Beim 110. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 8. Dezember 2022 sagte erneut die ehemalige LKA-Beamtin Maren S. (31) aus, die neben ihrem Kollegen Michael K. die Kontaktperson zum Angeklagten und Dauer-Hinweisgeber Paul-Ludwig U. gewesen war. Sie hatte zuletzt am 100. Prozesstag ausgesagt. Zwischenzeitlich hatte Paul-Ludwig U. ausgesagt und dabei schwere Vorwürfe erhoben. Unter anderem hatte er behauptet, Maren S. und besonders ihr Kollege Michael K. hätten versucht, ihn zu Falschaussagen zu bewegen. Die Zeugin stritt alles ab: Sie habe nicht gewusst, dass U. zu Vernehmungen und Ende 2019 zum Treffen der Gruppe eine Schusswaffe mitgenommen hatte. Michael K. habe keine Vorgaben gemacht, was Paul-Ludwig U. zu sagen habe. Sie erinnere sich auch nicht, dass Michael K. Paul-Ludwig U. angewiesen habe, entlastende Informationen über das Verhalten von Frank H. und Marcel W. bei dem Treffen in Minden am 8. Februar 2020 in seinen Aussagen wegzulassen. Insgesamt blieb die Zeugin vage und konnte sich angeblich an vieles nicht mehr erinnern. An diesem Prozesstag stellte erstmals auch Paul-Ludwig U. ausführliche Fragen. Auch ihm gegenüber stritt die Zeugin alles ab oder beteuerte, sie könne sich nicht erinnern.
Zu Beginn dieses Prozesstags verkündet der Vorsitzende Richter (VR), dass er Corona-positiv sei. Daher trägt er dauerhaft eine Maske. Anschließend klärt er die LKA-Zeugin Maren S. auf, warum sie erneut geladen wurde: Es gehe nach den Anschuldigungen von Paul-Ludwig U. um den Verdacht der Aussagebeeinflussung. Die Zeugin hat eine Aussagegenehmigung dabei und händigt sie dem VR aus.
Der VR fragt die Zeugin, ob Paul-Ludwig U. jemals erklärt habe, er wolle zu einem Treffen eine CO2-Waffe mitnehmen. Die Zeugin verneint. Sie habe auch nie das Gefühl gehabt, er könnte eine Waffe zu einer Vernehmung mitgebracht haben. Der VR hält ihr daraufhin U.s Behauptung vor, dass er ihr und Michael K. erzählt habe, dass er die Waffe zu Treffen und zwei oder drei Verhören mitgebracht habe. Daraufhin habe K. den Rucksack angehoben und gesagt, der sei ganz schön schwer. Die Zeugin streitet das ab und beteuert: „Daran würde ich mich erinnern.“
Anschließend bestreitet sie auch, dass Michael K. Paul-Ludwig U. gesagt habe, was er sagen solle, auch nicht bezüglich Frank H. und Marcel W. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Der VR konfrontiert sie mit U.s konkreter Schilderung dazu: Er habe Michael K. auf der Fahrt nach Mosbach erzählt, dass Marcel W. eine Stiftung gründen wolle. Michael K. habe ihn daraufhin aufgefordert, das in seiner Aussage wegzulassen. Auch bezüglich U.s Information, dass sich Frank H. und Marcel W. in Minden gegen die Anschlagspläne ausgesprochen hätten, habe der LKA-Beamte U. laut dessen Aussage aufgefordert, das wegzulassen. Die Zeugin sagt auch dazu, sie könne sich an eine solche Situation nicht erinnern und hätte sicherlich interveniert.
Der VR spricht das Treffen am 17. September 2019 in Heilbronn an und möchte wissen, ob sie eine Erinnerung daran habe, dass Michael K. auf eine Stelle im Strafgesetzbuch getippt habe. Die Zeugin kann sich nicht erinnern und wüsste nicht, wo er das Buch hergeholt haben könnte.
Fragen der Verteidigung an die Zeugin
Thomas N.s RA Stehr fragt die Zeugin, wann sie das letzte Mal Michael K. getroffen habe. Die Zeugin sagt, das sei am Mittwoch gewesen. Sie habe ihn aber abgeblockt, sie wolle nicht mit ihm über Inhalte sprechen, weil sie nicht beeinflusst werden wollte. Michael K. habe auch gewusst, dass sie am 13. Dezember 2022 geladen sei.
Thomas N.s zweiter RA Sprafke fragt nach dem Dienstag nach dem Treffen in Minden. Paul-Ludwig U. soll sein Handy an die Behörden übergeben haben. Die Zeugin erinnert sich. Sie sei sauer gewesen, weil er es auf die Werkseinstellung zurückgesetzt habe. Auch Michael K. sei empört gewesen. Der RA hakt nach, ob sie danach nochmal über das Handy gesprochen hätten. Die Zeugin erwidert, auf dem Handy sei die eine oder andere Information gewesen, die sie gerne gehabt hätten. Sie hätten deswegen mit den Kollegen von der Abteilung 5 [verantwortlich u.a. für digitale Spuren] gesprochen und diese hätten erfolglos versucht, die Daten wieder herzustellen.
Der RA möchte wissen, wann sie nach dem 14. Februar 2020 noch einmal Kontakt zu Paul-Ludwig U. gehabt hätte. Die Zeugin nennt den 19. August 2020 in Schwäbisch Gmünd: Sie hätten sich nochmal mit U. getroffen, weil dieser in seiner zeugenschutzähnlichen Maßnahme Probleme gemacht hätte.
Auf Frage von Frank H.s RA Herzogenrath-Amelung erklärt die Zeugin, sie habe an mindestens fünf Verhören von U. gemeinsam mit Michael K. teilgenommen. Michael K. sei Raucher; in den Raucherpausen sei sie immer anwesend gewesen.
Maren S. kann und will vieles nicht beantworten
Steffen B.s RA Flintrop fragt nach Details der Besprechung mit Paul-Ludwig U. in Schwäbisch Gmünd am 19. August 2020 und warum U. gegen die Regeln der Maßnahme verstoßen haben soll. Die Zeugin verweigert dazu die Aussage und beruft sich dazu auf ihre Aussagegenehmigung.
Weiter fragt der RA, inwiefern sie in die Kontrolle in Heidelberg am 2. Oktober 2019 involviert war. Die Zeugin gibt an, sie sei gar nicht involviert gewesen. Sie könne sich nicht mehr exakt erinnern, aber sie vermute, sie habe erst im Nachhinein davon erfahren, vermutlich in der Woche darauf. Sie habe keine Ahnung, was genau passiert sei. Später erzählt sie auf eine Frage des RA Sprafke, dass sie während der Kontrolle im Urlaub gewesen sei.
Thorsten W.s RA Kist fragt nach den von der Zeugin überarbeiteten E-Mails [Sie hatte eine Zeile mit einer Angabe einer verantwortlichen Behörde geschwärzt.]. Die Zeugin gibt an, das sei der einzige Ordner, den sie so durchgegangen sei. Außerdem möchte der RA wissen, ob die Zeugin Paul-Ludwig U. ihre Handynummer gegeben habe. Sie verneint das. Ob U. die Handynummer von Michael K. habe, wisse sie nicht. Der RA hält ihr Michael K.s Aussage vor, dass er U. die Nummer seines Diensthandys gegeben habe.
Wie gut kannte U. die Chance auf Straferlass bei Aussagen gegen Terrorgruppen?
RA Kist erkundigt sich außerdem nach U.s Anruf am Abend des Mindener Treffens mit dem Wortlaut „Bingo, Bingo“. [Offenbar hatte U. mit K. dieses Codewort vereinbart. Der RA deutet den Anruf als Information an K., dass das Treffen so verlief, wie K. es erwartete.] Dazu nennt der RA die Nummer, die U. damals anrief, und möchte wissen, ob das K.s private Handynummer sei. Die Zeugin hat „keine Ahnung“. Der RA sagt daraufhin, in den Akten sei die Nummer nicht zu finden. Er vermutet, dass sie gelöscht wurde, weil sie K.s private Handynummer war. Die Zeugin zieht sich darauf zurück, sie hätten die Anweisung, keine privaten Nummern zu verwenden.
Michael B.s RA Picker möchte wissen, ob U. eine erweiterte Belehrung mit Absatz 7 bekam. [Paragraf 129a StGB regelt in Absatz 7 Strafmilderung oder Straferlass für jemanden, der seine terroristische Vereinigung an die Behörden verrät oder sie bei ihren Taten behindert.] Die Zeugin sagt, sie selbst habe U. dazu – soweit sie sich erinnern könne – nicht belehrt, aber ihr Kollege Michael K. habe das einmal thematisiert. Die letzte Frage des RA zielt auf den Unterschied zwischen Zeugenschutz und zeugenschutzähnlicher Maßnahme. Die Zeugin verweist darauf, dass der Zeugenschutz gesetzlich geregelt sei.
Markus K.s RAin Schwaben fragt Maren S., ob sie die Fotos vom Hummelgautsche-Treffen gesehen habe. Die Zeugin antwortet, sie habe die Fotos vom Observationsbericht gesehen, aber nicht das Video. [Dass es davon ein Video geben soll, wird hier erstmals im Prozess erwähnt.]
„Herr Mandic, hüten Sie Ihre Zunge!“
Michael B.s RA Mandic will die Erinnerungsleistung der Zeugin prüfen und fragt sie: „Wann haben Sie zuletzt mit ihrem Vater gesprochen?“ Der VR lässt die Frage nicht zu, da man die Antwort nicht überprüfen könne. Der RA beantragt einen Senatsbeschluss und argumentiert, die Antwort sei natürlich überprüfbar, da man den Vater befragen könne. Außerdem gebe es viele Aussagen, die man nicht überprüfen könne; es stehe häufig Aussage gegen Aussage. Schnippisch fügt er an, der VR habe das vielleicht wegen seiner Erkrankung vergessen. Der VR mahnt: „Herr Mandic, hüten Sie Ihre Zunge!“ Etwas später wird die Frage des RA vom Senat abgewiesen.
RA Mandic erhält die Möglichkeit zu einer Gegenvorstellung. Er beharrt auf seiner Kritik am VR: Der VR habe seine Frage zurückgewiesen, weil die Antwort nicht überprüfbar sei. Er zitiert aus einer Strafrechts-Kommentierung: „Fragen, die auf die Erinnerungsfähigkeit abzielen, können in der Regel nicht zurückgewiesen werden.“ Am Mittag verkündet der VR, dass der Senat die Gegendarstellung des RA ebenfalls zurückweist.
RA Mandic hat weitere Fragen an die Zeugin. Er möchte wissen, wann sie zuletzt Oberstaatsanwältin Bellay getroffen habe. Als die Zeugin überlegen muss, fragt der RA, warum sie 10 bis 15 Sekunden vor ihrer Antwort nachdenken müsse. Der VR interveniert erneut: „Herr Mandic, Sie beherrschen strafprozessuales Recht nicht.“ Die Zeugin erinnert sich, sie habe Bellay bei der letzten Aussage kurz getroffen und sich mit ihr unterhalten. Der RA fragt, ob sie wisse, was Paul-Ludwig U. hier bereits ausgesagt habe. Die Zeugin verneint das.
Was tat Maren S. während des Treffens an der Hummelgautsche Ende 2019?
Weiter fragt der RA, ob sie mit Michael K. verabredet habe, vor U. zu verheimlichen, dass die Kontrolle am Heidelberger Hauptbahnhof nicht zufällig geschah. Die Zeugin kann sich daran nicht erinnern. Der RA möchte außerdem wissen, ob Michael K. je berichtet habe, dass er U. nach dem Treffen an der Hummelgautsche angerufen habe. Die Zeugin erwidert, ihres Wissens habe er U. nicht angerufen. Sie habe ebenso nicht mitbekommen, dass Michael K. zu Paul-Ludwig U. gesagt habe, wenn er aussteige, dann seien 300 Beamte sauer auf ihn.
Der RA zitiert U.s Aussage, als er vor Gericht erzählte, aus seiner heutigen Sicht seien die Angeklagten keine Terroristen. Er möchte wissen, wie die Zeugin das bewertet. „Das ist seine Meinung, und ich akzeptiere das so“, antwortet Maren S.
Die letzte Frage des RA bezieht sich auf U.s Erzählung, Michael K. habe ihm den Status als Beschuldigter schmackhaft gemacht, indem er ihm gesagt habe, da könne er „lügen, bis sich die Balken biegen“. Die Zeugin bestreitet, dass K. das zu U. gesagt hat.
Michael B.s zweiter RA Berthold fragt nach dem Gutachten eines Polizeipsychologen von Paul-Ludwig U. Die Zeugin sagt, das Gutachten hätten Michael K. und Herr L. organisiert.
Stefan K.s RA Abouzeid fragt, woher Michael K. wusste, dass sie heute geladen ist. Die Zeugin sagt, dass solche Verfügungen immer an dessen Abteilung 610 gingen. Außerdem möchte der RA wissen, ob sie während des Hummelgautsche-Treffens Dienst hatte. Die Zeugin bejaht. Sie sei mit einem Kollegen im Büro gewesen und habe Informationen vom Einsatzleiter des Observationsteams vor Ort bekommen, vor allem über die Teilnehmer und Gruppensymbole. Sie habe Beschreibungen erhalten, um die Personen zu identifizieren.
RA Herzogenrath-Amelung fragt bezüglich der Heidelberger Kontrolle, ob sie wusste, dass U. eine Waffe dabei hatte, und dass es nur eine CO2-Waffe war. Die Zeugin behauptet erneut, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, was sie damals wusste.
Der Angeklagte Frank H. behauptet, dass Paul-Ludwig U. am 1. Oktober 2019 erzählt habe, dass Werner S. ihm unter vier Augen erzählt habe, dass Frank H. regelmäßig in die „Tschechei“ zum Waffenkauf fahre. Er möchte wissen, welchen Wert sie als Polizistin so einer Aussage beimesse. Sie antwortet, man müsse dem nachgehen, aber habe U.s Behauptung nicht anhand von Chats belegen können.
Paul-Ludwig U. macht der Zeugin erneut schwere Vorwürfe
Paul-Ludwig U. empört sich über die „weggelächelten Antworten“ von der Zeugin. Der VR fordert U. auf, keine Bewertung vorzunehmen. Daraufhin fragt U. die Zeugin, ob sie sich erinnern könne, dass er, sie und Michael K. gemeinsam mit den beiden Beamten vom Gießener Staatsschutz besprochen hätten, was U. tun sollte, falls jemand ihm eine Waffe geben sollte. Sie habe ihm geraten, durchs Autodach zu schießen. [Gemeint ist offenbar das Szenario, dass U. und die anderen mit Waffen im Auto sitzen und die Situation wegen einer Polizeikontrolle oder einer eskalierenden Waffenübergabe aus dem Ruder läuft.] Die Zeugin beteuert: „Das habe ich bestimmt nicht gesagt.“
U. sagt außerdem, er habe seinen Rucksack [bei Vernehmungen] immer dabeigehabt, weil sein Rauchzeug nicht in seine Jackentasche gepasst habe. Die Zeugin könne gar nicht ausschließen, dass er eine Waffe dabei hatte, da sie ihn nie durchsucht habe.
Dann kommt U. auf die Frage zurück, ob er an der Hummelgautsche ebenfalls eine Waffe dabei hatte. Er fragt die Zeugin, ob sie sich erinnern könne, dass er auf Observationsfotos mit einem Pistolenhalfter zu sehen ist. Die Zeugin behauptet, sie könne sich nicht genau erinnern. Der Angeklagte fragt empört: „Warum haben Sie mich dann nicht unmittelbar nach der Hummelgautsche gestoppt?“ Er verstehe nicht, warum das LKA stattdessen bis zu seiner Fahrt über Heidelberg wartete, um ihn zu entwaffnen. Die Zeugin sagt erneut, sie wisse nicht mehr, was sie damals wusste. Paul-Ludwig U. empört sich weiter: „Na, ich bin Beschuldigter und trage eine Waffe herum.“
RA Ried vermutet eine „partielle Amnesie“ bei Maren S.
Schließlich wird Maren S. entlassen, und die Verfahrensbeteiligten können Erklärungen zu ihrer Aussage abgeben.
RA Herzogenrath-Amelung glaubt der Zeugin, dass sie sich Mühe gibt, sich zu erinnern. Trotzdem seien ihre Erinnerungen nicht klar und präzise.
Marcel W.s RA Miksch sagt, für ihn habe Paul-Ludwig U. die Unwahrheit gesagt. Das führe zur Abwertung seiner Glaubwürdigkeit, auch seiner übrigen Aussagen.
Steffen B.s RA Ried sieht bei der Zeugin eine „partielle Amnesie“. Sie wisse noch, was Thorsten W. am 14. Februar 2020 in einer Pause gesagt haben soll, aber nicht, ob Paul-Ludwig U. eine Waffe beim Hummelgautsche-Treffen dabei hatte.
RA Berthold bezweifelt die Authentizität der Antworten der Zeugin, die zögerlich und überlegt gewesen seien.