Prozesstag 107: Das sagte Teilnehmer Fred P. über das Treffen an der Hummelgautsche

Am 6. Dezember 2022 fand der 107. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ in Stuttgart-Stammheim statt. Als Zeuge wurde der LKA-Beamte Maximilian D. befragt. Dieser hatte am 11. Mai 2020 Fred P. vernommen, der Mitglied im „Freikorps Heimatschutz“ und der Chatgruppe „Heimat“ sowie Teilnehmer des Treffens der meisten Angeklagten und weiterer Personen am Grillplatz Hummelgautsche war. P. hatte auch von einem Treffen in Thüringen 2017 erzählt, an dem er, Tony E. und Werner S. teilnahmen. Insgesamt wusste der Zeuge nichts Neues zu berichten. Nach der Mittagspause wurden Protokolle von Haftprüfungsterminen der Angeklagten Marcel W. und Steffen B. verlesen. Marcel W. gab laut dem Protokoll des Haftprüfungstermin an, dass er sich gegen Anschläge ausgesprochen und kein Geld zur Waffenbeschaffung zugesagt habe.

Der Zeuge Maximilian D. (35) gibt an, seit 2010 bei der Polizei zu sein. Er sei bei der Einsatzhundertschaft Stuttgart gewesen und seit 2020 beim LKA. Bis 2018 habe er in Villingen-Schwenningen studiert. Ab August 2020 habe er bei der Inspektion 640 [vermutlich Staatsschutz] gearbeitet, die jetzt aber anders heiße. Er sei bereits am 1. April 2020 beim LKA gewesen und von April bis Juli 2020 in die Inspektion 610 [ebenfalls Staatschutz] abgeordnet gewesen. Hier sei er als Mitglied der Taskforce zur „Gruppe S“ Spuren nachgegangen. So habe er u.a. Handydaten von beschlagnahmten Handys und Chat-Verläufen ausgewertet und polizeiliche Auskunftssysteme abgefragt.

Am 11. Mai 2020 sei er der führende vernehmende Beamte von Fred P. gewesen. Außer ihm seien sein Kollege A. und die Schreibkraft E. von der Polizeiinspektion Lüneburg anwesend gewesen. Der Kollege A. habe als zweiter Sachbearbeiter die Protokollierung überwacht. Für die Vernehmung habe er einen Fragenkatalog erarbeitet. Dieser sei für ihn wie ein „Denkzettel“ gewesen. Andere Kollegen hätten Impulse dazu geliefert.

Die Vernehmung habe von 8.35 bis 12.05 Uhr gedauert. Am Ende hätten sie das Protokoll ausgedruckt und Fred P. vorgelegt. Dieser habe es eine dreiviertel Stunde gelesen und jede Seite einzeln unterschrieben. Eingangs habe er, so der Zeuge, Fred P. über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt.

Fred P.s Aussage bei der Polizei

Anschließend berichtet der Beamte darüber, was Fred P. aussagte. Er und Tony E. hätten sich demnach 2017 über Facebook kennengelernt und seien beste Freunde gewesen. Über Tony E. habe P. auch Werner S. kennengelernt und ihn zweimal gesehen: einmal bei einem Treffen in Thüringen 2017, zum anderen 2019 an der Hummelgautsche bei Alfdorf. Das habe P. allerdings in seiner Aussage teils verwechselt mit einem anderen Treffen. Tony E. habe ihn 2017 gefragt, ob er mitkommen wolle. An die Hummelgautsche sei er von Tony E. eingeladen worden, den wiederum Werner S. eingeladen habe. Am Treffen in Thüringen hätten laut Aussage von Fred P. auch Rocker teilgenommen, außerdem Tony E., Werner S. und Paul-Ludwig U. [Das kann so nicht stimmen. Es gab aber im Sommer 2019 ein Freikorps-Treffen in Thüringen, an dem u.a. P., Werner S. und Tony E. teilnahmen, nicht aber Paul-Ludwig U.]

Thema des Treffens in Thüringen 2017 sei der Kauf eines Grundstücks gewesen. Dieses Waldgrundstück sollte für den Fall eines Umsturzes als Rückzugsort dienen. Thomas N. habe 2.000 Euro für ein Grundstück dazugeben wollen, Fred P. laut eigener Aussage 500 Euro; er sei aber wieder abgesprungen. Thomas N. habe „Sachen von Revolution und Aufstand“ erzählt, deswegen habe ihn laut P. für einen Spinner gehalten. P. habe auch erzählt, dass er „Marcel Tyson“ [Marcel L.] in Aalen in Baden-Württemberg besucht habe.

Auch Fred P. sah Werner S. als Wortführer

Außerdem habe Fred P. von einem Treffen bei Sören B. zu dessen Geburtstag im Dezember 2019 berichtet. Dieser war Bundesführer des „Freikorps Heimatschutz“. Tony E. sei später anstelle von Sören B. Bundesführer geworden. Fred P. habe gesagt, er sei Mitglied des „Freikorps Heimatschutz“ und sei Landesführer von Niedersachsen gewesen. Freikorps-Landessektionen habe es laut Fred P. in Thüringen, Niedersachsen und Baden-Württemberg gegeben, zeitweise auch in Bayern und Schleswig-Holstein. Nach Alfdorf sei er mit Tony E. gefahren. Fred P. habe gesagt, die Teilnehmer hätten als Waffen nur Messer dabeigehabt; Schussgeräusche habe er keine gehört. Werner S. sei Wortführer gewesen. Sie hätten Feuermachen geübt und auch Selbstverteidigung und Messerkampf üben wollen, aber niemand habe Lust darauf gehabt. Paul-Ludwig U. habe sich laut Fred P. mit jemandem zurückgezogen und habe einen schwarzen Gegenstand gezeigt, P. habe aber nicht sagen können, ob das eine Schusswaffe gewesen sei. [Tatsächlich hatte Paul-Ludwig U. eine CO2-Schusswaffe dabei.]

Fragen der anderen Verfahrensbeteiligten

Oberstaatsanwältin (OStAin) Bellay zitiert aus dem Vernehmungsprotokoll, dass Fred P. am 1. Oktober 2019 in die Chatgruppe „Heimat“ aufgenommen worden sei. Laut Protokoll habe Fred P. gesagt, er wolle mit Spinnern nichts zu tun haben. „Das sind Leute, die unzufrieden mit dem System sind.“ Der Zeuge habe P. ein Zitat aus der Gruppe „Wir in Norddeutschland“ vorgelesen: „Wir schlagen bald los und dann fließt Blut, sehr viel Blut.“ Fred P. erklärte daraufhin im Verhör, es werde einen Umsturz durch einen bewaffneten Aufstand geben, er wisse aber nicht von wem genau.

Auch Tony E.s Rechtsanwalt (RA) Becker zitiert das Vernehmungsprotokoll. Der Zeuge habe Fred P. damals vorgeworfen, er habe gestockt und gewirkt, als könne er mehr sagen. Der RA möchte wissen, woran der Zeuge das festgemacht habe. Dieser erwidert, das habe er aus dem Stocken geschlossen.

Marcel W.s RA Picker geht darauf ein, dass der Zeuge laut Protokoll nach dem „Tag X“ fragte. Der RA zitiert Fred P.s Antwort: „Das heißt, das System wird zusammenbrechen. […] Darauf bereite ich mich vor.“ Danach gefragt, wer den „Tag X“ einleiten würde, antwortete Fred P.: entweder ein Umsturz oder eine Naturkatastrophe. Der Zeuge kommentiert, Fred P. habe er als einen Prepper kennengelernt, der sich auf einen „Tag X“ vorbereite.

Werner S.‘ RA Siebers fragt den Zeugen, ob er je hinterfragt habe, ob beim geplanten Grundstückskauf überhaupt jemand Geld einzahlte, oder ob alles nur heiße Luft war. Der Zeuge sagt, er wisse von keiner Person, die gezahlt habe.

Statements der Verteidigung

Anschließend wird der Zeuge entlassen, und die Verfahrensbeteiligten geben ihre Statements ab. RA Picker verweist darauf, dass die Anklageschrift auf den „Tag X“ abhebe. Laut der Anklageschrift solle dieser von rechten Gruppen ausgelöst werden. Das sei aber nicht der Fall. Der „Tag X“ sei ein Prepper-Begriff.

RA Siebers lobt den Zeugen: Er sei der erste Polizist, der hier ohne jedes Ziel aussagte. Bei der Frage nach der Finanzierung eines Grundstücks habe ein „Haufen großmäuliger Dummköpfe“ zusammengesessen.

Marcel W.s RA Miksch zitiert aus dem Vernehmungsprotokoll von Fred P.: „Jeder Einzelne hat einen Fluchtpunkt, zu dem er sich mit seiner Familie zurückzieht.“ Das klinge nicht nach Umsturz.

Der Angeklagte Michael B. nimmt Bezug auf eine Chatnachricht von Werner S., der ankündigte, beim Treffen in Minden werde man „bei Brot und Spielen über Krieg sprechen“. B. kommentiert, das heiße noch nicht, dass man den Krieg selbst einleiten wollte.

Tony E.s RA Becker verkündet, er wolle ein Schreiben des Vorsitzenden Richters (VR) an das LKA vom 22. November 2022 einsehen.

Die Schusswaffen des Marcel W.

Nach einer Mittagspause verliest der VR das Protokoll des Haftprüfungstermins von Marcel W., der sich damals zu Teilen der Anklage äußerte. Er habe gesagt, er habe eine K38 als schussunfähige Deko-Waffe geerbt, aber keinen Zugriff mehr darauf, da sie bei einem Waffen-Händler sei. Die in seiner Wohnung aufgefundenen Faustfeuerwaffen seien Schreckschusswaffen. Die kleinere gehöre seiner Frau, die größere ihm. Bezüglich des Treffens an der Hummelgautsche sagte Marcel W., es sei ausschließlich um Prepper-Themen gegangen.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab Marcel W. an, er sei seit 20 Jahren mit seiner Frau zusammen. Er komme aus dem Osten und habe gesehen, wie es friedlich gehe. [Vermutlich spielte er auf die Montagsdemos in der DDR an.] Er sei in etwas hineingerutscht, in das er nicht wollte. Das Protokoll endet mit dem Beschluss des Ermittlungsrichters nach einem entsprechenden Antrag des Generalbundesanwalts, den Haftbefehl gegen Marcel W. vom 15. Februar 2020 aufrecht zu erhalten.

Die mündliche Haftprüfung von Marcel W. am 27. März 2020

Anschließend wird das Protokoll von Marcel W.s mündlicher Haftprüfung vom 27. März 2020 verlesen. Anwesend waren der Ermittlungsrichter Sturm und OStAin Bellay für die Bundesanwaltschaft sowie Marcel W. mit seinem RA Picker.

Marcel W. erzählte bei diesem Termin, er habe seine Aussage bei der Polizei durch eine Verwechslung vermurkst und wolle sie nun berichtigen. Anders als zuerst ausgesagt sei es beim Treffen in Minden nicht um eine Vereinsgründung gegangen. Das sei Thema eines Treffens der „Wodans Erben“ gewesen, bei dem man geplant habe, Kindern aus armen Familien einen Zelturlaub zu ermöglichen. Außerdem sagte Marcel W., im Verhör habe er immer von „Matze“ gesprochen und wisse jetzt, dass das Werner S. sei. Am 8. Februar 2020 sei er mit Frank H. nach Minden gefahren. Dort seien auch fünf ihm unbekannte Leute gewesen. Irgendwann sei die Stimmung von unbeschwerten Gesprächen ins Bedenkliche gekippt. Man habe die Handys weggelegt. Matze habe Ideen vorgestellt, die eher Fantasien als Pläne gewesen seien. Es sei um Angriffe auf Moscheen gegangen. Marcel W. sagte, er habe sich dagegen ausgesprochen. Tony E. und Frank H. hätten ihm u.a. durch Nicken zugestimmt.

Nach Minden mit der „Gruppe S“ gebrochen

Nächstes Thema sei die Waffenbeschaffung gewesen. Es sei die Summe von 50.000 Euro angesprochen worden. Werner S. habe rumgefragt. Nur zwei Teilnehmer hätten kein Geld zugesagt: Paul-Ludwig U. habe gewollt, aber nicht gekonnt. Und er selbst habe nichts zugesagt, da er arbeitslos war und gegen die Sache gewesen sei. Trotzdem habe Werner S. gefragt, „ob ich auch eine Waffe will“. Er habe Nein gesagt und auf seine K38 verwiesen. Nach dem Treffen seien sie in ein Lokal gegangen, wo Tony E. und Werner S. übernachtet hätten.

Marcel W. sagte aus, am Tag des Treffens habe er mit der Gruppe gebrochen. Auf der Rückfahrt habe auch Frank H. gesagt, dass er bei so etwas nicht mitmache. Dann sei der Anruf von Paul-Ludwig U. gekommen, der von dem Verfolgungsauto erzählte. Marcel W. beteuerte auch, er habe vorgehabt, die Pläne öffentlich zu machen, doch dann seien ihm die Hausdurchsuchungen und die Verhaftung zuvorgekommen.

W.s RA Picker machte auf ein Gespräch zwischen Tony E. und Werner S. aufmerksam. Werner S. habe sich beschwert, dass sie nicht zusammenzukriegen seien. [In abgehörten Telefonaten mit Tony E. regte sich Werner S. wiederholt darüber auf, dass niemand seiner Leute zuverlässig sei.] Der RA wertet das als Hinweis darauf, dass Marcel W. nur etwas im Internet mache. Diese Angaben würden auch von Frank H. gestützt. Außerdem betonte RA Picker, dass sein Mandant keinen Zugriff auf Waffen gehabt habe. Danach erzählte Marcel W., er habe überlegt, nach Norwegen auszuwandern.

Rassistische Aussagen und Rechtfertigungen

Bei diesem Termin wiederholte Marcel W. auch seine Aussage, dass es an der Hummelgautsche ums Preppen, genauer gesagt Fluchtrucksäcke gegangen sei. Als ihn die OStAin damit konfrontierte, dass er in einem abgehörten Telefonat Ausländer als „Viecher“ bezeichnet hatte, entgegnete W., er habe ausdrücklich „kriminelle Ausländer“ gesagt. Die OStAin hält ihm auch eine Passage aus einem abgehörten Telefonat mit Werner S. vor, in dem Marcel W. sagte, er würde für S. als Reichskanzler in den Krieg ziehen. Marcel W. verteidigte das damit, dass er damals in einer emotional sehr schwierigen Lage gewesen sei. Werner S. habe ihm bei einer Spendenaktion für einen Freund geholfen.

Bezüglich W.s Behauptung, bei der Geldfrage zur Waffenbeschaffung hätte er abgelehnt, hält ihm die OStAin einen Widerspruch vor: U. habe behauptet, W. habe gesagt, er sei dabei. Marcel W. beharrt darauf, er habe sich nur für Verteidigung ausgesprochen.

Gegen Ende des Haftprüfungstermins hielt die OStAin Marcel W. 14 begangene Straftaten aus dem Bundeszentralregister vor, darunter mehrere Körperverletzungen. Sie beantragte, den Haftbefehl fortzusetzen, und argumentierte, W, habe seine Angaben nur an das jeweilige Ermittlungsergebnis angepasst. Es bestehe weiterhin Fluchtgefahr. Damit endet das Protokoll dieses Haftprüfungstermins.

Die mündliche Haftprüfung von Steffen B. am 25. Juni 2020

Nach diesem Protokoll wird auch die Mitschrift der mündlichen Haftprüfung des Angeklagten Steffen B. vom 25. Juni 2020 verlesen. Anwesend waren der Ermittlungsrichter Sturm und Oberstaatsanwältin Bellay. Steffen B. erschien mit seinen RA Ried und Flintrop und sagte zu seinen privaten Verhältnissen, nicht aber zur Sache aus. Er betonte, in den bisher vier Monaten Untersuchungshaft seinen dreijährigen Sohn und seine Ziehtochter nicht gesehen zu haben. Durch die Haft sei die finanzielle Unterstützung für seine Familie weggebrochen. Er habe 1.500 bis 2.000 Euro netto verdient. Allerdings habe er noch 60.000 Euro Schulden und eine Privatinsolvenz geerbt. Er habe einen engen Kontakt zu seinem Bruder, der 40 Kilometer entfernt wohne, weil er bei dessen Hausausbau helfe. Mit seinem Onkel habe er auf einer Baustelle gearbeitet. Seine Eltern würden 30km entfernt wohnen; er besuche sie oft. Er habe in Schönebeck gearbeitet und sei nach der Arbeit immer im Fitnessstudio gegangen. Für den Rest des Jahres habe er Aufträge gehabt.

Steffen B. habe auch von Angst um seine Familie gesprochen. Er sagte, er wisse nicht, wozu Werner S. fähig sei. S. habe ihm gesagt, er habe Gruppe von 102, 103 Personen. Die OStAin kommentierte, auf so eine Gruppe habe sie keine Hinweise. Steffen B. erwähnte auch Werner S.‘ Haus in Italien, in dem sich die Gruppe angeblich für eine „Nacht der langen Messer“ treffen wollte.

Zum Ende des Termins ging die OStAin weiterhin von einer Fluchtgefahr aus und verwies dazu auf eine Aussage von Paul-Ludwig U., dass in Minden von Abtauchen gesprochen worden sei.

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