Der 14. Prozesstag am 29. Juni 2021 widmete sich der Person Paul-Ludwig U. und seiner Glaubwürdigkeit. Dazu wurde dessen Bewährungshelfer Jens W. befragt. W. war von 2016 bis 2018 Bewährungshelfer von Paul-Ludwig U., als dieser in NRW wohnte beziehungsweise inhaftiert war. Ihre Klienten-Betreuer-Beziehung war offenbar relativ intensiv, und der Kontakt hielt auch nach dem Wegzug. Es wurden weitere Details aus der Lebensgeschichte von U. bekannt. In den 1990er Jahren wurde U. zu mehreren Jahren Haft verurteilt, weil er eine Polizistin als Geisel genommen hatte. Nach dieser Haftstrafe wurde er erneut wegen einer Geiselnahme inhaftiert, diesmal jedoch mit elf Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens mit ungünstiger Prognose. Offenbar um ein neues Gutachten zu provozieren, stahl er ein Auto, was ihm erneut vier Monate Haftstrafe einbrachte.
Dem Bewährungshelfer Jens W. zufolge wurde U. 2017 entlassen und auf einem Hof in der Eifel untergebracht. Hier lebte er zunächst unauffällig, aber beging dann einen Fahrzeug-Diebstahl unter Alkoholeinfluss. Anschließend musste U. ab Oktober 2017 bis Juli 2018 eine Haftstrafe in der JVA Köln verbüßen. Nach seiner Entlassung kam er zuerst in Alsfeld unter, zog aber im November 2018 nach Mosbach in Baden-Württemberg zu seiner Schwester. Damit erlosch das Betreuungsverhältnis mit dem Bewährungshelfer Jens W. Dessen Nachfolgerin Nadja Sch. hatte eine negativere Einschätzung von U. und einen strengeren Umgang mit ihm. U. kam mit seiner neuen Bewährungshelferin nicht gut aus. Stattdessen blieb Jens W. eine wichtige Vertrauensperson, mit der U. telefonisch Kontakt hielt. Dabei erzählte U. Jens W. dessen Bericht zufolge davon, dass er, U., in extrem rechte Kreise geraten sei und an Treffen teilgenommen habe. Ebenfalls erzählte er, dass er schon früh Kontakt zu Behörden aufgenommen habe und als eine Art Informant agiere.
Zu Beginn der Verhandlung kommt der Zeuge Jens W. in den Saal. Der 59-Jährige aus Aachen war Bewährungshelfer und Führungsaufsicht von Paul-Ludwig U. Im Schnitt hat W. seiner eigenen Einschätzung nach 75 bis 85 Klient*innen, derzeit seien es über 80. Im Falle von psychischen Auffälligkeiten und psychischen Erkrankungen verlasse er sich auf die Diagnosen des Gerichts und bei Ex-Häftlingen auf die Entlassungsberichte. Grundsätzlich mache er sich aber auch ein eigenes Bild, da Menschen sich ändern könnten und eine Entwicklung möglich sei.
Der Vorsitzende Richter (VR) fragt nach W.s Verhältnis zu U. Der Zeuge antwortet, U. melde sich ab und zu bei ihm. „Wobei der Kontakt unregelmäßig stattfindet.“ Als U. im November 2018 nach Baden-Württemberg verzogen sei, habe er seinen Bewährungshelfer W. darum gebeten, telefonischen Kontakt zu halten. U. habe „in unregelmäßigen Abständen davon Gebrauch gemacht“. Außerdem habe er U. „als kooperativen Menschen erlebt, und ich freue mich, wenn er anruft.“ Aber er wahre eine professionelle Distanz.
Zuletzt habe er zu U. vor zwei Wochen telefonisch Kontakt gehabt. Da habe U. gesagt, dass er beim Roten Kreuz arbeite. Er sei im Impfzentrum eingesetzt und hoffe auf eine Übernahme und darauf, später als Sanitäter zu arbeiten. Über das Verfahren habe er nur erzählt, was in der Presse stand. Der Erstkontakt mit U. habe im November 2016 in der Haft im Rahmen der Entlassungsvorbereitung in der JVA Aachen stattgefunden. Die Beziehung habe sich zwischen November 2016 und heute nicht wesentlich verändert. Man habe ein paar Konflikte ausgetragen, aber die seien nicht heftig gewesen und hätten sich geklärt.
U.: Nach Einschätzung seines Bewährungshelfers facettenreich, aber ehrlich
U. habe eine „sehr facettenreiche Persönlichkeit“. Er sei ein „sehr kommunikativer Mensch“. Er spreche „Dinge sehr schnell und sehr spontan an“. „Manchmal ein bisschen chaotisch.“ Das habe er bei den Wohnverhältnissen gesehen. Er könne aber auch strukturiert sein, etwa beim Umgang mit den Behörden. Er sei „temperamentvoll“ und manchmal auch „depressiv“. „Ich schätze ihn als offen und als ehrlich ein.“
W. berichtet weiter, er kenne das letzte Gutachten vom Februar 2016. [In diesem werden frühere Gutachten über U. revidiert. Diese früheren Gutachten enthielten eine ungünstige Prognose und führten dazu, dass U. nach seiner regulären Haftstrafe zehn weitere Jahre im Maßregelvollzug verbringen musste.] Das Thema Psychiatrie stehe für U. im Vordergrund. Es sei auch beim ersten Gespräch in der JVA Thema gewesen. „Er fühlte sich völlig ungerecht behandelt“, erinnert sich W. Bei seinem Treffen mit U. nach dessen 21 Jahren in Haft sei U. anfänglich skeptisch gewesen, habe dann aber offen über seinen Kampf gegen die Psychiatrie erzählt. U. habe eine „sehr differenzierte Einstellung zur Justiz“ gehabt, berichtet W. Das habe ihn überrascht.
U. habe die Psychiater namentlich benannt, die ihm aus seiner Sicht geschadet hatten, und die, die ihm geholfen hätten. W. habe sich U.s Lebensgeschichte erst einmal angehört. „Ich habe eine gewisse Ungeduld gespürt.“ Mit seinen 44 Jahren habe U. damals darauf gewartet, endlich aus dem Vollzug entlassen zu werden. U. habe seine „verloren gegangenen Jahre“ nachholen wollen. Er habe Wünsche gehabt: „Der Wunsch nach Geborgenheit, nach einer Struktur, einem Job mit geregelten Einkommen.“ In letzter Zeit habe U. weniger von der Psychiatrie berichtet.
U. sei Anerkennung wichtig, aber mehr noch, dass ihm zugehört werde
Der VR fragt nach einem Ranking von Eigenschaften. W. meint, U. sei „offen, kommunikativ, chaotisch“. U. habe nicht versucht, ihn zu manipulieren. Einmal habe U. ein Alkoholverbot für sich selbst gefordert. Beispielsweise habe U. „offen und ehrlich“ erzählt, dass er in Aachen in einer Kneipe zwei Guinness getrunken habe. Er, W., habe das mit dem für die Bewährungshilfe verantwortlichen Richter besprochen und verabredet, keine Maßnahmen zu ergreifen, sondern das Ganze weiter zu beobachten. Hier hätte U. seinen Bewährungshelfer belügen können, habe das aber nicht getan.
U. sei Anerkennung wichtig, aber mehr noch, dass ihm zugehört werde. Und er habe einen „ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“. Gegen Ende der Haft sei U. spürbar unruhig gewesen und hätte am liebsten direkt selbständig in einer eigenen Wohnung gelebt. W. habe ihn etwas bremsen müssen. „Mir schwebte eher vor, dass er in eine betreute Einrichtung kommt.“ Dort hätte U. sich stabilisieren können, um von dort aus neue Wege zu gehen, erklärt W.
Nach zwei oder drei Treffen mit U. vor dessen Anhörungstermin [vermutlich bezüglich der Entlassung aus dem Maßregelvollzug] habe W. ihn im März 2017 in Begleitung von Beamten zu einer Besichtigung des Vellerhofs [eine soziale Einrichtung unter anderem für Wohnungslose, Suchtkranke und Menschen mit Schulden in der Eifel] mitgenommen. „Wir wollten ihn nicht vor vollendete Tatsachen stellen.“ Die Entscheidung, U. in den Vellerhof zu vermitteln, habe sich zunächst als richtig erwiesen. U. habe dort in der Gärtnerei gearbeitet. Doch er habe sich nach einigen Wochen nicht mehr wohl gefühlt. Er habe mehr Freiheiten gesucht und sich als einer der Jüngeren in der Einrichtung nicht gut eingefunden. „Er fühlte sich unterfordert“, erinnert sich W. Außerdem habe U. wenig soziale Kontakte gehabt und Anschluss gesucht.
Nur vier Monate in Freiheit
W. erzählt von seiner Beobachtung, U. habe nach seiner Psychiatrie-Erfahrung nicht so sein wollen, wie andere ihn sähen. Er habe aber Hilfe angenommen. So habe U. nach der zweiten Inhaftierung, nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Euskirchen im Sommer 2018, von sich aus gesagt, dass er eine psychologische Hilfe oder Beratung in Anspruch nehmen wolle, wenn er sich depressiv oder schlecht fühlte. U. habe seine Probleme selbst erkannt. W. habe daraufhin den Kontakt zu einem Psychologen in Aachen hergestellt. Als das neuere Gutachten U. entlastete, habe U. davon triumphierend erzählt. Er habe sich als Psychiatrieopfer gesehen.
Im August 2017 sei U. [wegen seines Autodiebstahls unter Alkoholeinfluss] nach vier Monaten in Freiheit wieder inhaftiert worden. Während der Zeit am Vellerhof habe U. gelegentlich eine Familie in Hagen besucht. Als sich U. am Vellerhof nicht mehr wohlgefühlt habe, habe W. einen Umzug in eine Einrichtung für betreutes Wohnen in Hagen in Betracht gezogen. Dabei habe er jedoch Bedenken gehabt, ob der Umzug und der Wechsel der Bezugspersonen U. überfordern könnten. U. habe sich kurz vor dem Umzug angetrunken, einen Wagen der Gärtnerei des Vellerhofs gestohlen und sei damit die ganze Nacht herumgefahren und zudem auch ohne zu bezahlen getankt. Er habe den Wagen dann in Euskirchen geparkt, sich der Polizei gestellt und gesagt: „Hallo hier bin ich, ich habe Mist gebaut.“
Der VR fragt, ob U. Regeln brauche. Der Zeuge antwortet: „Ein festes Koordinatensystem brauchte er sicherlich“, auch feste Strukturen. W. habe keine Klagen vom Vellerhof gehört. Der Einrichtungsleiter habe gesagt, dass U. Sachen eigenwillig tue, aber man mit ihm reden könne. U. habe sich nie bockig gezeigt. Er sei sehr empfindlich gewesen, wenn man ihm Vorwürfe gemacht habe, zum Beispiel bezüglich der Sauberkeit seines Zimmers. Aber daran habe W. sehen können, dass U. offenbar sein eigenes Leben leben wollte.
„Stellenweise kam er mir vor wie ein Heranwachsender“
W. erinnert sich: „Stellenweise kam er mir vor wie ein Heranwachsender.“ Er habe Metallica-Poster an der Wand gehabt wie ein Jugendlicher. Er habe sich Außenkontakte gesucht. In einer Kneipe habe er mit anderen musiziert. U. habe „diesen Drang nach außen“ gehabt und seinen Radius vergrößern wollen. Man habe daher überlegt, ihm eine Wohnung zu besorgen, wenn auch mit Betreuung.
Nach einer erneuten elfmonatigen Haftstrafe wurde U. am 19. Juli 2018 aus der JVA Köln entlassen. Danach nahm U. der Erzählung seines Bewährungshelfers W. zufolge Kontakt zu seiner Schwester auf. Die Schwester habe sehr vernünftig gewirkt und sich bereit gezeigt, U. aufzunehmen. U. sei dann zu ihr nach Mosbach in Baden-Württemberg gezogen. Er habe sich wohl stellenweise sehr einsam gefühlt. Dieser Umzug nach Mosbach sei für U. gewesen wie ein „Heimkommen“. Das Thema Geborgenheit sei ihm sehr wichtig gewesen. Sein Hauptdefizit seien die sozialen Kontakte. Diese hätten ihm im Vellerhof gefehlt. Da habe U. sehr guten Kontakt zum Sohn der Schwester gehabt. Der habe sich mit der Zeit jedoch verschlechtert.
„U. sei selbstsicher, aber eher vorgetäuscht selbstsicher“
Der VR fragt nach Problemen von U. in Freiheit. W. bestätigt, U. habe Probleme mit Geldausgaben. Dann erkundigt sich der VR, ob U. von dessen Umfeld verurteilt worden sei und wie U. damit umgegangen sei. Der Bewährungshelfer antwortet, habe U. offen kommuniziert habe, dass er Häftling war, und eingestanden habe, dass er Mist gebaut habe. Von U. gab es nach Meinung von W. ein „ganz klares Bekenntnis zu seiner Straftat. Er hat nie versucht, das in ein gutes Licht zu rücken, sich selbst in ein gutes Licht zu rücken. […] Er hat im vollen Umfang dazu gestanden.“ Die Haftstrafe habe U. akzeptiert, die psychiatrische Unterbringung allerdings nicht.
Der VR fragt den Zeugen nach U.s Persönlichkeitseigenschaften. Der gibt an, U. habe in Folge der zweiten Inhaftierung nach der Straftat in Euskirchen Zukunftsängste gehabt. U. habe W. danach in der JVA als „ziemlich begossener Pudel“ gegenübergesessen. U. sei selbstsicher, aber eher vorgetäuscht selbstsicher. Er habe damit seine Unsicherheit überspielt. U. habe auch sehr viel verdrängt, indem er nach seiner Haftzeit versucht habe, sein Leben nachzuholen. Er habe Angst vor dem Ungewissen.
Der Zeuge berichtet, er habe versucht, U. auf die Freiheit vorzubereiten, und dabei beispielsweise lange vor den finanziellen Gefahren von Smartphones gewarnt. Trotzdem habe U. dann mehr Geld ausgegeben, als er sollte. U. habe auf seinem Smartphone zu viel gesurft und sei mit seinem ersten Handyvertrag nicht klargekommen. Außerdem habe er sehr viel auswärts gegessen und oft Dinge im Internet bestellt. Seine Geldprobleme habe U. weitgehend ausgeklammert.
U. habe im Internet sehr viel kommentiert und Dinge bewertet, zum Teil unter Nennung von Details seiner biografischen Vergangenheit. Darauf angesprochen habe U. gesagt: „Oh, was habe ich da gemacht?“ Er sei da etwas unreflektiert.
Bewährungshelferin Nadja Sch.: Zusammenarbeit mit U. unmöglich
Der VR zitiert W., dass U. „auch nach Möglichkeiten gesucht [habe,] seine Geschichte loszuwerden. Das war ja klar.“ W. erläutert, U. habe erkannt, dass er im Internet seine Geschichte verbreiten könne. Er habe sich mal in einem Chat, als „Polizisten-Geiselnehmer“ geoutet. U. habe online auch seine psychiatrische Vergangenheit offen angesprochen, möglicherweise in Erwartung von Reaktionen. Er habe auch Kontakt zum WDR aufgenommen, um seine Geschichte zu erzählen. [Der WDR berichtete über U.s lange Sicherungsverwahrung und das entlastende Gutachten, das zur Freilassung führte.]
W.s Nachfolgerin, die Bewährungshelferin Nadja Sch., schätzte U. offenbar anders ein, wie der VR vorhält: „Eine Zusammenarbeit mit ihm sei nicht möglich gewesen. Laut Sch. habe er die Termine eigentlich genutzt, um sich selbst darzustellen.“ Der VR fragt W., ob er das genauso sehe. W. widerspricht, er habe U. in Gesprächen ganz anders erlebt. Jede Kollegin arbeite eben anders. U. habe sich über Sch. beklagt. W. habe ihm klargemacht, dass er sich Hilfe holen oder einen Wechsel [der Bewährungshelferin] beantragen müsse. Bezüglich U.s Selbstdarstellung, die Sch. beschrieb, erinnert sich W. auch noch an U.s Zeit in der JVA Köln: Da habe U. nur zugehört und W. reden lassen.
Der VR liest einen weiteren Abschnitt aus der Vernehmung der Bewährungshelferin Nadja Sch. vor: „Ich hatte den Eindruck, dass er nicht bewusst lügt, aber seine Erzählungen immens ausschmückt. […] Hatte den Eindruck, dass er Dinge auslässt.“ Einmal habe U. bewusst gelogen. Er habe einen Papierzettel mit einem Termin weggeworfen und das später geleugnet. W. erwidert, daran könne er sich nicht erinnern. Aber er glaube schon, dass U. Anerkennung suche. Es sei ihm wichtig, irgendwann wieder beruflich Fuß fassen zu können. Anders als Nadja Sch. behauptet, sei U. nicht aufbrausend, sondern manchmal nur sauer. U. sei dann lauter geworden, aber wenn W. ihn zurechtgewiesen habe, hat er sich wieder gemäßigt.
Hat Paul-Ludwig U. ein Problem mit Frauen?
Der VR vermutet ein Mann-Frau-Problem. Der Zeuge bestätigt, das sei ihm auch schon aufgefallen. U. habe mit der Mitarbeiterin im Vellerhof Probleme gehabt, mit dem Chef dagegen nicht. Auch im betreuten Wohnen in Alsdorf habe er Probleme mit der Betreuerin gehabt. U. könnte also ein Frauenproblem haben, da wolle er, W., aber nicht pauschalisieren. Jedenfalls sei U. mit der Art von Nadja Sch. unzufrieden gewesen, sie sei ihm zu „dirigistisch“. Er habe U. gesagt, er müsse mit ihr klar kommen.
Er habe U. nicht nur, aber überwiegend als temperamentvoll erlebt, aber in manchen Situationen auch ängstlich oder unsicher. Dann hätten sich depressive Züge gezeigt. In der JVA Köln habe U. eine depressive Phase gehabt, sei hoffnungslos und antriebslos gewesen. U. habe aber keine Psychopharmaka genommen. Er habe bei U. überhaupt keinen Suchtmittel-Gebrauch feststellen können.
Nach der Übergabe an die Bewährungshelferin Sch. habe er unregelmäßig Kontakt mit U. gehabt. Manchmal habe U. sich Monate nicht gemeldet. In einem Telefonat habe U. von der Situation bei seiner Schwester [in Mosbach] berichtet. Anfangs sei sie gut gewesen, dann schwieriger.
Wie kam U. in die rechte Szene?
Als nächstes geht es um die Frage, was U. über seine Kontakte in rechte Kreise gesagt habe. U. habe W. gegen Jahresende 2019 angerufen und erzählt, er habe über das Internet Kontakte bekommen in solche Kreise. Aus den Kontakten hätten sich Treffen entwickelt. U. habe erzählt, das Ganze habe rasant an Dynamik gewonnen. Es sei der Name Teutonico [Werner S.] gefallen. Die Dynamik habe sich schnell entwickelt, mit weiteren Treffen, mit immer engeren Kreisen, in die U. geraten sei. Anfangs habe er noch inhaltlich mit einigem übereingestimmt. Er habe den Eindruck gehabt, dass sich die Situation immer weiter zuspitzt. U. habe große Sorgen und Ängste gehabt. In seinen Berichten habe das alles recht bedrohlich geklungen. U. habe „recht früh Kontakt zur Polizei aufgenommen“. Er habe mal das LKA genannt und die Generalbundesanwaltschaft. Der Name Zacharias [Generalbundesanwältin] sei gefallen. Eine rechtsnationale Gesinnung habe W. bei U. nie festgestellt. Ihn habe überrascht, dass U. in diese Kreise geraten sei. U. habe gesagt, er habe keine rechtsradikale Gesinnung.
U. habe auch von Anschlagsplanungen erzählt. Er habe W. irgendwann angerufen und gesagt, dass diese Gruppe konkrete Anschlagsplanungen habe und sich darauf vorbereite. Damals habe U. auch erzählt, dass er in Kontakt zu den Behörden stehe. Er habe über Moscheen als Ziele gesprochen und der Name Hofreiter [Grünen-Politiker] sei gefallen. U. habe gesagt: „Die wollen einen Bürgerkrieg entfachen.“ Die Planungen seien so konkret, dass sie in naher Zukunft umgesetzt werden könnten, habe U. ihm berichtet. Das erste Mal, als er davon gehört habe, habe er erschrocken gedacht: „In was ist er da schon wieder reingeraten?“ Er habe sich Sorgen um U. gemacht. W. habe ihm auch empfohlen, Kontakt zu einem Rechtsanwalt aufzunehmen. Zu dem Zeitpunkt habe er noch keinen gehabt. Er habe U. auch geraten, das Thema mit seiner Bewährungshelferin zu besprechen, gerade im Zusammenhang mit dem Thema Zeugenschutzprogramm.
U.: „600 bis 1.000 Leute, die losschlagen“
Der VR hält dem Zeugen ein Telefonat vom 18. Oktober 2019 vor, in dem jemand [offenbar U.] sagt: „Würden an einem Tag im Frühjahr zuschlagen. 600 bis 1.000 Leute, die losschlagen.“ Ein weiterer Mann erwidert: „Sie brauchen einen Anwalt.“ W. bejaht: Das sei er wohl. Er habe aber keine konkrete Erinnerung. Der VR fragt W., ob U. davon gesprochen habe, sich bewaffnet zu haben. W. bejaht. U. habe erzählt, dass er zu den Gruppentreffen eine Schreckschusswaffe [tatsächlich war es eine CO2-Pistole] mitgenommen habe.
Anschließend erkundigt sich der VR, in welcher Rolle sich U. gesehen habe: als Quelle, als V-Mann, als Informant? W. erwidert, U. habe ihm gesagt, er sei ein Informant und noch dabei [in der Gruppe], obwohl er nicht mehr gewollt habe. Der VR fragt, ob U. mal erzählt habe, dass er da rausgenommen werden sollte. W. antwortet, U. habe gesagt, dass nach dem letzten geplanten Treffen [in Minden] eine Festnahme erfolgen sollte.
Der VR zitiert aus der Zusammenfassung eins Telefonats vom 10. Februar 2020, die ein Beamter angefertigt hatte: „U. gibt an, am nächsten Tag abgeholt zu werden. Die haben alles auf Video. U. war beim Treffen. Es war tatsächlich geplant, mit 50.000 Euro Waffen zu kaufen und Moscheen anzugreifen.“ Er fragt, ob U. sich danach nochmal bei W. gemeldet habe. W. bestätigt das, U. habe ihn aus dem Zeugenschutz kontaktiert und erleichtert gewirkt.
Der VR unterbricht die Verhandlung für eine Mittagspause zwischen 12.32 Uhr und 13.40 Uhr. Anschließend kommentiert er die bisherigen Aussagen von W. Dieser habe eine „unglaublich differenzierte“ Sicht auf U. Er fragt allerdings, wie es sein könne, dass W. sich an seinen ersten Kontakt zu U. erinnere, aber nicht an die Telefonate über die rechte Szene. W. antwortet, das verstehe er auch nicht. Der VR äußert den Verdacht, W. wolle U. in einem positiven Licht darstellen. W. streitet das ab. Der VR fragt, ob W. das Gefühl habe, U. erfülle seine Rolle mit Stolz. W. bestätigt das: U. habe gesagt, er habe daran mitgewirkt, Schlimmeres zu verhindern. Außerdem habe U. Kinderpornografie im Netz, auf die er gestoßen sei, angezeigt.
Nadja Sch. kritisierte Jens W.s Arbeit scharf
Der Zeuge W. erzählt vom Kontakt mit seiner Nachfolgerin, Frau Nadja Sch. Nach dem Erstkontakt von ihr mit U. habe W. versucht, mit ihr bezüglich des Zeugenschutzprogramms zu telefonieren. Sch. habe ihm vorgeworfen, er habe seine Arbeit mit U. falsch gemacht. Sie sei ziemlich anmaßend geworden und habe gesagt, er habe so ziemlich alles falsch gemacht, sie würde jetzt alles richtig machen. Sie habe eine andere Arbeitsweise: Er höre seinen Klienten zu, Sch. hingegen arbeite einen Katalog mit U. ab. Wegen der Differenzen mit seiner Bewährungshelferin habe U. nicht ausgeschlossen, nach Aachen zurückzukehren, um wieder von W. betreut zu werden. Das sei aber kein konkreter Plan gewesen.
Ein Alkoholmissbrauch sei ihm bei U. nie aufgefallen. W. verweist erneut auf den Guinness-Vorfall, den U. offen zugegeben habe. U. hätte im Vellerhof auch Zugang zu Alkohol gehabt. Bis zu dem Autodiebstahl habe U. seines Wissens aber nie mit Alkoholmissbrauch zu tun gehabt, und beim Diebstahl sei der Alkohol wohl nur Tatbegleiter und nicht die Tatursache gewesen.
Der VR zitiert einen Bericht von Jens W. vom 24. Juli 2018: „Herr U. hat sich nach der Verbüßung seiner Strafe in Alsdorf am ersten Tage nach seiner Haftentlassung zum Jobcenter angemeldet. Er [U.] regt als ergänzende Weisung an, sich des Genusses alkoholischer Getränke gänzlich zu enthalten.“ Daraufhin erhielt U. am 10. Oktober 2018 ein Alkoholverbot gemäß einem Beschluss des Landgerichts Aachen. Nadja Sch. habe gesagt, so der VR, U. habe Probleme mit dem Alkohol. Sie habe auf den Beschluss verwiesen, und U. habe gesagt, dass W. behaupte, so einen Beschluss gebe es nicht. W. habe gesagt, ein oder zwei Bier seien okay. W erklärt, im September oder Oktober habe er mit U. über einen einmaligen Bierkonsum gesprochen. Er habe U. zwar nie gesagt, dass Alkohol okay sei, aber ihm gegenüber geäußert, dass er es ihm hoch anrechne, dass U. den einmaligen Konsum angesprochen habe. Der VR verliest eine negative Einschätzung von Nadja Sch. über U: Herr U. neige in Krisenzeiten zu Alkoholkonsum und könne zur Gefahr werden.
Wie wichtig ist U. mediales Interesse?
Nach den Gesprächen in der Kölner JVA [U. musste nach einem Diebstahl unter Alkoholeinfluss noch einmal elf Monate Haft verbüßen.] habe W. ihm damals Gespräche mit einem Psychotherapeuten vermittelt.
Nun befragt der Sachverständige Winckler, der ein Gutachten über U. erstellen soll, den Zeugen W. Ihm erklärt W., er habe bei U. nie Krankheitssymptome oder Hinweise auf Wahnvorstellungen festgestellt. Nach Facetten von U.s Persönlichkeit gefragt, antwortet W.: Lebhaftigkeit, Niedergeschlagenheit, Unorganisiertheit. U. habe Schwächen selbst erkannt. Abstinenzkontrollen seien zwar geplant gewesen, aber die Zeit habe nicht ausgereicht. U. sei schließlich wenige Wochen nach seiner Entlassung nach Mosbach gezogen. Aber er (W.) gehe davon aus, er hätte mitbekommen, wenn U. in seiner Wohnung konsumiert hätte. Auf Wincklers Frage, wie wichtig U. mediales Interesse sei, antwortet W., U. sei wichtig gewesen, seine Geschichte zu erzählen. Zum Thema rechtes Gedankengut gibt W. an, U. habe während seiner Zeit in Alsdorf beiläufig rechte Stammtischparolen geäußert.