll betrachtet und auch den Eindruck gewonnen, dass U. das im Griff habe. Er könne sich nicht daran erinnern, dass ihm U. vom Met-Konsum in Minden berichtet habe. In Alsdorf habe es nur einen Vorfall gegeben. Zu seiner Zeit im Vellerhof sei U. zwar nach Absprache in die Kneipe gegangen, von Alkoholkonsum sei jedoch nicht die Rede gewesen.

Sorgen um Zukunft, Beruf und Geld

RA Picker erkundigt sich nach der Häufigkeit der Kontakte zwischen dem Angeklagten U. und dem Bewährungshelfer. W. sagt, er habe zu Zeiten der Entlassungsvorbereitung aus der JVA Aachen etwa drei Mal Kontakt gehabt. Zu Beginn seiner Zeit in Freiheit gab es laut W. ein bis zwei Mal Kontakt pro Woche, später weniger, etwa einmal im Monat. Das weiche nicht von anderen Klienten mit ähnlichen Ausgangsbedingungen ab.

RA Picker geht auf eine Aussage W.s ein, derzufolge er keine wesentlichen Veränderungen in U.s Persönlichkeit bemerkt habe, und bittet um eine Konkretisierung. W. sagt, dass es nur punktuelle Änderungen gegeben habe und U. mit der Zeit sicherer geworden sei und sich geöffnet habe.

RA Miksch thematisiert die Probleme beim Umgang mit Geld und will wissen, ob W. mit U. darüber gesprochen habe. W. verweist auf die Unterbringung auf dem Vellerhof. Im Herbst 2018 habe U. im Bereich Lager und Logistik gearbeitet, was er trotz prekärer Bedingungen begeistert angenommen habe. Er sei immer daran interessiert gewesen, eigenes Geld zu verdienen. Zukunftsängste habe er in finanzieller, beruflicher und gesundheitlicher Hinsicht gehabt.

Ob Paul-Ludwig U. und Jens W. einander duzen oder siezen würden, lautet die Frage von RA Grassl. Man sieze einander, so die Antwort.

Eine neue Akte

RAin Rueber-Unkelbach fragt nach einer Zweitakte, die W. über U. angelegt habe. W. gibt an, die Akte habe er nach der polizeilichen Vernehmung zu seiner Sicherheit angelegt, weil absehbar gewesen sei, welches Ausmaß der Prozess annehmen würde. Konkret nach den letzten Kontakten seit Prozessbeginn am 13. April 2021 gefragt, zählt der Zeuge W. fünf Termine zwischen April und Juni auf. Auf Nachfrage der RAin erklärt er sich bereit, die Zweitakte den Prozessbeteiligten zur Verfügung zu stellen.

Im weiteren Verlauf bestätigt der Zeuge W., dass Paul-Ludwig U. ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis habe. Auf die Frage nach den Wohnverhältnissen und Lebensumständen des Angeklagten kann der Zeuge nur grob sagen, dass U. in einer Wohnung lebe und eine Freundin habe.

Wie U. denn den Prozess wahrnehme, möchte RAin Rueber-Unkelbach wissen. Mit Blick auf seine Unterlagen erinnert sich W. daran, dass U. ihm relativ unaufgeregt geschildert habe, dass der Prozess eine große Sache sei. Der Zeuge kann sich jedoch nicht daran erinnern, dass U. von einer Last oder Abwechslung sprach. Dagegen habe U. berichtet, dass seine Glaubwürdigkeit angezweifelt werde. Das habe U. weder empört noch amüsiert erzählt, sondern eher selbstsicher im Sinne, dass er zu seiner Aussage stehe. W. berichtet weiter, U.s größte Sorge in juristischer Hinsicht sei, dass er wieder ins Gefängnis müsse. Nach dem Waffenfund in Heidelberg hätten jedoch die ermittelnden Beamten des LKA U. beruhigt, dass dieser Fund nicht zum Widerruf der Bewährung [aus dem vergangenen Prozess gegen U.] führen werde.

Zeuge W. wusste ab Herbst 2019 von der Anschlagsplanung

Der VR erklärt, die Zweitakte des Zeugen W. werde allen Verfahrensbeteiligten als Scan zur Verfügung gestellt. Darin befänden sich aus dem alten Ordner noch das Stammblatt mit den persönlichen Daten und des Betreuungsverlaufs, der Inhalt sei jedoch laut Aussage von Herrn W. nicht mehr vorhanden, da dieser an die Nachfolgerin Frau Sch. gegangen sei. Der VR skizziert den zeitlichen Verlauf des Aktenmaterials, das am 22. November 2018 auf Seite 90 ende und nach einer langen Lücke erst am 28. April 2020 wieder einsetze. Es befänden sich lose Blätter mit prozessorganisatorischen Inhalten darin, Notizen von W. zur Vernehmung durch Herrn B. und Zeitungsartikel. Der VR stellt fest, dass in der Akte „ein ganz beträchtlicher Betreuungsaufwand, den Sie da betrieben haben“ bis zur Übergabe des Falls nach Mosbach zu erkennen sei. Der Zeuge bestätigt, dies sei außergewöhnlich für Probanden.

RA Siebers fragt, wann Paul-Ludwig U. dem Zeugen erstmals von der Anschlagsplanung erzählt habe. Der Zeuge ordnet das grob in den Zeitraum Herbst 2019 ein. Die Situation habe sich schnell zugespitzt. Mit Frau Sch. habe U. nicht über die Anschlagsplanung gesprochen, berichtet W. Erst, als öffentlich über U. und den Prozess berichtet wurde, habe er mit ihr am Telefon darüber geredet.

In der weiteren Befragung durch RA Siebers geht es um die Frage, wie glaubwürdig U. auf den Zeugen W. gewirkt hat. Bei der Vorgeschichte sei er nicht überrascht gewesen, dass man U.s Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehe, gibt W. an. Er habe ihm auch nicht alles geglaubt, im Großen und Ganzen aber schon.

U. hofft auf ein geringeres Strafmaß

Hat Paul-Ludwig U. sich Hoffnung auf ein geringeres Strafmaß gehabt habe, möchte RA Mandic vom Zeugen W. wissen. Der gibt an, U. habe sich von seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden ein niedrigeres Strafmaß erhofft, auch wenn ihm diesbezüglich niemand eine Zusicherung gegeben habe.

RA Mandic liest Jens W. die Borderline-Charakterisierung eines Psychiaters vor und fragt W., ob er darin Paul-Ludwig U. wiedererkenne. Der verneint das: U.s Bedürfnis nach Aufmerksamkeit könne nicht in die Nähe einer psychiatrischen Auffälligkeit gerückt werden.

W. traut U. nicht zu, seine Gewaltäußerungen in die Tat umzusetzen

Der VR erwähnt, dass am 2. Oktober 2019 das erste Mal von einem möglichen Zeugenschutz für Paul-Ludwig U. gesprochen worden sei. RA Kist zitiert eine Aussage U.s, er müsse beim Treffen in Hamburg Bier trinken, um nicht aufzufallen. Außerdem habe U. gesagt, man plane Anschläge in jedem Bundesland mit zwei Zehnergruppen, bei denen es 800 Tote geben könne. RA Hörtling fragt den Zeugen W. nach U.s Äußerungen über Gewalt. W. erwidert, er glaube, U. gut genug zu kennen, um zu wissen, dass dieser so etwas nicht in die Tat umsetzen würde.

RA Flintrop geht auf das Verhältnis U.s zur Polizei ein und spricht auf eine Facebook-Freundschaft mit einem Polizisten an. W. verweist auf den Fall, dass U. in den 90er Jahren einen Polizisten als Geisel genommen habe. Es habe später eine Art Täter-Opfer-Ausgleich gegeben, aus dem sich ein guter Kontakt ergeben habe. Dieser sei auch über Facebook fortgesetzt worden.

RA Flintrop fragt nach, wovon denn U. Ende 2019 bzw. Anfang 2020 gelebt habe und ob das LKA 100 Euro zum Unterhalt beigesteuert habe. W. erinnert sich daran, dass U. im Telefonat von einer Unterstützung gesprochen habe, kann sich aber an die Form, den Umfang und den Zeitpunkt nicht mehr genau erinnern.

Der VR ruft zur Zurückhaltung bei psychologischen Einschätzungen auf

RA Flintrop weist auf eine TKÜ-Notiz hin, derzufolge W. im Telefonat am 28. April 2020 von U. auf eine bevorstehende Vernehmung hingewiesen wurde. RA Flintrop deutet hier eine Parallele zum 17. Juni 2021 an, bei der U. den Zeugen ebenfalls kurz zuvor vorgewarnt habe.

Der VR verliest Zitate aus dem letzten Gutachten von Prof. Kröber über den Angeklagten Paul-Ludwig U.: Demnach gebe es „keine Persönlichkeitsstörungen“ und „schon gar nicht schwere Persönlichkeitsstörungen“. Es läge auch kein Hinweis auf eine Borderline-Erkrankung vor. Der VR bittet die Verfahrensbeteiligten um Zurückhaltung bei psychologischen Einschätzungen und verweist auf die Arbeit des Sachverständigen Dr. Winckler.

Keine Knastsehnsucht bei U.

RA Becker fragt Jens W., ob U. „Knastsehnsucht“ habe. Der Zeuge, dem das Phänomen bekannt ist und der in seiner Laufbahn rund 20 Langzeitinhaftierte betreut hat, sieht bei U. keinerlei Anzeichen für eine solche Sehnsucht. Vielmehr sei U. „ein großer Klotz vom Herzen“ gefallen, als er das Gefängnis habe verlassen können. Dass er noch einmal in der JVA Köln habe einsitzen müssen, sei seiner Einschätzung nach Folge einer Kurzschlusshandlung gewesen.

RA Becker greift U.s frühere Äußerung auf, dass er im Zeugenschutz mit niemanden sprechen dürfe, sich dann aber doch zwei Kontaktpersonen habe aussuchen dürfen. Wie es zur Auswahl der beiden Kontaktpersonen gekommen sei, möchte er wissen. W. sagt aus, dass U. nach der Haft nur relativ wenige Bezugspersonen gehabt habe, mit denen er länger im Kontakt gestanden habe. Die zweite Person sei vermutlich ein früherer Psychiater, zu dem U. scheinbar einen guten Kontakt habe.

RA Becker springt zum Thema „Duzen“ und möchte ein Telefonat vom 13. Januar 2020 in Augenschein nehmen, in dem der Zeuge den Angeklagten U. geduzt habe. Dies widerspreche W.s vorheriger Aussage.

U. rechnete mit Waffeneinsatz beim Treffen in Minden

In einem Telefonat, das RA Hofstätter dem Zeugen vorhält, geht es um das Thema Waffen. Darin scherzt U. mit W., dass er keine Waffen mehr tragen dürfe. Beim Treffen in Minden am 8. Februar 2020 würde er aber eine Waffe tragen. Die GSG9 sei vor Ort, während unter den Teilnehmern des Treffens auch KSK-Soldaten und Fremdenlegionäre seien. Der Zeuge erinnert sich daran, dass einmal über ein Treffen gesprochen worden sei, bei dem von einem möglichen Waffeneinsatz die Rede gewesen sei. RA Hofstätter hält dem Zeugen eine Äußerung vor, in der U. sagte, er könne möglicherweise „als gefallener Terrorist in die Geschichte eingehen“, und dass man dann Leute informieren müsse. An eine solche Aussage kann sich der Zeuge nicht erinnern. Es sei aber darüber gesprochen worden, dass Waffen im Spiel seien und dass es nicht ungefährlich sei, wenn sich jemand einer Festnahme widersetze.

RA Herzogenrath-Amelung fährt mit U.s Persönlichkeit und Rolle fort. Hatte der Angeklagte Minderwertigkeitskomplexe? Ja, meint der Zeuge, aber er habe versucht, diese durch sein Äußeres mit Metallica-Shirt und Sonnenbrille zu überspielen. Allgemein strebe U. nach Anerkennung und Lob. U. sei die Doppelrolle als Zeuge und Angeklagter bewusst. Gegen den Vorwurf, dass er unglaubwürdig sei, entgegne U., die Wahrheit zu sagen.

Welche Aktenteile entfernte Jens W.?

RA Stehr weist zu Beginn seiner Befragung ausdrücklich auf die Wahrheitspflicht hin. Nach Meinung des Anwalts kam es in der Mittagspause zu einem „Zwischenfall“ bezüglich der zur Verfügung gestellten Akte. Kollegen hätten gesehen, dass der Zeuge Dokumente aus der Akte entnommen habe, darunter auch E-Mails. Der Zeuge verteidigt sich. Er habe gedacht, dass nicht die ganze Akte relevant sei, sondern nur die Dokumentation seines Kontakts mit dem Angeklagten U. Deshalb habe er Presseartikel und Verfahrensunterlagen wie die Schweigepflichtentbindung seiner Vorgesetzten entfernt. Warum eine E-Mail fehle, könne er sich nicht erklären. Er habe jedoch keinen Grund, etwas zu verschweigen.

RA Stehr erkundigt sich, ob der Zeuge E-Mails lösche. Der bejaht: Regelmäßig lösche er E-Mails, nachdem er sie in das SoPart-Programm [Software unter anderem für die soziale Arbeit] übertragen habe. In seine Dokumentation über den Kontakt mit U. schreibe er nur auf, was U. gesagt habe. Seine eigenen Aussagen müsse er nicht protokollieren. RA Stehr wundert sich darüber offenbar und möchte abschließend wissen, ob U. gegenüber W. gesagt habe, dass ein Mitangeklagter seine Angaben bestätigt habe, und dass man ihm vorwerfe, seinen ehemaligen Bewährungshelfer zu manipulieren. W. erwidert, er könne sich nicht daran erinnern, dass U. von einer vollumfänglichen Bestätigung seiner Aussage durch einen Mitangeklagten gesprochen habe. Davon, dass man U. Manipulation vorwerfe, hingegen schon.

Als letzter aus der Reihe erhält RA Sprafke die Möglichkeit, den Zeugen zu befragen. Er geht auf ein Telefonat ein, in dem U. gesagt habe, OStA Zacharias wisse über das Mitführen seiner Waffe für das Treffen Bescheid. Der Zeuge kann sich zwar nicht an diese Aussage erinnern, er habe den Namen aber schon mal in einem Telefonat mit U. gehört.

U. als Teil einer Strafexpedition der „Bruderschaft Deutschland“

Auf diverse Fragen von RA Becker kann W. nur antworten, dass er sich nicht erinnern könne. Oft geht es dabei um Telefonate zwischen W. und Paul-Ludwig U. RA Becker beantragt daher, die Telefonate abzuspielen, damit W. seine Erinnerungen auffrischen könne. Anschließend wird das rund 25-minütige Telefonat zwischen dem anrufenden Angeklagten U. und dem Zeugen W. vom 13. Januar 2020 abgespielt.

In dem Telefonat erzählte U., er sei am vorangegangenen Samstag auf einem Treffen der „Bruderschaft Deutschland“ gewesen, wo er sein „Bruderschaft“-T-Shirt bekommen habe. Die „Bruderschaft“ habe ein Problem mit einem Mitglied aus Bayern, einem Kampfsportlehrer, der rausgeschmissen worden sei, aber seine Sachen nicht zurückgeben wolle. Jetzt sei geplant, dass U. und fünf andere zu ihm fahren sollten und dabei „alle Freiheiten“ hätten. U. fragte sich, ob sie ihn nebst Frau und Kinder umlegen sollten, und ob U. eine Festnahme riskieren sollte, wo doch das Treffen in Minden anstehe.

U. sagte, er habe alle Führungsmitglieder der „Bruderschaft“ in seinem Kontakt [vermutlich auf seinem Handy]. Das zeige er denen [vom LKA?] morgen auf Telegram und Signal. „In welcher Zwickmühle [zwischen der Verhinderung dieses Plans der „Bruderschaft“ einerseits und dem Schutz von U. als Informationsquelle bezüglich der „Gruppe S“ andererseits] wir da drin sind“, so U. weiter. Die Sache könne böse enden. Andererseits würde er das Treffen am 8. Februar gefährden, bei dem es um mehr Menschenleben gehe. U. fragte sich, was aus ihm wird und wie er aus dieser Situation wieder rauskommt. Er erwähnte, dass er in der „Bruderschaft Sektion Süd“ für Bayern und Baden-Württemberg Mitglied sei.

Mensch, wie tief bist du gesunken“

„Mensch [U.], wie tief bist du gesunken. Man, man, man“, entfuhr es W. Laut U. habe das LKA gesagt: „Mit wem Sie alles in Kontakt sind, da hätten wir Jahre für gebraucht.“ Sein Vorteil sei seine Vorgeschichte, nachteilig wirke jedoch, dass er in der Öffentlichkeit bekannt ist. Das laufe alles auf ein Programm [Zeugenschutz] hinaus, so U. Sein Facebook-Konto habe er gelöscht. W. griff das Thema auf. Das Problem liege in der Wurzel, nämlich als U. in Aachen aus der Haft kam und über sein Smartphone alles Mögliche bewertet habe. [Dabei schrieb U. wiederholt öffentlich, dass er unter anderem lange in Haft war.]

U. erzählte, dass langjährige Mitglieder der „Bruderschaft“ sich wundern würden, wer er denn sei, dass er mit der „High Society“ der „Bruderschaft“ verkehre. Nun komme noch etwas Neues hinzu. Er erwähnte eine Weihnachtsfeier, von der er nun Bilder [an das LKA] geschickt habe. Die „Bruderschaft“ sei nun mit dem „MC Gremium“, den „Hells Angels“ und den „Bandidos“ verbündet. In Düsseldorf mit den „Bandidos“, in Baden-Württemberg halte man Treffen in einem Clubhaus der „Hells Angels“ ab. U. berichtet noch von einer Feier, bei der man auf einer Kegelbahn gewesen sei und Rechtsrock gehört habe. U. habe an diesem Abend bei einem von der „Bruderschaft“ in Karlsruhe übernachtet.

Nebenbei laufe noch die „Heidelberg-Geschichte“ [der Waffenfund], so U. Er habe „Paderborn im Nacken“ [die dortige Staatsanwaltschaft] und jeder sage „Wir regeln das“. Er erhalte aus Paderborn Briefe, leite diese an die ermittelnden Beamten weiter, die dann sagen: „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Wenn U. das mit dem Zeugenschutz erwähne, sei das vorbei. [Er fürchtete offenbar, dass die Staatsanwaltschaft Paderborn mit dem Verfahren, das dort noch gegen U. anhängig war, seinen Zeugenschutz gefährden könnte.] Auch er bekomme nicht alles gesagt. Er hänge in der Schwebe und wisse nicht, was er machen soll.

Persönliche Sympathien des Angeklagten für „Bruderschaftler“

U. ging in dem Telefonat auf etwas für ihn Wichtiges ein. Einige Leute aus der „Bruderschaft Deutschland“ möge er „volle Kanne“. Die seien ja nicht alle durchgeknallt. Ralf N. sei ein „klasse Typ“. Und dann lasse man die über die Klippe springen, wenn auch zurecht. W. mahnt U. zur Konsequenz: „Wer A sagt, muss auch B sagen.“

U. kam erneut auf sein Paderborn-Problem zu sprechen. Er befürchtete, die Staatsanwaltschaft könne seine Bewährung widerrufen. W. beruhigte ihn, dass es dafür erstmal eine Verurteilung brauche. Schließlich verabschiedete sich U. mit den Worten „Wenn wir uns gar nicht mehr hören: War schön, Sie kennengelernt zu haben“, worauf W. antwortet: „Dann schicken Sie eine schöne Postkarte.“

RA Becker verweist darauf, dass man dieses Gespräch exemplarisch gehört habe und fragt, ob das immer so lange gegangen sei. W. antwortet, es habe ähnlich lange, aber auch erheblich kürzere Gespräche gegeben. RA Becker meint, der Angeklagte klinge im Gespräch alkoholisiert. Diesen Eindruck kann W. jedoch nicht bestätigen. Er erklärt, dass er an zwei, drei Stellen den Probanden duzte, könnte mit einem vorherigen Telefonat zu tun haben, in dem er seinen Gesprächspartner geduzt habe.

Der VR kündigt zum Ende dieses Verhandlungstages an, am folgenden Prozesstag werde der Beamte Herr B. zur Vernehmung des Angeklagten Frank H. befragt, am Mittwoch dann die Polizisten G. und K. zur Vernehmung des Angeklagten Markus K.

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