Prozesstag 108: Werner S. wollte Prepper radikalisieren und rekrutieren

Beim 108. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ in Stuttgart-Stammheim am 8. Dezember 2022 sagte am Vormittag erneut Kriminaldirektor Alexander S. aus. Er hatte mit seinem Kollegen den Angeklagten Paul-Ludwig U. am 16. und 17. April 2020 vernommen. Alexander S. war bereits am 29. September 2022 im OLG-Prozess befragt worden. Allerdings hatte Paul-Ludwig U. danach behauptet, dass die beiden Verhörbeamten vor Vernehmungsbeginn versucht hätten, ihn zu beeinflussen. Sie hätten ihn aufgefordert, wider besseren Wissens auszusagen, dass Michael B. eine Waffe zu einem Treffen mitgebracht habe. Der Zeuge stritt das ab. Er hätte auch gar kein Interesse daran gehabt, U. zu so etwas zu drängen, und habe nicht in der ermittelnden Soko gearbeitet. Später an diesem Prozesstag erschien der Zeuge Wolf E., ein Mitglied der Chatgruppe „Heimat“, und verweigerte die Aussage. Anschließend wurden Sprachnachrichten abgespielt, in denen Werner S. über seine Versuche erzählte, in Onlinegruppen geeignete Personen zu finden. Der Plan war offenbar, sich zunehmend als radikal zu offenbaren und zu beobachten, wer Interesse zeigt.

Der Zeuge Alexander S. (52) betritt den Raum. Der Vorsitzende Richter (VR) erklärt, man habe ihn wegen neuer Aussagen von Paul-Ludwig U. geladen, in denen U. über eine Vernehmung durch den Zeugen und seinen Kollegen vom 16. Und 17. April 2020 sprach. Der VR fragt, ob es vor Beginn der Aufzeichnung [des Verhörs] ein Gespräch gegeben habe, „egal, wie nebensächlich“. Der Zeuge kann sich nicht daran erinnern. Der VR fragt weiter, ob Paul-Ludwig U. vor Beginn der Aufzeichnung ein oder mehrere Fotos von Michael B. gezeigt wurden. Der Zeuge kann sich nicht daran erinnern und würde es sogar ausschließen. Daraufhin hält ihm der VR vor, was Paul-Ludwig U. im Prozess behauptete: dass ihm vor der Vernehmung ein Foto von B. gezeigt worden sei und man ihn zu der Aussage aufgefordert habe, B. habe an der Hummelgautsche eine Waffe dabeigehabt. U. habe das abgelehnt, da er bei B. keine Waffe gesehen habe. Der Zeuge schließt das völlig aus. Er sei nicht Mitglied der Soko Valenz gewesen und habe die Person nicht einmal gekannt.

Anschließend stellen die Rechtsanwält*innen (RA*innen) ihre Fragen. Thomas N.s RA Sprafke möchte vom Zeugen wissen, wie er sich auf die heutige Befragung vorbereitet habe. Alexander S. antwortet, er habe mit dem VR telefoniert, auch wegen des Vorwurfs von U. Ansonsten habe er das Vernehmungsprotokoll gelesen, da dort auch stehe, was in den Pausen geschah: Sein Kollege T. habe U. unmittelbar nach den Pausen aufgefordert zu schildern, was passiert sei.

Frank H.s RA Herzogenrath-Amelung stellt sich laut die Frage, wer lügt: der Zeuge oder Paul-Ludwig U.? Er möchte vom Zeugen wissen, was U. veranlasst haben könnte, die Aussage zu machen. Der Zeuge hat keine Ahnung und zeigt sich verwundert. Die damalige Vernehmung sei von Wertschätzung geprägt gewesen. Zur Glaubwürdigkeit von Paul-Ludwig U. gefragt, erklärt der Zeuge, er habe „sehr stringente Angaben gemacht“, ohne offensichtliche Widersprüche.

Marcel W.s RA Picker fragt nach Erkenntnissen bezüglich der Zeugenschutzmaßnahmen für Paul-Ludwig U. Der Zeuge sagt, er habe gewusst, dass U. in einer zeugenschutzähnlichen Maßnahme war, aber nichts Genaueres. Als sonst niemand mehr Fragen an den Zeugen hat, wird er entlassen. Einige RAs geben nun Statements zu seiner Aussage ab.

RA Herzogenrath-Amelung wiederholt, dass entweder der Zeuge oder U. lügen müsse – er gehe von Letzterem aus.

RA Picker findet interessant, dass der Zeuge sich über U.s Anschuldigung wunderte. Man dürfe Paul-Ludwig U. nichts glauben.

Werner S.‘ RA Siebers bezeichnet es als fatal, dass die Fotos von der Hummelgautsche zurückgehalten werden. [Ein Observationsteam machte dort Fotos, doch sie sind nicht in den Akten.] Das sei eine Vereitelung von Verteidiger-Privilegien. Der VR betont, dass der Senat mit dem Innenministerium in dieser Sache in Kontakt stehe. Auch der Angeklagte Frank H. moniert, dass das Innenministerium die Bilder zurückhält.

RA Herzogenrath-Amelung verkündet, dass die Angeklagten Frank H. und Marcel W. vor dem Verwaltungsgerichtshof eine Klage gegen die Sperrerklärung eingereicht hätten. Frist der Bearbeitung sei am 23. Januar 2023.

Frank H.s Haftprüfung vom 14. Februar 2020

Anschließend wird das Protokoll von Frank H.s Haftprüfung am 14. Februar 2020 verlesen. Er erschien mit seinem RA Linke und machte keine Angaben zur Sache, sondern nur zu seiner Person. Er erzählte, er sei seit 19 Jahren verheiratet und arbeite seit 17 Jahren beim selben Arbeitgeber. Ein Teil des bei ihm gefundenen Geldes gehöre dem Sohn seiner Frau, der für seinen Führerschein spare. 1.500 Euro gehörten seiner Frau und ihm und seien Ersparnisse für einen Urlaub. Die 700 Euro in der Geldbörse seien von ihm. Der RA erklärte, es bestehe keine Fluchtgefahr.

Sprachnachrichten der Angeklagten

Der VR verfügt die Einführung von 62 Sprachnachrichten, die auf Datenträgern bei Michael B., Steffen B., Tony E., Thomas N., Werner S. und Paul-Ludwig U. gefunden wurden. Im Folgenden ein Kurzprotokoll zu sieben Audios, die an diesem Prozesstag abgespielt wurden:

  1. Tony E. spricht. „Grüß Dich. Tony hier. Ich würde Dich und Ulf [vermutlich Ulf R., ebenfalls „Gruppe S“-Beschuldigter, der sich in der Untersuchungshaft das Leben nahm] gerne im ‚Freikorps Heimatschutz‘ aufnehmen.“
  2. Tony E. telefoniert mit Thomas N.: Er sei einer von vier Bundesführern. „Die meisten sind Wotanisten, so, wie Du und ich. Die den wahren Glauben haben.“ Er solle sich den anderen mal vorstellen. Es sei 10 nach 12. Man solle sich mal persönlich treffen.
  3. Tony E. stellt sich Thomas N. erneut als „einer von vier Bundesführern“ vor. Man bereite sich auf „Tag X“ vor. Man gehöre zu den so genannten Preppern. Die anderen wollten sich entnazifizieren lassen. [Thomas N. vertritt eine Reichsbürger-Ideologie, in der es um eine „Entnazifizierung“ geht.] Man plane eine Flyer-Aktion. Es müsse etwas passieren.

Zu dieser Aufnahme verweist RA Herzogenrath-Amelung darauf, dass Preppen auch von staatlichen Stellen empfohlen werde.

  • Vermutlich ist wieder Tony E. zu hören. Er sagt, „Matze“ [Werner S.] und er würden einander von den „Soldiers of Odin“ kennen. Er sei dort auch Mitglied gewesen, allerdings nur kurz; von Oktober vorletztes Jahr bis Januar letztes Jahr. „Matze“ wisse, was er wolle. Er tue sich im Moment mit den „Wotans“ [vermutlich „Wodans Erben Germanien“] schwer. Diese stellten sich gerne in der Öffentlichkeit dar. Er handle lieber im Verborgenen.
  • Werner S. spricht über jemanden, der zu aktiv nach außen sei. Für Demonstrationen sei es zu spät. Im Frühjahr 2020 solle es mit den Aufständen losgehen. Dann sei dieses Grüppchen schnell aufgerieben. Er sei da Ruckzuck raus, wenn das nicht aufhöre. Wer zu offen auftrete, werde „uns früher oder später gefährden“. „Weiß nicht, ob Du schon mal eine HD [Hausdurchsuchung] gehabt hast.“ Das sei nicht sehr schön.
  • Werner S. schimpft: „Ich bin durch. Ich bin fertig. Das ‚Korps‘ [„Freikorps Heimatschutz“] geht mir am Arsch vorbei.“ Er habe sich überreden lassen und sei da eingetreten. „Die neuen Leute kommen alle von mir.“ Die Gruppe konzentriere sich nicht auf das Wesentliche. Er konzentriere sich auf den Süden.
  • Werner S. erklärt, er habe schon immer Revolution betrieben. „In Italien machen wir das so, dass wir zu bestimmten Tagen eine Aktion starten.“ An dem Tag trage man ein Flor als Erkennungszeichen am Arm. „Alles, was du auf Brust oder Kutte trägst, trägst Du nach außen.“ [Offenbar eine Kritik an Gruppen, z.B. „Bruderschaften“, die ihr Gruppenlogo offen erkennbar tragen.] Das sei nicht sein Stil. T-Shirts zu bedrucken sei Geldverschwendung.

RA Herzogenrath-Amelung bezieht sich auf diese letzte Sprachnachricht und bezeichnet die Behauptung, man habe seit 2014 in Italien Aktionen mit 20 bis 30 Personen durchgeführt, als Aufschneiderei.

Michael B.s RA Berthold sieht in den gehörten Sprachnachrichten den Versuch, die Leute anzufüttern. Aber man sei immer von einem Angriff von außen ausgegangen.

Komplizierte Terminsuche: Wann und wo trifft sich wer?

  • Werner S. erwähnt eine neue Gruppe namens „Heimat“.
  • Tony E. kündigt an, er komme „demnächst mal in Deine Richtung“. Oder man könne sich in der Braunschweiger Ecke treffen. Er wolle sich am 28. Oder 29. September [2019] bei Schwäbisch Gmünd mit „Giovanni“ [Werner S.] treffen. Es gehe um körperliche Ertüchtigung. Der Angerufene könne auch kommen.
  • Vermutlich richtet sich hier Tony E. an Thomas N. Er begrüßt ihn mit „Moin Thomas, mein Kamerad und Bruder“ und fragt, ob dieser am 27. September 2019 mit nach Baden-Württemberg komme.
  • Werner S. kündigt Tony E. an, „Wolf“ komme zu zweit. Wichtig sei, „dass unsere Bayern kommen“. Frank H. habe ursprünglich geplant, die ganze „Kameradschaft“ von zehn, elf Mann mitzubringen. Die könnten aber nicht. Die anderen zehn Teilnehmer seien aus dem Osten, da seien Steffen und Susanne. Es käme auch Felix mit neun Kameraden. Die ständen für das, „was wir gesagt haben“. Man wolle einen Plan ausarbeiten. S. bietet Tony E. an, in seinem Auto zu schlafen.
  • Michael B. lobt Wolfgang W.: „Respekt für die 800 Kilometer, die Du gefahren bist.“ [Offenbar geht es um das Treffen an der Hummelgautsche.] Es sei schön, dass man sich kennengelernt hätten. Er versuche, eine Plattform zu schaffen. Das Treffen sei kein kompletter Reinfall gewesen. „Bevor wir durch den Wald rennen und Rücksäcke tauschen, ist es wichtig, dass die inneren Werte stimmen.“

RA Berthold betont erneut, dass sich hier die Prepper-Szene getroffen habe. Geheime Notfalllager für einen „Tag X“ benötigten Vertrauen.

Werner S.‘ Rekrutierungsplan: Erst als Prepper ausgeben, dann radikalisieren

  1. Werner S. teilt mit, er habe eine neue Gruppe auf Telegram gegründet. Es gebe einen sogenannten Stützpunkt und mehrere Untergruppen, „die ich führe und die Marion“. In den Gruppen könnten interessante Männer einlaufen. Er habe sich mit Tony E. und Sören B. unterhalten, um das „Freikorps“ aufzustocken. Man sollte nicht zu militant auftreten, sondern lieber als Prepper. Nach einigen Tagen oder Wochen würden die Leute dann weiterrücken. Man könne sie beobachten und rausfiltern. Man kriege raus, „ob es sich mit unseren Interessen überschneidet“.

Markus K.s RAin Schwaben betont ironisch, wie wunderbar diese Selektion funktioniert habe. Bei dem Treffen in Minden seien Leute aufgeschlagen, die einander nicht gekannt hätten.

  1. Werner S. sagt, dass Tony E. ja im Norden ansässig sei. Er solle ihn einschleusen [vermutlich in eine Chat-Gruppe], und „wir schauen uns die Kerlens an“. Es gebe eine schlagkräftige Gruppe, wie die „Bruderschaft“. Dann gebe es die „Wodans“, außerdem das „Korps“ „für Typen wie Du und ich“. Da habe man auch „Hardcore-Leute“. Er solle ihn in eine weitere Gruppe hinzufügen. Sie würden sich dann in Berlin sehen und dort ein paar Leute ansprechen.

RA Herzogenrath-Amelung merkt dazu an, dass Werner S. keine hohe Meinung von der Gruppe „Wodans Erben“ gehabt habe.

RAin Schwaben sagt, Werner S. habe zuerst die „Bruderschaft“ genannt. Sie erinnert daran, dass sich deren Anführer Ralf N. bei der Frage nach Kontakten zur Polizei auf Paragraf 55 bezogen habe. [Paragraf 55 der Strafprozessordnung erlaubt Zeug*innen, die Aussage zu verweigern, wenn sie sonst Straftaten zugeben müssten.]

  1. Werner S. verkündet, Heiko habe ihn eingeladen und sei „eingerückt“ in Marions Gruppe. Er sei im „harten Kern“ und in einer Selektiergruppe von Marion.

Der Antisemitismus des Werner S.: Der Jude, die Wurzel allen Übels

  1. Werner S. lobt eine Gruppierung. Es seien gute Männer, aber sie hätten Stadtverbot. Sie seien sehr aktiv auf Facebook. Man wolle ihn reinnehmen. Er sei ein Mittelsmann für das „Korps“. Es gebe auch Anhänger vom „III. Weg“ [Neonazi-Kleinstpartei] etc., aber er wolle etwas anderes. Die Vernetzung stehe für ihn im Mittelpunkt.
  2. Werner S. sagt, er denke nicht „wie die Odinisten“ [vermutlich „Soldiers of Odin“]: „Aber dass der Jude das Gift ist und die Wurzel allen Übels, sollte sicher sein.“
  3. [nicht protokolliert]
  4. Werner S. spricht die sogenannte „Antifa-Liste“ an [vermutlich geleakte Kundendaten eines Punk-Mailorders]. „Die Liste kenne ich.“ Sie sei Monate alt und gehe in „patriotischen“ Gruppen herum. Genau dort müsse man mit den Einzelaktionen anfangen. „Kann ich jetzt so schlecht besprechen.“
  5. Tony E. entschuldigt sich. Sein Privattelefon sei abgeschmiert. Er wolle in der Chatgruppe „Heimat“ Frank H. fragen. In diesem Chat sei auch Ralf N. Er sei gerade auf den Weg nach Minden und treffe morgen Thorsten [vermutlich Thorsten W. aus Hamm].
  6. Werner S. mahnt, man solle in den Gruppen nichts schreiben, „was uns alle in Misskredit bringt“. Der „Sammelstellenkäse“ interessiere niemand mehr.
  7. [nicht protokolliert]

Das geplatzte Treffen im Dezember 2019

  • Tony E. spricht offenbar über das Treffen, das ursprünglich am 14. Dezember 2019 in Norddeutschland stattfinden sollte und später abgesagt wurde. E. sagt, wegen des 14. sage ihm Thorsten K. Bescheid, ob sie den Raum Hamburg nutzen könnten. E. verspricht, sonst bei sich eine Ausweichmöglichkeit zu organisieren.
  • Tony E. verkündet, das Treffen am 14. müsse umverlegt werden. Der ursprüngliche Raum sei wegen Weihnachtsfeierlichkeiten belegt.
  • Tony E. möchte das Treffen auf den frühen Nachmittag legen und zwischen 13 und 15 Uhr beginnen lassen. Es solle im Raum Lüneburg, Uelzen und Münster stattfinden.
  • Werner S. beklagt sich über ein Verkehrschaos. Er werde umdrehen und habe mit Tony E. gesprochen. Man verschiebe das Treffen auf das neue Jahr.
  • Tony E. gibt die Information weiter, dass S. wegen des Verkehrs nicht kommen könne. Das Treffen werde stattdessen Mitte Januar stattfinden. Vielleicht könne dann auch Ralf N. teilnehmen.
  • Auch hier gibt Tony E. die Absage von Werner S. und die Verlegung des Treffens bekannt. Man habe das Wochenende um den 18. Januar 2020 anvisiert. „Gib mal bitte ne Bestätigung.“
  • Tony E. klagt [offenbar am 15. Dezember 2019], das gestern sei viel Arbeit gewesen. Das sei schade, aber „wenn Matze [Werner S.] fehlt, fehlt der wichtigste Mann“. Der 18. Januar 2020 passe für die anderen.
  • Tony E. verkündet auch hier, dass das Treffen am 18. Januar 2020 in Minden stattfinden werde. Man müsste Thorsten K. und „Bruderschafts“-Vertretern aus Düsseldorf Spritgeld geben.

RA Herzogenrath-Amelung bezieht sich auf die Umsturzpläne aus der Anklageschrift. Dazu brauche man Grips und Geld. Beides sei nicht vorhanden gewesen.

Ein Zeuge aus der Chatgruppe „Heimat“ verweigert die Aussage

Für diesen Prozesstag war auch der Zeuge Wolf E. aus Neuss geladen. Er gehörte zur Chatgruppe „Heimat“. E. verweigert die Aussage und wird schnell wieder entlassen.

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