Beim 100. Prozesstag gegen die „Gruppe S“ am 15. November 2022 sagte die ehemalige LKA-Beamtin Maren S. aus, die neben ihrem Kollegen Michael K. die Kontaktperson zu dem Angeklagten und Dauer-Hinweisgeber Paul-Ludwig U. gewesen war. Die Zeugin gab an, dass man einige von U.s Angaben, z.B. über die Beteiligung mehrerer Fremdenlegionäre, nicht habe bestätigen können. Sie habe aber nicht den Eindruck gehabt, dass U. bewusst die Unwahrheit gesagt habe. Einige Angaben habe sie anfangs noch nicht einschätzen können. Einige Verteidiger*innen fragten auch nach dem Treffen der Zeugin mit U.s Rechtsanwalt Scholz. Offenbar wollte man über ihn auf U. einwirken, sich beim Chatten zu mäßigen. Immer wieder fragte die Verteidigung der anderen Angeklagten, warum zur Gefahrenabwehr nicht früher interveniert wurde, also bevor sich Paul-Ludwig U. weiter schuldig machte. Man habe, so die Zeugin, abgewartet, „da man weitere Informationen haben wollte“. Im November 2019 habe Paul-Ludwig U. dann entschieden, keine Informationen mehr an die Polizei zu geben, habe aber trotzdem weitergemacht. Eventuell wurde er von Michael K. und der Zeugin davon überzeugt. Die Zeugin berichtete, U. habe Michael K. immer wieder E-Mails an die Staatsanwältin Zacharias weiterleiten lassen mit der Bitte, Quelle statt Beschuldigter zu sein. Staatsanwältin und LKA behaupteten mehrmals, sie haben ihm deutlich kommuniziert, dass das nicht möglich sei. Doch mehrere Telefonate und Schreiben von U. zeigen, dass er offenbar trotzdem glaubte, er werde als Quelle behandelt oder könne zumindest in diesen Status kommen. Die Vermutung der Verteidigung anderer Angeklagter im Gerichtsaal war einmal mehr, dass die Behörden ihn bewusst in diesem Glauben gelassen haben könnten, um ihren Informationszuträger bei der Stange zu halten.
Thorsten W. und Marcel W. kommen erstmals als aus der Haft entlassene Angeklagte zum Gericht und sitzen nun nicht mehr bei den meisten anderen Angeklagten, die aus der Haft in den Saal gebracht werden. Die heutige Befragung der Zeugin setzt diejenige vom 20. September 2022 fort. Damals wurde S. vom Vorsitzenden Richter (VR) befragt, heute dürfen die übrigen Verfahrensbeteiligten Fragen stellen.
Rechtsanwalt (RA) Mandic erklärt seinen Widerspruch im Namen seines Mandanten Michael B. Er widerspreche der Verwertung der Vernehmung und der bereits eingeführten Video-Vernehmung. Die Zeugin Maren S. habe Paul-Ludwig U. ab dem 17. September betreut. U. habe Bürger zu Taten provoziert. Es müsse erst eine Tatprovokation ausgeschlossen werden. Paul-Ludwig U. habe vieles aus den Sozialen Netzwerken für bare Münze genommen und sei damit zu den Behörden gegangen. Der RA zitiert Paul-Ludwig U.: „Ja, ich mache meine weitere Bereitschaft zur Beteiligung von meinem Status abhängig.“ Diese Formulierung hält der RA nicht für U.s typische Sprache. Er verdächtige die Behörden, U. angestiftet oder beeinflusst zu haben. Bis das geklärt sei, müsse die Aussage von Paul-Ludwig U. und deren Wiedergabe einem Beweismittelverwertungsverbot unterliegen.
Befragung der LKA-Zeugin Maren S. durch die Verteidigung
Anschließend wird die Zeugin Maren S. befragt. Oberstaatsanwältin (OStAin) Bellay beginnt mit einer Frage zur Vernehmung vom 10. Dezember 2019. Sie will wissen, was Paul-Ludwig U. gesagt habe, was man sich unter Aktionen vorstelle. Die Zeugin antwortet, U. habe von Aktionen im Frühjahr gesprochen, mit einzelnen Zellen von 10 bis 15 Personen.
Thomas N.s RA Sprafke fragt nach der Vernehmung vom 14. Oktober 2019. Ab wann sie gewusst haben, dass keine Schreibkraft da sein werde. Die Zeugin sagt, bei der Anfahrt. Der RA erwidert, beim Telefonat mit Paul-Ludwig U. vom 11. Oktober 2019 habe sie gesagt: „Wir brauchen keine.“ Die Zeugin erwidert: „Kann gut sein.“ Am Ende fasst der RA zusammen: Es habe bei dem Verhör keine Schreibkraft, keine Tonbandaufnahme und kein Wortprotokoll gegeben. Die Zeugin bestätigt das.
Frank H.s Verteidiger Herzogenrath-Amelung fragt nach einer Vernehmung von Paul-Ludwig U. und zitiert daraus: „[Zu Jonny L.] habe ich ein gutes Verhältnis, der hängt an mir wie ein Sohn.“ Wenn L. rausbekomme, dass er ein Informant sei: „Ich kann mir nicht vorstellen, was dann passiert.“ Die Zeugin widerspricht, sei U. nie Informant gewesen.
Der RA fragt nach der Angabe von Paul-Ludwig U., wonach vier der Teilnehmer an einem Treffen in der Fremdenlegion und zwei beim BKA gewesen seien. Ob sie daran Zweifel habe? Die Zeugin gibt an, sie seien dem nachgegangen und haben die Angabe nicht bestätigen können. U. habe nach ihrer Wahrnehmung aber nicht bewusst etwas Falsches gesagt. Das Geschilderte sei seine Auffassung gewesen.
Das LKA forderte U. zur Zurückhaltung auf
Thorsten W.s RA Kist fragt nach dem Hummelgautsche-Treffen. In einem Bericht stehe, dass Werner S. eine Sturmhaube aus dem Fahrzeug genommen habe. Woher sie diese Informationen habe? Die Zeugin verweist auf den Observationsbericht. Der RA liest aus diesem Observationsbericht, dessen Kenntnis die Zeugin gerade eingeräumt hat, dass U. ein Schulterholster getragen habe. Aus dem Observationsbericht ergebe sich nicht, dass U. und S. gemeinsam am Auto gewesen sein. [Paul-Ludwig U. hatte ausgesagt, Werner S. habe ihm am Auto eine geladene Waffe gezeigt. Dass U. und S. vom Observationsteam angeblich tatsächlich gemeinsam am Auto gesehen wurden, werteten die Behörden damals als einen von mehreren Hinweisen darauf, dass U.s Aussagen an relevanten Punkten wahr sein dürften.] Der RA fragt, ob es noch weitere Bilder oder ein Video von dem Treffen gebe. Der VR wirft ein, der Senat gehe davon aus, dass es Bildmaterial gebe, das den Verfahrensbeteiligten nicht vorliege.
Marcel W.s RA Picker fragt nach der Kommunikation von Paul-Ludwig U. in Bezug auf eine Beteiligung an Straftaten. Die Zeugin gibt an, sie haben ihm gesagt, er solle sich zurückhalten; auch bezüglich seiner Nachrichten in Chatgruppen habe sie gesagt, „dass er sich zu arg einbringt“.
Verteidigung kritisiert erneut lückenhafte Beweisstücke
Marcel W.s RA Miksch fragt, wer unter den Angeklagten die sogenannte Antifa-Liste [vermutlich die gehackte Kundendatei eines linken Mailorders] verbreitet habe, auf die sich Paul-Ludwig U. in seiner Vernehmung vom 14. Oktober 2019 bezog. Die Zeugin erinnert sich, die Liste von Paul-Ludwig U. bekommen zu haben. Sie stamme vermutlich aus einer Chatgruppe. Die Nachricht dazu habe sich auf „Teutonico“ [Werner S.] bezogen.
Der RA fragt weiter, ob in Bezug auf das Treffen am 8. Februar 2020 in Minden eine akustische Überwachung diskutiert worden sei. Die Zeugin glaubt, dass die Antwort nicht von ihrer Aussagegenehmigung gedeckt werde, da es um Polizeitaktik gehe. Der RA erkundigt sich außerdem, ob sie U.s Behauptung ernst genommen habe, dass Toni E. gesagt habe, 2.500 Leute stünden bereit. Die Zeugin gibt an, solche Angaben habe sie damals noch nicht einschätzen können. Sie seien aber von einer kleinen Gruppe ausgegangen. Die Größe der Vernetzung sei nicht absehbar gewesen. So habe die „Bruderschaft Deutschland“ ein größeres Personenpotenzial gehabt.
Auch Werner S.‘ RA Siebers bezieht sich auf U.s Behauptung, es gebe Zellen mit je 10 bis 15 Mitgliedern: ob sie hinterfragt habe, woher er diese Information hatte. Die Zeugin erklärt, U. habe das eigenen Angaben zufolge persönlich erfahren. Weiter fragt der RA nach der Überprüfung der Verschriftlichung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). [Die Verteidigung monierte bereits mehrmals, dass in der Verschriftlichung entscheidende Dinge nicht auftauchen würden bzw. dem widersprächen, was in den Original-Tondateien zu hören sei.] Die Zeugin gibt an, dafür sei der Kollege B. zuständig gewesen. Als Sachbearbeiterin habe sie die Verschriftlichung nicht überprüft. Der RA fragt auch, ob sie das Telefonat vom 19. Januar 2020 noch einmal zur Vorbereitung auf den heutigen Prozesstag angehört habe. Es tauche in der Verschriftlichung nicht auf. Die Zeugin gibt an, sich vor ein paar Wochen einige Telefonate noch einmal angehört zu haben.
Weiter fragt der RA, warum sie in ihrer Befragung vom 29. September 2022 auf den Vorhalt des VR, Paul-Ludwig U. sei „Pro-Forma-Beschuldigter“, aufgelacht habe. Die Zeugin erklärt das mit ihrer Verwunderung damals: Sie habe dieses Wort noch nie so benutzt. Es höre sich an wie: „Das ist kein richtiger Beschuldigter.“
Wolfgang W.s RA Grassl möchte von der Zeugin wissen, was sie und Michael K. gemeint hätten, als sie gegenüber RA Scholz äußerten, dass dessen Mandant Paul-Ludwig U. sich zurückhalten solle. Die Zeugin erklärt, damit sei U.s Aktivität in den Chats gemeint gewesen. Es sei kritisch, „wenn er sich involviert“ und strafbar mache. Die Zeugin fügt an, sie habe U. über das Treffen mit seinem RA informiert.
Was schrieb der externe Soko-Berater M. in die Akten?
Markus K.s RAin Schwaben fragt nach dem externen Berater M. der Soko Valenz. Laut StAin Zacharias habe M. Vermerke geprüft, um sicherzustellen, dass darin nichts steht, was da nicht reingehöre. Die Zeugin bestätigt, dass der externe Berater das auch bei ihr gemacht habe.
Weiter fragt die RAin, wie oft es vorkomme, dass sie länger in Kontakt mit Beschuldigten sei und diese sie anrufen. Die Zeugin gibt an, dass sie das so auch noch nicht erlebt habe. Die RAin spricht die von der Zeugin behauptete „klare Haltung zum Status beim LKA“ von Paul-Ludwig U. an. Die Zeugin betont erneut, U. sei von Anfang an Beschuldigter gewesen. Sie habe es „für unwahrscheinlich“ gehalten, dass er einen neuen Status bekommt. Die RAin hakt nach, ob man U. je auseinanderdividiert habe, welche Status es gebe und welchen Regeln das folge. Die Zeugin sagt, das könne sein, „vielleicht durch Michael K.“. Sie könne sich aber nicht konkret erinnern.
Stefan K.s RA Just möchte wissen, ob die TKÜs von Paul-Ludwig U. nur als Grundlage für den Strafprozess ausgewertet wurden, oder auch zur Gefahrenabwehr. Die Zeugin erwidert: „Das wüsste ich jetzt nicht.“ Außerdem fragt sie der RA, ob sie wisse, ob Daten aus den TKÜs einer G10-Kommission eines Bundeslandes zur Entscheidung vorgelegt wurden. [Die G10-Kommissionen entscheiden über nachrichtendienstliche Fragen.] Die Zeugin verneint.
U. machte sich früh in Chats strafbar – laut Zeugin das Argument gegen einen Status als Quelle
Auf die Frage von Michael B.s RA Berthold, warum Paul-Ludwig U. von Anfang an als Beschuldigter geführt wurde, auch schon vor dem Hummelgautsche-Treffen, verweist die Zeugin auf die Chatprotokolle. [Die Argumentation ist, dass U. sich in den Chats bereits strafbar gemacht habe und daher automatisch Beschuldigter und nicht Quelle gewesen sei.] Der RA fragt, warum nicht früher interveniert wurde, und die Zeugin verweist auf Absprachen mit Staatsanwältin Zacharias. Man habe abgewartet, „da man weitere Informationen haben wollte“. Es hätten weitere Gefährdungen und Straftaten im Raum gestanden. Der VR greift korrigierend ein: Nicht das LKA bestimme, wann ein Verfahren nicht mehr verdeckt, sondern offen geführt werde.
Der RA fragt, ob man Gefährderansprachen bei Gruppenmitgliedern in Betracht gezogen habe. Die Zeugin verneint, man habe das Verfahren nicht gefährden wollen. Überlegungen, durch Gefährderansprachen die Gründung einer terroristischen Vereinigung zu verhindern, habe es nicht gegeben. Der RA fragt nach, ob sie Kenntnis gehabt habe von konkreten Plänen, Menschen zu gefährden. Die Zeugin argumentiert, dass Paul-Ludwig U. in der Vernehmung vom 14. September 2020 von geplanten Aktionen u.a. gegen Flüchtlingsunterkünfte erzählt habe. Der RA fragt weiter, ob die Ernsthaftigkeit dieser Aussagen geprüft wurde. Die Zeugin verweist auf einzelne Chats, die solche Pläne nahegelegt hätten.
Warum griffen die Behörden nicht früher ein?
Ebenso fragt der RA, ob das LKA darüber nachgedacht habe, weitere Quellen aus dem Umfeld der Gruppe zu gewinnen. Die Zeugin verneint und korrigiert, Paul-Ludwig U. sei keine Quelle gewesen. Der RA erkundigt sich außerdem, warum Marion G. aus dem Fokus geraten sei. [Die Ermittlungen wurden zunächst vor allem gegen G. geführt, konzentrierten sich dann aber auf Werner S. und dessen Umfeld, die spätere „Gruppe S“.] Die Zeugin sagt, dass G. nicht mehr Teil der Gruppe gewesen sei und Paul-Ludwig U. sie nach einer Weile als „Mitläuferin“ eingeschätzt habe. „Sie gehörte nicht zu dem Kreis, gegen den wir ermittelten.“
Der RA bezieht sich auf die ursprüngliche Anklageschrift, der zufolge die terroristische Vereinigung bereits beim Treffen an der Hummelgautsche gegründet wurde. [Der Senat gab abweichend dazu bereits bekannt, dass er die Gründung erst beim Treffen in Minden 2020 sieht.] Der RA möchte wissen, warum nach der Hummelgautsche nicht unmittelbar zugegriffen wurde. Die Zeugin argumentiert, dass man zu dem Zeitpunkt noch nicht genügend Anhaltspunkte gehabt habe.
Der RA fragt, ob es außer dem Rat an Paul-Ludwig U., was zu tun sei, wenn er eine Waffe angeboten bekäme – er hätte sie angeblich annehmen sollen –, noch weitere Handlungsanweisungen gegeben habe. Die Zeugin verneint.
Paul-Ludwig U.: „Regisseur“ dieses Falls?
Michael B.s RA Mandic möchte wissen, ob sie mitbekommen habe, dass Paul-Ludwig U. hier im Prozess aussagen möchte. Die Zeugin bejaht. Sie habe es von Michael K. erfahren. Der habe sie angerufen und informiert: „Nur für dich, für den Hinterkopf“, habe er gesagt. Dass sie wegen U.s Ankündigung ihre eigenen Aussagen überdacht habe, streitet sie ab: „Weil ich wahrheitsgemäß ausgesagt habe.“ Sie könne aber nicht ausschließen, dass Paul-Ludwig U. sich „anders erinnert und aussagt“.
Der RA fragt nach der Rolle von Paul-Ludwig U. als möglicher „Regisseur“, wie er sich auch in einem Verhör selbst bezeichnet hatte. Sie habe, so die Zeugin, nicht diesen Eindruck gehabt. Auch trotz seiner Vorschläge wie z.B. „Lass mal Moschee machen!“. Paul-Ludwig U. sei oft nicht anwesend gewesen und könne so nicht überall Regisseur gewesen sein.
Der RA fragt, ob der Zeugin bekannt sei, dass sich Frau Zacharias schon im Mai 2019 mit Aussagen von U. befasst habe und in seinen Angaben keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen habe. [Damals sagte U. über Wolfgang J. aus Aschaffenburg und Jonny L. aus Gießen ähnliche Dinge wie später über die „Gruppe S“ aus, was u.a. eine Observation in Gießen zur Folge hatte. Die Ermittlungen wurden später eingestellt.] Ob sie sich an eine Vernehmung aus München vom April 2019 erinnere, in der von einer „Bitte um Steuerung“ die Rede sei? Die Zeugin verneint.
Machte das LKA U. Hoffnung auf Nachsicht im Verfahren um die beschlagnahmte CO2-Waffe?
RA Scholz fragt, ob Paul-Ludwig U. der Zeugin und ihrem Kollegen Michael K. beim ersten Verhör eine E-Mail des Bundesamts für Verfassungsschutz vorgelegt habe. [U. hatte erzählt, er habe den Verfassungsschutz vor Anschlägen auf Moscheen gewarnt und wochenlang keine Antwort erhalten.] Die Zeugin kann sich nicht daran erinnern.
Außerdem möchte der RA von Maren S. wissen, ob sie Paul-Ludwig U. je geraten habe, er solle zur Sicherheit durch das Autodach schießen. Die Zeugin beteuert, sie habe das „bestimmt nicht gesagt“. Der RA fragt, ob Michael K. mal gesagt habe, er sei sehr dankbar, wenn U. weitermache bis zum Waffenkauf [den die Gruppe mutmaßlich beim Treffen in Minden vorbereitete]. Die Zeugin sagt, dass beziehe sich auf die E-Mail vom November 2019, als Paul-Ludwig U. angekündigt habe, er wolle aufhören.
RA Kist sagt, dass Staatsanwältin Zacharias im Zusammenhang mit der Heidelberger Kontrolle entschieden habe, dass sie nicht zuständig sei. [Am Hauptbahnhof Heidelberg wurde U. eine CO2-Waffe abgenommen, die er nicht hätte führen dürfen. Die Maßnahme wurde lange als Zufallskontrolle dargestellt, doch mittlerweile bestätigten mehrere Polizeizeugen, dass das LKA die Kontrolle angewiesen hatte.] Da frage er sich, warum die Zeugin am 9. Januar 2020 zu U. gesagt habe, Frau Zacharias sei an der Geschichte dran. Der RA möchte wissen, woher sie das gewusst habe, oder ob sie das nur so daher gesagt habe. Die Zeugin erklärt, sie habe damit nur gesagt, dass die Informationen weitergeleitet worden seien. „Es könnte sein, dass ich dachte, da wird was gemacht.“
Wurden die mutmaßlichen Anschlagsziele Habeck und Hofreiter gewarnt?
RA Sprafke fragt, wann sie als Zeugin das erste Mal ausgesagt habe. Die Zeugin sagt: „Letztes Jahr im September“. Weiter fragt der RA, wann sie Michael K. zuletzt gesehen habe. „Im Juli“, so die Zeugin. Am Montag habe Michael K. sie informiert, dass U. aussagen wolle. Der habe es wohl von dem Kollegen T. erfahren, der es wiederum von OStAin Bellay gewusst habe. Auf Nachfrage verkündet die Zeugin, sie habe nicht vor, Michael K. vom heutigen Prozesstag zu berichten.
RA Herzogenrath-Amelung fragt nach den Erkenntnissen, nach denen Werner S. beim Hummelgautsche-Treffen eine Waffe dabei hatte und konkrete Ziele benannt wurden. Die Zeugin verweist auf Aussagen von Paul-Ludwig U. Der RA fragt, ob die Grünen-Politiker Hofreiter und Habeck [angeblich beim Treffen besprochene Ziele] gewarnt wurden. Die Zeugin sagt, dass glaube sie nicht. Sie könne sich an nichts erinnern. Ob die Angaben rückblickend ausreichend gewesen seien für polizeiliche Maßnahmen, möchte der RA wissen. Die Zeugin entgegnet, dass sei Sache der Staatsanwaltschaft. Der RA fordert, sie solle sich „nicht hinter der Staatsanwaltschaft verschanzen“. Warum sei keine Verhaftung etc. angeregt worden? Dazu, so die Zeugin, habe es nicht ausreichend Anhaltspunkte gegeben.
Steffen B.s RA Flintrop fragt, wer die E-Mails von Paul-Ludwig U. an Staatsanwältin Zacharias weitergeleitet habe. Die Zeugin sagt, dass sei Michael K. gewesen. Es seien insgesamt unter fünf E-Mails gewesen. Weiter fragt der RA nach der Markierung der TKÜs als wichtig bzw. als unwichtig. Die Zeugin gibt an, dass Sachbearbeiter das so kategorisiert hätten.
RA Picker: Hat das LKA versucht, eine Tatprovokation durch U. zu verhindern?
RA Picker erkundigt sich, ob Mechanismen entwickelt wurden, um ein mögliches „tatprovozierendes Verhalten“ bei Paul-Ludwig U. zu unterbinden, z.B. dass man ihn eine Erklärung unterschreiben lässt. Nein, das habe man nicht diskutiert, so die Zeugin.
RA Siebers fragt, ob sie mal in die Social-Media-Accounts geschaut habe und ob sie eine E-Mail von Werner S. mit dem Inhalt, „hab die Schnauze voll, ich will nicht mehr“, gelesen habe. Die Zeugin kann sich nicht erinnern. Auf Nachfrage erklärt die Zeugin, Staatsanwältin Zacharias habe auch Anmerkungen zu Aktenvermerken mit Bitten um Ergänzungen gemacht.
RA Just möchte wissen, wer in den E-Mails die Kategorien geschwärzt habe. [Offenbar wurden die E-Mails den Ermittlungsverfahren „Valenz“ und „Nukleus“ zugeordnet. Die Soko Valenz ermittelte gegen die „Gruppe S“.] Die Zeugin gibt an, die Schwärzung stamme von ihr, um die polizeiinterne Kategorisierung zu verdecken. Das sei auf eigene Veranlassung geschehen. Die E-Mails seien nur dem Verfahren Valenz zugeordnet gewesen. Später fragt RA Grassl, welchen Leser*innen die Zeugin durch das Schwärzen der Namen Valenz und Nukleus einen Erkenntnisgewinn hätte vorenthalten wollen. Die Zeugin sagt, darüber habe sie sich keine Gedanken gemacht bzw. könne sich nicht erinnern. Der RA fragt weiter, ob sie von dem Grundsatz der Aktenwahrheit und der Aktenvollständigkeit gehört habe. Die Zeugin bejaht.
RA Sprafke fragt, ob LKA und Bundesanwaltschaft regelmäßig Informationen ausgetauscht hätten. Der Zeugin ist nichts bekannt.
RA Herzogenrath-Amelung interessiert sich für die Arbeit des externen Beraters M.: Ob dieser interne Schriftstücke des LKA vorgelegt bekommen und mit Korrekturhinweisen versehen habe? Die Zeugin sagt, es seien Anmerkungen gewesen.
Anschließend wird die Zeugin entlassen, und die Verfahrensbeteiligten können Statements zu ihren Aussagen abgeben.
Erklärungen der Rechtsanwält*innen
RA Sprafke sagt, ein „gewisser Argwohn“ gegenüber dem LKA Baden-Württemberg sei berechtigt. Michael K. müsse ein weiteres Mal vernommen werden. OStAin Bellay solle eine Erklärung abgeben, ob und welchen Umfang Telefonate mit dem LKA stattfanden.
RA Herzogenrath-Amelung weist auf die Reaktion der Zeugin auf Fragen von RA Berthold hin. Er moniert, das LKA habe abgewartet und zugeschaut, statt früher einzugreifen.
Tony E.s RA Hofstätter hat zwei Ergänzungen: Die Zeugin habe in zwei Passagen, „wo sie meiner Meinung nach zu spät nachgedacht hat“, zugegeben, Paul-Ludwig U. „sehr wohl in Absprache mit dem GBA bei der Stange“ gehalten zu haben, um an weitere Informationen heranzukommen. Er mutmaßt, dass die Behörden sich so die Möglichkeit offenhalten wollten, Straftaten aufzudecken, die man ohne U.s Aussagen nicht hätte aufdecken können. Er gehe davon aus, dass Paul-Ludwig U. auf das Geschehen in Minden Einfluss genommen habe.
RA Picker: U. könnte vielleicht doch noch als Quelle eingestuft werden
Thorsten W.s RA Hörtling weist darauf hin, dass StAin Zacharias eine sehr klare Aussage gemacht habe. Er könne sich nicht vorstellen, dass man sie falsch verstanden habe. Paul-Ludwig U. habe trotzdem mehrere E-Mails an Frau Zacharias weiterleiten lassen, mit der Bitte, Quelle zu sein. Frau Zacharias habe das klar abgelehnt. Warum habe man am 9. Januar 2020 am Telefon behauptet, Zacharias sei an der Sache dran?
RA Picker merkt an, man bleibe bei der Linie, Paul-Ludwig U. sei ein „reiner Beschuldigter“ und sonst nichts. Auf seine Fragen nach einer Einflussnahme, damit U. sich nicht tatprovozierend verhalte, habe die Zeugin lediglich eine Ansprache vorweisen können. Es gebe bisher auch keine gesetzlichen Regelungen für solche Fälle. Er verweist auf ein Urteil vom EuGH vom 20. April 2022 und ein BGH-Urteil, demzufolge Paul-Ludwig U. trotz fehlender Verpflichtung als Informant eingestuft werden könnte. Eine gesetzliche Regelung, um mit derartigen Verhaltensweisen umzugehen, fehle völlig.
RA Miksch verweist darauf, dass das LKA Paul-Ludwig U. dazu aufforderte, er solle sich zurückhalten, aber trotzdem an U. festgehalten und in Kauf genommen habe, dass er Straftaten begehen könnte. Im Telefonat habe die Zeugin behauptet: „Frau Zacharias ist an der Sache dran.“ Paul-Ludwig U. sei bewusst der Eindruck vermittelt worden, die Ermittlungsbehörden würden ihre schützende Hand über ihn halten.
Die Sache mit dem „pro-forma-Beschuldigten“
RA Siebers kommt auf die Stelle in der heutigen Aussage der Zeugin zurück, als diese gefragt wurde, warum sie beim Begriff „pro-forma-Beschuldigter“ auflachte. Sie erklärte das damit, dass es für sie klinge, als sei U. gar kein richtiger Beschuldigter. Der RA schlussfolgert daraus, dass sowohl Paul-Ludwig U. als auch Maren S. die Beschuldigtenbelehrung U.s als pro forma angesehen hätten. Man habe nicht nur in Kauf genommen, dass Paul-Ludwig U. Straftaten begehe, sondern das sogar gewollt. Man habe von seinen Chatnachrichten gewusst und ihn trotzdem nach Minden geschickt.
RA Grassl verweist auf die geschwärzten Worte und die legendierte Kontrolle, die nicht in den Akten erwähnt werde. Auch Fotos [vom Treffen an der Hummelgautsche] würden in den Akten fehlen. Dem Gericht, den Angeklagten und ihrer Verteidigung sei ein unvollständiger Sachverhalt zur Verfügung gestellt worden.
RA Mandic beantragt, die Aussagen der Zeugin nicht zu verwerten
RAin Schwaben beschreibt ein ungutes Gefühl beim externen Berater M. Er habe angeblich ganz neutral Vermerke gelesen, aber womöglich sei seine Rolle eigentlich gewesen, Paul-Ludwig U. nicht als Zeuge erscheinen zu lassen. Das LKA habe bei U.s Anwalt angerufen, U. solle sich zurückhalten. Wenn U. tatsächlich Beschuldigter war, stelle sich ihr die Frage nach dem Grund dieses Anrufs. Dazu komme noch die legendierte Kontrolle in Heidelberg. Fakt sei, dass das LKA Paul-Ludwig U. Hoffnungen gemacht habe, indem es die E-Mails an StAin Zacharias weiterleitete.
RA Mandic kommt auf den Antrag zurück, den er an diesem Morgen ankündigte: Dass die Aussagen der Zeugin zumindest vorerst nicht verwertet werden dürften. Er bezieht sich auf das Recht, eine freie Willensentscheidung ohne Einfluss zu treffen. Die Zeugin täusche, ihre Aussagen unterlägen eigentlich dem Beweisverwertungsverbot. RA Hofstätter und RAin Schwaben schließen sich dem an.
Zum Abschluss dieses Tages kündigt Paul-Ludwig U.s Verteidigung an, U. werde den kompletten Donnerstag lang aussagen. Er werde einfach berichten.