Prozesstag 101: Der Verräter Paul-Ludwig U. sagt erstmals aus

Am 17. November 2022 fand vor dem OLG Stuttgart in Stammheim der 101. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ statt. An diesem Tag sagte der Angeklagte und Dauer-Hinweisgeber Paul-Ludwig U. erstmals im Prozess aus. Dabei widersprach U. der Darstellung der Ermittler*innen des LKA Baden-Württemberg. U. behauptete, man habe Einfluss auf seine Aussagen genommen. Insbesondere sein LKA-Kontaktbeamter Michael K. habe ihn immer damit vertröstet, dass man sich um den Zeugenschutz und die Regelung des Waffenfundes in Heidelberg kümmere. Dass er bei Treffen eine Waffe mit sich führte, hätten die Ermittler*innen gewusst. U. schilderte den Verlauf des zentralen Gruppentreffens in Minden aus seiner Sichtweise. Die Observationsmaßnahmen beschrieb er als „kontraproduktiv und dumm“.

Der Prozesstag beginnt mit einer rund einstündigen Verspätung, da der Angeklagte Thorsten W. zu spät erscheint. W., der sich inzwischen auf freiem Fuß befindet, gibt an, in der Nacht in Frankfurt einen Anschlusszug verpasst zu haben. Der Vorsitzende Richter (VR) ermahnt ihn, dass er pünktlich zu erscheinen habe und W. im Wiederholungsfall damit rechnen müsse, wieder in Haft genommen zu werden.

Daran anschließend bittet der VR den Angeklagten Paul-Ludwig U. und dessen Rechtsanwalt Scholz in den Zeugenstand. Paul-Ludwig U. hatte seine Aussage im Vorfeld angekündigt. Der VR belehrt U. über seine Rechten und Pflichten. Der Senat lasse U. frei erzählen und unterbreche ihn bewusst nicht in seinen Ausführungen. U. untergliedert seine Aussage in mehrere Themenblöcke.

Demo in Mönchengladbach – U. soll fast mit seiner Waffe aufgeflogen sein

Paul-Ludwig U. möchte sich zunächst zu seiner CO2-Waffe äußern, die bei ihm in Heidelberg konfisziert wurde. Er gibt an, dass er sowohl gegenüber den hessischen wie auch den baden-württembergischen Ermittler*innen darauf hingewiesen habe, dass er eine CO2-Waffe habe und sie zu Treffen mitnehme. Er sei belehrt worden, dass er sie nicht mitnehmen dürfe. Der hessische Ermittler André W. habe einerseits Verständnis geäußert, andererseits darauf hingewiesen, dass U. mit Konsequenzen rechnen müsse, wenn er mit der Waffe erwischt werde.

Bei einer Demonstration des extrem rechten Spektrums [am 8. September 2019] in Mönchengladbach sei er fast aufgeflogen, berichtet U. Er sei – nachdem er zuvor bei Johnny L. in Gießen übernachtet hatte – mit den Gießenern im Auto zur Demonstration gefahren. Bei der Ankunft sei man ohne Kontrollen auf dem Versammlungsplatz am Hinterausgang des Mönchengladbacher Bahnhofs eingetroffen. Der Platz sei von der Gegendemo durch die Polizei abgesperrt gewesen. U. habe seine Waffe in seinem Rucksack dabeigehabt. Er habe den Platz zusammen mit einem Begleiter aus Holzhausen nochmal verlassen, um zur Toilette zu gehen. Was er nicht gewusst habe: Man konnte einfach raus, wurde aber beim Betreten von der Polizei kontrolliert.

U. stellt die Situation so dar, dass er aufgrund seines T-Shirts [„Support 81 Nordend“, 81 dürfte hier für „Hells Angels“ stehen] zur Kontrolle beordert wurde. Er sei in Sorge gewesen, was passieren würde, doch ein Polizist („vier Sterne in Silber“) habe den durchsuchenden Beamt*innen gesagt, U. sei schon kontrolliert worden. U. habe den Rucksack mit der Waffe dann im Auto von Johnny L. verstaut. Auf der Rückfahrt habe U. gerätselt, wie er um die Kontrolle herumkam. Seine Erklärung: Die Gießener oder Stuttgarter Ermittler*innen müssten etwas gesagt haben. Als er den Ermittler*innen das zu einem späteren Zeitpunkt erzählt habe, hätten diese (auch der Stuttgarter Ermittler Michael K.) die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Das dürfe er nicht machen.

U. nahm die Waffe auch zu Treffen in Heilbronn und an der Hummelgautsche mit

Seine Aussage setzt Paul-Ludwig U. damit fort, dass er von seinem jugendlichen Freund Nico H. gefragt worden sei, ob er ihm nicht die Waffe geben könne. Der LKA-Ermittler Michael K. habe ihn gewarnt, die Waffe in H.s Hände zu geben. Ein paar Tage vor der Kontrolle in Heidelberg habe U. mit H. telefoniert. Dessen Mutter habe das auf laut gestellte Gespräch mitgehört. U. habe dann gesagt, er gebe die Waffe nicht an ihren Sohn. Dafür habe ihn Michael K. später in der Pause eines Verhörs gelobt.

Ansonsten wusste der Ermittler K. laut Paul-Ludwig U., dass U. die Waffe zu den Treffen in Heilbronn und an der Hummelgautsche [ein Treffen nahe dem schwäbischen Alfdorf] mit sich führe. K. habe ihm im Vorfeld gesagt, dass die Treffen observiert würden [aber nicht, wie die Observation stattfand] und U. ermahnt, man sehe genau, was er mit der Waffe anstelle, wenn er sie dabeihabe. An der Hummelgautsche habe U. dann die Waffe nach 15 bis 20 Minuten aus dem Auto seines Fahrers Oliver K. genommen und sie offen im Holster getragen.

Heidelberg – die Ermittler seien auf dem Laufenden gewesen

Paul-Ludwig U. geht in seiner Aussage auch auf die Kontrolle am 2. Oktober 2019 am Heidelberger Hauptbahnhof mit der anschließenden Beschlagnahmung seiner Waffe ein. Er habe die Waffe wie angekündigt in seinem Rucksack transportiert. Er sei sich aber nicht mehr sicher, ob Herr W. aus Hessen oder Herr K. vom LKA Baden-Württemberg ihm geraten habe, die Waffe in den Rucksack zu stecken, weil der Transport sonst schlechter zu erklären wäre. Er sei auf dem Weg zu Johnny L. nach Gießen gewesen.

Schon in Mosbach beim Einstieg in die S2 nach Heidelberg seien ihm drei Personen aufgefallen, die auffällig in die Fenster geschaut hätten. Er habe sich gleich gedacht, dass sie wegen ihm dort seien. In Heidelberg sei er dann vom Polizisten E. entdeckt worden, der mit zwei Kollegen auf ihn zugegangen sei, so U. „Bundespolizei, allgemeine Personenkontrolle“, habe E. gesagt. In diesem Moment habe U.s Telefon geklingelt und der hessische Ermittler Herr W. sei am Apparat gewesen. Nach dem Telefonat habe U. dem Polizisten bestätigt, dass er eine Waffe dabeihabe. Diese sei beschlagnahmt worden. U. habe mitbekommen, wie der Polizist E. über Funk erfahren habe, dass nichts gegen U. vorliege. Man soll zu U. gesagt haben, dass man sich postalisch melden werde und er so noch seinen Anschlusszug kriege. U. zeigt sich vor Gericht verwundert, woher der Beamte sein Fahrtziel kannte. U. äußert den Verdacht, dass der baden-württembergische Ermittler K. wusste, wohin er reise, denn U. habe ihn immer auf dem Laufenden gehalten, z.B. indem er Fahrscheine abfotografiert und ihm zugesendet habe. Dieses Wissen sei wohl weitergegeben worden, mutmaßt U.

Ermittler Michael K. soll Anordnung der Heidelberg-Kontrolle abgestritten haben

Nach der Kontrolle in Heidelberg habe Michael K. ihn mit dem Auto zu einer Vernehmung abgeholt. „Scheiße“ habe K. gesagt. U. habe gefragt, was er denn hätte tun sollen, und habe das Gießener Staatsschutz-Kommissariat ZK 10 verdächtigt, hinter der Kontrolle zu stecken, weil sie gezielt erfolgt sei. K. habe gesagt, er selbst werde auch oft kontrolliert. Auf die Frage von Paul-Ludwig U., ob K. die Kontrolle angeordnet habe, habe dieser abgestritten. „Warum soll ich Sie in eine Kontrolle schicken?“, soll er gefragt haben. [Tatsächlich hat Michael K. bereits vor Gericht zugegeben, dass die Kontrolle nicht zufällig, sondern auf Anweisung des LKA geschah. Auch einer der kontrollierenden Polizisten räumte nach einigem Herumdrucksen ein, dass es keine Zufallskontrolle war. Seine Zeugenaussage ist im Bericht zu Prozesstag 97 protokolliert.]

Paul-Ludwig U. sah sich „im Auftrag des LKA“ unterwegs

U. erzählt weiter, dass er wegen der beschlagnahmten Waffe einen Termin mit seiner Bewährungshelferin Sch. gehabt habe. Sie habe ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Paderborn vorliegen gehabt, auf dem handschriftlich notiert gewesen sei, dass U.s Bewährung widerrufen werde. U. habe Michael K. angerufen, wie das sein könne, wenn noch nicht einmal die Hauptverhandlung stattgefunden habe. U. sei beunruhigt gewesen und habe auch den Paderborner Staatsanwalt angerufen. Ihm gegenüber soll habe er gesagt, dass er die Waffe aus einem „minimalen Selbstverteidigungsgrund“ mitgenommen habe. Er könne damit niemanden schwer verletzten. Außerdem sei er im Auftrag des LKA unterwegs. Danach habe er nichts mehr gehört. Bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht Heidelberg sei ein Widerruf der Bewährung kein Thema mehr gewesen.

Wurde Paul-Ludwig U. in seinen Aussagen manipuliert?

Ein weiteres Thema, das Paul-Ludwig U. umtrieb und was er in seiner Aussage vor Gericht vorträgt, ist der Zeugenschutz. [U. wollte in ein Zeugenschutzprogramm kommen, ist jedoch stattdessen in einer „zeugenschutzähnlichen Maßnahme“.] Er sei im Glauben gewesen, dass man sich darum kümmere. Weil ihm das Thema wichtig gewesen sei, sei er genervt und penetrant gewesen.

Nach dem Gespräch des LKA Baden-Württemberg mit der Oberstaatsanwältin bei der Bundesanwaltschaft, Cornelia Zacharias, vom 10. Oktober 2019 [die einen Zeugenschutz für unmöglich hielt und daher ablehnte] sagte laut Aussage von Paul-Ludwig U. der LKA-Ermittler K. im Auto, das sei der „offizielle“ Teil gewesen. Beim Zeugenschutz und bei der Waffe bleibe alles so, wie er es mit U. besprochen habe. Zum Thema Beschuldigtenstatus, über den sich U. aufregte, soll sich der Ermittler so geäußert haben: Als Zeuge müsse U. die Wahrheit sagen, als Beschuldigter habe er mehr Rechte und könne „lügen, bis sich die Balken biegen“. K. habe zudem mehrfach auf Paragraf 129a StGB, Absatz 7 verwiesen, so etwa am 9. Februar 2020. [Dort sieht das Strafgesetzbuch einen möglichen Straferlass vor, wenn ein Täter über eine terroristische Vereinigung aussagt und damit die Gruppe behindert.]

Nachdem U. vom Treffen an der Hummelgautsche kommend wieder in Mosbach ankam, habe ihn Michael K. mit einer privaten Nummer angerufen. K. habe gesagt, Werner S. habe beim Treffen eine Schusswaffe dabeigehabt. U. will entgegnet haben, dass nicht S., sondern der Teilnehmer Daniel E. eine Waffe dabeigehabt habe. Das interessiere nicht, soll K. geantwortet haben. Bei der Observation habe man bei S. eine Waffe gesehen und es wäre gut, wenn U. das in einem abgehörten Telefonat am Abend bestätigen könne. So schildert es Paul-Ludwig U. Michael K. habe auch an anderer Stelle Einfluss auf die Aussage von U. genommen. So habe U. auf der Autofahrt zu einer Vernehmung in Mosbach gegenüber Michael K. gesagt, dass Marcel W. eine Stiftung gründen wolle. K. soll daraufhin entgegnet haben, das passe nicht ins Bild und U. solle das in seiner Aussage weglassen. Dies habe U. dann auch getan.

Einen ähnlichen Vorgang habe es bei der Videovernehmung durch Herrn St. gegeben. U. sei in Zusammenhang mit dem Hummelgautsche-Treffen ein Bild des Angeklagten Michael B. vorgelegt worden. Er habe die Chance zu sagen, dass auch er eine Waffe dabeigehabt habe. An der Stelle sei ihm der Kragen geplatzt, so Paul-Ludwig U.

Markus K. und Thomas N. ließen sich nicht vom Reichsbürger-Thema ablenken

In einem weiteren Aussageblock geht Paul-Ludwig U. auf das Treffen in Minden am 8. Februar 2020 ein. Er erzählt von seiner Anreise am Vortag: Erst sei er zur Wohnung von Markus K. gegangen, wo er sich mit ihm unterhalten habe. U. habe eine „Kawumm“ geraucht. Thomas N. sei dann hinzugestoßen, habe beide zu einer Currywurst am Imbiss eingeladen und anschließend Paul-Ludwig U. mit zu sich nach Hause genommen. Sie seien von N.s Lebensgefährtin begrüßt worden. Thomas N. habe ihm sein Haus gezeigt. Im Eingangsbereich hätten viele Äxte und Messer gehangen, an einem Schrank habe ein Gewehr mit Zielfernrohr gelehnt.

Am Abend habe man zusammen mit Markus K. gegessen und reichlich Met konsumiert. U. gibt an, „relativ voll“ gewesen zu sein. Markus K. habe mit Reichsbürger-Gerede angefangen, in das Thomas N. eingestimmt habe. U. erklärt, er sei genervt davon gewesen und habe versucht, auf das Thema des kommenden Tages umzuschwenken. Doch seine beiden Gesprächspartner seien nicht darauf angesprungen. Paul-Ludwig U. habe bei Thomas N. übernachtet. In der Nacht sei er zwei, drei Mal aufgestanden, um auf die Toilette zu gehen. U. betont, dass er weder Geld noch Armbänder bei N. gestohlen habe [was ihm Thomas N. nach dem Treffen vorwarf].

Die Überwachung: Nicht clever, weil allen aufgefallen

Das Treffen am 8. Februar im Haus von Thomas N. in Minden sollte zwischen 10 und 11 Uhr beginnen. Paul-Ludwig U. gibt an, ihm sei beim Blick durch das Küchenfenster ein Auto mit Anhänger in der Ausbuchtung aufgefallen. Da er von Michael K. gewusst habe, dass das Treffen observiert werde, habe er das Auto damit in Verbindung gebracht. U. habe sich daraufhin gegenüber Thomas N. angeboten, draußen die Teilnehmenden in Empfang zu nehmen, damit niemand anderes Verdacht schöpfe. Draußen habe er beim Rauchen einer „Kawumm“ auf das Auto geschaut und zunächst gedacht: „Clever gemacht“. Er habe eine Kamera darin vermutet. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass das nicht clever war, weil das Auto allen aufgefallen sei.

Am Haus seien dann ein schwarzer BMW mit abgedunkelten Scheiben und eine silberne C-Klasse mit abgedunkelten Scheiben hinten vorbeigefahren. Die Beifahrer*innen hätten auf das Grundstück und auf ihn selbst geschaut, schildert Paul-Ludwig U. Eine Beifahrerin sei im Alter der LKA-Ermittlerin Maren S. gewesen. Thomas N. sei zwischenzeitlich mal rausgekommen, um zu fragen, ob U. nicht kalt sei. Nachdem U. abgewiegelt habe, sei N. zurück ins Haus gegangen.

Paul-Ludwig U. gab sein Handy nicht ab

Nach und nach seien die Teilnehmenden eingetroffen. Zuerst Thorsten W. mit seinem Auto, dann jemand, an den sich U. nicht mehr erinnern kann, gefolgt von Marcel W. und Frank H. sowie Tony E. und Werner S. Man habe sich begrüßt. Werner S. und Tony E. forderten dann dazu auf, die Handys abzugeben. Paul-Ludwig U. habe sich jedoch so angestellt, dass nicht aufgefallen sei, dass er sein Handy nicht abgegeben habe. Michael K. habe ihm zuvor geraten, sein Handy am Mann zu behalten. U. habe es dann auf „schwarz“ [vermutlich lautlos] gestellt. Man sei anschließend in den Wintergarten gegangen, den man vorher für ein Mettfrühstück eingedeckt habe. Es folgte eine Vorstellungsrunde, in der auch U. seine Geschichte erzählt habe. Zeitnah habe auch Ulf R. die Runde erreicht. Kurz darauf habe Thorsten W. offenbart, dass er bei der Polizei arbeite. Über seinen Verbleib und auch den Verbleib von Ulf R., der kurzfristig von Thomas N. oder Tony E. eingeladen worden sei, wurde abgestimmt. U. möchte in seiner Aussage nicht ausschließen, dass er – nach Blickkontakt mit Werner S. – gegen den Verbleib von R. gestimmt habe. [Zum Hintergrund: Ulf R. wurde am 14. Februar 2020 in Zusammenhang mit der „Gruppe S“ festgenommen und nahm sich im Juli 2020 in der Haft das Leben.]

Anschlagsziele und Waffenkauf: Der Gesprächsverlauf nach Paul-Ludwig U.

U. schildert dem VR den Verlauf des Treffens in Minden. Als erstes habe Werner S. das Wort ergriffen und gesagt, alle wüssten, warum man sich treffe. U. gibt an, dass er selbst recht früh das Gespräch auf die große Moschee in Köln als Anschlagsziel gelenkt habe. Das sei jedoch von Werner S. abgelehnt worden, der lieber kleinere Moscheen angreifen wollte. Marcel W. habe, so Paul-Ludwig U., das Gespräch auf ein Spendenkonto für seinen verstorbenen Freund lenken wollen und beim Moschee-Vorschlag distanziert gewirkt, ebenso Frank H. Paul-Ludwig U. habe dann ein Wortgefecht mit W. begonnen, dass das niemanden interessiere. Werner S. habe erneut kleine Moscheen ins Gespräch gebracht, und dann habe es eine Pause gegeben. In dieser habe Paul-Ludwig U. dann mit Werner S. zusammengestanden und sich angeboten, die Moscheen auszukundschaften. Er habe ja Zeit, habe er gesagt, insgeheim aber so das LKA über mögliche Anschlagsziele informieren wollen.

Nach der Pause sei es um das Thema Waffen gegangen. Steffen B. habe gesagt, er kenne einen Waffenhändler. Werner S. habe nach der Summe gefragt. Schlussendlich habe man sich auf fünf Moscheen und einen Waffenkauf für 45.000 bis 50.000 Euro geeinigt. Frank H. habe Tschechien als Ort des Waffenkaufs ins Spiel gebracht. Werner S. wollte mit und U. habe sich ebenso gemeldet, damit er dabei sei. U. schildert auch, dass Ulf R. „von Anfang an sehr nervös“ gewesen sei und gewirkt habe, als wisse er nicht, worum es geht. Das habe er [U.] auch in seinen Vernehmungen später immer wieder so gesagt.

„Paul, ich glaube, wir werden verfolgt“

Nach der Besprechung sei man gemeinsam in das Restaurant von Tony E.s  Bekannten gegangen. U. habe zunächst die Rückfahrt mit „Wolf“ [Wolfgang W.] abgeklärt. Dann sei er unter dem Vorwand, eine Freundin anrufen zu wollen, rausgegangen und habe mit Michael K. telefoniert. Er habe K. über die Pläne informiert und mitgeteilt, dass er mit Wolfgang W. nach Koblenz zurückfahre. Im Restaurant habe er von Werner S. noch zwei 50-Euro-Scheine für die Rückfahrt bekommen und sei dann mit W. losgefahren.

Nach 80 Kilometern auf der Autobahn habe Wolfgang W. gesagt: „Paul, ich glaube, wir werden verfolgt.“ Immer wenn W. verlangsamte oder beschleunigte, habe es ihm das Verfolgerauto gleichgetan. Das habe man über die Rückspiegel beobachten können und sei nicht gerade unauffällig gewesen. U. habe dann Werner S. angerufen und überrascht getan. Man sei auf einen Autobahnparkplatz gefahren, gefolgt vom Verfolgerauto. U. habe sich dort den Wagen etwas genauer angeschaut. Es sei der schwarze BMW vom Morgen mit demselben Beifahrer gewesen. Nachdem U. in Koblenz ausgestiegen sei, habe das Auto Wolfgang W. verfolgt. U. habe Michael K. angerufen, das könne doch kein Zufall sein. Doch K. habe nur auf den nächsten Morgen verwiesen, an dem man eine Vernehmung in Mosbach durchführen wolle.

Weglassen

Am nächsten Morgen sei er, so Paul-Ludwig, U. 6:15 Uhr in Mosbach angekommen. Er habe beim Frühstückholen im Café einen Hustenanfall bekommen, bei dem er kurz weggetreten sei. Der Notarzt habe ihm Kortisol gespritzt, und zehn Minuten später habe er sich wieder fit gefühlt. Er sei von den LKA-Ermittler*innen Michael K. und Maren S. zuhause abgeholt worden. In der Vernehmung habe er gesagt, was Marcel W. und Frank H. geäußert hätten [gemeint ist wohl das Thema Stiftung]. Die Ermittler*innen hätten gesagt, er solle das „weglassen“ und stattdessen auf den Rang „Sergeant at Arms“ eingehen.

U. habe die Ermittler*innen dann mit der aufgeflogenen Observation konfrontiert: „Haben Sie die uns hinterhergeschickt? Wie doof kann man sein?“ K. habe das verneint. Es sei dann im Laufe des Tages der Verdacht in der Gruppe laut geworden, dass U. Thomas N. bestohlen habe. U. habe gegenüber den Ermittler*innen beteuert, nichts gestohlen zu haben, was sie ihm abgekauft hätten. Michael K. habe ihn gebeten, noch die Waffenübergabe mitzumachen, doch U. habe gesagt: „Nein, heute ist Schluss! Ich fahre nirgendwo mehr hin!“ K. habe noch versucht, ihn zu überreden, er sei doch in U.s Nähe. U. habe sich nur gedacht: In 80 Metern Entfernung? Im Laufe des Tages sei dann auch der Spitzel-Verdacht gegen U. immer lauter geworden. Michael K. habe versprochen, das mit der Oberstaatsanwältin Zacharias zu klären. U. solle seine Tasche mit dem Nötigsten packen, man hole ihn am folgenden Nachmittag ab.

Ein Leben im Reißwolf

Paul-Ludwig U. habe dann eine Betreuerin angerufen und gefragt, ob sie nicht einen Reißwolf hätte. Er habe alles geschreddert: alle Akten, alle privaten Briefe, sein persönliches Fotoalbum, auch mit Bildern von Herrn G. [vermutlich der Polizist, den er einmal als Geisel genommen hatte und danach mit ihm lange in Kontakt blieb] und von einem Treffen mit seinem Onkel.

Er habe nur das Nötigste mitgenommen: Wäsche, seine Playstation und ein paar Lebensmittel. Warum er das alles nicht mehr gebraucht hätte, „fragt“ U. in den Gerichtssaal. Weil ihm nie klar gesagt worden sei, dass es keinen Zeugenschutz gebe, beantwortet er die Frage selbst. Er habe alles hinter sich abgebrochen. Am 11. Februar seien dann die beiden Ermittler*innen bei ihm in der Wohnung gewesen, um ihn abzuholen. U. habe sein Handy noch auf Werkseinstellung gesetzt, nicht, um etwas zu verbergen, wie er beteuert, sondern weil er gedacht habe, er fahre für immer weg. Das Telefon sei aber zuvor noch gespiegelt worden, erklärt U. Michael K. habe dem Chef der Wohngruppe gesagt, alle geschredderten Briefe und Unterlagen könnten weg. Anschließend habe er U. nach Fellbach gefahren und ihn dort an andere Polizisten übergeben. Er habe unterschreiben müssen, dass er über die Maßnahmen („Personenschutz“) nichts sagen dürfe, da er sich sonst strafbar mache. Von Zeugenschutz sei nicht mehr die Rede gewesen.

Paul-Ludwig U. fühlt sich von Michael K. verschaukelt

Die Frage, was in Vernehmungspausen zwischen Paul-Ludwig U. und Michael K. besprochen wurde, greift U. als nächstes auf. Es sei immer so gewesen, dass U. und K. in den Pausen allein zusammengestanden hätten. Nur nach der übermittelten Ansage von Oberstaatsanwältin Zacharias zum Zeugenschutz habe Maren S. dabeigestanden. Frau Zacharias habe er nie persönlich getroffen. Michael K. habe gewusst, dass U. eine Waffe mit sich führte, auch beim Verhör. U. gibt an, er sei nie durchsucht worden, weder in Gießen noch in Stuttgart.

Weiter erzählt U., er sei von K.s „Machen Sie sich keine Sorgen“ in den Pausengesprächen zunehmend genervt gewesen und habe die Geduld verloren. „Ich kümmere mich drum“, habe K. versprochen. Das habe sich wie ein roter Faden durch die Gespräche mit K. gezogen. Was U. in den abgehörten Gesprächen der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) äußerte [beispielsweise über angebliche Versprechungen des LKA von Zeugenschutz, Straffreiheit und Vertraulichkeit für seine Aussagen], sei das, was Michael K. ihm in den Pausen und im Auto zugesichert habe. U. habe gedacht, er müsse sich keine Sorgen machen. Doch es sei anders gekommen. So habe die Verhandlung vor dem Amtsgericht Heidelberg wegen des unerlaubten Waffenbesitzes doch stattgefunden, obwohl es geheißen habe, da werde nichts passieren. Man habe ihm zunächst nicht geglaubt, dass er Hinweisgeber sei. Auch die kuriose Situation am Heidelberger Bahnhof habe man ihm nicht abgenommen. Das Ergebnis seien zehn Monate auf Bewährung gewesen.

U. kommt erneut auf die Verfolgung nach dem Mindener Treffen zurück. Am 11. Februar, als er von den Ermittler*innen zuhause abgeholt wurde, habe Michael K. gesagt, sie seien für die Verfolgung verantwortlich gewesen. Man habe U. schützen wollen, es sei aber dumm gelaufen. Statt wie üblich fünf bis sieben Wagen habe man nur ein Auto zur Verfügung gehabt. U. habe das als „kontraproduktiv und dumm“ bezeichnet, woraufhin K. mit den Schultern gezuckt habe.

Die Ermittler sollen U. auf das „Nothilfegesetz“ hingewiesen haben

Vor dem letztlich abgesagten Treffen in Hamburg habe U. Michael K. gefragt, was er denn tun solle, wenn er eine Waffe angeboten bekommt. Michael K. habe ihm geraten, Magazin und Waffe getrennt im Rucksack mit nach Hause zu nehmen. Auf U.s Einwand, dass er sich strafbar mache, habe K. ihn nur aufgefordert, sich an seine Anweisungen zu halten. Auf U.s Frage, was er in einer Gefahrensituation beim Treffen tun könnte, habe ihm K. geraten, durch die Decke zu schießen. Dann gelte das Nothilfegesetz.

Der Gießener Ermittler Tobias W. habe U. dafür gelobt, dass er sich im Vorfeld alle Eventualitäten durch den Kopf gehen lasse. Das mache die Polizei auch so. Zu U. soll W. gesagt haben, es sei egal, ob er eine scharfe Waffe dabeihabe. Das Nothilfegesetz sei immer vorrangig.

Paul-Ludwig U.s Odyssee durch die Sicherheitsbehörden

In seinem letzten Block beschreibt Paul-Ludwig U., wie er versuchte, seine Beobachtungen an Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Zuerst habe er sich an das BKA gewandt, da U. als gebürtiger Hesse wisse, dass es dort seinen Hauptsitz hat. Er sei dort abgewiesen worden, ebenso vom LKA Hessen. Man sei nicht zuständig und habe an das Bundesamt für Verfassungsschutz verwiesen. Dorthin habe er eine E-Mail geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Die E-Mail habe er seinem Kontakt bei der Moschee in Mosbach vorgezeigt. [Den dortigen Imam warnte U. eigenen Angaben zufolge vor der Gefahr möglicher rechter Anschläge auf Moscheen.] Dort habe man sich gewundert, warum nichts unternommen werde.

Nach vier Wochen habe U. eine zweite E-Mail an die Behörde geschrieben, gefragt, ob sie aus dem NSU nichts gelernt hätten, und gewarnt, dass er Kontakte zur Presse habe. Er habe angedeutet, dass ein neuer Untersuchungsausschuss drohe. Erst nach fünf bis sechs Wochen habe sich am Abend gegen 21 Uhr eine private Nummer bei ihm gemeldet, ein Beamter des Bundesamts für Verfassungsschutz. Dieser habe gefragt, was vorliege, und U. habe sich und sein Anliegen vorgestellt. Der Beamte habe dann gesagt, es sei gut, dass U. das von sich aus erzähle, weil man es sonst selbst herausgefunden hätte. Der Geheimdienstler habe dann geäußert, es wäre gut, wenn jemand mit U.s Vorgeschichte dranbleiben könnte. [Jemand mit so langer Hafterfahrung hatte, so die Hoffnung, bessere Chancen auf einen schnellen Zugang in die Gruppe.] U. sei der „ideale Türöffner“. Zugleich habe er aber auch darauf hingewiesen, dass U. ohne Auftrag handle und es gefährlich werden könne. Dem habe U. zugestimmt. Ein bis zwei Wochen später habe sich, so glaubt Paul-Ludwig U. sich zu erinnern, die Polizei aus Würzburg bei ihm gemeldet und es sei zum ersten Treffen gekommen.

Paul-Ludwig U., die „Bruderschaft“ und der 8. Februar 2020 in Minden

Nach dem weitgehend strukturierten Vortrag von Paul-Ludwig U. fügt er eine Ergänzung zum Vorabend des 8. Februar 2020 in Minden hinzu, als er mit Thomas N. und Markus K. zusammen saß. Ein Hauptthema sei seine Rolle bei der „Bruderschaft Deutschland“ gewesen und warum er die „Bruderschaft“ vertrete. U. habe erzählt, dass er am 3. Februar Ralf N. gefragt habe, wie weit er ihn beim Treffen vertreten soll. N. habe geantwortet: „komplett, komplett“; U. habe das Recht, ihn „voll und ganz“ zu vertreten. Das findet Paul-Ludwig U. auch durch die TKÜ bestätigt. Markus K. und Thomas N. hätten Unverständnis darüber geäußert, was Paul-Ludwig U. auch eingesehen haben will. Man habe sich in der Dreierrunde darauf geeinigt, dass U. mit seinem Namen dort sitze und nicht für die „Bruderschaft“. Damit schließt U. seine Aussage. Ihm werden an diesem Prozesstag keine Fragen gestellt, der VR beendet die Verhandlung.

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